HIER WOHNTE
HELENE WOLFF
GEB. LEVY
JG. 1870
SEIT 1938 MEHRERE
HEILANSTALTEN
„VERLEGT“ 1939
HEILANSTALT LEUBUS
ERMORDET JAN. 1941
Helene Wolff wurde als Tochter des jüdischen Ehepaares Meyer Levy und Roza Levy geb. Hirschberg am 2. Mai 1870 in Fraustadt in der damaligen preußischen Provinz Posen (heute Wschowa in der Woiwodschaft Lebus, Województwo Lubuskie) geboren. Über die Eltern war wenig in Erfahrung zu bringen. Spätestens 1874 vollzogen sie den Umzug nach Berlin und waren zum Zeitpunkt der Geburt ihres dritten Kindes Ludwig in der Mohrenstrasse 53 gemeldet.
Helene hatte fünf Geschwister:
Ihr älterer Bruder Leopold wurde 1867 in Fraustadt geboren. Er war bis zu seiner Zwangspensionierung 1933 als Konkursrichter am Amtsgericht Charlottenburg tätig.
Der jüngere Bruder Ludwig kam 1874 in Berlin zur Welt. Über ihn ist wenig bekannt. Weitere Geschwister waren Oscar Hermann Levy (geb. am 27.März 1876 in Berlin, gest. am 9. August 1955), Margerite Hamburger (geb. Levy) und Louise Koffka (geb. Levy).
Im Alter von 18 Jahren heiratete Helene 1888 den jüdischen Justizrat Richard Wolff (*7. September 1854, Köln). Das Ehepaar bezog eine Wohnung in der Schaperstraße 19 in Berlin-Wilmersdorf. Richard Wolff konvertierte bereits 1903 zum evangelischen Glauben, Helene einige Jahre später, im Jahre 1931. Das Ehepaar lebte in wohlhabenden Verhältnissen. Richard verstarb bereits 1915, die Ehe war kinderlos.
Helene Wolff war Malschülerin bei Lovis Corinth und besaß einige Bilder des Meisters. Gemälde aus ihrem Besitz wurden 1926 für die große Corinth-Ausstellung als Leihgabe der Nationalgalerie zur Verfügung gestellt. Korrespondenz mit Ludwig Justi, dem Direktor der Nationalgalerie, lässt auf Helenes Kennerschaft und Expertise in der bildenden Kunst schließen.
Helene Wolff lebte als Witwe noch bis in die 1930-er Jahre ein selbstbestimmtes Leben. Dies änderte sich erst mit der Machtergreifung Hitlers und den folgenden antisemitischen Verfolgungsmaßnahmen der Nationalsozialisten, denen Helene Wolff als „Volljüdin“ ausgesetzt war.
Bis 1930 war Helene Wolff unter der Adresse Schaperstraße 19 gemeldet, ab 1930 ist sie in den Berliner Adressbüchern in der Breite Strasse 2b in Schmargendorf zu finden, ab 1934 in Steglitz, Friedrichsruher Strasse 27. Es ließ sich nicht konkret rekonstruieren, wie sehr Helene Wolff bis 1938 unter den Verfolgungsmaßnahmen der Nationalsozialisten zu leiden hatte. Ihre Umzüge, eine erneute Betätigung als Malerin als über 60 Jahre alte Frau und der erfolglose Versuch, im Jahre 1934 ein Kunstwerk an die Nationalgalerie Berlin zu verkaufen, lassen darauf schließen, dass Helene finanziell in Nöte geriet.
Die „Zweite Verordnung zur Durchführung des Gesetzes über die Änderung von Familiennamen und Vornamen“ vom 17.8.1938 fand auch bei Helene Anwendung. In Briefen des Finanzamtes Steglitz wurde sie mit dem Zweitnamen „Sara“ angeschrieben, der sie als jüdische Deutsche klassifizierte. In dem Bescheid des Finanzamtes Berlin-Steglitz an Helene Wolff über die zu entrichtende „Judenvermögensabgabe“ wurde der Betrag auf 2600 RM festgesetzt, zu zahlen in vier Raten à 650 RM. Das Schreiben datiert auf den 30.12.1938, zu dem Zeitpunkt kümmerte sich bereits ihr Bruder Leopold um seine Schwester.
Im April 1938 wurde Helene Wolff durch Zwangseinweisung der Berliner Polizeibehörden in die Wittenauer Heilstätten (heute Karl-Bonhoeffer-Kliniken) eingeliefert. Ihre Schwägerin Margarethe Lenhard gab im späteren Entschädigungsverfahren an, dass Helene „übermäßig sensibel auf die immer stärker werdende antisemitische Welle“ reagierte. Die Atmosphäre in der Heilanstalt Wittenau habe sie seelisch zu stark belastet, sodass ihr Bruder Leopold sie bereits am 12. Mai 1938 in das Sanatorium Waldhaus am Nikolassee übersiedeln ließ, um sie „vor erneuten Zugriffen zu schützen“, wie ihre Schwägerin es beschrieb.
Helene Wolffs Vermögen war durch die hohen Anstalts- und Transportkosten und trotz der Haushaltsauflösung bald aufgebraucht. Laut Aussage Margarethe Lenhards bezahlte der Bruder Leopold seit Februar 1939 für die Unterbringung seiner Schwester, obwohl dieser selber durch die antisemitische Repressionspolitik der Nationalsozialisten in finanzielle Bedrängnis geriet. Im Oktober des gleichen Jahres ließ Leopold seine Schwester erneut verlegen, in eine ihm besonders empfohlene Einrichtung in Branitz, Ostschlesien. Die Schwägerin beschrieb weiter, wie Helene wenige Wochen nach ihrer Ankunft jedoch auf Befehl des Breslauer Polizeipräsidenten nach der „schlesischen Provinzial-Irrenanstalt Leubus“ (heute Lubiaz, Polen) verbracht wurde. Die weitere Verlegung in die „Irrenanstalt Chelm“ (Stadt Chelm, östlich von Lublin, Polen), erneut durch den Polizeipräsidenten, muss nach der Schilderung von Margarethe Lenhard im Dezember 1940 stattgefunden haben. Von dort erhielt die
Familie kaum drei Wochen später ein Schreiben, dass Helene Wolff am 17. Januar 1941 an „Arterienverkalkung“ gestorben sei.
Über die psychiatrische Anstalt in Chelm bei Lublin ist heute bekannt, dass dort im Januar 1940 441 Patienten von SS-Einheiten erschossen wurden. Die Klinik fungierte danach als Militärlager und Kaserne, wurde allerdings im Rahmen des Euthanasieprogramms der Nationalsozialisten und der sogenannten „T4-Aktion“ zum Nutzen der Nationalsozialisten auf Papier weitergeführt. Ein NS-Sonderstandesamt in Chelm mit tatsächlichem Sitz in Berlin erstellte unter den Bezeichnungen „Irrenanstalt Chelm“, „Irrenanstalt Cholm“ oder „Ortspolizeibehörde Chelm II“ falsche Todesurkunden, stellte der Reichsvereinigung der Juden Betreuungskosten in Rechnung und führte Korrespondenzen mit besorgten Angehörigen jüdischer Patienten, die ab Sommer 1940 in geschlossenen Transporten in NS- Tötungsanstalten verbracht und dort ermordet wurden. Die „Zentraldienststelle T4“ versuchte, die Transporte auf diesem Wege zu verschleiern.
Die Verlegungen von Helene Wolff, die die Schwägerin schildert, könnten möglicherweise auch in Zusammenhang mit Transporten des 17. und 19. Dezember 1940 stehen: „Inzwischen ist bekannt, daß die jüdischen Kranken aus den Heil- und Pflegeanstalten Schlesiens (Leubus, Branitz und Bunzlau) im Laufe des Jahres 1940 in Leubus zusammengeführt wurden. Von hier aus wurden sie in zwei Transporten am 17. und 19. Dezember 1940 in die Irrenanstalt Cholm (polnisch Chelm) transportiert und dort getötet. Diesem Euthanasiemord fielen rund 150 schlesische Juden zum Opfer.”
Es ist davon auszugehen, dass auch Helene Wolff im Rahmen der T4-Aktion ermordet wurde. Dies war den Angehörigen bereits klar, als sie über das Ableben Helenes in Kenntnis gesetzt wurden. Ihre Schwägerin schrieb im Entschädigungsverfahren: „Was mein Mann erreichen wollte, die Schwester zu schützen, und zu heilen, ist durch die Praxis der Nazis, geistig gebrechliche und kranke Leute zu ermorden, zunichte gemacht worden.“
Helene Wolff wurde im Alter von circa 70 Jahren ermordet.
Ihr Bruder Leopold verstarb bereits am 5. Juli 1940 in Berlin an Leberkrebs. Seine Frau Margarete Levy, später Lenhard, verblieb in Berlin und stellte nach dem Krieg mehrere Entschädigungsanträge, unter anderem für den Verlust der von ihrem Mann gegründeten juristischen Fachzeitschrift „Konkurs und Treuhandwesen“, die 1935 auf Anordnung der Nationalsozialisten an den Carl Heymann Verlag verkauft werden musste. Der gemeinsamen Tochter Rose-Marie (*1913) gelang mit ihrem Ehemann Robert die Emigration nach Palästina, der ältere Sohn Ernst (*1916) fiel am 22.6.1941 an der Ostfront bei Niestepowo. Der jüngste Sohn Georg (*1924) wurde 1943 als „Mischling I. Grades“ aus dem elterlichen Haus abtransportiert und verbrachte die Kriegsjahre in unterschiedlichen Sammel- und Zwangsarbeiterlagern.
Familienhistorische Recherche und Text: Stefanie Wilson M.A., Berlin, im Auftrag der Ketterer Kunst GmbH & Co KG
Quellen: – Berlin, LABO, Reg.Nr. 11.830 – Berlin, LABO, Reg.Nr.12.138, Georg Lenhard – Gedenkbuch Bundesarchiv Gedenkbuch – Gedenkbucheintrag (bundesarchiv.de) – Geburtsurkunde Ludwig Levy, Berlin, LAB P Rep.802 Nr.233, Reg.Nr. 148. – Centrum Judaicum Berlin (CJA), 2 A 1, Austrittskartei (Wolff, Helene und Richard) – Staatliche Museen zu Berlin (SMB), ZA, I-NG 677 – Berliner Adressbücher 1799-1970, digitalisiert https://digital.zlb.de/viewer/cms/141/ – „Zweite Verordnung zur Durchführung des Gesetzes über die Änderung von Familiennamen und Vornamen“, RGB1 I, 1044. – http://www.holocaustresearchproject.org/euthan/chelm.html – Willy Cohn: Kein Recht, nirgends: Breslauer Tagebücher 1933 – 1941, 2007, S. 352, Anm. 318. Es wird verwiesen auf eine Publikation von Alfred Konieczny: Rozwiazanie i zbrodniami hitlerowskimi 18 [1995], S. 235-260 [Acta Universitatis Wratislaviensis Nr. 1715].