Stolpersteine Mainzer Straße 15

Hauseingang Mainzer Str. 15, Foto: H-J. Hupka, 2014

Hauseingang Mainzer Str. 15, Foto: H-J. Hupka, 2014

Diese Stolpersteine wurden von Elena Blum und Irene Sieben (Berlin) gespendet und am 24.3.2014 verlegt.

Stolperstein Julius Lachmann, Foto:H.-J. Hupka, 2014

Stolperstein Julius Lachmann, Foto:H.-J. Hupka, 2014

HIER WOHNTE
JULIUS LACHMANN
JG. 1872
DEPORTIERT 1.11.1941
LODZ / LITZMANNSTADT
ERMORDET 16.2.1942

Isaak Lachmann als Kantor in Hürben, Privatbesitz

Isaak Lachmann als Kantor in Hürben, Privatbesitz

Julius Lachmann wurde am 8. Mai 1872 in Lauenburg (Pommern) geboren und wuchs als drittes von sechs Kindern des jüdischen Kantors und Lehrers Isaak Lachmann in Hürben (Krumbach) im bayerischen Schwaben auf. Die Synagoge Hürben war eine der größten und angesehensten jüdischen Gemeinden Deutschlands.
Das bleibende Verdienst Isaak Lachmanns ist es, den gesungenen israelitischen Gottesdienst des süddeutschen Ritus, der über die Jahrhunderte nur mündlich überliefert gewesen war, gesammelt und in vier handgeschriebenen Bänden zu Papier gebracht zu haben, indem er den von rechts nach links notierten hebräischen Text in einer Lautschrift der Notenschrift anpasste. Der letzte dieser zwischen1873 und 1894 aufgezeichneten Bände in drei Teilen („Awaudas Jisroeil“) wurde in den 1990er Jahren im Faksimiledruck vom Europäischen Zentrum für jüdische Musik (heute in Hannover) herausgebracht. Die nach Argentinien emigrierte Enkelin von Isaak Lachmann, die Juristin Dr. Ulrike Blum, hatte dem Institut den Nachlass ihres Großvaters übergeben.
Julius hatte die schöne Stimme seines Vaters geerbt. Die traditionellen Gottesdienstgesänge gehörten vermutlich zu seinem frühen Repertoire. Er studierte Musik mit dem Wunsch und Ziel Kapellmeister zu werden.

Die Familie Lachmann war eine illustre Familie. Julius’ ältere Schwester war die Lyrikerin und Übersetzerin Hedwig Lachmann, deren Nachdichtung von Oscar Wildes „Salomé“ Richard Strauss 1901 zur Komposition seiner gleichnamigen Oper inspirierte. Das Libretto von Hedwig Lachmann ist bis heute gültige Textgrundlage. Sie war verheiratet mit dem Philosophen und Schriftsteller Gustav Landauer, der 1919 in der Räterepublik von Freikorps und Reichswehrtruppen ermordet wurde, ein Jahr nachdem Hedwig an der Spanischen Grippe gestorben war. Beide sind Großeltern des 1931 in Berlin geborenen und in die USA geflüchteten amerikanischen Filmregisseurs Mike Nichols. Gudula Landauer, eine der Töchter von Hedwig und Gustav Landauer, war Cembalistin, Meisterschülerin von Leo Kestenberg in Berlin. Ihren ersten Klavierunterricht erhielt sie von ihrem Onkel Julius Lachmann. Sie überlebte in Berlin, weil sie mit einem amerikanischen Pianisten verheiratet war.

In Hedwig Lachmanns Biographie (Annegret Walz: Ich will ja gar nicht auf der logischen Höhe meiner Zeit stehen – Hedwig Lachmann, Edition Schnecke 1993) ist zu lesen, dass sie versucht hatte, ihre Beziehungen zu Richard Strauss zu nutzen, um für ihren Bruder Julius eine Stellung als Kapellmeister zu erwirken, wie aus einem Brief hervorgeht. Doch der Coup misslang, weil Julius oft kränkelte und nervlich den Anforderungen eines künstlerischen Berufes dieser Art nicht gewachsen war. So wurde Julius Lachmann Versicherungsvertreter in Berlin. Er ließ sich mit seiner Frau Elly Lachmann , geb. Liebrecht, die am 16. April 1883 in Berlin geboren wurde, und deren Schwester Dorothea Liebrecht , geboren am 29. Mai 1890 in Berlin, in der Mainzer Straße 15 in Wilmersdorf nieder. Alle drei wurden am 1. November 1941 nach Lodz/Litzmannstadt deportiert. Julius Lachmann wurde am 16. September 1942 dort ermordet. Seine Frau Elly wurde am 4. Mai 1942 in das Vernichtungslager Chelmno/Kulmhof weitertransportiert und an diesem Tag ermordet. Dorothea Liebrecht wurde am 3. Dezember 1941 im Ghetto Lodz umgebracht.

Stolperstein Elly Lachmann, Foto:H.-J. Hupka, 2014

Stolperstein Elly Lachmann, Foto:H.-J. Hupka, 2014

HIER WOHNTE
ELLY LACHMANN
GEB. LIEBRECHT
JG. 1883
DEPORTIERT 1.11.1941
LODZ / LITZMANNSTADT
ERMORDET 4.5.1942
CHELMNO / KULMHOF

Hedwig Lachmann um 1901, aus dem Nachlass Brigitte Landauer/Hausberger

Hedwig Lachmann um 1901, aus dem Nachlass Brigitte Landauer/Hausberger

Ein Teil der Familie Lachmann entging diesem Schicksal. Julius‘ Schwester Franziska, Sprachlehrerin und Lyrikerin, verheiratet mit Adolf Otto, Generalsekretär der Deutschen Gartenstadtgesellschaft, war 1936 erst in die USA, dann nach Argentinien zu ihrer Tochter geflüchtet. Sie trug in ihrem Gepäck die Synagogengesänge des Vaters Isaak. Tochter Agathe Sieben, geb. Otto, Ulrikes Schwester, hatte als Tänzerin bei Palucca studiert und überlebte, von Freunden und Hausbewohnern beschützt, in Berlin.

Julius’ älterer Bruder Georg Lachmann führte in Berlin eine Wäscherei, seine Frau Julie eine Stickerei, beide starben bereits vor der Judenverfolgung. Ihr Sohn Hans Lachmann , geboren 1917 in Berlin, war behindert und lebte seit 1937 in den Bodelschwinghschen Stiftungen Bethel. Er gehörte zu den jüdischen Patienten, die nach einem Erlass im September 1940 in die Provinzialheilanstalt Wunstorf hätte verlegt werden müssen. Ein Teil der Patienten wurde aus Bethel nach Hause entlassen, Hans Lachmann gehörte dazu. 1940 reiste er nach Berlin zurück und ist vermutlich von seinem Onkel Julius und der Tante Elly in der Mainzer Straße vorübergehend betreut worden. Aus einer über ihn angelegten Akte, die im Berliner Landesarchiv lagert, geht hervor, dass er kurze Zeit später in die Aufnahmestation der Heil- und Pflegeanstalt Herzberge kam. Möglicherweise wurde er von dort nach Berlin-Buch gebracht und gehörte zu den fast 3000 Patienten, die noch abtransportiert wurden, bevor die Einrichtung geschlossen wurde. Weitere Unterlagen über Deportation und Tod gibt es nicht.

Aufgezeichnet von Irene Sieben und Elena Blum, Urenkelinnen von Isaak Lachmann und Großnichten von Julius und Elly Lachmann sowie Dorothea Liebrecht

Informationen zu Bethel in der Zeit des Nationalsozialsmus;
www.hauptarchiv-bethel.de/publikationen-ausstellungen/internetpublikationen.html , siehe auch Interview mit dem Regisseur Mike Nichols über seine Kindheit in Berlin: www.berlinonline.de/berliner-zeitung/print/magazin/720150.html

Stolperstein Dorothea Liebrecht, Foto:H.-J. Hupka, 2014

Stolperstein Dorothea Liebrecht, Foto:H.-J. Hupka, 2014

HIER WOHNTE
DOROTHEA
LIEBRECHT
JG. 1890
DEPORTIERT 1.11.1941
LODZ / LITZMANNSTADT
ERMORDET 3.12.1941

Stolperstein Hans Lachmann, Foto:H.-J. Hupka, 2014

Stolperstein Hans Lachmann, Foto:H.-J. Hupka, 2014

HIER WOHNTE
HANS LACHMANN
JG. 1917
EINGEWIESEN 2.2.1937
BETHEL
ENTLASSEN SEPT. 1940
NACH BERLIN
SCHICKSAL UNBEKANNT