Stolpersteine Kurfürstendamm 185

Hauseingang Kurfürstendamm 185, Foto: H-J. Hupka, 2014

Die am 24.3.2014 verlegten Stolpersteine für Jacob und Rachel Intrator sind von der Enkelin Joanne Intrator (New York) gespendet worden, die bei dem Gedenken an ihre Großeltern anwesend war, woran auch der Bürgermeister von Charlottenburg-Wilmersdorf, Reinhard Naumann, teilnahm.

Der Stolperstein zum Gedenken an Leo Davidsohn wurde am 6.8.2014 in Gegenwart der Frau seines Großneffen, der 84 Jahre alten Tema Seidman David, deren Tochter Gail David und ihrem Mann Steven Heydemann sowie deren 27 und 24 Jahre alten Töchtern Sarah und Julia aus Chevy Chase (Maryland, USA) verlegt.

Stolperstein Jacob Intrator

HIER WOHNTE
JACOB INTRATOR
JG. 1875
FLUCHT 1941
PORTUGAL
1942 KUBA
13.4.1943 USA
TOT 14.4.1943

Stolperstein Rachel Intrator

HIER WOHNTE
RACHEL INTRATOR
JG. 1875
FLUCHT 1941
PORTUGAL
1942 KUBA
1943 USA

Die aus Galizien stammende Familie Intrator ist 1905 aufgrund der in ihrer Heimat herrschenden Pogromstimmung nach Berlin ausgewandert. Jakob Intrator war am 21. November 1875 in Slinwinica (Galizien) geboren worden, seine Cousine Rachel Intrator (genannt Rosa) am 25. Oktober 1875 in Dubiecko (Galizien). 1902 heirateten sie. Am 28. Mai 1905 kam in Mosciska (Polen) ihr erster Sohn, Alexander, zur Welt. Zu dritt wanderten sie nach Berlin aus. In Berlin wurde am 7. April 1910 der zweite Sohn Gerhard geboren.

Jakob – Berufsbezeichnung: Kaufmann – gründete mehrere erfolgreiche Geschäfte, darunter einen Eiergroßhandel, und kaufte in Berlin mehrere Häuser, darunter das Gebäude an der Wallstraße 16, in dem nach der Arisierung ca. eine Million der „Judensterne“ genannten diskriminierenden Kennzeichnungen für die mitteleuropäischen Juden angefertigt worden sind.

Die Familie wohnte lange Zeit in der Knesebeckstraße 42/43 und dann am Kurfürstendamm 185 (Einträge im Adressbuch von 1935 bis 1941). Der ältere Sohn, der Konzertviolonist Alexander Intrator, emigirierte nach der Machtübertragung an die Nationalsozialisten nach London. Der jüngere, Richter am Kammergericht, Dr. Gerhard Intrator wurde am 7.4.1933 zur Aufgabe seines Richteramts gezwungen, weil er Jude war. Immerhin konnte er noch seinen Doktortitel mit einer Dissertation über “Inhalt, Zweck und Schicksal des gescheiterten Strafprozessentwurfs von 1908 unter besonderer Berücksichtigung der Strafgerichtsverfassung” erwerben. 1937 emigrierte er in die USA und setzte sich in den folgenden Jahren unermüdlich für die Auswanderung seiner Eltern ein.

Erst Ende September 1941, kurz bevor die massenhaften Deportationen begannen, konnten Jakob und Rosa Intrator mit dem letzten verschlossenen Zug aus Berlin nach Spanien ausreisen. 1942 erhielten sie in Portugal ein Visum für die Einreise nach Cuba, wo sie am 20. Februar 1942 landeten. Dort mussten sie über ein Jahr auf eine Einreisegenehmigung für die USA warten. Im April 1943 durften sie nach Florida, von wo aus sie nach New York weiterfuhren.

Nach eineinhalbjähriger Flucht endlich in New York eingetroffen, starb Jakob Intrator am Tag nach der Ankunft in einem Appartment am Central Park. Sohn Gerhard, der zur Begrüßung seiner Eltern einen freien Tag vom Militärdienst bekommen hatte, erlebte den Vater, als er im Sterben lag. 1946 kam auch Alexander in die USA.
Die engsten Familienangehörigen starben, anders als viele weitere Verwandte, die Opfer des Holocaust wurden, ebenfalls in den USA: Rosa 1951, Gerhard 1993 und Alexander 2004.

Text: Helmut Lölhöffel auf der Basis von Aufzeichnungen von Dr. Joanne Intrator und Informationen von Dr. Benedikt Goebel, Kurator der Ausstellung „Geraubte Mitte“.

Das Leben und Schicksal der Familie Intrator ist in der Ausstellung „Geraubte Mitte“ in Berlin (2013/14) dargestellt worden. Begleitpublikation zur Ausstellung: Geraubte Mitte. Die Arisierung jüdischen Grundeigentums im Berliner Stadtkern 1933 – 1945. Edition Stadtmuseum Berlin | Kleiner Katalog. 80 Seiten, 3 €. Jakob und Rachel Intrators Enkelin Joanne, Tochter von Gerhard Intrator, hat ihre Bemühungen um Restitution des Hauses Wallstraße 16 aufgezeichnet und darüber in einem Interview mit dem Rundfunk Berlin-Brandenburg im September 2013 berichtet.
http://mediathek.rbb-online.de/rbb-fernsehen/stilbruch/-geraubte-mitte?documentId=16929132

Diese beiden Stolpersteine zum Gedenken an Jakob und Rachel Intrator wurden gesetzt, um das Schicksal der mehr als 300 am Kurfürstendamm lebenden und arbeitenden jüdischen Menschen symbolisch zu dokumentieren, die der Deportation und Ermordung durch Flucht entkommen sind.

Stolperstein Leo Davidsohn

HIER WOHNTE
LEO DAVIDSOHN
JG. 1866
DEPORTIERT 14.7.1942
THERESIENSTADT
ERMORDET 12.8.1942

Leo Davidsohn wurde am 20. (nach eigener Angabe am 19.) Dezember 1866 in Hohensalza (Inowrazlaw) geboren. Sein Vater hieß Eduard, seine Mutter Selma, sie lebten in Breslau. In Berlin hatte Leo Davidsohn einen Großhandel für Futtermittel an der Wielandstraße 23. Zunächst wohnte er am Kurfürstendamm 165. Der Eintrag aus dem Jüdischen Adressbuch 1931:
  • Davidsohn, Leo, W 15, Kurfürstendamm 165
Von dort zog er in das Haus Kurfürstendamm 185, das auch durch einen Seiteneingang von der Wielandstraße zu erreichen war. In diesem prächtigen Eckhaus mit Fahrstuhl bewohnte er im 4. Stock eine Wohnung mit neun Zimmern und Balkon, wofür er 330 Reichsmark Miete zahlte. Aus dem Adressbuch 1938:
  • Leo Davidsohn Futtermhdlg W 15 Wielandstraße 23 T. Wohn Kurfürstendamm 185

Verheiratet war Leo Davidsohn mit Lucy Bauchwitz; sie hatten keine Kinder. Die Familie Bauchwitz stammte aus Halle/Saale, sie hatte dort einen Salzgroßhandel. Lucy Bauchwitz war die Schwerster von Bianca, geboren am 22. Mai 1876 in Halle/Saale, gestorben am 2. November 1926. Bianca‘s Tochter Ilse Gerson David war Henry Philip David’s Mutter.

Leo Davidsohns Bruder war Daniel Davidsohn, geboren am 23. Juni 1857 in Hohensalza, verheiratet mit Johanna, geb. Plaut, gestorben am 24. März 1942.
Seit 1930 lebte die unverheiratete Anna Köpp in der Wohnung, sie war die Hausangestellte.

Leo Davidsohn war Alleineigentümer einer Reihe von Gesellschaften einschließlich eines Großhandels für Tierfutter in der Wielandstraße 23. In der Berliner Gesellschaft hatte er einen guten Ruf und er war prominenter Teilhaber der Börse. Er half Verwandten und Bekannten, wenn ihnen die Arbeitserlaubnis entzogen worden war, und schließlich bei der Flucht aus Deutschland nach Amerika, Südafrika, China und in andere Länder.

Der gesamte Besitz Leo Davidsohns wurde ausgeräumt, versteigert oder verkauft. Er muss enorm wohlhabend gewesen ein, worauf Wohnungseinrichtung, Hausrat und Kleidung hinwiesen. So besaß er – nach eigenen Angaben in der ihm abverlangten Vermögenserklärung – zwei Pelzmäntel aus Sesalbisam und Nutria, die nach seiner Deportation hoch geschätzt und teuer verkauft wurden. Einen sicherlich wertvollen 4×5 Meter großen Teppich samt Vorleger erstand Lissy Pommerenke aus Oberschöneweide für 430 RM.

Als er am 11. Juli 1942 seine Vermögenserklärung ausfüllen musste, machte Leo Davidsohn absichtsvoll ungenaue Angaben. Mit Bleistift trug er in das Formular ein: Konto und Wertpapiere „??“, Kleidungsstücke „nicht aus dem Kopf anzugeben“, Schulden „verschiedene Arztrechnungen“, Gesamtvermögen „nicht anzugeben“ und: „Verpflichtungen gegen die Hausangestellte“.

In der Sammelstelle in der Großen Hamburger Straße 26 wurde Leo Davidsohn für den 21. Alterstransport nach Theresienstadt eingeteilt. Dieser verließ am 14. Juli 1942 Berlin vom Anhalter Bahnhof, 100 Menschen wurden mit ihm deportiert, unter ihnen zahlreiche Patienten des Jüdischen Krankenhauses. Am 12. August 1942 ist er im Ghetto Theresienstadt im Alter von 75 Jahren ums Leben gebracht worden.

Text: Reinhard Frommann und Helmut Lölhöffel

In Berlin, Leo Davidsohn lived at Kurfürstendamm 165 (entry below from the Jewish directory 1931) and later at Kurfurstendamm 185, which had a side entrance on
  • Davidsohn, Leo, W 15, Kurfürstendamm 165
Wielandstrasse 23. . His apartment in this magnificent corner house with an elevator that still stands today, had nine rooms and a circular balcony on the 4th floor, for which he paid 330 Reichsmark. From the directory 1938:
  • Leo Davidsohn Futtermhdlg W 15 Wielandstraße 23 T. Wohn Kurfürstendamm 185

Leo Davidsohn was married to Lucy Bauchwitz; they had no children. The Bauchwitzs, from Halle an der Saale, had a wholesale salt business. Lucy was the sister of Bianca, born 22 May 1876, in Halle an der Saale, and died 2 November 1926. Bianca’s daughter, Ilse Gerson David, was a favorite niece who lived with Uncle Leo for several years before her marriage, and was Henry P. David’s mother.

Leo Davidsohn had a brother, Daniel Davidsohn, who was born on 23 June 1857 in Hohensalza, married Johanna (born Plaut), and died 24 March 1942. Since 1930, unmarried Anna Köpp lived as domestic servant in the apartment of Leo Davidsohn.

Leo Davidsohn was a successful businessman. He was the single owner of a number of companies, including, as recorded in the 1936 Yellow Pages, a wholesale animal feed business on Wielandstraße 23. Mr. Davidsohn had a good reputation in the Berlin community and was a prominent member of the stock exchange. Perhaps most important of all, he showed great generosity to his relatives and others when, as a result of race laws, they were no longer permitted to work in Germany, and ultimately, he helped them emigrate to America, South Africa, China and elsewhere.

None of Leo Davidsohn’s possesions stayed in the family; all were eliminated, auctioneered and sold. According to the “Vermögenserklärung” (demanded by the Nazi authorities of all Jews), he possessed two fur (Sesalbisam and Nutria) coats, which were sold for a high price after his deportation, and records even name Lissy Pommerenke from Oberschönweide, who purchased a surely valuable 4×5 meter carpet for 430 RM.

When he had to declare his assets on 11 July 1942, Leo Davidsohn provided intentionally inaccurate information. With a pencil, he entered into the form: Account and Securities: “??” Articles of Clothing: “not to indicate by heart.” Debts: “different doctor’s bills.” Total Assets: “not to indicate” and “obligations against the domestic servant”.

In the large “collecting point” at Hamburger Straße 26, Leo Davidsohn was selected for the 21. deportation transport to Theresienstadt. This transport left with 100 people on 14 July 1942 from Berlin Anhalter Bahnhof station. Also on the train were patients of the Jewish Hospital. On 12 August 1942, Leo Davidsohn was put to death in in the Theresienstadt. He was 75 years old.

Translation: Reinhard Frommann, completed by Gail David

Reminding of Leo Davidsohn with a Stolperstein Reinhard Frommann, member of the local Stolpersteine Initiative, said in presence of the family:

bq.
Between 1939 and 1945, about 55 000 Jews were deported from Berlin and murdered. Thirteen thousand were from the district of Charlottenburg-Wilmersdorf alone. Not included in these figures are the other victims of the Nazidictatorship: Social Democrats, Communists, Trade Unionists, Christians, Jehovas Witnesses, Homosexuals, Sinti and Roma, Freemasons and many others including victims of euthanasia.
To date, the people of Berlin have laid more than 6 000 Stolpersteine in their city, among them the more than 2 600 in Charlottenburg-Wilmersdorf.
The Nazis exterminated them and wanted to wipe out their names.
We call back their names to the place where they lived.
Six million victims – an unimaginable number. But we always have to think:
One … plus one … plus another one … and another one…. And to commemorate one of them – Leo Davidsohn – we place this Stolperstein here today.