HIER WOHNTE
MARGARETE
GUMPERT
GEB. GERSTMANN
JG. 1893
DEPORTIERT 14.11.1941
ERMORDET IN
MINSK
Margarete Gerstmann wurde am 8. Januar 1893 in Breslau geboren. Ihre Eltern, der Kaufmann für Wäsche und Manufakturwaren Elias Gerstmann (geboren 13. September 1853) und dessen Frau Sahra Marcus (geboren am 26. April 1863) hatten am 31. März 1892 in Breslau neun Monate vor Margaretes Geburt geheiratet. Am 25. Juli 1997 bekam Margarete einen kleinen Bruder, der Kurt genannt wurde. Die Breslauer Adressbücher von 1902–1918 weisen ihren Vater Elias Gerstmann als Kaufmann für Grundstücke und Hypotheken-Geschäfte aus.
Über Margaretes Kindheit und Jugend konnte nichts recherchiert werden. Ihr Bruder Kurt trat mit 18 Jahren dem Deutschen Heer bei und nahm am Ersten Weltkrieg teil. Er zeichnete sich als Unteroffizier aus. Stationiert war er in Hagenau im Elsass. Am 5. Juni 1918 starb er für sein Vaterland in Seuzey, Frankreich. Seine ältere Schwester Margarete, genannt Grete, war damals 25 Jahre alt.
Knapp ein Jahr später, im April 1919, verlobte sich Grete mit dem Kaufmann Julian Gumpert, (geboren 20. Mai 1883 in Łekno), den sie am 21. Oktober 1919 in Breslau heiratete. Auch Julians jüngerer Bruder Albert war im Ersten Weltkrieg gefallen.
Am 13. Oktober 1920 wurden Grete und Julian in Wongrowitz zum ersten Mal Eltern. Sie bekamen eine Tochter, die sie Thea nannten. Mit ihr zogen sie nach Berlin, wo schon Julians fünf Brüder mit ihren Familien wohnten. Hier wurde am 18. November 1924 ihr zweites Kind geboren. In Erinnerung an Gretes gefallenen Bruder wurde der Sohn Kurt genannt.
Ab 1925 erschien Gretes Mutter Sahra als Kaufmannswitwe im Breslauer Adressbuch.
Sie blieb in Breslau ansässig.
Das jüdische Adressbuch 1931/32 führte Julian Gumpert in der Residenzstraße 11 in Berlin-Reinickendorf. Hier betrieb auch sein Bruder Sally eine Getreide- und Furagehandlung (Furage: veraltete militärische Bezeichnung für Pferdefutter) in der Scharnweberstraße 118.
Anfang der dreißiger Jahre zog die Familie nach Berlin-Wilmersdorf. Ihre Tochter Thea besuchte 1933 das Hohenzollern-Lyceum. Die Familie wohnte damals in der Pariser Straße 38. Ihre letzte gemeinsame Wohnung hatten sie im April 1934 in der Wielandstraße 17 in Berlin-Charlottenburg. Hier wohnten sie, als Kurt in die 5. Klasse der Oberschule eingeschult wurde. Es ist anzunehmen, dass zu dieser Zeit die Ehe zwischen Grete und Julian zerbrach.
Ihre 12-jährige Tochter Thea verließ im November 1934 Berlin mit Hilfe der German Jewish Children’s Aid (GJCA), einer Hilfsorganisation aus den USA zur Unterstützung und Betreuung unbegleiteter oder verwaister jüdischer Kinder. Die Organisation klärte die Einreiseformalitäten in die USA, übernahm die finanzielle Absicherung der einreisenden Kinder und sorgte für deren weitere Unterbringung und Betreuung.
Wann die Ehe zwischen Margarete und Julian Gumpert genau geschieden wurde, ist nicht bekannt. Da sie sich wahrscheinlich über das Sorgerecht für ihren 13-jährigen Sohn Kurt nicht einigen konnten, kam dieser 1937 in die Auerbach´sche Waisen- und Erziehungsanstalt in der Schönhauser Allee 162 in Berlin-Prenzlauer Berg.
Grete zog am 4. Oktober 1937 aus der gemeinsamen Wohnung in der Wielandstraße 17 aus. Ihre erste neue Bleibe fand sie zur Untermiete in der Konstanzer Straße 4 bei der 57-jährigen Rosa Kaul, geborene Jarecki. Hier blieb sie ein halbes Jahr. Am 1. April 1938 zog sie dann in die Kastanienallee 10.
Vom 1. Februar 1939 bis zum 1. Juli 1939 wohnte sie in der Marienbader Straße 12 zur Untermiete bei Minna Blau, die ebenfalls von ihrem Ehemann geschieden war.
Von hier aus zog sie zur Untermiete zu Rosa Nicolaier an den Kurfürstendamm 177. Da die gebürtige Breslauerin Rosa Nicolaier 1939 nach England emigrierte, musste Grete erneut umziehen. Zum 1. Januar 1940 fand sie ein Zimmer zur Untermiete bei Else Baum in der Mommsenstraße 56. Die damals 52-jährige Else Baum wohnte schon seit 1924 in dieser Wohnung und war selbstständige Masseurin. Die beiden Frauen lebten fast zwei Jahre zusammen.
Am 18. Dezember 1940 heiratete Gretes inzwischen 20-jährige Tochter Thea in New York den ebenfalls aus dem Deutschen Reich ausgewanderten George Wilhelm Cahn (geboren 6. Juni 1915 in Mannheim). Schon am 17. Mai 1941 wurde ihre Tochter Evelyn geboren. Grete wurde mit 48 Jahren Großmutter, aber wir wissen nicht, ob sie von der Geburt ihrer Enkeltochter überhaupt erfuhr. Gretes Sohn Kurt machte zu dieser Zeit eine Motorenbau-Lehre im Siemens-Schuckert-Elektromotorenwerk.
Ab September 1941 wurde Grete, wie alle Jüdinnen und Juden im Deutschen Reich, gezwungen, den gelben Stern zu tragen. Mit Schreiben der Jüdischen Kultusvereinigung zu Berlin e.V. vom 7. November 1941 wurden Else Baum und Grete Gumpert aufgefordert, sich am 11. November 1941 im Sammellager in der Levetzowstraße 7/8 einzufinden. Hier mussten sie ihre Vermögenserklärungen ausfüllen und abgeben. Zusammen mit ca. 1.000 anderen Berliner Jüdinnen und Juden, darunter auch Berthold Rudner, dessen Tagebuch überliefert ist, wurden sie am 14. November 1941 zum Güterbahnhof Grunewald gebracht.
Berthold Rudner notierte dazu in seinem Tagebuch: “Ca. 2:30 [Uhr] mit Polizeiwagen nach Grunewald gebracht. Stundenlang vor dem Zug gestanden, ohne einsteigen zu können. Alles fror. Kinder weinten. Endlich Verladung in uralte […] Zuggarnitur. Gegen 19 Uhr Abfahrt bei Nacht und Nebel und Kälte.” Nach viertägiger Fahrt trafen sie schließlich in Minsk ein. Berthold Rudner hielt an diesem Tag fest: “18. XI. morgens in Minsk. Erst nachmittags ausgeladen. Zug der Verfemten und Erniedrigten zieht ins Getto nach 90stündiger Fahrt.”
Die Spur von Margarete Gumpert verliert sich im Ghetto Minsk. Vermutlich starb sie mit 49 Jahren kurze Zeit später an den unmenschlichen Lebensbedingungen im Ghetto.
Am 9. Januar 1942 meldete ihr Sohn Kurt den Tod seines 58-jährigen Vaters beim Berliner Standesamt. Der geschiedene Julian Gumpert war im Jüdischen Krankenhaus an einem Herzinfarkt gestorben.
Kurt Gumpert zog im Herbst 1942 in das Jüdische Jugendwohnheim in die Rosenstraße 4-8. Von hier aus deportierte ihn die Gestapo am 14. Dezember 1942 nach Auschwitz, wo er am 7. Januar 1943 mit 18 Jahren ermordet wurde.
Gretes Mutter Sahra Gerstmann geborene Marcus wurde 1942 in das Ghetto Theresienstadt deportiert. Sie starb am 28. Januar 1943 laut Todesfallanzeige des Ghettos an Darmkatarrh.
Text und Recherche: Gundula Meiering, Oktober 2024
Quellen:
Gedenkbuch – Opfer der Verfolgung der Juden unter der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft in Deutschland 1933 – 1945; Berliner und Breslauer Adressbücher – Zentral- und Landesbibliothek Berlin; Arolsen Archives – Schülerkarteikarten; Mapping the lives; Landesarchiv Berlin, Personenstandsunterlagen/über ancestry; Brandenburgisches Landeshauptarchiv (BLHA) Potsdam – Vermögenserklärung Else Baum und Kurt Gumpert
Esther-Julia Howell, IfZ-Archiv (19. Oktober 2023). Selbstbehauptung im Ghetto. Zeitzeugnisse – Forschung – Vermittlung. Teil 1: Das Ghetto Minsk 1941/42. Archive in München.