Stolpersteine Suarezstraße 21

Hauseingang Suarezstr. 21

Hauseingang Suarezstr. 21

Diese Stolpersteine wurden am 10.11.2013 verlegt.

Die Stolpersteine für Emmi Lichtenstein und ihre Tochter Marianne Wagner wurden von Rola Hahn, Peter Voth und Ruth Mülke gespendet.

Die Stolpersteine für Isidor und Elsbeth Rosenthal wurden von den HausbewohnerInnen Sabine Jähnert und Familie Vieth-Entus gespendet.

Stolperstein Marianne Wagner, 2014

Stolperstein Marianne Wagner, 2014

HIER WOHNTE
MARIANNE WAGNER
JG.1922
DEPORTIERT 3.3.1943
AUSCHWITZ
ERMORDET APRIL 1943

Stolperstein Emmi Lichtenstein, 2014

Stolperstein Emmi Lichtenstein, 2014

HIER WOHNTE
EMMI LICHTENSTEIN
GEB. SAALMANN
JG.1892
DEPORTIERT 17.3.1943
THERESIENSTADT
1944 AUSCHWITZ
ERMORDET

Emmi Lichtenstein, geb. Saalmann, verw. Wagner, wurde am 3. März 1892 als Tochter des Fabrikanten Robert Saalmann und dessen Ehefrau Röse, geb. Fröhlich, in Stettin geboren. Sie besuchte das Lyzeum und studierte Musik mit dem Schwerpunkt Gesang. Als Solistin sang sie – begleitet von verschiedenen großen Kirchenorchestern – in Schwerin. Später trat sie an mehreren Opernbühnen Deutschlands auf und bereiste während des Ersten Weltkrieges als Sängerin Feldlazarette an der Westfront. Sie setzte ihre Karriere bis zu ihrer Heirat mit dem Kaufmann Max Wagner fort, der in der Suarezstraße 21 in Charlottenburg wohnte. Danach sang sie öffentlich nur noch bei Wohltätigkeitsveranstaltungen.

Das Ehepaar Wagner hatte zwei Kinder, den Sohn Hermann Robert (Geburtsdatum unbekannt) und die Tochter Marianne, die am 22. Januar 1922 geboren wurde. Max Wagner verstarb am 7. September 1939 im Alter von 56 Jahren an einem Gehirnschlag. Seine Ehefrau Emmi führte von den Unternehmungen ihres Mannes lediglich den Lederwarengroßhandel weiter, und zwar in der Wohnung in der Suarezstraße 21.

Emmi Wagners fünf Jahre älterer Bruder, Walter G. Saalmann, floh am 15. Juni 1938 nach Amerika und holte ein Jahr später auch den Sohn seiner Schwester, Hermann Robert, in die USA. Danach lebte Emmi Wagner bis 1939/40 mit ihrer Tochter Marianne allein in der Suarezstraße 21. Der genaue Zeitpunkt ihres Auszuges war nicht zu klären. Ab dem Jahr 1940 gibt es keine Eintragung der Familie Wagner mehr an dieser Adresse und auch die Namen der weiteren jüdischen Bewohner des Hauses fehlen. Vermutlich wurden sie alle gem. dem „Gesetz über die Mietverhältnisse mit Juden“ vom 30. April 1939 zwangsweise in sog. „Judenwohnungen“ oder „Judenhäuser“ umgesiedelt. Dieses Gesetz hob den Mieterschutz für jüdischen Menschen praktisch auf mit der Begründung, dass es eine „vertrauensvolle Hausgemeinschaft zwischen Deutschen und Juden nicht geben“ könne. Nichtjüdische Vermieter konnten jüdischen Mietern ohne Grund die Wohnung kündigen. Sie wurden dann in Häuser von jüdischen Eigentümern oder Wohnungen jüdischer Mieter zwangsweise eingewiesen – meist als Untermieter in ein einziges Zimmer.

In diesem Zeitraum heiratete Emmi Wagner den Kaufmann Alfred Lichtenstein, der am 17. Juli 1886 in Meinigen geboren war. Er wohnte am Kurfürstendamm 106-107 und war seit Anfang der vierziger Jahre als Arbeiter – vermutlich zwangsweise – bei der Firma „Feinmechanik Weinrich“ beschäftigt. Emmi Lichtenstein musste in einer anderen Firma Zwangsarbeit leisten. Alfred Lichtenstein gab in seiner Vermögenserklärung – die alle Juden wenige Tage vor der Deportation auszufüllen hatten – 1943 an, dass ihm die Firma den gesamten bisherigen Lohn von 1250 Reichsmark schuldig geblieben sei. Sein Wochenlohn betrug 25 Reichsmark, der seiner Frau 21 Reichsmark.

Ab März 1942 wohnte Emmi Lichtenstein in der Tauentzienstraße 7 im zweiten Obergeschoss. Dort war sie amtlich nicht gemeldet, was darauf schließen lässt, dass es sich um eine sog. „Judenwohnung“ handelte. Ihr Mann war in demselben Haus, aber im dritten Stock, untergebracht. Auch ihre Tochter Marianne war in das Haus eingewiesen.

Als erste der Familie wurde Marianne Wagner am 3. März 1943 nach Auschwitz deportiert und dort im April ermordet. Emmi Lichtenstein und ihr Mann Alfred wurden am 17. März 1943 mit dem sog. „4. Großen Alterstransport“ mit weiteren 1342 jüdischen Menschen in das Ghetto Theresienstadt deportiert. Am 6. Oktober 1944 wurde das Ehepaar weiter in das Vernichtungslager Auschwitz verschleppt und dort ermordet.

Der in Amerika lebende Bruder von Emmi Lichtenstein, Walter Saalmann, hatte bis zum Kriegseintritt der USA Anfang Dezember 1941 regelmäßig mit ihr korrespondiert und erhielt auch noch die Nachricht über die Deportation von Marianne. Als letztes Lebenszeichen seiner Schwester erreichte ihn eine Postkarte aus Theresienstadt mit dem Poststempel 21. September 1944, die vermutlich aus dem Ghetto geschmuggelt worden war.

Emmi Lichtensteins Sohn aus erster Ehe, Hermann Robert Wagner, trat in die US-Armee ein und fiel während der Invasion der Alliierten in der Normandie.

Recherche und Text: Rola Hahn, Peter Voth und Ruth Mülke

Stolperstein Lucie Löwenstein, 2014

Stolperstein Lucie Löwenstein, 2014

HIER WOHNTE
LUCIE LÖWENSTEIN
GEB. LÖWENSTEIN
JG. 1886
DEPORTIERT 2.3.1943
ERMORDET IN
AUSCHWITZ

Stolperstein Hermann Löwenstein

Stolperstein Hermann Löwenstein

HIER WOHNTE
HERMANN
LÖWENSTEIN
JG.1886
VERHAFTET 1.9.1942
SACHSENHAUSEN
DEPORTIERT OKT. 1942
AUSCHWITZ
ERMORDET 5.11.1942

Die Stolpersteine für das Ehepaar Löwenstein wurden am 10.11.2013 verlegt.

Hermann Löwenstein wurde am 11. Juli 1886 in Krefeld geboren. Nach 1900 zog er nach Berlin und arbeitete hier zunächst als Tapezierer und Schaufensterdekorateur. Nach seiner Heirat mit Lucie Löwenstein 1910 in Berlin zog er in eine Zweieinhalb-Zimmerwohnung im Gartenhaus der Suarezstraße 21. 1913 wurde der erste und einziger Sohn Alfred geboren.

Im 1.Weltkrieg war Hermann Löwenstein Soldat, wahrscheinlich in einer jüdischen Kompanie. Nach seiner Rückkehr wurde er Generalvertreter für Textilwaren einer Chemnitzer Textilfirma in Berlin und Umland. Er verdiente gut, konnte ein Büro in der Leipziger Straße 94 einrichten und 1930 mit seiner Familie in eine große Vier-Zimmerwohnung im Vorderhaus der Suarezstraße 21 umziehen.

Wie bei allen jüdischen Menschen nahm mit der Machtübernahme Hitlers 1933 seine berufliche Entwicklung ein jähes Ende, wie ein gut befreundeter Nachbar später bestätigte:

bq. Nach 1933 gingen seine Umsätze bedeutend zurück, da er als Jude Vertretungen verlor und viele Kunden nicht mehr bei ihm kauften.

Ende 1938 mussten Lucie und Hermann Löwenstein ihre Wohnung räumen und als Untermieter einer jüdischen Familie in die Spichernstraße ziehen. Gleichzeitig zerstörte das „Gewerbeverbot für Juden“ ihre Lebensgrundlage. Sie mussten Wohnungseinrichtungsteile und das Warenlager billig verkaufen. Der Versuch Hermann Löwensteins, mit dem Erlös Devisen für eine Flucht ins Ausland zu beschaffen, scheiterte. 1940 verurteilte ihn das Landgericht Bonn wegen Devisenvergehens zu einer einjährigen Haftstrafe.

Nach seiner Entlassung wurden die Löwensteins nochmals zwangsweise umquartiert in eine kleine Wohnung in der Prinzregentenstraße 75. Hier holte die Gestapo Hermann Löwenstein am 1.9.1942 ab – möglicherweise im Rahmen einer Racheaktion gegen Juden nach der Ermordung von Reinhard Heydrich – und deportierte ihn in das KZ Sachsenhausen. Von dort wurde er im Oktober 1942 in das KZ Auschwitz deportiert. Ende 1942 erhielt seine Frau Lucie eine Mitteilung des Deutschen Roten Kreuzes mit seinem Todesdatum, dem 5.11.1942.

Lucie Löwenstein, geb. Löwenstein, wurde am 1.Oktober 1886 in Berlin geboren und lebte bis zu ihrer Heirat 1910 bei ihren Eltern in der Krausnickstraße 9 in Berlin-Mitte. Mit ihrem Ehemann Hermann Löwenstein (siehe dort) zog sie in eine Zweieinhalb-Zimmerwohnung im Gartenhaus der Suarezstraße 21, in der 1913 auch ihr Sohn Alfred 1913 geboren wurde. Er war ihr einziges Kind.

Sie führte den Haushalt in dieser wie in der 1930 bezogenen größeren Wohnung im Vorderhaus. Die Entrechtung und Isolierung der jüdischen Menschen nach der Machtübernahme Hitlers 1933 brachte sie sicher auch dazu, den Ausreiseplan ihres Sohnes Alfred zu unterstützen. Ihm gelang die Flucht in die USA noch vor 1938. Dort nahm er den Namen Fred Lowe an und lebte und arbeitete in Madison in Wisconsin. 1959 stellte er als einziger Nachkomme einen Entschädigungsantrag in Berlin und erhielt eine geringe „Entschädigung“ für Vermögens- und Berufsschaden.

Nach dem Novemberpogrom 1938 erließen die Nazis weitere „Judengesetze“, in deren Folge Lucie und Hermann Löwenstein u.a. ihre Wohnung räumen, als Untermieter einer jüdischen Familie in die Spichernstraße ziehen und Teile der Wohnungseinrichtung und das Warenlager verkaufen mussten. Lucie Löwenstein unterstützte sicher ihre gemeinsamen Ausreisepläne und den Versuch, dafür Devisen zu beschaffen. Der Versuch scheiterte und ihr Ehemann musste wegen Devisenvergehens ein Jahr Haft in Bonn verbüßen. Befreundete Nachbarn versorgten sie ab dieser Zeit mit Lebensmitteln.

Die Familie musste 1942 nochmals umziehen in die Prinzregentenstraße 75. Nachdem Hermann Löwenstein bereits am 1.9.1942 von der Gestapo verhaftet worden war, wurde Lucie am 2. März 1943 ebenfalls von der Gestapo „abgeholt“ und mit mehr als 1700 ZwangsarbeiterInnen aus „kriegswichtigen Betrieben“ (die berüchtigte „Fabrikaktion“) vom Güterbahnhof Moabit in der Putlitzstraße mit dem sog. „32. Osttransport“ in das Konzentrationslager Auschwitz deportiert. Nur 45 Frauen wurden als Häftlinge in das Lager eingewiesen. Alle anderen wurden sofort zu den Gaskammern gebracht und ermordet.

Lucie Löwenstein wurde am 2. März 1943 nach Auschwitz deportiert und sofort nach Ankunft in den Gaskammern ermordet.

Recherche und Text: Lothar Schaeffer

Stolperstein Isidor Rosenthal

Stolperstein Isidor Rosenthal

HIER WOHNTE
ISIDOR ROSENTHAL
JG. 1878
DEPORTIERT 15.8.1942
RIGA
ERMORDET 18.8.1942

Stolperstein Elsbeth Rosenthal

Stolperstein Elsbeth Rosenthal

HIER WOHNTE
ELSBETH ROSENTHAL
GEB. DANZIGER
JG.1890
DEPORTIERT 15.8.1942
RIGA
ERMORDET 18.8.1942

Isidor Rosenthal

Isidor Rosenthal wurde am 10.November1878 in Lyck bei Allenstein in Ostpreußen als Sohn von David und Natalia Rosenthal geboren. Er war Träger des „Eisernen Kreuzes 2. Klasse“ aus dem Ersten Weltkrieg. Seine Frau Elsbeth kam am 5.November 1890 in Thorn als Tochter von Arnold und Natalie Danziger zur Welt. Sie hatten drei Töchter: Lieselotte, Alice und Ursel.

Elsbeth Rosenthal

Die Rosenthals wohnten in Lyck in der Kaiser-Wilhelm-Straße 68. Sie bewohnten in dem Haus, das ihnen gehörte, im 1.Stock über einem Schuhgeschäft und einer Drogerie eine großzügige 7 Zimmerwohnung. „Die Wohnung war geschmackvoll und gediegen eingerichtet. Die Möbel waren Erzeugnisse erster Häuser“ wie der mit der Familie bekannte Zahnarzt Dr. Neumann bezeugte.

Auf dem zum Haus gehörenden Grundstück mit Hinterhaus, Speicher, Garagen, Schuppen und Pferdeställen betrieb Isidor Rosenthal die von seinem Vater gegründete Spedition „David Rosenthal & Sohn“. Bereits im April 1933 wurde ihm die Konzession als amtlicher Bahnspediteur entzogen. Unter Zwang verkaufte er seine Spedition für eine geringe Anzahlung an einen seiner „arischen“ Angestellten. Als sich die Bauern weigerten, Getreide an Juden zu verkaufen, verlor er auch seinen Getreidehandel – und damit die letzte Existenzgrundlage für sich und seine Familie. Noch in demselben Jahr wurde Isidor Rosenthal im Gefängnis von Lyck in sogenannte „Schutzhaft“ genommen.

Nach seiner Entlassung entschied er sich, mit seiner Familie nach Berlin zu ziehen – wohl in der Hoffnung, in der Großstadt der Verfolgung der Nationalsozialisten weniger ausgesetzt zu sein als in der Kleinstadt Lyck mit ihren gut 15 000 Einwohnern, von denen nur 137 jüdischen Glaubens waren. Die Familie Rosenthal konnte Teile des wertvollen Mobiliars wie Perserteppiche, Gemälde und den Bechstein-Flügel in ihre neue 5-Zimmer-Wohnung in der Suarezstraße 21 in Charlottenburg mitnehmen.

Isidor Rosenthal versuchte sich mit einem Kartoffel- und Futtermittelhandel eine neue Existenz aufzubauen. Anfangs liefen die Geschäfte auch gut. In dieser Zeit konnte er seinen Töchtern Alice und Ursel zur Flucht verhelfen. Alice war im Gefängnis Spandau inhaftiert gewesen, konnte aber nach ihrer Entlassung nach Belgien und von dort nach England fliehen. Später emigrierte sie nach Australien. Ursel gelang die Flucht nach Palästina, wo sie im Kibbuz Hasorea Aufnahme fand.

Doch bald gingen die Einnahmen des Handels von Isidor Rosenthal zurück und die finanzielle Situation verschlechterte sich zunehmend. Durch die „Verordnung zur Ausschaltung der Juden aus dem deutschen Wirtschaftsleben“ vom 12. November 1938 (Gewerbeverbot für Juden) verlor er auch dieses Geschäft wieder.

Anfang 1940 wurden die Rosenthals aus ihrer Wohnung in der Suarezstraße 21 vertrieben und in ein Zimmer im Hinterhaus der Xantener Straße 4 zwangsweise eingewiesen. Von dort wurden Isidor und Elsbeth Rosenthal mit ihrer Tochter Lieselotte in das „Sammellager“ in der alten Synagoge Levetzowstraße 7/8 verbracht und mit dem sogenannten „18. Osttransport“ am 15. August 1942 vom Güterbahnhof Moabit in der Putlitzstraße aus nach Riga deportiert.

Man weiß heute, dass der Zug DA 401 mit 1004 Menschen am 18. August 1942 in Riga-Skirotava ankam. Da das Rigaer Ghetto bereits seit Oktober 1941 geschlossen war, wurden alle mit diesem Transport aus dem „Reichsgebiet“ deportierten Menschen – mit Ausnahme einer Krankenschwester, deren Name nicht bekannt ist – unmittelbar nach der Ankunft in den Wäldern von Rumbula und Biekerniki ermordet.

Auch Isidor und Elsbeth Rosenthal mit ihrer Tochter Lieselotte erlitten dieses Schicksal.

Recherche und Text: Sabine Jähnert,
ergänzt durch Stolperstein-Initiative Charlottenburg-Wilmersdorf