Samson Tyndel wurde am 30. Juli 1878 in Kolomea (im damals zu Österreich gehörenden Galizien) als Sohn von Moses und Malka Tyndel geboren. Er besuchte die örtliche Gemeindeschule und des Gymnasium in Kolomea. Er studierte Rechtswissenschaften und arbeitete von März bis Juni 1905 als cand. jur. an einer in Kolomea erscheinenden Monatszeitschrift für Psychische Studien mit, die sich den wenig bekannten Phänomenen des Seelenlebens widmete. Samson studierte dann Rechtswissenschaften in Wien und erwarb dort den Dr. jur., er war in Kolomea und Wien tätig. Samson Tyndel heiratete 1912 in Wien Theodora Tauba Zehngebot , die am 3. Juni 1892 in Stryj (ebenfalls im damaligen österreichischen Teil Galiziens) geboren wurde.
Ihre Wohnadresse in Wien war die Billrothstraße 5. Am 22. Januar 1915 wurde in Wien der Sohn Martin Tyndel geboren, am 6. Oktober 1916 ebenfalls in Wien die Tochter Felizia und am 28. März 1920 in Stryj der Sohn Joseph. Am 25. März 1929 kam, wiederum in Wien, das vierte Kind Erich zur Welt.
Beide Eltern besaßen beträchtlichen Grundbesitz. 1918 verkauften die Tyndels den Großteil ihrer Ländereien, nachdem Galizien polnisch wurde. Während ihrer Ehe galt nach österreichischem Recht Gütertrennung. Die Erlöse investierten sie in Wien in Immobilien. 1920 begannen sie, auch in Berlin Immobilien zu erwerben und kauften die Boxhagener Straße 31 (1922-23) und die Reuchlinstraße 7 und 8 (1922-24) hinzu.
1930 gab Samson Tyndel aus gesundheitlichen Gründen seine Tätigkeit als Anwalt auf. Die Tyndels verwalteten nur noch ihre Liegenschaften in Wien und Berlin, indem sie Immobilien in Wien veräußerten und die Erlöse in Berlin investierten, und sicherten sich damit Ihren Lebensunterhalt.
Im Oktober 1931 zogen Theodora Tyndel und die Kinder nach Berlin um, 1932 folgte der Vater. Die Familie zog in die Uhlandstraße 46 in eine Fünfeinhalb-Zimmer-Wohnung im 2. Stock links. Der Mietvertrag ist datiert vom 23. Januar 1932, der Mietpreis in diesem riesigen Mietshaus an der Ecke Ludwigkirchstraße war mit 149,94 Reichsmark recht üppig. Vermieter waren die Gebrüder Stettner, der Verwalter war ein Gewerbeoberlehrer namens Richard Mölhusen. In dem prächtigen Gebäude wohnte auch die sel. Witwe A. Zuntz, die eine deutschlandweit berühmte Kaffeerösterei besaß.
1933 machte Martin Tyndel Abitur und begann an der Universität Wien Pharmazie, Pharmakognosie, Philosophie und Sprachwissenschaft zu studieren. 1934 machte Felizia („Lizzy“) Tyndel ihr Abitur und begann ein Studium an der Philosophischen Fakultät Universität Wien, wo sie in die Executive des Verbandes für jüdische Hochschülerinnen gewählt wurde. 1935 wurde Erich Tyndel in eine jüdische Elementarschule eingeschult, die er bis 1938 oder 1939 besuchte. 1938 machte Joseph Tyndel Abitur. Doch Martin und Felizia mussten die Universität in Wien wegen ihrer jüdischen Religionszugehörigkeit verlassen.
Martin und Joseph flüchteten daraufhin im September 1938 aus Deutschland nach Palästina, Felizia nach London und heiratete dort Dr. Erich Hohenberg (geboren 1910). Martin Tyndel wurde Apotheker in Tel Aviv, Felicia Tyndel in London Büroangestellte, Dr. Joseph Tyndel Tierarzt in Neuseeland. Der jüngste der Geschwister, Erich Tyndel, sollte Deutschland am 3. September 1939 mit einem Kindertransport nach England verlassen. Der Ausbruch des Zweiten Weltkriegs am 1.9.1939 vereitelte aber diesen Transport, weil die Grenzen geschlossen wurden.
Samson Tyndel beabsichtigte, mit seiner Frau und dem jüngsten Sohn Deutschland zu verlassen. Denn sie hatten mit erheblichen Repressalien des Staates zu kämpfen. Eine erhöhte Einkommenssteuer, die Judenvermögensabgabe, die Reichsfluchtsteuer und die Auswandererabgabe an die jüdische Gemeinde zerrten gewaltig am Vermögen, sodass sie gezwungen waren, Immobilien zu verkaufen. Dies gestaltete sich als schwierig, da jüdischen Eigentümern eine Selbstverwaltung verboten war und sie auf die ihnen zur Verfügung stehenden Verwalter angewiesen waren. Zu dieser Zeit besaßen Tyndels in Berlin acht Mietshäuser, vier Mietshäuser in Wien und ein Grundstück in Heringsdorf an der Ostsee. Zwei möblierte Zimmer ihrer Wohnung in der Uhlandstraße mussten Tyndels später untervermieten, an Marie und und ihre Tochter Lilli Blitzer (für 50 RM), beide am 3. März 1943 nach Auschwitz deportiert, sowie an Erna Becker und ihren Ehemann, vermutlich Lothar (für 30 RM), die am 2. und 3. März
1943 ebenfalls nach Auschwitz deportiert wurden.
Um das Leben ihrer im Ausland lebenden Kinder zu bestreiten, ließen sich Tyndels 1940 auf einen dubiosen Litauer namens Vasiliauskas ein, der Geld für sie nach Boston transferieren sollte. Dazu kam es aber nicht, denn der Mittelsmann scheint sich mit dem Betrag aus dem Staub gemacht zu haben. Die Übergriffe des Nazi-Staates gegen Juden und dieser Betrug hinterließen bei Frau Tyndel deutliche Spuren: Sie erlitt einen Nervenzusammenbruch und erblindete auf einem Auge.
Am 20. Juni 1940 wurde die Familie verhaftet und in Untersuchungshaft genommen. Ihr wurde ein Devisenvergehen zur Last gelegt. Am 8. April 1941 wurden Samson und Theodora Tyndel wegen eines Verstoßes gegen das Devisengesetzes vom 12. Dezember 1938 für schuldig befunden. Samson Tyndel wurde zu 2 Jahren und 6 Monaten Zuchthaus und 100 000 RM Geldstrafe, ersatzweise 100 Tage Zuchthaus, verurteilt. Dem 63jährigen wurden der Polizeigewahrsam und die Untersuchungshaft angerechnet. Theodora Tyndel wurde zu einem Jahr Zuchthaus und 30 000 RM Geldstrafe, ersatzweise 30 Tage Zuchthaus, verurteilt. Der fast 50jährigen wurden wegen ihres gesundheitlichen Zustandes der Polizeigewahrsam und die Untersuchungshaft ebenfalls angerechnet. Theodora und der zwölfjährige Erich saßen die Strafe gemeinsam ab, am 20. Juni 1942 wurden sie entlassen und, wie es in einem Vermerk vom 17. Juni 1942 hieß, „zur Abwanderung bestimmt”. Samson Tyndel wurde vorzeitig entlassen, was darauf
schließen lässt, dass die Familie zusammen deportiert werden sollte.
Am 24. September 1942 musste Theodora Tyndel für sich und ihren Sohn eine Vermögenserklärung ausfüllen, Samson Tyndel gab seine Erklärung einen Tag später ab. Darin gab er an, seinen Bruder in Wien versorgen zu müssen, dessen Aufenthalt er allerdingst nicht mehr benennen konnte. Am 26. September 1942 sind die Tyndels in einem Zug mit 1043 Menschen, davon 809 aus Berlin, vom Güterbahnhof Moabit nach Raasiku (Estland), 35 Kilometer von Reval entfernt, verschleppt und nach fünf Tagen Fahrt dort in einer Tötungsstätte erschossen worden. Darunter war eine große Anzahl von Familien mit Kindern. Das gesamte Eigentum und Vermögen der einst wohlhabenden Familie Tyndel haben die Mörder an sich gerissen.
Recherchen: Heiko John, Text: Helmut Lölhöffel aufgrund der Namens- und Datensammlung von Heiko John