HIER WOHNTE
ALFONS RIESS
JG. 1880
GEDEMÜTIGT/ ENTRECHTET
FLUCHT IN DEN TOD
28.9.1941
Alfons Riess ist am 15. November 1880 in Breslau geboren. Seine Eltern waren Moritz Riess, der eine Likör-Destille schon in Breslau hatte, und Fanny geb. Friedländer. Alfons hatte eine Schwester Marie, die nach ihrer Heirat Lappe hieß, und einen Bruder Fritz.
Sein Studium der Rechtswissenschaften in Breslau und Heidelberg schloss mit einer Dissertation ab. Er war Doktor rer.pol., den Titel erwarb er mit 22 Jahren 1902 an der Universität Breslau. Seine 42-seitige Dissertation schrieb er zur „Mitwirkung des Bundesrats und des Reichstags bei Abschluss und Inkraftsetzung von Staatsverträgen des Deutschen Reiches“. Danach arbeitete er an verschiedenen Gerichten in Schlesien.
1907 ging Alfons Riess nach Berlin und war zunächst als „juristischer Hilfsarbeiter“ des Magistrats tätig. 1911 kam ein beachtetes Buch von Riess über “Kommunale Wirtschaftspflege“ heraus, das zu einem Standardwerk wurde. Zu dieser Zeit war Riess in Berlin Magistratsassessor, später wurde er Regierungsrat.
1921 wurde er, der Mitglied der Demokratischen Partei war, auf zwölf Jahre zum Finanzdezernenten und stellvertretenden Bürgermeister des Bezirks Wedding gewählt.
1922 erschien in der Ausgabe 36 der „Abhandlungen aus dem Staats- und Verwaltungsrecht mit Einschluss des Kolonialrechts und des Völkerrechts“ ein Aufsatz, den er gemeinsam mit anderen Autoren verfasst hatte. Riess war auch Mitverfasser eines Buches über den Segelsport.
In der “Vossischen Zeitung” vom 15.11.1930 hieß es zu seinem 50. Geburtstag:
bq. Durch seine großen verwaltungstechnischen Fähigkeiten und nicht zuletzt durch seine konzessionslos-sachliche EinstelIung hat er sich als Republikaner auch parteipolitisch und sozial in dem schwierigen Arbeitsbereich des Bezirksamts Wedding ungefeilte Anerkennung und Beliebtheit errungen.
1932 wurde ihn in seiner Funktion als Stadtrat zum 25jährigen Dienstjubiläum in einer Zeitungsnotiz gratuliert.
Riess war auch in der Jüdischen Gemeinde aktiv. Unter anderem kandidierte er für den Vorstand. Seit 1910 lebte er in Berlin unter verschiedenen Adressen. Im Berliner Telefonbuch von 1930 war Riess als stellvertretender Bürgermeister notiert. Im Jüdischen Adressbuch 1931 war Dr. Alfons Riess als Stadtrat in der Landgrafenstraße 6 aufgeführt. Zur Volkszählung am 17. Mai 1939 war er in Berlin im Stadtbezirk Wilmersdorf in der Uhlandstraße 155 gemeldet. Im Adressbuch 1939 ließ er sich als Stadtrat a.D. eintragen. Sein vom Jüdischen Krankenhaus Berlin-Wedding dokumentiertes Todesdatum war der 28. September 1941, an diesem Tag beendete Alfons Riess sein Leben, indem er mit einer Überdosis Schlafmittel Selbstmord beging.
Die Umstände, warum sich Alfons Riess das Leben nahm, beschrieb sein Bruder
Fritz Riess in einem Brief an die gemeinsame Schwester Maria Lappe am 5.7.1946. Darin berichtete Fritz Riess „über ein dramatisches, schweres Ende“. Die langiährige nicht-jüdische Lebensgefährtin von Alfons Riess, Karoline (Lina) Hagen, soll Lebensmittel gestohlen haben. Dabei wurde sie gestellt, konnte aber noch einmal nach Hause gehen. Dann nahmen beide Schlaftabletten ein. Während Alfons Riess drei Tage später starb, wurde Karoline Hagen nach Aussagen des Bruders in ein anderes Krankenhaus verlegt, „um sie nochmals vernehmungsfähig zu machen“. Sie starb einen Monat später, am 28. Dezember 1941.
Text: Helmut Lölhöffel. Quellen und Literatur: Bundesarchiv, Telefon- und Adressbücher; Alfons Riess: Mitwirkung des Bundesrats und des Reichstags bei Abschluss und Inkraftsetzung von Staatsverträgen des Deutschen Reiches. Breslau, M. & H. Marcus, 1902; Alfons Riess: Kommunale Wirtschaftspflege, 1911 undVerlag Walter de Gruyter 1924; Anna Fischer: Erzwungener Freitod. Spuren und Zeugnisse in den Freitod getriebener Juden der Jahre 1938-1945 in Berlin. Berlin 2007.