bq. Liebe Familie Warner, sehr geehrter Herr Minister, sehr geehrte Herren Botschafter, Herr Bürgermeister, liebe Mitbürger!
Ich möchte Sie alle im Namen aller Nachbarn dieses Hauses herzlich willkommen heißen. Wir fühlen uns geehrt, dass Professor Mark Warner und seine Frau Adele, Ben and Jeremy Warner, Max Warner sowie Paul Schwartfeger und sein Partner heute hier bei uns sind, um Martin und Margarete Gumperts und Alfred und Paula Wachsners zu gedenken, die in diesem Haus lebten. Sie sind von den Nazis deportiert und in Riga und Treblinka ermordet worden. Diese vier Stolpersteine, die der Künstler Gunter Demnig in das Pflaster einsetzen wird, sind nicht nur eine Erinnerung an ihre Leiden. Sie bedeuten viel mehr: Sie sind stepping stones, die Brücken bilden von den dunklen Schatten der Vergangenheit, die Generationen verbinden von Neuseeland nach England und nach Deutschland. Sie helfen uns, Versöhnung zu finden. Sie zeigen uns einen Weg in eine bessere Zukunft.
Für die Familie sprach Prof. Mark Warner:
bq. Sehr geehrter Herr Westerwelle, sehr geehrter Herr Demnig, liebe Hausgemeinschaft, liebe Stolpersteine-Initiative!
Wir, meine Familie, hier vertreten durch Max, Ben, Paul und Adele, und meine Familie und Verwandten in Neuseeland, vor allem mein Vater, wir alle fühlen uns Ihnen sehr verpflichtet, dass wir heute diese Steine setzen konnten.
In meiner Kindheit hätte ich mir niemals vorstellen können, dass wir einmal hier zusammen kommen würden, um der Ermordung meiner Großeltern Alfred und Paula, und der Urgroßeltern Martin und Margarete zu gedenken.
Für die Generation meines Vaters und Onkels waren die persönlichen Aspekte dieses Themas ein Trauma, das so gut wie nie in unserem Haus erwähnt wurde.
Das Projekt Stolpersteine von Herrn Demnig gibt meinem Vater und unser Familie die Möglichkeit, unseren Vorfahren einen Platz zu schaffen und sie nicht vergessen zu wissen. Meiner Meinung nach haben die Vorbereitungen zu dem heutigen Tag meinem Vater im hohen Alter einen Weg gezeigt, sich diesem für ihn so schmerzhaftem Thema nochmals zu nähern. Dafür bin ich Ihnen allen sehr dankbar.
Wir alle sind besonders berührt von dem Engagement der Hausgemeinschaft und der Stolpersteine-Initiative, und vor allem von dem Kontakt zu Veronika Marsh und Herrn Lölhöffel.
bq. Finally, these stones give me a more personal focus on these terrible events. Individual deaths are a tragedy, in mass they are only statistics. Each stone connects us to an individual. We will continue to reflect on them, stumbling over them in our hearts as we do in the street.
Günter Warner (ehemals Wachsner) schickte aus Neuseeland eine Grußbotschaft, die übersetzt auszugsweise verlesen wurde:
bq. Liebe Nachbarn, Familie und Freunde, meine Damen und Herren! Ich fühle mich sehr geehrt, an einem solch besonderen Tag, ein paar Worte an Sie richten zu dürfen.
Entschuldigen Sie, wenn ich mich auf Englisch ausdrücke, aber ich lebe nun schon seit 74 Jahren nicht mehr in Deutschland. Deutsch ist inzwischen eine Fremdsprache für mich geworden. Ich bin jedoch sicher, dass Veronika Marsh, der ich freundschaftlich verbunden bin, meine Worte für Sie übersetzen wird.
Ich bin erleichtert, dass ich nun endlich die schreckliche Ereignisse der 1930er und 1940er Jahre symbolisch abschließen kann.
Das Wort ‘Stolpersteine’ ist gut gewählt – diese Pflastersteine und ihre Eingravierungen werden die Vorübergehenden dazu bewegen, anzuhalten, nachzudenken und sich zu erinnern. Mit der Inschrift ‘ermordet’ wird wiedergegeben, was in den dunklen Jahren damals in Deutschland und in anderen Ländern geschah.
Ich wuchs hier in unserer Wohnung in der Mommsenstraße 35 auf, von wo meine Eltern und meine Großeltern deportiert wurden. Ich hatte das Glück, Deutschland im Alter von 18 Jahren verlassen und in Neuseeland ein neues Leben anfangen zu können. Neuseeland war für mich wie ein frischer Wind. Ich habe in diesem Land nun schon 74 glückliche Jahre verbracht.
Ich möchte allen an der Initiative Beteiligten und dem Beirat der Hausgemeinschaft danken, dass sie die Verlegung der Stolpersteine möglich gemacht haben. Auch möchte ich Veronika Marsh und Helmut Lölhöffel für ihre Energie und ihren Einsatz, das Projekt erfolgreich zum Abschluss zu bringen, meinen besonderen Dank aussprechen. Hier in Neuseeland haben mir meine liebe Tochter Kirsten Warner und auch Katja Carson große Hilfe geleistet.
Gunter Demnigs Lebenswerk ist darauf gerichtet, diejenigen zu ehren, die unter der Nazi-Herrschaft ihr Leben verloren, in den Freitod oder ins Exil getrieben wurden und um den Menschen heute jede einzelne der damals begangenen Mordtaten ins Gedächtnis zu rufen. Ich danke ihm für seine Beharrlichkeit und für seine künstlerische Vision. Dies sind Erinnerungssteine nicht nur für meine Eltern und Großeltern, sondern für alle, die ihr Leben verloren.
Lassen Sie mich mit einer positiven Note enden: Hier in Auckland, wo ich lebe, treffe ich viele junge Deutsche – sie sind gebildet, sprechen gutes Englisch, setzen sich für die Rettung unseres Planeten ein und arbeiten an Umweltprojekten. Sie sind wirklich wunderbare Menschen, die sich auch um die Erhaltung des Weltfriedens kümmern. Diese jungen Menschen sind ganz anders als die Generation ihrer Großeltern oder ihrer Urgroßeltern. Ich habe den Eindruck, dass Deutschland, dank der neuen Generationen, riesige Anstrengungen unternommen hat, sich zu rehabilitieren. Meine Schwiegertochter Adele gehört zu dieser deutschen Nachkriegsgeneration und ist heute aus England mit ihrem Sohn Max angereist. Dafür bin ich sehr dankbar.
Es betrübt mich, dass mein Bruder Gerald, der vor sechs Jahren gestorben ist, nicht dabei sein kann, aber ich hoffe sehr, dass sein Enkelsohn Paul mit seinem Partner teilnehmen kann. Meine beiden Enkel Jeremy und Ben Warner, die in London leben, haben es sich nicht nehmen lassen, bei diesem Gedenken hier in Berlin zu sein. Ich bin glücklich, dass mein ältester Sohn, Professor Mark Warner, hier ist, um einige Worte zu Ihnen zu sprechen – und ich bin sicher, dass er das besser macht als ich das könnte.
Ich wünsche Ihnen allen eine erfüllte und friedvolle Zukunft.
Günter Warner
Zur Verlegung der vier Stolpersteine hielt Außenminister Guido Westerwelle eine Ansprache. Er nannte die Lebens- und Todesdaten Martin und Margarete Gumperts sowie Alfred und Paula Wachsners und sagte unter anderem:
bq. Ich freue mich, dass das Projekt ‘Stolpersteine’ so erfolgreich ist. Fast alle Opfer des Holocaust haben keine Gräber, aber ihre Stolpersteine erinnern uns dort an ihre Schicksale, wo wir heute unseren Berliner Alltag leben, der einmal auch ihrer war. Ich denke an die jüdischen Ehepaare Gumpert und Wachsner, deren Kinder und Enkel heute meine Nachbarn hätten sein sollen.