Der Familienname Schottlaender ging auf den Ort Alt-Schottland bei Danzig zurück, wo die Vorfahren von Selma und Gertrud gelebt hatten. Ihr Vater Jakob Sigismund „Siegmund“ Schottlaender war 1848 in Bromberg (heute Bydgoszcz in Polen, etwa 150 km südlich von Danzig) geboren worden und ab 1875 ein außerordentlich erfolgreicher Kaufmann und Import- und Exporthändler in Berlin und Hamburg. Allein in Berlin besaß er an mindestens 16 Standorten Geschäfte und Großhandlungen für Delikatessen, Südfrüchte, Fruchtkonserven und Diabetiker-Dörrobst ebenso wie Parfümerien und Drogerien. Teilweise wohnte er dort auch privat mit seiner Familie. Gut die Hälfte seiner Geschäfte und Wohnungen waren in Charlottenburg gelegen – in der Kantstraße, Suarezstraße, Bismarckstraße, Kaiser-Friedrich-Straße, Hardenbergstraße und am Kurfürstendamm. Siegmund war einmal verwitwet und einmal geschieden und offenbar kinderlos, als er 1886 in dritter Ehe Rieke „Friederieke“ Hanff
heiratete. Zwei ihrer vier Kinder, Jaques Joseph und Lucie, starben als Säuglinge; Selma (* 23. Oktober 1887) und Gertrud (*19. März 1896) überlebten das kritische Kleinkindalter.
Wir wissen wenig über ihr Leben, außer dass es geprägt gewesen sein muss von der Tatkraft und dem Erfolg ihres Vaters, wahrscheinlich auch von zahlreichen Umzügen an die verschiedenen Standorte seiner Geschäfte. 1917 zog Siegmund (wohl mit Frau und Töchtern) in die Neue Christstraße 7 (II. Stock) und starb dort 1919 im Alter von 70 oder 71 Jahren. Bis zum Tode ihres Vaters 1919 hatte Selma als „Bürohilfsarbeiterin“ gearbeitet; möglicherweise im Geschäft des Vaters; danach ist zunächst keine Berufstätigkeit mehr registriert. Sie hatte wahrscheinlich keine Kinder, ebenso wie ihre jüngere Schwester Gertrud, über die auch keine Berufstätigkeit in den Unterlagen zu finden ist. In der Deportationsliste von 1941 wird allerdings für beide als Beruf „Behördenangestellte“ angegeben – möglich, dass sie für die jüdische Gemeinde tätig gewesen waren. Ab 1922 war ihre Mutter Friederieke erneut (oder nach wie vor) in der Neuen Christstraße 7 gemeldet; sie
starb 1939 im Alter von etwa 82 Jahren. Es ist nicht klar, ob Mutter und Töchter all die Jahre gemeinsam in der Wohnung gelebt hatten oder nicht; auch ist im Berliner Adressbuch 1936 eine Person namens „K. Schottlaender, Witwe“ in der Neuen Christstraße 7 vermerkt – vielleicht ein Druckfehler im Adressbuch, „K“ statt „R“ für Rieke. Wann auch immer Selma und Gertrud in die Neue Christstraße gezogen waren – in jedem Fall werden sie seit 1917 dort ein- und ausgegangen sein und lebten nach dem Tod ihrer Mutter noch zwei Jahre lang alleine in der Wohnung.
Am 24. Oktober 1941, am Tag nach Selmas 54. Geburtstag, wurden sie mit dem zweiten Transport, der vom Bahnhof Grunewald abging, deportiert. Im Unterschied zu ihrem Cousin Rudolf (https://de.wikipedia.org/wiki/Rudolf_Schottlaender), der die Nazizeit im Berliner Versteck überlebte, war für Selma und Gertrud das Untertauchen nicht möglich gewesen. Sie mussten sich in der Sammelstelle in der Synagoge Levetzowstraße registrieren lassen und von dort aus schwer bewacht mehrere Kilometer durch bewohnte Stadtviertel zum Bahnhof Grunewald marschieren, sicher beobachtet von zahllosen Augenzeugen. Am Gleis 17 stand der Zug schon bereit; als er sich in Bewegung setzte, waren in ihm etwa eintausend Menschen zusammengepfercht. Er kam am folgenden Tag in Łódź an. Die Schwestern überlebten die unmenschlichen Lebensbedingungen in Łódź nur
wenige Monate. Am 14. April 1942 starb Gertrud; am 15. April Selma.
Text: Katrin Schwenk
Quellen:
https://www.millard-and-kleinsteuber-histories.com/uploads/1/2/0/3/12035742/schottlaender_-_1990s_document_by_lars_menk.pdf
Statistik des Holocaust
und Recherchen von Helmut Lölhöffel (Stolpersteininitiative Charlottenburg-Wilmersdorf)