Stolperstein Marburger Straße 16

Hausansicht Marburger Str. 16

Diese fünf Stolpersteine wurden am 8.6.2013 verlegt.
Sie sind von Dr. Morton Ehudin (Berlin) gespendet worden. Der Stolperstein zum Gedenken an Isabella Gluskinos war der 2000. in Charlottenburg-Wilmersdorf.

Stolperstein Leo Gluskinos, Juni 2013

Stolperstein Leo Gluskinos, Juni 2013

HIER WOHNTE
LEO GLUSKINOS
JG. 1884
DEPORTIERT 29.1.1943
ERMORDET IN
AUSCHWITZ

Stolperstein Hedwig Gluskinos, Juni 2013

Stolperstein Hedwig Gluskinos, Juni 2013

HIER WOHNTE
HEDWIG GLUSKINOS
GEB. BERLINER
JG. 1892
DEPORTIERT 29.1.1943
ERMORDET IN
AUSCHWITZ

Stolperstein Herbert Max Gluskinos, Juni 2013

Stolperstein Herbert Max Gluskinos, Juni 2013

HIER WOHNTE
HERBERT MAX
GLUSKINOS
JG. 1928
DEPORTIERT 29.1.1943
ERMORDET IN
AUSCHWITZ

Stolperstein Isabella Charlotte Gluskinos, Juni 2013

Stolperstein Isabella Charlotte Gluskinos, Juni 2013

HIER WOHNTE
ISABELLA CHARLOTTE
GLUSKINOS
JG. 1926
DEPORTIERT 29.1.1943
ERMORDET IN
AUSCHWITZ

Die Familie Gluskinos – Eltern mit zwei Kindern im Alter von 14 und 16 Jahren – ist im Winter 1943 von den Nazis ausgelöscht worden. Alle vier wurden am 29. Januar, nachdem sie sich in dem als Sammelstelle missbrauchten ehemaligen Jüdischen Altersheim Hamburger Straße 26 melden mussten, am Bahnhof Grunewald oder am Güterbahnhof Moabit in einen Zug getrieben und trafen nach 570 Kilometern Fahrt am nächsten Tag in Auschwitz ein. 1004 Menschen saßen in diesem Todeszug. Bei der Ankunft in Auschwitz wurden 140 Männer und 140 Frauen willkürlich aussortiert (von den Nazi-Wachmannschaften „Selektion“ genannt) und mussten ins Arbeitslager. Die anderen 724 wurden sofort in den Gaskammern von Birkenau getötet. Die beiden Kinder Herbert Max und Isabella Gluskinos sind sicherlich dabei gewesen.

Leo Gluskinos ist am 24. Mai 1884 in Stralkowo (Strzalkowo), einem Dorf in Polen, geboren. Er stammte aus einer Familie von Porzellan- und Kristallhändlern und heiratete Hedwig Gluskinos, die mit dem Mädchennamen Berliner am 14. Juni 1892 in Berlin geboren wurde. Sie bekamen zwei Kinder: Isabella am 11. November 1926 und Herbert Max am 29. März 1928.

Familie Gluskinos zog häufig um: von der Wittelsbacherstraße 37 (1933) in die Kurfürstenstraße 107 (1934) und in die Marburger Straße 16 (1935). Seit 1936 war Leo Gluskinos im Berliner Adressbuch als „Kaufmann“ auch mit der Adresse Saarlandstraße 101 eingetragen, wo sich ein großer Gewerbehof mit Fabriken, Handwerk und Büros befand. Er war Inhaber eines vermutlich von seinem Vater Max Gluskinos 1910 gegründeten Geschäfts für Glas, Porzellan und Kunstgegenstände, in den 1920er Jahren mit der Adresse Kurfürstendamm 33, dann 1930 mit zwei Läden in der Königgrätzer Straße 29/30 („Kristall“) und in der Brückenstraße 6a („Porzellan“), dann Maaßenstraße 10 und schließlich Stresemannstraße 101 (1935 in Saarlandstraße umbenannt). Offenbar gingen die Geschäfte bis dahin gut. Von 1936 an nannte Gluskinos seine Firma „Kristallhaus“. 1940 wurde es von den Nazis liquidiert.

Über das Leben der Familie ist nichts überliefert. Vermögensakten sind im Potsdamer Landeshauptarchiv nicht aufzufinden.

Text: Helmut Lölhöffel
Quellen: Berliner Adressbücher 1925-1943; Jüdische Gewerbebetriebe in Berlin 1930-1945

Stolperstein Irmgard Masse, Juni 2013

Stolperstein Irmgard Masse, Juni 2013

HIER WOHNTE
IRMGARD MASSE
JG. 1915
DEPORTIERT 14.10.1943
ERMORDET IN
AUSCHWITZ

Irmgard Masse wurde am 12. Oktober 1915 in Hamburg als Tochter von Alfred und Margot Masse geboren. Sie wohnte zunächst bei Detmold, dann in Hamburg und zog später nach Berlin. Sie war ledig und gab als Konfession an: „gottgläubig“. Ihren Beruf als Kindergärtnerin durfte sie, weil sie Jüdin war, nicht mehr ausüben, stattdessen beschäftigte sie sich auch als Fotografin.
Vor ihrer Deportation wurde sie als Hilfsarbeiterin bei der Firma Pertrix an der Sedanstraße 53a in Niederschöneweide eingesetzt, für einen Wochenlohn, den sie mit „15-18 RM“ bezifferte. Die Firma Pertrix war ein Rüstungsbetrieb, in dem Batterien, Taschenlampen und auch Patronenhülsen hergestellt werden. Dort waren hunderte von Zwangsarbeiterinnen beschäftigt.

Sie wohnte zum Zeitpunkt der Volkszählung (17. Mai 1939) in der Marburger Straße 16 als Untermieterin bei Clementine Kantorowicz, die Anfang 1940 starb. Daraufhin musste Irmgard Masse ausziehen und sich eine neue Bleibe suchen. Wo die damals 25-Jährige Unterschlupf fand, ist nicht genau zu rekonstruieren. Sie versuchte wohl ihre Spuren zu verwischen, indem sie falsche Adressen angab und ihren Ausweis vernichtete. Die Polizei hielt jedenfalls fest: „Kennkarte verloren“, was in Anführungszeichen aufgeschrieben wurde.

In den im Brandenburgischen Landeshauptarchiv erhaltenen Akten ist als letzte Adresse angegeben: Bayerischer Platz 16 (Schöneberg) im Vorderhaus/1. Etage bei Lore Müller. Diese Hausnummer gab es aber nicht. Auch andere Eintragungen in ihrer Personalakte sind merkwürdig, widersprüchlich und verwirrend. Sie habe dort vom 1. Oktober bis zum 1. November 1942 ein möbliertes Zimmer bewohnt, „und dann illegal“, heißt es in einem Vermerk. Auf einer einzelnen Karteikarte ist abweichend davon angegeben: Bayerische Straße 16 (Wilmersdorf) bei Müller. Dort wohnte eine Alma Müller, aber keine Lore Müller.

Am 4. März 1942 sollte das von ihr hinterlassene Inventar amtlich bewertet werden. Der damit beauftragte Obergerichtsvollzieher Donath wurde nicht fündig. Auf einem Vordruck notierte er: „Bayerischer Platz 16 gibt es nicht, die Nummern zählen dort bis 14.“ Dennoch kassierte er für seinen Dienstgang eine Gebühr von 2,50 Reichsmark. An anderer Stelle ist ein Vermerk zu finden: „14.3.1943 geräumt (erfolglos)“ – was da „erfolglos geräumt“ worden sein soll, bleibt unklar. Das Finanzamt hielt noch 1944 fest, Irmgard Masse sei „unter der angegebenen Anschrift nicht mehr zu ermitteln. Die Akten … sind am 22.11.43 verbrannt. Ob und welches Vermögen vorhanden war, kann nicht mehr festgestellt werden.“

Diese verwirrenden Angaben deuten darauf hin, dass sich Irmgard Masse versteckt hatte und von Polizei und Behörden gesucht wurde. Dazu passt eine Bemerkung ihres Cousins Rudolf Herms, der notierte, sie habe „sich in letzter Zeit in Berlin versteckt“.

Die Vermögenserklärung von Irmgard Masse war – eine weitere Ungereimtheit – vom 12. Oktober 1943 datiert, wurde mit Bleistift ausgefüllt und nicht unterschrieben. Darin sind ein Sparguthaben von erstaunlichen 6300 Reichsmark und Wertpapiere von rund 7000 RM angegeben – für eine Frau dieses Alters ungewöhnlich. Die Verfügung der Geheimen Staatspolizei, dass diese Summen als „Vermögen von Reichsfeinden eingezogen“ seien, wurde seltsamerweise schon am 28. Januar 1943 ausgefertigt, aber ihr erst am 13. Oktober 1943 ins Sammellager an der Großen Hamburger Straße 26 zugestellt. Es hat den Anschein, dass diese Dokumente teilweise gefälscht und die Daten falsch sind.
Am 14. Oktober 1943 wurde Irmgard Masse in einem Waggon mit 78 Menschen nach Auschwitz deportiert. Dort ist sie ermordet worden.

Am 6. Januar 1945 meldete die Berliner Oberfinanzkasse dem Oberfinanzpräsidenten: Aus Irmgard Masses Vermögenshinterlassenschaft seien „von Scheuermann u. Co. 2561 RM verbucht“ worden.

In den 1950er Jahren wurde ein Rückerstattungsverfahren eingeleitet, das sich wieder auf eine andere Adresse („letzter Wohnsitz angeblich: Frohnau, Knappenpfad 7a“) bezog.

Recherche und Text: Helmut Lölhöffel
Quellen: Brandenburgisches Landeshauptarchiv, Potsdam; Berliner Adressbücher; Verzeichnis der Berliner Zwangsarbeitsfirmen (www.zwangsarbeit-in-berlin.de )