HIER WOHNTE
ILSE OBERLÄNDER
GEB SCHNUR
JG 1914
GEDEMÜTIGT/ENTRECHTET
FLUCHT IN DEN TOD
3.11.1942
Seine 16 Jahre jüngere Frau Ilse Oberländer geb. Schnur wurde als Tochter von Erwin Schnur und Ida Schnur geb. Winischki am 21. Juni 1914 in Berlin geboren. Sie stammte aus einer Familie, die es aus bescheidenen Anfängen zu einigem Wohlstand gebracht hatte. Ihre Großeltern waren aus dem litauischen Wilna (Vilnius) nach Berlin gekommen und hatten sich in der Tabak- und Zigarettenbranche hochgearbeitet.
Als Oberländers im Herbst 1942 zwangsweise aus ihrer Wohnung geholt wurden, hatten sie durch die ausgrenzende Gesetzgebung der Nationalsozialisten einen sozialen Abstieg hinnehmen müssen. Fritz war Zwangsarbeiter zu einem Stundenlohn von 72 Reichspfennigen in Reinickendorf. Die Familie musste in zwei Zimmern ohne Küche zusammenrücken. Das geht aus der Vermögensaufstellung hervor, einem vielseitigen Fragebogen, den jedes Familienmitglied abgeben musste – auch die Kinder. An Möbeln waren noch vorhanden: vier Betten mit Matratzen und Federbetten, Tische und Stühle, eine Couch und zwei Sessel, ein Bücherschrank und ein Schreibtisch. Aus der Existenz eines Notenschranks lässt sich schließen, dass in der Familie musiziert wurde. Zumindest Fritz spielte Geige. Und es gab eine Nähmaschine: Ilse nähte oder musste nähen, um die Kinder zu bekleiden.
Am 2. November 1942 sollte die Geheime Staatspolizei (Gestapo) alle fünf abholen, um sie zu „evakuieren“, wie die Deportation in der Sprache des Dritten Reiches verschleiernd genannt wurde. In dieser Situation versuchte Ilse Oberländer sich das Leben zu nehmen, indem sie sich aus einem Fenster stürzte. Sie wurde ins Jüdische Krankenhaus gebracht. Dort versuchten die Ärzte ihr Leben zu retten. Vergeblich. Sie starb am 3. November 1942 und wurde auf dem Jüdischen Friedhof Weißensee bestattet.
Ihre Kinder waren Edith Oberländer, geboren am 7. November 1936 in Berlin, Mathel Oberländer, geboren am 17. Februar 1939 in Berlin, und Berl Oberländer, der während des Zweiten Weltkriegs am 8. September 1940 in Berlin geboren wurde. Sie sind in den Jahren der Verfolgung zur Welt gekommen und haben eine freie, unbeschwerte Zeit nicht kennen gelernt.
Durch den Suizid von Ilse Oberländer war die Deportation verschoben worden. Die Gestapo beschlagnahmte die Wohnung und versiegelte sie. Die Kinder kamen in das „Baruch Auerbachsche Waisenhaus“ in der Schönhauser Allee 162, wo sie von der Jüdischen Gemeinde versorgt wurden. Alle drei sind dann am 16. Dezember 1942 zusammen mit ihrem Vater Fritz Oberländer von Berlin nach Theresienstadt deportiert worden. 22 Monate, fast zwei Jahre, gelang es Fritz Oberländer und seinen Kindern weiterzuleben, sich zu behaupten. Am 12. Oktober 1944 wurden sie von Theresienstadt nach Auschwitz weiterdeportiert, wo sie ermordet worden sind.
In Paris lebende entfernte Verwandte von Fritz und Ilse Oberländer, die damals Kinder waren, haben keine eigenen Erinnerungen und aus Papieren ihrer Familien außer „kleinen Erinnerungssplittern“ keine biografischen Einzelheiten mehr in Erfahrung bringen können. Es gibt ein Gedenkblatt in der Gedenkstätte Yad Vashem, geschrieben 1999 von Ilse Oberländers Cousine Huguette Winischki.
In der Else-Lasker-Schüler-Straße 5 (früher Mackensenstraße 5) in Schöneberg waren 2011 auf Wunsch von Hanni Lévy, geb. Weissenberg, Stolpersteine zum Gedenken an ihre Großmutter Cäcilie Oberländer, geb. Sorauer, geboren am 12. Juli 1863 in Bujakow, sowie an deren Schwägerin Emma Oberländer, geb. Krämer, geboren am 20. Oktober 1861 in Wien, und ihre Kinder Flora, geboren am 21. August 1900 in Berlin, und Heinz, geboren am 7. Oktober 1906 Berlin, zwei jüngere Geschwister von Fritz Oberländer, verlegt worden. Cäcilie Oberländers Mann, der in der Filmbranche tätig gewesen ist, war schon 1934 gestorben, die Witwe Cäcilie zog dann zu Emma. Die Tochter Alice Weissenberg, geb. Oberländer, ist am 29. April 1942 in Berlin gestorben.
Text (gekürzt): Oranna Dimmig.
Quellen: Bundesarchiv/Gedenkbuch; Brandenburgisches Landeshauptarchiv; Hanni Lévy: Neu entdeckte Verwandtschaft. In: Aktuell Nr. 91, Juni 2013 (Leserbrief); Erinnerungen aus der Familie.