Erich Loewenthal kam am 16. März 1894 als erstes von vier Kindern jüdischer Eltern, des Kaufmanns Adolf Loewenthal und dessen Frau Flora , geb. Seidenberg (geboren 1868 in Breslau) in Berlin zur Welt.
Von 1903 bis zu seinem Abitur 1912 besuchte er das Königstädtische Gymnasium in Berlin. Noch im Abiturjahr begann Loewenthal das Studium der Germanischen, Romanischen und Klassischen Philologie sowie der Philosophie an der Friedrich-Wilhelms-Universität in Berlin.
Kriegsbedingt musste er das Studium 1915 unterbrechen und diente bis Kriegsende 1918 als Militärdolmetscher bei den Kommandanturen der Kriegsgefangenenlager Celle (Cellelager) und Soltau. Das wieder aufgenommene Studium an der Berliner Universität schloss Loewenthal mit der Dissertation „Studien zu ‚Heines Reisebildern“ und der Promotion zum Dr. phil. 1920 ab.
Der promovierte Philologe entschied sich gegen eine akademische Laufbahn, wurde 1920 Studienreferendar am Bismarck-Gymnasium in Berlin-Wilmersdorf und 1921 Studienassessor an der Fichte-Realschule in Berlin-Schöneberg. Zwischen 1921 und 1925 arbeitete Loewenthal nebenberuflich als Lektor des Verlages Hoffmann und Campe (Hamburg, Berlin). Im Jahr 1924 wechselte er an die Kirschner-Schule (Oberrealschule und Reformrealgymnasium) in Berlin-Moabit, wo er 1929 zum Studienrat ernannt wurde. An dieser Schule unterrichtete er bis zur Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933.
Auf Grundlage des am 7. April 1933 erlassenen „Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“, mit dem die Nationalsozialisten u.a. die formale Grundlage zur Entlassung von jüdischen Hochschullehrern, Lehrern und Schulleitern schufen, wurde Erich Loewenthal am 30. November 1933 „in den vorläufigen Ruhestand versetzt“ und aus dem öffentlichen Schuldienst „entfernt“. Ab Ostern 1934 fand er als Deutschlehrer nochmals Anstellung an der reformorientierten „Privaten jüdischen Waldschule“ von Toni Lessler in Berlin-Grunewald, wo er bis zur Zwangsschließung 1939 wirkte.
Erich Loewenthal, der sich mit seiner Dissertation, zwei von ihm 1925 herausgegebenen Bänden mit Heinrich Heines literarischem Nachlass und in Fachzeitschriften längst als Heine-Kenner ausgewiesen hatte, lernte in dieser Zeit den Berliner Verleger Lambert Schneider kennen, dessen Freund und engster Mitarbeiter er wurde. Im 1931 gegründeten Schocken Verlag und unter Geschäftsführung Lambert Schneiders konnte Loewenthals Edition von Heines Romanfragment „Der Rabbi von Bacherach“ 1937 in der Reihe der „Schocken-Bücherei“ erscheinen. Nachdem in der Folge der Novemberpogrome der Schocken-Verlag liquidiert wurde, erschienen im Verlag Lambert Schneider zwischen 1939 und 1942 die von Erich Loewenthal profund edierten, jedoch ohne Namensnennung des Herausgebers veröffentlichten Klassiker-Ausgaben, u.a. der Werke Shakespeares und dessen Zeitgenossen (1939/40), der Komödien des Aristophanes (1940) und sämtlicher Dialoge Platons (1940/42), die das Programm des Verlages in
den nächsten 50 Jahren maßgeblich prägten.
1934 war Loewenthal aus der Gothaer Straße 8 in Schöneberg in die elterliche Wohnung Küstriner Straße 14 (heute Damaschkestraße 32), gezogen. Das Adressbuch des Jahres 1935 führt erstmals „Erich Loewenthal, Dr. phil.“ unter dieser Adresse. In den Jahren der zunehmenden Entrechtung, Isolation und Verfolgung der Berliner Juden lebte er fortan zusammen mit seiner Mutter Flora und der zwei Jahre jüngeren, leicht behinderten Schwester Erna (geboren am 6. Januar 1896). Der Vater Adolf Loewenthal, der Kaufmann war und vermutlich 1936 oder 1937 starb, wurde mit dem Zusatz „Kfm.“zuletzt im Adressbuch des Jahres 1937 in der Küstriner Straße 14 geführt.
Loewenthals Bemühungen um eine Auswanderung waren gescheitert, vielleicht aber auch aus Sorge um Mutter und Schwester nicht mit Entschiedenheit unternommen worden, als die Familie in der ersten Jahreshälfte 1941 von den Behörden in ein sogenanntes Judenhaus in der Waitzstraße 7 umquartiert wurden. Es sollte zum Ort geheimer, nächtlicher Arbeitstreffen mit Loewenthals Verleger Lambert Schneider werden.
Von Schneider ist diese Beschreibung Loewenthals überliefert:
bq. Ein kleiner, sehr jüdisch aussehender Mann, unendlich bescheiden und zurückhaltend – so wirkte er. Es dauerte eine Weile, ehe man merkte, was dieser Mann alles wusste, welch schneller und exakter geistiger Arbeiter er war, welches Temperament in ihm steckte und welche menschliche Vornehmheit.
Auf Anweisung der Geheimen Staatspolizei (Gestapo), vermittelt und bezahlt über die „Reichsvereinigung der Juden in Deutschland“, wurde Erich Loewenthal schließlich ab dem 3. November 1941 zur Zwangsarbeit herangezogen. Zusammen mit zunächst sieben, später in einem Kontingent von bis zu 25 jüdischen Zwangsarbeitern musste der Gelehrte in der aus geraubten jüdischen Buchbeständen bestehenden, im Aufbau befindlichen und zu katalogisierenden „Judenbibliothek“ arbeiten, die als „Feindbibliothek“ als Teil der „Zentralbibliothek“ im Reichssicherheitshauptamt (RSHA), Amt VII, Eisenacherstr. 12, geplant war.
Am 8. März 1943 wurden Flora, Erna und Erich Loewenthal von der Gestapo abgeholt und in das Deportations-Sammellager in der Großen Hamburger Straße gebracht. Flora Loewenthal kam am 17. März zusammen mit 1341 Menschen nach Theresienstadt, wo sie am 31. März 1943 starb.
Erna und Erich Loewenthal wurden am 12. März 1943 vom Bahnhof Putlitzstraße ins Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau deportiert. Von den 964 Jüdinnen und Juden, die in diesem Transport des Reichssicherheitshauptamts (RSHA) aus Berlin am 13. März 1943 in Auschwitz ankamen, wurden nach der Selektion an der „Alten Rampe“ nur 218 Männer und 147 Frauen als „arbeitsfähige“ Häftlinge registriert und in das Lager eingewiesen. Erich und Erna Loewenthal wurden in Birkenau nicht mehr als Häftlinge registriert, also vermutlich sofort nach der Ankunft in der Gaskammer ermordet. Auf der überlieferten „Eingangsmeldung“ an das SS-Wirtschafts- und Verwaltungshauptamt in Berlin formulierte der zuständige Leiter der Abteilung Arbeitseinsatz in Auschwitz, SS-Obersturmführer Heinrich Schwarz, im Jargon der Täter: „K. L. Auschwitz meldet Judentransport aus Berlin. Eingang am 13.3.43. Gesamtstärke 964 Juden. Zum Arbeitseinsatz kamen 218 Männer und 147 Frauen. (…).
Gesondert wurden 126 Männer u. 473 Frauen u. Kinder untergebracht.“
Im 1965 erschienenen Verlagsalmanach erinnerte sich Lambert Schneider an seinen damaligen Freund und Mitarbeiter und musste bekennen: „Heute steht in den Neuauflagen der von Loewenthal besorgten Bücher sein Name, den ich vorher verschweigen musste. Ein dürftiger Gedenkstein für solch einen schönen, geistigen Menschen.“
Recherche und Text: Markus Wolter