HIER WOHNTE
DR. HERMANN
HORWITZ
JG. 1885
DEPORTIERT 19.4.1943
ERMORDET IN
AUSCHWITZ
Hermann Horwitz wurde am 27. Dezember 1885 in Berlin geboren. 1920 promovierte er über Lungen- und Kehlkopftuberkulose, eine in den Arbeitervierteln Berlins mit ihren feuchten, dunklen Hinterhöfen damals verbreitete Erkrankung. Dr. Hermann Horwitz war Allgemeinpraktiker und Sportarzt und 1935/36 Mannschaftsarzt des Fußballvereins Hertha BSC.
Im Hintergrund seiner Entlassung tobte eine private Auseinandersetzung zwischen dem damals „Vereinsführer“ (seit dem 30.1.1933 galt in Deutschland das “Führerprinzip”) genannten Vorsitzenden Hans W. Pfeiffer und seiner Frau Lieselotte. Beide waren NSDAP-Mitglieder seit Ende 1932. Sie hielt, obwohl eine glühende Hitler-Verehrerin, unbeirrt von sozialem Druck und ungeniert Kontakte mit jüdischen Freunden und Bekannten, auch mit Horwitz. Diese Affäre endete für sie sie allerdings mit dem Ausschluss aus der NSDAP. Ihr Mann hatte 1932 dem jüdischen Arzt ein privates Darlehen zum Ausbau seiner Praxis gegeben. Von der NSDAP-Ortsgruppe wurde er deswegen parteiintern angezeigt und vom Parteigericht mit einem Verweis bestraft.
Der eigentlich Leidtragende des Rassenwahns war Dr. Horwitz. Als Vereinsarzt war er spätestens 1936 nicht länger tragbar. 1938 wurde ihm wie fast allen jüdischen Ärzten die Approbation und Kassenzulassung entzogen. Von da an durfte er als „Krankenbehandler“ nur noch jüdische Patienten behandeln. Er blieb, zunehmend vereinsamt und sozial isoliert, dennoch in Berlin und flüchtete nicht vor dem sich ausweitenden Terror gegen jüdische Mitbürger. Wie so viele andere aus der Generation der über 50-jährigen konnte er sich nicht vorstellen, dass ausgerechnet in Deutschland nach den bitteren Phasen der Ausgrenzung und Austreibung sogar noch eine letzte, schreckliche Eskalationsstufe des Rassenantisemitismus erreicht werden sollte – die Deportation und anschließende Ermordung.
Im Zuge der von der Nazi-Partei mit dem Berliner NSDAP-Gauleiter und Reichspropagandaminister Hermann Goebbels an der Spitze fanatisch betriebenen „Judenfreimachung der Reichshauptstadt“ im Jahr 1943 wurde auch Hermann Horwitz wie alle der mehr als 50 500 deportierten jüdischen Berliner erfasst und erhielt die behördliche Aufforderung, sich für seinen Abtransport Richtung Osten bereit zu machen.
Den Auftakt für den letzten Abschnitt seines Lebens bildete eine Verfügung der Geheimen Staatspolizei (Gestapo) vom 1.2.1943 für alle mit seinem Fall in Berührung kommenden Dienststellen. Mit ihr wurde Horwitz, der im Ersten Weltkrieg für „sein Vaterland“ gekämpft hatte und ausgezeichnet worden war, zum rechtlosen Reichsfeind erklärt, dessen sämtliche Vermögenswerte zugunsten des Deutschen Reiches einzuziehen waren. Dies geschah auf der Basis einer mörderischen Kette von Verordnungen und Gesetzen, deren erste Ansätze bis 1933 zurückreichten.
Am 4. April 1943 musste Horwitz eine ihm abgenötigte Vermögenserklärung abgeben, in der seine sämtlichen, äußerst bescheidenen Werte erfasst wurden. Lediglich die Mitnahme einiger weniger persönlicher Habseligkeiten war ihm gestattet, als er sich im Sammellager Große Hamburger Straße 26, einem ehemaligen jüdischen Altersheim, einfinden musste. Seine Wohnung in der Prager Straße 24 in Berlin-Wilmersdorf wurde unmittelbar nach seinem Auszug durch die jüdische Kultusgemeinde versiegelt, damit der Gerichtsvollzieher am 30.4.1943 das ganze Inventar vom Ruhebett bis zur Hutablage auf einer mehrseitigen Liste nochmals erfassen und auf 1 485 Reichsmark taxieren konnte. Der Möbelhändler Stargard verkaufte es dann innerhalb der nächsten Wochen vollständig und räumte bis Mitte Juli die Wohnung leer. Auch das restliche und nur noch höchst bescheidene, auf einem Postscheckkonto verbliebene Barvermögen von Hermann Horwitz in Höhe von 1 200 RM wurde nach Abzug der Rechnungen
für BEWAG (Strom) und GASAG (Gas) durch Verfügung der Gestapo von der Vermögensverwertungsstelle der Oberfinanzdirektion Berlin-Brandenburg eingezogen. Die ihm übermittelten Behördenmitteilungen und Rechnungen, die er im Sammellager wohl noch erhalten hat, müssen auf ihn wie der reinste Hohn gewirkt haben.
Vermutlich nicht mehr mitbekommen hat Horwitz, wie bei der Vermögensstelle nach und nach Forderungen angemeldet wurden. Die erste ging mit dem Datum 10.4.1943 von seinem Vermieter Otto Schulz-Schwämme, Prager Straße 50, ein. Er machte 205,80 RM ausstehende Miete geltend und verwies ausdrücklich darauf, dass er, nachdem Horwitz am 3.4.1943 aus seiner Wohnung abgeholt worden sei, „an den genannten Juden noch Ansprüche an Renovierungsarbeiten in der Wohnung“ gehabt habe. Ihre bemerkenswerte Leistungsfähigkeit bewies die deutsche Bürokratie auch mit dem Schreiben der Vollstreckungsstelle des Finanzamts Wilmersdorf-Nord vom 8.9.1943. Die Behörde machte in allerletzter Sekunde gegenüber der Verwertungsstelle jüdischen Vermögens bei Oberfinanzpräsidenten noch eine Forderung geltend: ausstehende Einkommenssteuer für das Jahr 1942 in Höhe von 20,20 RM sowie zusätzliche Vollstreckungsgebühren von 1,- RM.
Niemand hat hier eingegriffen. Niemand hat hier „Halt“ gerufen. Als das letzte, beschiedene Restvermögen von Dr. Hermann Horwitz komplett eingezogen war, hatten sich seine Spuren schon verwischt oder haben seine Staatsmörder sie zu verwischen verstanden. Am 19. April 1943 ist er vom Sammellager in der Hamburger Straße nach Auschwitz deportiert worden. Der „Genannte ist nach dem Osten abgewandert“, wurde formuliert – ein schrecklicher Euphemismus. Hermann Horwitz ist im Vernichtungslager von Auschwitz-Birkenau unmittelbar nach seiner Ankunft als „nicht arbeitsfähig sonderbehandelt“ worden. Das heißt, dass er in die Gaskammer geschickt, dass er ermordet worden ist.
Für die Wohnung von Hermann Horwitz in der Prager Straße 24 wurde eine „vordringliche Räumung“ befohlen, weil der neue Nutzer „die Einrichtung nicht übernehmen“ wolle. Dieser neue Nutzer war der SS-Obergruppenführer und Generalleutnant der Ordnungspolizei, Georg Jedicke, der eine Dienstwohnung in Berlin benötigte. Jedicke war sein 1941 Befehlshaber der Ordnungspolizei (ORPO) in Riga (Lettland), wo es wiederholt Massaker sowohl an den dortigen jüdischen Ghettobewohnern als auch an aus Deutschland Deportierten gegeben hatte. Einer der hochrangigen NS-Täter profitierte also selbst ganz unmittelbar von der Deportation eines anderen Menschen in den Tod.
Text: Daniel Koerfer
Das Haus, in dem Dr. Hermann Horwitz gelebt hatte, wurde im Zweiten Weltkrieg durch Bomben zerstört. Dort, wo es einmal stand, wo Horwitz täglich ein- und ausging und aus dem er eines Tages zum letzten Mal hinausgetrieben wurde, ist auf dem Gehweg in der Nähe der Prager Straße / Ecke Nachodstraße zu seinem Gedenken ein Stolperstein verlegt worden. Es war mehr als eine symbolische Geste, dass der heutige Vereinsarzt von Hertha BSC, Dr. Ulrich Schleicher, und der aus Israel stammende Profi-Fußballspieler Ben Sahar gemeinsam den Stolperstein in das Pflaster setzten.
Dieser Text ist eine geringfügig bearbeitete Fassung eines Kapitels aus dem Buch von Daniel Koerfer: Hertha unter Hakenkreuz. Ein Berliner Fußballclub im Dritten Reich. Verlag Die Werkstatt, Göttingen 2009, S. 79-95. Es ist eine beachtliche zeithistorische Dokumentation, die nicht nur über Hertha BSC Auskünfte gibt, sondern wegen seiner Gesamtschau auf die Nazi-Zeit lesenswert ist. (Helmut Lölhöffel)
Fußballfans des Projekts „Spurensuche“, die Herthas Geschichte in der NS-Zeit erforschen, haben sein Buch in der Berliner Staatsbibliothek entdeckt und Weiteres über sein Leben herausgefunden. Siehe dazu den Artikel der Süddeutschen Zeitung Magazin