HIER WOHNTE
FRIEDRICH WEISSLER
JG.1891
VERHAFTET 13.2.1937
SACHSENHAUSEN
ERMORDET 19.2.1937
Der Jurist und rechtswissenschaftliche Schriftsteller Friedrich Weißler wurde am 28. April 1891 in Königshütte/Chorzów in Oberschlesien geboren. Er war der jüngste Sohn des Rechtsanwalts und Notars Adolf Weißler und seiner Ehefrau Auguste Weißler, geborene Hayn, und wuchs ab 1893 in Halle (Saale) auf. Er und seine beiden Brüder Otto, geboren am 15. Oktober 1884, und Ernst, geboren am 28. Mai 1887, wurden evangelisch getauft und christlich erzogen. Zur jüdischen Tradition seiner Vorfahren verspürte Friedrich Weißler kaum eine Verbindung und entwickelte bis zu seinem Lebensende eine tiefe christliche Frömmigkeit.
Friedrich Weißler heiratete 1922 die Pfarrerstochter Johanna Schäfer. Aus dieser Ehe gingen zwei Kinder hervor: Ulrich, geboren am 22. März 1925, und Johannes, geboren am 26. August 1928.
Nachdem Friedrich Weißler das städtische Gymnasium seiner Heimatstadt besucht und 1909 die Reifeprüfung abgelegt hatte, studierte er in Halle und Bonn Rechtswissenschaften. Die Erste juristische Staatsprüfung schloss er überdurchschnittlich mit der Note „gut“ ab. Er wurde 1914 mit magna cum laude mit der Dissertation „Die Behandlung entfernter Möglichkeiten im Privatrecht. Ein Beitrag zur Lehre vom Vertrauensschutz“ promoviert.
Der Erste Weltkrieg und die Ereignisse der Novemberrevolution hinterließen im Leben Friedrich Weißlers tiefe Einschnitte. Mit dem Kriegseintritt des Deutschen Reiches unterbrach er den gerade begonnenen juristischen Vorbereitungsdienst und meldete sich freiwillig zum Kriegsdienst. Die Entlassung erfolgte im Januar 1919 als Leutnant der Reserve. Als im März 1919 in Mitteldeutschland revolutionäre Unruhen aufflammten, meldete sich Friedrich Weißler als Mitglied eines Freikorps. Er war jedoch wahrscheinlich nicht an Kampfhandlungen beteiligt. Im Sommer 1919 nahm sich der Vater Adolf Weißler, zu welchem Friedrich Weißler seit jeher ein inniges Verhältnis pflegte, das Leben. Als Grund hierfür gab der kaisertreue Nationalist Adolf Weißler an, dass er „die Schmach unseres Volkes“, die mit den Friedensbedingungen des Vertrags von Versailles einhergingen, nicht ertragen könne. Persönlich tief erschüttert verließ Friedrich Weißler mit seiner Mutter Auguste Weißler Halle
und zog bis zur Beendigung des juristischen Vorbereitungsdienstes nach Berlin.
Nach der Großen Staatsprüfung, die ebenfalls mit der überdurchschnittlichen Note „gut“ bewertet wurde, schlug er 1920 die Laufbahn als Richter ein. Er arbeitete unter anderem am Amts- und Landgericht Halle, am Amtsgericht Merseburg und am Oberlandesgericht Naumburg. Er beteiligte sich an der Entwicklung junger Bestandteile der ordentlichen Gerichtsbarkeit und wurde im Jahr 1927 auf eigenen Wunsch Jugendrichter. Drei Jahre später wirkte er außerdem als stellvertretender Vorsitzender am Arbeitsgericht Halle. Friedrich Weißler übernahm Lehrtätigkeiten in der Ausbildung von Rechtsreferendaren und von Auszubildenden juristischer Berufe.
Seine schriftstellerische Tätigkeit begann Friedrich Weißler mit dem Erbe seines Vaters Adolf Weißler: Er setzte dessen Bearbeitung der Gesetzessammlung „Preußisches Archiv“ und des „Formularbuchs für freiwillige Gerichtsbarkeit“ fort.
Mit Artikeln in juristischen Fachbüchern und Fachzeitschriften und eigenen Monografien erarbeitete sich Friedrich Weißler innerhalb weniger Jahre den Ruf eines Experten auf dem Gebiet der freiwilligen Gerichtsbarkeit. Rechtswissenschaftliche Fragestellungen, die sich aus aktuellen politischen und wirtschaftlichen Entwicklungen ergaben, waren dabei besonders reizvoll. Er widmete sich beispielsweise der Hypothekenaufwertung und damit speziellen Rechtsfragen, die sich durch die Hyperinflation der beginnenden 1920er Jahre für das Grundbuchrecht ergaben. Er bearbeitete Fragen des Beurkundungs- und Notariatswesen oder des Familienrechts und zeigte sich dabei als streitbarer Rechtswissenschaftler. Als herausragende Leistung zu erwähnen ist ein viel beachteter juristischer Kommentar zur Grundbuchordnung, den Friedrich Weißler gemeinsam mit seinem Cousin Viktor Hoeniger in zwei Auflagen verfasste.
Höhepunkt und gleichzeitiges Ende der beruflichen Karriere Friedrich Weißlers war die Beförderung zum Landgerichtsdirektor in Magdeburg 1932. Die Machtergreifung und die damit sogleich verbundene Willkür der Nationalsozialisten führte innerhalb weniger Wochen zur Entlassung aus dem Justizdienst. Vorangegangen war eine Berufungsverhandlung unter der Leitung Friedrich Weißlers gegen einen 19-jährigen Verwaltungsgehilfen und SA-Mann. Zur Verhandlung erschien der Angeklagte unerlaubterweise in SA-Uniform. Er trat provozierend und despektierlich auf. Auf Antrag der Staatsanwaltschaft erlegte Friedrich Weißler dem Angeklagten ein Ordnungsgeld auf. Die nationalsozialistische Presse nahm die Berufungsverhandlung zum Anlass, Friedrich Weißler zu diffamieren und damit die Magdeburger nationalsozialistische Öffentlichkeit gegen ihn aufzuwiegeln.
Als es im März 1933 zu gewalttätigen nationalsozialistischen Ausschreitungen in Magdeburg kam, entlud sich der Hass und Terror auch gegen Friedrich Weißler. Truppen der SA, SS und des Stahlhelms drangen in das Gebäude des Landgerichts ein. Friedrich Weißler wurde aus seinem Büro gezerrt und gezwungen, an der inszenierten Fahnenhissung teilzunehmen. Kurze Zeit später erfolgte seine Suspendierung vom Justizdienst. Die endgültige Entlassung ist im Wesentlichen mit der jüdischen Herkunft Friedrich Weißlers zu begründen. Im Sommer 1933 erhielt er die durch den damaligen Staatssekretär des preußischen Justizministers Dr. Roland Freisler unterschriebene Entlassungsurkunde.
Unter den geschilderten Bedingungen war es Friedrich Weißler und seinen Familienmitgliedern nicht möglich, in Magdeburg zu bleiben. Sie entschlossen sich, in der Anonymität der Großstadt Berlin Frieden vor nationalsozialistischen Anfeindungen zu suchen und zogen hier in die Meiningenallee 7.
Friedrich Weißler bekam nach seiner Entlassung aus dem Staatsdienst die Chance, für die Bekennende Kirche im Kirchenkampf gegen die Vereinnahmung der evangelischen Kirchen durch den nationalsozialistischen Staat zu wirken und entfaltete als Mitarbeiter und Kanzleichef der Vorläufigen Kirchenleitung erneut juristische Schaffenskraft. Er beschäftigte sich mit dem Kirchenrecht und nahm vor dem Hintergrund einer sich nach außen selbst behauptenden und innerlich zerstrittenen evangelischen Kirche eine radikale widerständige Position ein.
Das christliche Bekenntnis, das im Mittelpunkt des Handelns der Kirche und ihrer Mitglieder stand, wurde für ihn zur rechtlichen Grundlage des Kirchenkampfes. Auf dieser Basis beteiligte er sich an der Ausarbeitung der Denkschrift der Vorläufigen Kirchenleitung an Adolf Hitler und unterhielt einen inoffiziellen Pressedienst. Die Denkschrift ist als eine der mutigsten und deutlichsten Äußerungen der Bekennenden Kirche gegen das nationalsozialistische Unrechtsregime von herausragender Bedeutung. Zum ersten Mal während des Kirchenkampfes bezog die Bekennende Kirche damit Stellung gegen die Rechtsverletzungen durch die Nationalsozialisten. Im Jahr 1936 wurde Friedrich Weißler bezichtigt, der Auslandspresse ein Manuskript der Denkschrift zur Veröffentlichung übergeben zu haben.
Friedrich Weißler wurde im Oktober 1936 verhaftet und im Gefängnis am Alexanderplatz festgehalten. Selbst nach umfänglichen Ermittlungen konnte nicht nachgewiesen werden, ob und wie er an der Veröffentlichung der Denkschrift beteiligt war. Dennoch wurde er am 11. Februar 1937 in das Konzentrationslager Sachsenhausen gebracht und am Morgen des 19. Februar 1937 mit allen Zeichen schwerer Misshandlungen tot in seiner Zelle aufgefunden.
Friedrich Weißler hinterließ eine Familie, deren Zukunft im nationalsozialistischen Deutschland ungewiss und voller Sorgen war: Sein Sohn Ulrich verließ 1939 Deutschland, vermittelt durch das Büro des Pastors Heinrich Grüber. Er lebte und arbeitete als Lehrer in England, Kenia und Malawi und erwarb die britische Staatsbürgerschaft.
Friedrich Weißlers Ehefrau Johanna, seine Mutter Auguste und sein jüngeren Sohn Johannes lebten unter entbehrungsreichen Umständen in der Meiningenalle 7 in Berlin. Auguste Weißler wurde 1943 in das Konzentrationslager Theresienstadt verschleppt, wo sie nur wenige Wochen nach ihrer Ankunft starb. Johannes Weißler musste 1943 die Oberschule verlassen und begann eine Lehre als technischer Zeichner. Im Winter 1944/1945 wurde der 16-Jährige mit anderen rassistisch verfolgten Menschen zur Zwangsarbeit verpflichtet und auf einer Baustelle bei Coswig eingesetzt. Nach dem 2. Weltkrieg nahm er in Darmstadt ein Studium auf, wurde Ingenieur und war bei großen Unternehmen wie Siemens im In- und Ausland tätig. Nach dem 2. Weltkrieg zog Johanna Weißler nach Salzwedel. Ihr Lebensende verbrachte sie nach ihrer Flucht aus der DDR in West-Berlin.
Biografische Zusammenstellung: Dr. Julia Schilling
Literatur
- Miosge, Dieter, Friedrich Weißler (1891–1937): Ein Juristenschicksal, in: Höland, Armin/Lück, Heiner(Hrsg.), Juristenkarrieren in der preußischen Provinz Sachsen (1919-1945): Lebenswege und Wirkungen, Halle (Saale) 2004, S. 43–51.
- Germann, Michael, Friedrich Weißler im Dienst der Bekennenden Kirche, in: Höland, Armin/Lück, Heiner (Hrsg.), Juristenkarrieren in der preußischen Provinz Sachsen (1919-1945): Lebenswege und Wirkungen, Halle (Saale) 2004, S. 52–80.
- Weißler, Johannes, Die Weißlers: Ein deutsches Familienschicksal, Badenweiler 2011.
- Gailus, Manfred, Friedrich Weißler: Ein Jurist und bekennender Christ im Widerstand gegen Hitler, Göttingen 2017.
- Schilling, Julia, Friedrich Weißler:Ein deutscher Richter jüdischer Herkunft der Weimarer Republik, Halle (Saale) 2023.