Stolpersteine Paulsborner Str. 1

Foto folgt

Diese von den Familien Shay und Schiffer aus Israel gespendeten Stolpersteine wurden in Anwesenheit von 15 Nachkommen und Familienmitgliedern am 23.10.2012 verlegt.

Reden zur Verlegung
Portraits

Stolperstein Agnes Knopf, Foto: F. Siebold, Okt. 2012

Stolperstein Agnes Knopf, Foto: F. Siebold, Okt. 2012

HIER WOHNTE
AGNES KNOPF
GEB. LEHMANN
JG. 1861
DEPORTIERT 14.9.1942
THERESIENSTADT
1943 AUSCHWITZ
ERMORDET 30.12.1943

Stolperstein Else Schiffer, Foto: F. Siebold, Okt. 2012

Stolperstein Else Schiffer, Foto: F. Siebold, Okt. 2012

HIER WOHNTE
ELSE SCHIFFER
GEB. KNOPF
JG. 1882
DEPORTIERT 18.10.1941
LODZ / LITZMANNSTADT
ERMORDET 9.5.1942
CHELMNO / KULMHOF

Stolperstein Margarethe Caro, Foto: F. Siebold, Okt. 2012

Stolperstein Margarethe Caro, Foto: F. Siebold, Okt. 2012

HIER WOHNTE
MARGARETHE CARO
GEB. KNOPF
JG. 1891
DEPORTIERT 1.3.1943
ERMORDET IN
AUSCHWITZ

Stolperstein Stefanie Grunwald, Foto: F. Siebold, Okt. 2012

Stolperstein Stefanie Grunwald, Foto: F. Siebold, Okt. 2012

HIER WOHNTE
STEFANIE GRUNWALD
GEB. BLUM
JG. 1921
DEPORTIERT 4.3.1943
ERMORDET IN
AUSCHWITZ

Reden zur Verlegung am 23.10.2012

Bei der Verlegung der Stolpersteine hielt Miriam Shay (Raanana/Israel), die Enkelin von Agnes Knopf, diese Ansprache auf Deutsch und Hebräisch:

p(. “Wir haben uns heute hier nach 70 Jahren versammelt, um unserer Familie zu gedenken. Diese Stolpersteine werden heute hier verlegt, um daran zu erinnern, was damals geschah, und um dazu beizutragen, dass so etwas nie wieder passieren darf!

p(. Ich floh Ende August 1939 mit meinen Eltern Xenia und Dr. Harry Knopf im letzten Moment nach Palästina, heute der Staat Israel. Ich stehe heute hier mit Familienmitgliedern, Freunden und Bekannten als stolze Israelin.

p(. Ich war die einzige Tochter meiner Eltern und habe drei wunderbare Kinder mit deren Lebenspartnern und acht ganz besondere Enkelkinder! Wir leben alle in Israel und haben ein herrliches demokratisches Land trotz allen Schwierigkeiten aufgebaut – wie in einem Meer von Feinden – ein Land, das stets nach Frieden strebt. Hätte es damals Israel gegeben, wäre alles anders gewesen!

p(. So sagen wir heute: NIE WIEDER!!!!!! Dies ist unser Versprechen an Euch. Wir laden alle ein, zu uns nach Israel zu kommen, um zu sehen, wie es wirklich ist. Anders als unsere Feinde uns darstellen.

p(. Wir danken unseren Gastgebern, die diese Zeremonie hier heute ermöglichten.

p(. Ich spreche im Namen von Agnes Knopf, deren Töchtern Else Schiffer und Margarete Caro und deren Tochter Stefanie Blum sowie allen, die nicht mehr für sich sprechen können. Wir denken an Euch und werden Euch nie vergessen.”

Anschließend hielt Gabriel Schiffer (Ramat Hasharon/Israel), der Enkelsohn von Else Schiffer, diese Ansprache auf Englisch:

p(. “Ich habe meine Großmutter Elsa nie gesehen. Alles, was ich über sie weiß, kenne ich aus den Erzählungen meines Vaters. Eine dieser Geschichten hat mich stark beindruckt, es ging um ihren Besuch in Israel, das damals Palästina AE (I) hieß. 1938 kam sie, um meinen Vater und ihre Schwiegertochter, meine Mutter, zu besuchen, die sie zum ersten Mal traf. Als sie die Heimreise nach Deutschland vorbereitete, versuchten meine Eltern und alle Freunde, sie zu überreden, in Israel zu bleiben, weil zu jener Zeit schon Gräueltaten gegen die Juden in Deutschland stattfanden.

p(. Elsa bestand darauf, in ihre Heimat zurückzugehen, denn, so sagte sie: „Meine Wurzeln sind dort, meine Familie lebt in Deutschland seit vielen Generationen, alle waren loyale und ihrem Vaterland gehorsame Bürger. Mein Mann, Dr. Frits Schiffer, war Soldat der deutschen Armee im Ersten Weltkrieg, er behandelte deutsche Soldaten unter Beschuss und wurde für seine Tapferkeit mit dem Eisernen Kreuz ausgezeichnet. Warum also sollte ich nicht zu meinem Volk zurückgehen?“

p(. Großmutter Elsa kehrte in ihre Heimat zurück. Doch 1941 wurden sie und ihre Mutter, meine Urgroßmutter Agnes Knopp, von den Nazis ins Ghetto Lodz deportiert, wo beide 1942 ermordet worden sind.

p(. Gesegnet sei ihr Andenken. Ihre Seelen mögen in Frieden ruhen.

p(. Bei der Gelegenheit möchte ich allen danken, die dieses Gedenken in die Wege geleitet haben.” (Übersetzung: Helmut Lölhöffel)

Portraits

Agnes Knopf 1923, Foto: Familienarchiv

Agnes Knopf 1923, Foto: Familienarchiv

Agnes Knopf, geb. Lehmann , wurde am 28. November 1861 in Berlin geboren. Sie bewohnte mit ihren Töchtern Else und Margarethe sowie der Enkelin Steffi sowie einer weiteren Frau, deren Name nicht überliefert ist, eine geräumige Wohnung in der Paulsborner Straße 1. Dieses einst prächtige Eckhaus war damals, nur ein paar Schritte vom Kurfürstendamm entfernt, eine erste Adresse in Berlin. In der Wohnung befanden sich nach Erinnerung von Walter Grunwald, dem Ehemann von Stefanie, „wertvolle Moebel“, die er allerdings bei seinen wenigen Besuchen gar nicht erfassen konnte, „da ich die Wohnung niemals in der Gesamtgröße gesehen habe“.

Else Schiffer-Knopf 1923, Foto: Familienarchiv

Else Schiffer-Knopf 1923, Foto: Familienarchiv

Am 18. Oktober 1941 wurden Else Schiffer, geb. Knopf , geboren am 18. Oktober 1882 in Berlin, und die unbekannte Untermieterin mit dem allerersten Ost-Transport vom Gleis 17 des Bahnhofs Grunewald in einem mit 1.013 Menschen überfüllten Zug ins Ghetto Lodz, das von den Nazis in Litzmannstadt umgetauft worden war, deportiert. Weil die Nazis anstrebten, dass die Straßen links und rechts des Kurfürstendamms „judenfrei“ würden, ließen sie gleich danach die Wohnung in der Paulsborner Straße 1 räumen.

Margarethe Caro-Knopf 1923, Foto: Familienarchiv

Margarethe Caro-Knopf 1923, Foto: Familienarchiv

Die Mutter Agnes Knopf, eine Art Familienoberhaupt, musste mit der anderen Tochter Margarethe Caro , geboren am 15. Juni 1991 in Berlin, sowie Enkeltochter Stefanie Blum , geboren am 14. März 1921 in Berlin, in die Xantener Straße 4 umziehen. Dort fanden sie Unterschlupf als Untermieterinnen in zwei Zimmern. „In dem großen Zimmer standen Moebel von Frau Knopf, und soweit ich mich entsinnen kann, waren es Salonmoebel bester Art. Das kleine Zimmer war mit Moebeln der Enkelin Steffi Blum moebliert“, gab Walter Grunwald am 19. Februar 1962 der Rückerstattungsbehörde in Wilmersdorf, Helmstedter Straße 5, zu Protokoll. Ein Bruder von Else und Margarethe, Harry Knopf, stellte von Tel Aviv aus Rückerstattunmgsansprüche. Dr. Harry Knopf hatte mit seiner Frau Xenia und der Tochter Miriam Ende August 1939 nach Palästina flüchten können. Miriam Shay hat drei Kinder und acht Enkel.

Stefanie Blum 1923, Foto: Familienarchiv

Stefanie Blum 1923, Foto: Familienarchiv

Bald nach dem erzwungenen Umzug der drei Frauen aus drei Generationen heirateten Walter Grunwald und Stefanie Blum, genannt Steffi, im Juli 1942. Das junge Ehepaar wohnte in dem kleineren Raum, die beiden älteren Damen Agnes Knopf und Margarethe Caro, die in der Familie Gretchen hieß, teilten sich das große Zimmer.
Als jedoch Agnes Knopf am 14. September 1942 in einem Zug mit rund 1.000 Menschen, ebenfalls vom Bahnhof Grunewald, ins Ghetto Theresienstadt deportiert wurde, mussten Walter und Stefanie Grunwald sowie Margarethe Caro in die Westfälische Straße umziehen. Einige Möbel konnten sie mitnehmen. Das große Zimmer, in dem Agnes Knopf gelebt hatte, wurde versiegelt. Wo die wertvollen Stilmöbel blieben, die er in der Paulsborner Straße gesehen hatte, konnte der einzige Überlebende, Walter Grunwald, nicht wissen. Mit Sicherheit wurden sie – wie damals üblich – wie das gesamte Vermögen der Familie Knopf/Schiffer beschlagnahmt und von Händlern verkauft, die sich an dem fremden Eigentum bereicherten..
Agnes Knopf blieb länger als ein Jahr im Ghetto Theresienstadt, wo sie im Alter von über 80 Jahren das Grauen ertragen musste. Eine Freundin aus Berlin, Lore Silberstein, die Theresienstadt überlebte, berichtete in einem Brief: „Agnes, die schon in Berlin sehr abgenommen hatte, wurde sehr bald ein Skelett und schrumpfte so zusammen, dass sie schliesslich nur noch wenig größer war als ich. Es war schrecklich anzusehen, wie diese verwöhnte Frau so langsam zu Grunde ging. Sie war 8 Tage, bevor sie von Th. fort kam, im Zimmer gefallen und wurde am 18.XII.43 aus dem Bett nachts 2 Uhr auf einer Bahre, da sie nicht mehr laufen konnte, abtransportiert. Es war furchtbar!“ (Brief Lore Silbersteins an Emil Caro, 28.12.1946) Am 18. Dezember 1943 wurde Agnes Knopf ins Vernichtungslager Auschwitz gebracht, am 30. Dezember 1943 ist sie in Birkenau vergast worden.
Else Schiffer, die an ihrem 59. Geburtstag in Berlin den ersten Deportationszug nach Lodz (Litzmannstadt) besteigen musste, blieb knapp acht Monate in dem sich täglich füllenden Ghetto. Am 9. Mai 1942 wurde sie in das Vernichtungslager Kulmhof (Chelmno) gefahren, wo sie umgebracht worden ist.
Margarethe Caro wurde am 1. März 1943 in einen Zug getrieben, der mit 1 682 Menschen vom Bahnhof Grunewald nach Auschwitz fuhr. Dort ist die 51jährige Schwester Else Schiffers ums Leben gebracht worden, das Datum ist nicht bekannt. Emil Caro, der mit ihr bis etwa 1935 verheiratet gewesen war, ist in Berlin bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs 1945 von einer deutschen Frau versteckt worden und hat überlebt. Sie heirateten.
Drei Tage nach Margarethe, am 4. März 1943, wurde auch die 21jährige Stefanie Grunwald in einen Massentransport gesteckt. 1.143 Menschen mussten an diesem Tag in den sicheren Tod nach Auschwitz fahren. Ihr Mann Walter, der in den Kategorien des Nationalsozialismus Halbjude war, konnte sein Leben retten.

Fotos: Familienarchiv, Text: Helmut Lölhöffel