Fritz Nelken war dreimal verheiratet und zweimal geschieden. Im Dezember 1910 heiratete er Gertrud Süßkind, kurz darauf ist er im Adressbuch als „Fabrikbesitzer“ in der Duisburger Straße 6 aufgeführt. 1912 wurde die Tochter Eva Lilli geboren. Mitten im Krieg, im April 1917, wurde diese Ehe geschieden. Am 8. Januar 1919 ehelichte er die 18-jährige Bernardina Schneider, die später als die Schriftstellerin und Drehbuchautorin Dinah Nelken bekannt wurde. Sie war die Tochter des Schauspielers Bernhard Bruno Eugen Schneider. Vermutlich wohnte das Paar in Josef Nelkens Haus in der Oranienburger Straße. Schon zwanzig Tage nach der Hochzeit, am 28. Januar, kam der Sohn Peter zur Welt. Die Ehe stand unter keinem guten Stern, bereits im Juli 1921 wurde sie wieder geschieden. Der Sohn kam zunächst zu den Großeltern mütterlicherseits, später in ein Kinderheim.
Im Adressbuch Berlin taucht Fritz Nelken als Hauptmieter erst wieder 1933 in der Olbersstraße 12 auf, in den folgenden Jahren wechselt die Adresse jährlich. 1936/37 wohnte er in der Wilmersdorfer Straße, wohl mit seiner dritten Frau, Grete geb. Kesten. Bei der Volkszählung am 17.Mai 1939 wurden Fritz und seine Frau am Stuttgarter Platz 20 registriert. Grete war nicht jüdisch und Fritz fühlte sich wohl durch die „Mischehe“ geschützt. Denn inzwischen war die Lage der Juden in Deutschland sehr prekär geworden. 1933 waren die Nationalsozialisten an die Macht gekommen und hatten die offizielle Diskriminierung von Juden mit etlichen Gesetzen und Verordnungen eingeleitet. Nach den Pogromen vom 9./10. November 1938 war die Zahl der Maßnahmen zur Judenverfolgung drastisch gesteigert worden. In „Mischehe“ Lebende hatten vergleichsweise weniger zu leiden. Dennoch musste das Ehepaar Nelken seine Wohnung aufgeben und in das Haus Knesebeckstraße 18/19 ziehen, das Grete Nelken
später als „Ghettohaus“ bezeichnete. Fritz hatte als Chemiker Berufsverbot, er fand aber Arbeit bei der Jüdischen Gemeinde.
Am 15.Mai 1942 wurde Fritz Nelken von der Gestapo abgeholt, die Wohnung durchwühlt und wohl auch geplündert. Sehr wahrscheinlich war er denunziert worden, weil er illegal für eine „arische“ Firma arbeitete. Hier nahm ein Leidensweg seinen Anfang, der erst mit dem Tod enden sollte. Von der Gestapo wurde Fritz Nelken offenbar schwer misshandelt: Im Krankenbuch der Polizei ist er zwischen 29. Mai und 3. Juli fünf Mal eingetragen mit Herzmuskelschwäche, Myokardschaden und mehrmals wegen Leistenbruchs. Schließlich wurde er Anfang August in das KZ Sachsenhausen überführt. Unter den dortigen Umständen verschlimmerte sich seine Lage noch, am 10. Oktober wurde er mit Krankenstransport nach Dachau verbracht. Dort behielt man ihn nicht lange: Am 19.Oktober verschleppte man ihn weiter nach Auschwitz. Wohl schwerkrank und geschwächt, überlebte Fritz Nelken den Transport kaum. Laut Auschwitzer Sterbebuch kam er am 22.Oktober 1942 ums Leben, offiziell im Häftlingskrankenhaus an
„Gehirnschlag“. Dies wurde seiner Witwe mitgeteilt, mit dem zynischen Zusatz: „Die Leiche wird auf Staatskosten eingeäschert und von Amtswegen im Urnenhain des Lagerkrematoriums beigesetzt“. Den vom Museum Auschwitz-Birkenau herausgegebenen „Berichten“ (Sterbebücher von Auschwitz, Walter de Gruyter, 2011) ist zu entnehmen, dass die Angehörigen die „Urnen“ – eine Blechbüchse mit beliebiger Asche – bis 1941 auf Wusch zugesandt bekamen, später wurden sie in einem Raum des Lagerkrematoriums gelagert – das war der „Urnenhain“.
Sowohl Peter wie auch Eva Lilli hatten bereits vor 1939 Deutschland verlassen, Peter mit Hilfe seiner Mutter über Wien nach London. Peter schloss sich antifaschistischen Gruppierungen an und kehrte 1940 nach Berlin zurück. 1941 beim Flugblattverteilen verhaftet, entging er mit viel Glück dem Hochverratsprozess und wurde nach zwei Monaten entlassen. Ab Mai 1944 überlebte er in der Illegalität mit Hilfe v.a. von Kommunisten. Nach dem Krieg machte er Karriere im parteinahen DDR-Kulturbetrieb. Ab 1958 war er Chefredakteur der satirischen Zeitschrift „Eulenspiegel“. Er starb 1966 in Berlin. Seine Halbschwester Eva Lilli starb 2009 in den USA.
Quellen:
Gedenkbuch. Bundesarchiv Koblenz, 2006; Gedenkbuch Berlin der jüdischen Opfer des Nationalsozialismus 1995; Berliner Adressbücher; Akten des Landesentschädigungsamtes Berlin; Arolsen Archives; Berichte. Sterbebücher von Auschwitz, herausgegeben von Staatliches Museum Auschwitz-Birkenau, Walter de Gruyter, 18.10.2011
Recherchen/Text: Micaela Haas