Stolperstein Knesebeckstr. 18/19

Knesebeckstr. 18-19, 4.9.2012, Foto: KHMM

Knesebeckstr. 18-19, 4.9.2012, Foto: KHMM

Der Stolperstein für Georg Kronthal wurde am 12.09.2012 verlegt.
An dem Haus Knesebeckstraße 18/19 entstand auf Initiative der Bewohnerinnen und Bewohner eine Gedenktafel für Jüdische Bewohner des Hauses Knesebeckstraße 18/19 und wurde ebenfalls am 12.9.2012 enthüllt.

Der Stolperstein für Fritz Nelken wurde am 26.4.2013 verlegt.

Stolperstein Georg Kronthal

Stolperstein Georg Kronthal, Foto: KHMM, 6.11.2012

HIER WOHNTE
GEORG KRONTHAL
JG 1870
DEPORTIERT 17.8.1942
THERESIENSTADT
1942 TREBLINKA
ERMORDET

Jeanette und Georg Kronthal, Foto: Privatbesitz

Jeanette und Georg Kronthal, Foto: Privatbesitz

Georg Jakob Kronthal wurde 1870 in Posen geboren. Er lebte mit seiner Frau Jeanette Kronthal, geborene Gellert, im Gartenhaus der Knesebeckstr. 18/19. Er war als leitender Angestellte beim Kaufhaus A.Wertheim beschäftigt, wurde als Jude Anfang der 30er Jahre entlassen und musste sich als Vertreter selbstständig machen. Die Wohnung in der Knesebeckstraße, in die er 1936 zog, war schon ein Tribut an die Verschlechterung seiner wirtschaftlichen Lage, denn zuvor lebte die Familie in einer wesentlich größeren Wohnung in der Martin-Luther Straße.

In der Knesebeckstraße wohnten in den vier Zimmern außerdem sein Sohn Willy, dessen Frau und die kleine Enkeltochter Inge. Als Willy Kronthal mit seiner Familie 1938 nach Argentinien emigrierte, zogen Georg und Jeanette Kronthal in das Jüdische Altersheim in der Großen Hamburger Straße. Noch Ende des Jahres verstarb Jeanette Kronthal. Vier Jahre später, 1942, wurde Georg Kronthal aus dem Altersheim nach Theresienstadt deportiert, von dort in ein Todeslager in Polen.
Der Stolperstein wurde von der Hausgemeinschaft Knesebeckstr. 18/19 finanziert. Die feierliche Verlegung fand am 12.9.2012 in Gegenwart der über 80-jährigen Enkelin aus Miami statt, die vom Senat Berlin ausnahmsweise nochmals im Rahmen des Senatsprogramms für Emigranten eingeladen worden war.
Am Haus Knesebeckstr. 18/19 wurde von der Hausgemeinschaft auch eine Gedenktafel angebracht mit den 19 jüdischen Hausbewohnern, die im Jahre 1942 aus dem Haus deportiert, dann ermordet wurden und zwei Bewohnern, die Selbstmord begingen, um der Deportation zu entgehen.

Text: Margit Miosga

Stolperstein Fritz Nelken, Foto: F. Siebold, April 2013

Stolperstein Fritz Nelken,

HIER WOHNTE
FRITZ NELKEN
JG. 1883
VERHAFTET 1942
SACHSENHAUSEN
DACHAU
DEPORTIERT 19.10.1942
AUSCHWITZ
ERMORDET 22.10.1942

Telefonbucheintrag Fritz Nelken

Fritz Nelken wurde am 27. Oktober 1883 in Berlin geboren. Sein Vater Josef Nelken war Kaufmann und betrieb ein Silberwarengeschäft, insbesondere die Vertretung der Silberwaren „Mexico“. Seine Mutter war Ida Nelken geb. Liebert. Die Familie lebte zunächst in der Krausnickstraße, dann in der Linienstraße 111. Um 1898 kaufte Josef Nelken das Haus in der Oranienburgerstraße 23 und zog mitsamt dem Geschäft dorthin. Ob Fritz Geschwister hatte, ist nicht bekannt.

Fritz Nelken besuchte das Friedrich-Wilhelm-Gymnasium und studierte dann Chemie an den Universitäten Berlin und Heidelberg. 1911 promovierte er. Anschließend fand er Arbeit in einem chemischen Werk in Eberswalde, bis er sich 1914 freiwillig zum Kriegsdienst meldete. Er brachte es zum Feldwebel, erhielt das Eiserne Kreuz und weitere Verdienstmedaillen. Nach dem Krieg machte er sich selbständig, laut seiner Frau Grete Nelken verkaufte er „seine Fabrik“ 1929, vermutlich aufgrund der Weltwirtschaftskrise. Was in der Fabrik hergestellt wurde, erwähnt Grete Nelken nicht. Über Fritz Nelkens späteren Beschäftigungen gibt es nur verstreute Nachrichten. Er war wissenschaftlicher Beirat eines chemischen Werkes, war an der Strumpfwarenfabrik „Etam“ seines Vetters Max Lindemann beteiligt, war technischer Berater einer Apparatebaufirma namens „Beacon“. Außerdem erhielt er einen monatlichen Erbzins von seiner 1936 verstorbenen Mutter – der Vater war wenige Wochen nach seiner Frau auch gestorben.

Reisepass Dr. Fritz Nelken

Reisepass Dr. Fritz Nelken

Fritz Nelken war dreimal verheiratet und zweimal geschieden. Im Dezember 1910 heiratete er Gertrud Süßkind, kurz darauf ist er im Adressbuch als „Fabrikbesitzer“ in der Duisburger Straße 6 aufgeführt. 1912 wurde die Tochter Eva Lilli geboren. Mitten im Krieg, im April 1917, wurde diese Ehe geschieden. Am 8. Januar 1919 ehelichte er die 18-jährige Bernardina Schneider, die später als die Schriftstellerin und Drehbuchautorin Dinah Nelken bekannt wurde. Sie war die Tochter des Schauspielers Bernhard Bruno Eugen Schneider. Vermutlich wohnte das Paar in Josef Nelkens Haus in der Oranienburger Straße. Schon zwanzig Tage nach der Hochzeit, am 28. Januar, kam der Sohn Peter zur Welt. Die Ehe stand unter keinem guten Stern, bereits im Juli 1921 wurde sie wieder geschieden. Der Sohn kam zunächst zu den Großeltern mütterlicherseits, später in ein Kinderheim.

Im Adressbuch Berlin taucht Fritz Nelken als Hauptmieter erst wieder 1933 in der Olbersstraße 12 auf, in den folgenden Jahren wechselt die Adresse jährlich. 1936/37 wohnte er in der Wilmersdorfer Straße, wohl mit seiner dritten Frau, Grete geb. Kesten. Bei der Volkszählung am 17.Mai 1939 wurden Fritz und seine Frau am Stuttgarter Platz 20 registriert. Grete war nicht jüdisch und Fritz fühlte sich wohl durch die „Mischehe“ geschützt. Denn inzwischen war die Lage der Juden in Deutschland sehr prekär geworden. 1933 waren die Nationalsozialisten an die Macht gekommen und hatten die offizielle Diskriminierung von Juden mit etlichen Gesetzen und Verordnungen eingeleitet. Nach den Pogromen vom 9./10. November 1938 war die Zahl der Maßnahmen zur Judenverfolgung drastisch gesteigert worden. In „Mischehe“ Lebende hatten vergleichsweise weniger zu leiden. Dennoch musste das Ehepaar Nelken seine Wohnung aufgeben und in das Haus Knesebeckstraße 18/19 ziehen, das Grete Nelken später als „Ghettohaus“ bezeichnete. Fritz hatte als Chemiker Berufsverbot, er fand aber Arbeit bei der Jüdischen Gemeinde.

Am 15.Mai 1942 wurde Fritz Nelken von der Gestapo abgeholt, die Wohnung durchwühlt und wohl auch geplündert. Sehr wahrscheinlich war er denunziert worden, weil er illegal für eine „arische“ Firma arbeitete. Hier nahm ein Leidensweg seinen Anfang, der erst mit dem Tod enden sollte. Von der Gestapo wurde Fritz Nelken offenbar schwer misshandelt: Im Krankenbuch der Polizei ist er zwischen 29. Mai und 3. Juli fünf Mal eingetragen mit Herzmuskelschwäche, Myokardschaden und mehrmals wegen Leistenbruchs. Schließlich wurde er Anfang August in das KZ Sachsenhausen überführt. Unter den dortigen Umständen verschlimmerte sich seine Lage noch, am 10. Oktober wurde er mit Krankenstransport nach Dachau verbracht. Dort behielt man ihn nicht lange: Am 19.Oktober verschleppte man ihn weiter nach Auschwitz. Wohl schwerkrank und geschwächt, überlebte Fritz Nelken den Transport kaum. Laut Auschwitzer Sterbebuch kam er am 22.Oktober 1942 ums Leben, offiziell im Häftlingskrankenhaus an „Gehirnschlag“. Dies wurde seiner Witwe mitgeteilt, mit dem zynischen Zusatz: „Die Leiche wird auf Staatskosten eingeäschert und von Amtswegen im Urnenhain des Lagerkrematoriums beigesetzt“. Den vom Museum Auschwitz-Birkenau herausgegebenen „Berichten“ (Sterbebücher von Auschwitz, Walter de Gruyter, 2011) ist zu entnehmen, dass die Angehörigen die „Urnen“ – eine Blechbüchse mit beliebiger Asche – bis 1941 auf Wusch zugesandt bekamen, später wurden sie in einem Raum des Lagerkrematoriums gelagert – das war der „Urnenhain“.

Sowohl Peter wie auch Eva Lilli hatten bereits vor 1939 Deutschland verlassen, Peter mit Hilfe seiner Mutter über Wien nach London. Peter schloss sich antifaschistischen Gruppierungen an und kehrte 1940 nach Berlin zurück. 1941 beim Flugblattverteilen verhaftet, entging er mit viel Glück dem Hochverratsprozess und wurde nach zwei Monaten entlassen. Ab Mai 1944 überlebte er in der Illegalität mit Hilfe v.a. von Kommunisten. Nach dem Krieg machte er Karriere im parteinahen DDR-Kulturbetrieb. Ab 1958 war er Chefredakteur der satirischen Zeitschrift „Eulenspiegel“. Er starb 1966 in Berlin. Seine Halbschwester Eva Lilli starb 2009 in den USA.

Quellen:
Gedenkbuch. Bundesarchiv Koblenz, 2006; Gedenkbuch Berlin der jüdischen Opfer des Nationalsozialismus 1995; Berliner Adressbücher; Akten des Landesentschädigungsamtes Berlin; Arolsen Archives; Berichte. Sterbebücher von Auschwitz, herausgegeben von Staatliches Museum Auschwitz-Birkenau, Walter de Gruyter, 18.10.2011

Recherchen/Text: Micaela Haas