Stolpersteine Herderstr. 5

Hauseingang Herderstr. 5, Foto: A. Bukschat & C. Flegel, 03.10.2012

Hauseingang Herderstr. 5, Foto: A. Bukschat & C. Flegel, 03.10.2012

Diese von Uwe Wollmann (Berlin) gespendeten Stolpersteine wurden am 24.7.2012 verlegt.

Stolperstein Paula Elkan, Foto: A. Bukschat & C. Flegel, 03.10.2012

Stolperstein Paula Elkan, Foto: A. Bukschat & C. Flegel, 03.10.2012

HIER WOHNTE
PAULA ELKAN
GEB. LATO
JG. 1870
DEPORTIERT 10.9.1942
THERESIENSTADT
1944 AUSCHWITZ
ERMORDET 16.5.1944

Paula Elkan , geb. Lato, hieß mit Vornamen eigentlich nicht Paula, sondern Raula, hatte sich aber vermutlich schon früh daran gewöhnen müssen, dass ihr Name in Deutschland – etwa bei Behörden oder im Adressbuch – immer wieder falsch geschrieben wurde. Sie war am 11. Mai 1870 in Warschau geboren. 1895 heiratete sie den Kaufmann Ludwig Elkan, vermutlich kam sie mit ihrem Ehemann nach Berlin. 1896 bekamen sie eine Tochter Klara, 1897 den Sohn Friedrich. 1903 kam ein weiterer Bruder Karl Herbert zur Welt.

Ludwig Elkan hatte eine Gummiwarenfabrik in der Linienstrasse. 1902 zog er in die Herderstrasse 6, sieben Jahre später wechselte er in eine 4-Zimmer-Wohnung in das Nebenhaus, die Nr. 5. Im März 1930 starb er und hinterließ seine Frau Raula und die drei erwachsenen Kinder. Karla, inzwischen verheiratete Epstein, erlag 1935 einer Krankheit. Friedrich hatte Jura studiert und war Syndikus. Er verließ nach 1933 Berlin und emigrierte nach England. Karl Herbert war ein erfolgreicher Musiker und Jazz-Geiger geworden, er wohnte weiterhin in der Herderstrasse 5, vielleicht in einer eigenen Wohnung, und ließ sich im Adressbuch als Charlie Elkan, Kapellmeister, eintragen. Nachdem ihm der Ausschluss aller Juden aus der Reichskulturkammer – die Mitgliedschaft hatte Goebbels vorgeschrieben – die weitere Ausübung seines Berufes unmöglich machte, entschloss auch er sich 1938 zur Flucht. Er wanderte nach Hongkong aus, wurde nach Kriegsbeginn interniert, später im Ghetto Shanghai festgehalten und konnte erst 1947 in die USA weiterreisen. Eine Wiederaufnahme seiner Musikerkarriere gelang ihm nicht mehr.

Raula Elkan blieb in der Herderstrasse zurück und war allen weiteren Einschränkungen und Schikanen für Juden ausgesetzt. Dazu gehörten etwa die Abgabe aller Schmuckstücke im Februar 1939, Ausgangssperren und Beschlagnahme von Radiogeräten im gleichen Jahr, Einschränkung der Lebensmittelversorgung, Kündigung des Telefons, Tragen des Judensterns (ab September 1941), entschädigungslose Ablieferung von Pelzen und allen elektrischen Geräten, und etliches mehr.

Am 9. September 1942 wurde Raula Elkan abgeholt. Die Gestapo beschlagnahmte, was von der einst gediegenen Wohnungseinrichtung übrig war, einschließlich des Flügels, eines Klaviers und weiterer Instrumente ihres Sohnes. Die 72-Jährige wurde in das zum Sammellager umfunktionierte jüdische Altersheim in der Großen Hamburger Strasse 26 gebracht und tags darauf mit weiteren 99 Menschen nach Theresienstadt deportiert. Nach über 1½ Jahren, am 16. Mai 1944, wurde sie, diesmal zusammen mit 2 500 Personen, von Theresienstadt nach Auschwitz verschleppt. Sie gehörten zu den rund 7 500, die im Mai 1944 in drei „Transporten“ aus Theresienstadt weggebracht wurden, weil am 23. Juni eine internationale Kommission angekündigt war und die Wohnungen nicht so beengt aussehen sollten.

Lediglich 34 der am 16. Mai Deportierten überlebten, Raula Elkan gehörte nicht dazu. Ihr Todesdatum ist nicht bekannt.

Quellen:
Gedenkbuch. Bundesarchiv Koblenz, 2006; Akten des Landesentschädigungsamtes Berlin; Berliner Adressbücher, Gottwald/Schulle: Die „Judendeportationen“ aus dem Deutschen Reich 1941-45, Wiesbaden 2005

Stolperstein Samuel Jacoby, Foto: A. Bukschat & C. Flegel, 03.10.2012

Stolperstein Samuel Jacoby, Foto: A. Bukschat & C. Flegel, 03.10.2012

HIER WOHNTE
SAMUEL JACOBY
JG. 1869
DEPORTIERT 18.10.1941
LODZ/LITZMANNSTADT
ERMORDET 9.2.1942

Samuel Jacoby wurde in Obornik (Oborniki, Provinz Posen/Poznan), am 18. Februar 1869 geboren. Unbekannt ist, wann er nach Berlin kam. 1939 wohnte er in der Herderstrasse 5 zur Untermiete bei dem Werkzeugmacher Adolf Schimpf. Seine letzte Adresse war die Barbarossastrasse 14 (nach einer anderen Quelle die 46). Er war Kaufmann, in welcher Sparte, ist nur vermuten. Vielleicht war er der Papier- und Pappenhändler, später Papiergroßhändler, der schon 1898 in der Kaiserstrasse 9 eingetragen war und zuletzt 1938 im Adressbuch auftauchte? Viele jüdische Händler sahen sich nach der Pogromnacht am 9. November 1938 veranlasst oder gezwungen, ihre Geschäfte aufzugeben. Dann hätte Samuel Jacoby mit 29 Jahren bereits sein eigenes Geschäft gegründet, das er 40 Jahre später aufgrund nationalsozialistischer Verfolgung verlor, zog möglicherweise erst dann in Untermiete in die Herderstrasse. Vielleicht hatte er aber auch keinen selbständigen Betrieb und wohnte schon immer zur Untermiete – dann wurde er auch nicht im Adressbuch geführt.

Von seiner letzten Berliner Wohnung in der Barbarossastrasse wurde Samuel Jacoby, der laut einer Gestapo-Liste ledig war, vermutlich Anfang Oktober 1941 in das Sammellager in der ehemaligen Synagoge Levetzowstrasse 7-8 eingewiesen und am 18. Oktober 1941 nach Lodz in das dortige Ghetto verschleppt.

Das Ghetto Lodz wurde 1940 durch die deutschen Besatzer, die die Stadt in Litzmannstadt umbenannten, von der polnischen Industriestadt abgetrennt und mit Stacheldraht umzäunt. Etwa 160 000 Lodzer Juden wurden in die bereits heruntergekommenen und – vor allem im Sanitärbereich – äußerst ärmlich ausgestatteten Häuser gepfercht. Im Oktober 1941 deportierten die Nationalsozialisten dann weitere 20 000 Juden aus dem „Altreich“ in das völlig überfüllte Ghetto. Der erste „Transport“ aus Berlin ging am 18. Oktober von Gleis 17 im Grunewald ab, Samuel Jacoby war Nr. 273 auf der Deportationsliste.

Die Lebensbedingungen im Ghetto waren katastrophal. Keine Heizung, keine Toiletten, keine Betten, weitgehend mussten die Menschen auf Strohsäcken oder dem nackten Boden in Massenunterkünften schlafen, die Ernährung war völlig unzureichend. Hunger, Kälte, Erschöpfung und Krankheiten rafften viele Leute dahin. Für arbeitsfähig Gehaltene mussten Zwangsarbeit hauptsächlich in Munitionsfabriken und Uniformschneidereien leisten. Samuel Jacoby wurde mit seinen 72 Jahren als arbeitsfähig eingestuft, allerdings wurde sein Alter auf der Liste der Gestapo mit 52 angegeben, obwohl das Geburtsdatum korrekt eingetragen war. Eine gute Woche nach seiner Ankunft, am 28.10.41, kam Samuel Jacoby in das „Altersheim“ in der Kreuzstrasse 2a – vielleicht war inzwischen der Fehler erkannt worden. Ob die Lebensbedingungen in dem sogenannten Altersheim etwas besser waren, muss allerdings stark bezweifelt werden. Samuel Jacoby ertrug sie nur knapp 3 ½ Monate: er starb am 9. Februar 1942.

Quellen:
Gedenkbuch Berlins der jüdischen Opfer des Nationalsozialismus, 1995; Statistik des Holocaust; Berliner Adressbücher

Recherchen und Texte: Micaela Haas