Diese Stolpersteine wurden am 19.6.2012 verlegt.
Stolpersteine Brandenburgische Straße 24
Bild: Christian Baer
Fast exemplarisch zeigen ihre Fluchtländer, wie jüdische Familien durch Auswanderung und Flucht in der ganzen Welt herumgewirbelt wurden: Julius Brilling wanderte nach Palästina aus, sein Bruder Max nach Nordamerika. Simon Brilling flüchtete nach Südfrankreich. Die drei Schwestern wanderten alle nach Übersee aus: Salma (verheiratete Ruben) nach Australien, Erna (verheiratete Grimming) nach Shanghai und Ruth (verheiratete Bär) nach Chile.
Die Eltern fühlten sich offenbar zu alt für ein neues Leben weit weg von Deutschland. Max Brilling – er war gelernter Kaufmann – war stolz auf das Erreichte. Selbstbewusst und mit schwungvoller Schrift gab er in der Vermögenserklärung die Höhe der Monatsmiete an: 150 RM, was für damalige Verhältnisse tatsächlich durchaus stattlich war. Ebenso stolz zählte er die Wohnungs-Einrichtung auf, angefangen von „ 3 Kleiderschränken“ über „3 Ölgemälde“ bis hin zu „20 Kochtöpfen und 10 Krawatten“. Auf viele Tausend Reichsmark schätzte er den Wert seines Inventars.
Dabei stand das schwer Erarbeitete längst auf tönernen Füßen. Den Beruf des Kaufmanns durfte Max Brilling schon lange nicht mehr ausüben. Immer neue antijüdische Verordnungen hatten seinen Wirkungskreis eingeengt. Geschäftsbeziehungen in Halle an der Saale, wo die Brillings in der Landsberger Straße 65 vor ihrer Berliner Zeit gewohnt hatten, mussten abgebrochen werden. Um die Belastung der hohen Miete abzumildern – vielleicht auch um jüdischen Schicksalsgenossen beizustehen – untervermieteten Brillings drei Zimmer an Bekannte: Max Rosengold, das Ehepaar Simon und Helene Baer sowie an Louis Wolfsohn. Über das Schicksal dieser Untermieter nach der Deportation von Max und Anna Brilling ist wenig bekannt. Zunächst konnten sie offenbar noch einige Monate in der Wohnung bleiben. Am 2. Juli 1943 heißt es dann in einem Aktenvermerk der Oberfinanzdirektion Berlin-Brandenburg: „Untermieter sind erst jetzt entfernt.“ Im Gedenkbuch des Bundesarchivs für die Opfer der nationalsozialistischen Judenverfolgung in Deutschland wird ein Max Rosengold, Jahrgang 1882, mit der Rubrik Todesort/Datum geführt: „10. Juni 1942 – Berlin-Alexanderplatz, Polizeigefängnis“. Ob es sich dabei um den Untermieter aus der Brandenburgischen Straße 24 handelt, ist nicht verifizierbar.
Max und Anna Brilling mussten ihre Wohnung im August 1942 verlassen. Sie wurden in das Jüdische Altersheim in der Großen Hamburger Straße 26 gebracht, das zugleich als Sammellager für Deportationen diente. Am 25. August 42 stellte ihnen dort der Obergerichtsvollzieher Fleischer per Zustellungsurkunde eine Verfügung der Gestapo zu, nach der ihr gesamtes Vermögen „zugunsten des Deutschen Reiches“ einzuziehen sei. Einen Tag später mussten sie zusammen mit 98 Schicksalsgefährten in den Deportationszug nach Theresienstadt steigen, der die Transportbezeichnung „I/52“ hatte.
Das Ghetto von Theresienstadt war kein „Altersghetto“, wie es manchmal verharmlosend heißt. Hier wurde massenhaft gehungert und gestorben. Für mehr als 87 000 seiner über die Jahre insgesamt 140 886 Insassen war Theresienstadt eine Zwischenstation auf dem Weg in die Vernichtung. Die Schriftstellerin Ruth Klüger sprach von einem „Stall vor dem Schlachthaus“. Auch für Max und Anna Brilling war Theresienstadt nicht Endstation. Sie wurden nach Auschwitz weiter deportiert, vermutlich im Mai 1944. Beide wurden dort am 16. Mai 1944 ermordet.
In Berlin ging die Arbeit der Schreibtischtäter weiter. Noch bis Ende 1944 – fast zwei Jahre nach der Deportation – stritten sich Behörden, Banken und Vermieter um die materielle Ausbeutung der Brillings. Sogar der Gerichtsvollzieher, dem „in Sachen Jude Brilling“ die abschließende Inventar-Schätzung oblag, durfte eine Gebührenrechnung über „34,60 RM“ stellen. Die gesamte Wohnungseinrichtung, auf die Max und Anna Brilling so stolz gewesen waren, kaufte ein Händler zum „Händlereinkaufspreis von 1101,80 RM“.
Recherche und Text: Sönke Petersen
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