Stolpersteine Trautenaustr. 6

Hauseingang Trautenaustr. 6, 10.06.2012

Hauseingang Trautenaustr. 6, 10.06.2012

Die Stolpersteine vor diesem Neubau – die Adresse des einst hier stehenden Wohnhauses war Nikolsburger Platz 3 – wurden am 29.04.2012 verlegt.

Stolperstein Erna Solmsen, 10.06.2012

Stolperstein Erna Solmsen, 10.06.2012

HIER WOHNTE
ERNA SOLMSEN
GEB. LANDAUER
JG. 1890
DEPORTIERT 28.3.1942
PIASKI
ERMORDET

Erna Solmsen, als Erna Landauer am 17. Oktober 1890 in Stuttgart geboren, ist am 28. März 1942 vom Güterbahnhof Berlin-Moabit in einem Viehwagen in die Provinzstadt Piaski nach Ostpolen verfrachtet worden. Der mit 985 Menschen vollgestopfte Zug, der als „11. Osttransport“ oder „Welle XI“ bezeichnet wurde, kam zwei Tage später in Trawniki an, von hier wurden die Insassen zwölf Kilometer über die Landstraße in das Transit-Ghetto Piaski getrieben. Was danach geschah, ist nicht genau bekannt, jedoch wird Erna Solmsen das gleiche Schicksal erlitten haben wie die meisten aus diesem Transport des Grauens: Nach einiger Zeit wurden sie aus Piaski in die Vernichtungsstätte Belzek gebracht und dort ermordet.
Die verwitwete, alleinstehende Erna Solmsen hat am Nikolsburger Platz 3 in Wilmersdorf zur Untermiete bei Philip gewohnt, wo auch der von seiner Frau Vally getrennt lebende Abraham Adolf Löwenberg sowie Elise Hahn, geboren am 7. Februar 1872, Zimmer hatten. Beide wurden ebenfalls deportiert und ermordet. Alle drei waren kurzfristig vor ihren Deportationen ausgezogen, Erna Solmsen in die Suarezstraße 35 nach Charlottenburg, wo sie für 170 Reichsmark ein unmöbliertes Zimmer bei Hulda Lewin mietete.
In ihrer mit Schreibmaschine ausgefüllten ausführlichen Vermögenserklärung vom 15.3.1942 (archiviert im Brandenburgischen Landeshauptarchiv Potsdam), die sie wie alle Juden abgeben musste, sind zahlreiche Daten enthalten, die Rückschlüsse auf ihre Lebensumstände zulassen. So sind in der Rubrik „Ausgewanderte Familienangehörige“ zwei Söhne, allerdings ohne Vornamen und Geburtsdaten, eingetragen, die nach Palästina und nach Schanghai flüchten konnten.
Erna Solmsen muss eine wohlhabende Frau gewesen sein. Ihr Vermögen, das aus Bankguthaben und Wertpapieren bestand, wurde von den Finanzbehörden auf knapp 200 000 Reichsmark (RM) taxiert. Früher hatte sie ein Grundstück in Erkner bei Berlin an der Uferstraße 40 besessen, das sie am 7. Juli 1941, vermutlich unter Druck, an Theodor und Ida Simos aus der Wilsnacker Straße verkaufen musste. Der Beruf von Theodor Simos wird mit „Zwischenmeister“ angegeben, er war also ein Hersteller von Modekollektionen. Der Erlös von 16 700 RM wurde bei dem Notar Willy Tormann an der Kaiserallee 22 hinterlegt und sollte auf ihr – schon damals nur eingeschränkt verfügbares – Konto überwiesen werden, was aber nie geschah. Schon am 12.3.1942 hatte sie unter Zwang unterschrieben, dass „mein gesamtes Vermögen und das meiner Familienangehörigen als beschlagnahmt gilt“, wie der ihr zugeteilte „Generalbevollmächtige“ Richard Marcuse aus der Kleiststraße 13 schriftlich festhielt.
Auch im Finanzamt Charlottenburg waren zahlreiche Stellen mit dem Vermögen von Erna Solmsen befasst, an dem sich der Nazi-Staat bereicherte. Am 7.7.1942, als sie längst im Ghetto Piaski eingesperrt oder schon tot war, notierte Regierungsrat Dr. Rau: „Die vorgenannte Jüdin ist am 28. März 1942 abgeschoben … Ich mache … die Reichsfluchtsteuer in Höhe von 44 715 RM“, die „am 28.3.1942 fällig geworden“ sei, „und die verwirkten Zuschläge geltend.“
Der als „Generalbevollmächtiger“ auftretende Richard Marcuse, der sich mit einem Stempel als „Konsulent, zugelassen nur zur rechtlichen Beratung und Vertretung von Juden“ auswies, meldete dem Finanzamt Wertpapiere zum Kurs von rund 11 000 RM und 2 100 RM Bargeld. Gleichzeitig erhob er für diese Vermögensanzeige „nach der Landesgebührenordnung“ einschl. Porto und Umsatzsteuer den Betrag von 24,75 RM. Marcuse, der selbst Jude war und vielfach im Zusammenhang mit Vermögensangelegenheiten Deportierter in Akten genannt ist, wurde im Oktober 1942 ins Ghetto Theresienstadt deportiert und 1944 umgebracht.
Erhalten sind außerdem zwei unbezahlte Rechnungen in Höhe von 30 RM und 58 RM, die für ärztliche Behandlungen Erna Solmsens ausgestellt waren und dem Finanzamt zur nachträglichen Begleichung zugeschickt wurden. Die Möbel und Haushaltsgegenstände sind am 18. Juni 1942 an den Einzelhändler Otto Lüttgemann „übergeben worden“, der dafür 971,60 RM quittierte. Wie an zahlreiche ähnlichen Fällen ist auch hier zu erkennen, wie viele Personen in die planmäßige Ausraubung der Jüdin Erna Solmsen einbezogen waren.

Stolperstein Elise Hahn, 10.06.2012

Stolperstein Elise Hahn, 10.06.2012

HIER WOHNTE
ELISE HAHN
GEB. SALOMON
JG. 1873
DEPORTIERT 25.8.1942
THERESIENSTADT
ERMORDET 12.7.1943

Elise Hahn wurde als Tochter von Hermann Salomon und Johanna, geb. Tietzner, am 7. Februar 1873 in Berlin geboren. Sie hatte zwei Geschwister, den Bruder Ernst und die Schwester Ella.
Ihr Ehemann war Justizrat Rudolf Hahn (geb. am 25. September 1860, gest. am 10. September 1932), mit dem sie drei Töchter hatte, die alle in Berlin geboren wurden: Edith, geb. am 23. Januar 1895, Gertrud, geb. am 22. August 1897 und Ilse, geb. am 3. Juli 1902. Die beiden jüngeren Töchter starben in Israel. Die älteste Tochter Edith war Religionslehrerin und heiratete 1920 den bekannten jüdischen Religionsphilosophen Franz Rosenzweig. Dieser starb bereits 1929. 1939 emigrierte sie auf dem letzten Schiff mit jüdischen Emigranten nach Palästina. Edith Rosenzweig heiratete 1941 Max Scheinmann in Palästina. Sie starb 1979 in Israel.

Bis 1939 wohnte Elise Hahn vermutlich in Lichterfelde, Luisenstraße 86. Es ist anzunehmen, dass sie, nachdem ihre Kinder geflohen waren, in die Pension am Nikolsburger Platz 3 (heute Trautenaustr, 6) umzog, denn 1940 ist sie im Adressbuch nicht mehr zu finden.

Hedwig Ems, geb. Frank, (geb. 10.Januar 1869 in Halle) erinnert sich an Elise Hahn, mit der sie zeitweilig in Berlin die Unterkunft geteilt hat. Sie selbst wurde am 23. Oktober 1942 in das zur „Sammelstelle“ umfunktionierte jüdische Altersheim in der Großen Hamburger Straße verbracht und am 28.10.1942 vom Anhalter Bahnhof aus nach Theresienstadt deportiert, wo sie auch Elise Hahn wiedertraf. Hedwig Ems blieb nach der „Befreiung“ von Theresienstadt am 7./.8. Mai 1945 noch bis zum 17. August 1945 – als die Tschechen die vollständige Räumung des Ghettos anordneten – in Theresienstadt. Mit anderen Überlebenden fuhr sie zurück nach Berlin und lebte dort bis zu ihrem Tod am 5.6.1958.
Aus den Erinnerungen von Hedwig Ems, geb. Frank [Rechtschreibung angepasst]:

Elise Hahn

Elise Hahn

“…Im Juli 1939 wurde meinen Pensionsinhabern mitgeteilt, dass sie die zwei Wohnungen sofort räumen müssten, weil Abteilungen der Nazi da untergebracht werden sollten. Mit vieler Mühe wurde eine andere Wohnung gefunden. Kaum waren wir einen Monat darin, als sich genau dasselbe abspielte und wir wieder umziehen mussten. Dann hatten wir allerdings ein Jahr Ruhe, danach war es dasselbe. Vorher war schon verlangt worden, dass einzeln wohnende Menschen, wenn die Größe des Raumes es gestattete, es war ein Mindestmaß dafür bestimmt, eine zweite Person bei sich aufnehmen müssten, und so bekam ich Frau Elise Hahn (Schwiegermutter von Frau Rosenzweig) in mein Zimmer; eine feine, gebildete Dame, aber sehr nervös. Wir kamen aber gut miteinander aus, waren recht befreundet, und als wir wieder aus der Wohnung hinaus mussten, und Cohns keine große Wohnung fanden, um alle Pensionäre mitzunehmen, entschlossen Frau Hahn und ich uns, zusammen ein Zimmer zu suchen und uns allein zu beköstigen.
Nach vieler Mühe hatten wir bei einer netten jüdischen Familie ein Zimmer mit Küchen-benutzung gefunden, das Zimmer reinigen lassen, sogar einen Kammerjäger dagehabt, Verdunklung anbringen lassen und was sonst noch dazu gehörte, als am Vormittag vor dem Tage, an dem wir umziehen wollten, uns mitgeteilt wurde, dass der Besitzer des Hauses keine Juden mehr in seinem Haus haben wollte. Obgleich ich mich gleich an Hans Gumpert [während des Nationalsozialismus »jüdischer Konsulent«; eigentlich Rechtsanwalt und Notar] wandte, konnte er auch nichts ausrichten, ebenso wenig wie die jüdische Gemeinde, die uns das Zimmer zugewiesen hatte, weil der Besitzer mit »Speer« in Verbindung stand und deshalb nichts zu machen war. Frau Hahn lag mit einer Nierenbeckenentzündung zu Bett. Ich musste dann den Tag herumlaufen und alles abbestellen, Möbelwagen, Tapezierer usw. Es war furchtbar. Es schreibt sich alles so einfach, aber es war es nicht. Aus unserem Zimmer mussten wir hinaus; weshalb, weiß ich selber nicht mehr, und wir wussten nicht wohin. Ein jeder, an den wir uns wandten, hatte Angst, uns aufzunehmen, und wir gingen ernsthaft mit dem Gedanken um, uns das Leben zu nehmen, als uns durch einen Verwandten von Frau Hahn noch zu guter Letzt eine Wohnung, resp. ein Zimmer genannt wurde, das wir mieten konnten, und dann, im Februar 1942, bei grimmiger Kälte, einzogen. Dabei erkältete sich Frau Hahn von Neuem, so dass sie sich gleich zu Bett legen musste. Unsere Wirte waren sehr wenig entgegenkommend. Zum Schluss war ich sogar mit ihnen befreundet, aber erst nachdem ich in einer sehr heftigen Auseinandersetzung Herrn Dr. meine Meinung gesagt und sein Benehmen »unmenschlich« genannt hatte. Er verlangte, daß ich das zurücknehme, was ich aber nicht getan habe. Es waren aber trotzdem sehr feine, gebildete Menschen, mit denen ich außerordentlich gut stand, besonders nachdem ich allein war. Kaum waren wir eingezogen, als Frau Hahn registriert wurde. Das war der Anfang von der Evakuierung. Da aber die Akten wohl verlegt waren, so hatte sich ihre Evakuierung bis zum August hingezogen. Da unsere Wirtin uns nur ungern in ihrer Küche sah, so haben wir, des lieben Friedens willen, mittags in einer Volksküche gegessen, und ich habe Frau Hahn das Essen mitgebracht, solange sie krank war. Da zu Hause aber die Pflege für mich zu anstrengend war – ich musste nachts so und so oft aufstehen – kam Frau Hahn dann in eine Klinik. Bei jedem Klingelzeichen erschreckte man und zitterte, denn immer fürchtete man die Gestapo oder jemand, der registrierte. Die Angst war, sowohl die letzte Zeit in Berlin als auch die ganze Zeit in Theresienstadt, die ständige Begleiterin, die uns nicht einen Moment verließ. Ich war noch verschont geblieben. In den ersten Tagen des August bekam dann Frau Hahn die Mitteilung, daß sie in den nächsten Tagen abgeholt würde, Ich blieb allein zurück.
Eines Tages wurde auch ich registriert, aber da ich darauf vorbereitet war, regte es mich gar nicht auf. Ich wusste also, daß ich in der nächsten Zeit auch damit rechnen konnte, fortzukommen. Obgleich ich doch darauf vorbereitet war, bekam ich einen solchen Schreck, als ich eines Tages nach Hause kam und die Mitteilung vorfand, daß ich am 22. Oktober abgeholt werden würde, dass ich furchtbar zu zittern anfing. Darüber ärgere ich mich heute noch. Eine Dame (Christin), die mit uns auf derselben Etage wohnte, war hoch anständig zu mir und stellte mir ihr Telefon zur Verfügung (wir hatten doch längst keins mehr). Wir hatten einen Fahrer, der in Berlin nicht Bescheid wusste, und so kamen wir dreimal wieder an unserem Haus vorbei und erst am Abend, wo man uns schon seit Stunden erwartet hatte, in der Großen Hamburger Straße an, dem ehemaligen Altersheim, das jetzt ein Sammelplatz für die Menschen war, die nach Theresienstadt evakuiert werden sollten.
Am Nachmittag des ersten Tages meines Dortseins kamen Frau Hahn und Paula Wertheim zu mir, die erfahren hatten, daß ich angekommen war. Ich erkundigte mich dann bei Frau Hahn nach Frau Wahrenberg und hörte, daß diese bereits mit einem Transport wieder von Theresienstadt fortgekommen sei. Ich traute meinen Ohren nicht, denn das hatte ich doch nicht geahnt, daß man von dort noch weiter verschickt werden könnte.”

Elise Hahn wurde am 25. August 1942 mit dem sog. „49. Alterstransport“ mit 99 weiteren Menschen nach Theresienstadt deportiert und dort am 12.7.1943 ermordet.

Abschrift Hedwig Ems, geb. Frank

Recherche und Text: Marianne Wintgen

Quellen: Erinnerungen von Hedwig Ems, https://collections.ushmm.org/search/catalog/irn39107
Deutsche Biographie: >https://www.deutsche-biographie.de/sfz108287.html
geni.com >https://www.geni.com/people/Edith-Rosenzweig-Hahn/6000000010584634320
>https://www.geni.com/people/Rudolf-Hahn/6000000051172640322
>https://www.geni.com/people/Elise-Hahn/6000000051173451825

Weiterführender link:
https://archive.org/details/TheresienstadtDerFührerSchenktDenJudenEineStadtFilm

Stolperstein Abraham Adolf Löwenberg, 10.06.2012

Stolperstein Abraham Adolf Löwenberg, 10.06.2012

HIER WOHNTE
ABRAHAM ADOLF
LÖWENBERG
JG. 1869
DEPORTIERT 5.8.1942
THERESIENSTADT
ERMORDET 30.12.1942

Abraham Adolf Löwenberg
Abraham Adolf Löwenberg, geboren am 3. November 1869 in Bad Rehburg (Niedersachsen), wohnte mit seiner Frau Vally, geb. Friedlaender, geboren am 27. Mai 1982 in Kolmar (bei Posen), bis nach 1940 am Nikolsburger Platz 3. Das Ehepaar hatte sich schon 1936 getrennt, die Klavierlehrerin Vally Löwenberg zog in die Salzburger Straße 8 um.
Über Abraham Adolf Löwenberg sind keine Unterlagen mehr auffindbar. Nur aus den spärlichen Vermerken seiner Frau lässt sich rekonstruieren, dass die beiden „dauernd getrennt“ lebten und zwei Kinder hatten: Hans, geboren am 13. April 1907, der nach Palästina geflüchtet war, und Alice, geboren am 7. September 1911, die 1941 in Zürich, Dolder Straße 10, gemeldet war. In einer Vermögenserklärung vom 26.10.1941 hat Vally Löwenberg kurz vor ihrer Deportation vermerkt, dass sich ihr Vermögen und ihre Wertpapiere „in Verwaltung des Ehemannes“ befänden und dass sie Anspruch auf Unterhalt habe.
Abraham Adolf Löwenberg ist vermutlich 1941 oder 1942 kurzfristig – die Gründe sind nicht mehr erklärbar – in die Landshuter Straße 4 umgezogen, von wo aus er am 5. August 1942 in einem Personenwagen zusammen mit 100 Menschen vom Bahnhof Grunewald ins Ghetto Theresienstadt deportiert wurde. Dort ist er am 30. Dezember 1942 umgebracht worden.
Vally Löwenberg wurde am 1. November 1941 ins Ghetto nach Lodz/Litzmannstadt und am 9. Mai 1942 ins Vernichtungslager Kulmhof gebracht, wo sie ermordet worden ist.

Stolperstein Friedrich Raphael, 10.06.2012

Stolperstein Friedrich Raphael, 10.06.2012

HIER WOHNTE
FRIEDRICH RAPHAEL
JG. 1919
DEPORTIERT 17.5.1943
ERMORDET IN
AUSCHWITZ

Friedrich Hermann Raphael wurde am 6. Dezember 1919 als Sohn des 38-jährigen Paul Raphael (geboren 18. März 1881) und der 21-jährigen Herta Raphael, geborene Schweitzer (geboren 25. Febraur 1898), in Berlin geboren. Seine Eltern stammten beide aus Kreutzburg in Oberschlesien (heute Kluczbork in Polen). Dort hatten sie am 19. Januar 1919 auch geheiratet. Paul Raphael hatte an der Universität in Kiel Pharmazie studiert und arbeitete zu der Zeit als Direktor in einem chemischen Laboratorium in Berlin in der Uhlandstraße 76.

Seine Kindheit verlebte Friedrich, den sie Fritz und später Freddy nannten, hauptsächlich in der Uhlandstraße 36 in Berlin-Wilmersdorf, wo die Familie wohnte und teilweise auch arbeitete. Sein Vater entwickelte Anfang der 1920er-Jahre das klinisch erprobte Mittel Emulgenol gegen Keuchhusten und gründete 1928 die Firma Chemisches Laboratorium Paul Raphael Chemie und Drogeriewaren (Industrie).

1933 zogen die Familie und die Firma in eine große luxuriöse Parterre-Wohnung in der Luitpoldstraße 39 in Berlin-Schöneberg. Friedrich, der damals 13 Jahre alt war, wurde durch die Nationalsozialisten zunehmend ausgegrenzt.

Mit 15 Jahren, 1935, lernte er seine spätere Frau Eva Levy kennen und lieben. Er lud sie auf sein Segelboot am Wannsee ein. Zu diesem Zeitpunkt besuchte die 12-jährige Eva noch die Cecilienschule zu Berlin-Wilmersdorf, eine höhere Mädchenschule am Nikolsburger Platz 5.

Eva lebte mit ihrer Familie in einer 14-Zimmer-Wohnung am Nikolsburger Platz 3, heute Trautenaustraße 6. In diesem Haus war sie am 28. Dezember 1922 geboren worden und wohlbehütet aufgewachsen. Ihr Vater Albert Louis Levy war ein erfolgreicher, wohlhabender Kaufmann und betrieb in der Schöneberger Straße 25 die Firma P. Kosterlitz & Co, ein Kolonialwarenhaus engros. Ihre Mutter Elisabeth Hedwig Levy, geborene Moses, war 19 Jahre jünger als ihr Vater. Er hatte sie ein Jahr nach dem plötzlichen Tod seiner ersten Ehefrau 1921 geheiratet, damit auch seine drei Kinder aus erster Ehe versorgt waren. Am 15. Januar 1924 bekam Elisabeth ein zweites Kind, den Sohn Stefan.

Evas älterer Halbbruder Gerhard wanderte 1935 mit seiner Ehefrau nach Palästina aus. Für ihren Vater Albert Louis kam eine Auswanderung nicht in Frage. Er fühlte sich zu alt für einen Neuanfang in einem fremden Land. Außerdem sprach er nur Deutsch und keine Fremdsprache.

Anfang 1938, einen Tag nach dem Entzug seines Geschäftes durch die Nationalsozialisten, starb Evas Vater mit 55 Jahren an einem Herzinfarkt. Ihre älteste Halbschwester Käthe wanderte kurze Zeit später auf der St. Louis nach Argentinien aus. Im November 1938 wurde durch einen Erlass jüdischen Schülerinnen und Schüler der Besuch von öffentlichen Schulen untersagt. Ihr Bruder Stefan wurde daraufhin auf ein Internat nach Schweden geschickt. Von hier aus flüchtete er später nach Palästina.

Friedrich und Eva verlobten sich Ende 1938 nach der Reichspogromnacht und heirateten am 9. Februar 1939. Friedrichs Eltern und Evas Mutter mussten dieser Ehe zustimmen, da damals die Volljährigkeit erst mit 21 Jahren eintrat. Sie feierten eine große traditionelle jüdische Hochzeit in der Wohnung am Nikolsburger Platz 3 und gründeten hier auch ihren ersten eigenen Haushalt. Getraut wurden sie von einem mit Friedrich verwandten Rabbi. Bei der Minderheitenzählung am 17. Mai 1939 waren sie noch hier gemeldet, hatten aber schon die Kündigung der Wohnung in der Tasche. Kurz darauf zogen sie zu Friedrichs Eltern in die Luitpoldstraße 39 in Berlin-Schöneberg.

Friedrichs Vater starb am 2. August 1939 mit 58 Jahren an einem Schlaganfall. 1941 wurde seine Firma im Handelsregister gelöscht. Seine Mutter Hertha wurde mit 41 Jahren Witwe.

Kurz vor dem II. Weltkrieg, am 14. August 1939, gelang Evas Halbschwester Lotte noch die Ausreise nach Palästina.

Friedrich und Eva wurden am 11. Juli 1940 Eltern einer gesunden Tochter. Es waren nur noch wenige Namen für jüdische Kinder erlaubt. Der Name Reha gehörte dazu, deshalb entschieden sich die beiden für diesen Namen.

Im Spätsommer 1941 zog Friedrichs 67-jährige Großmutter Paula Schweitzer ebenfalls in die Luipoldstraße 39. Sie wurde 1942 als erste der Familie deportiert. Mit dem 3. Großen Alterstransport am 3. Oktober 1942 transportierte die Gestapo sie in das Ghetto Theresienstadt. Aufgrund der unmenschlichen Verhältnisse im Ghetto starb sie dort am 4. Februar 1943.

Ab 1941 mussten Friedrich und Eva Zwangsarbeit bei der Firma Siemens leisten. Reha kam in eine Kindertagesstätte. Ab September 1941 war das gut sichtbare Tragen des gelben Sterns verpflichtend. So waren Juden und Jüdinnen für die damals beginnenden planmäßigen Deportationen in den Osten für die Nationalsozialisten gekennzeichnet. Es gab Gerüchte, dass junge Familien mit Kindern zuerst in Arbeitslager deportiert werden sollten. Um dieser Maßnahme zu entgehen, mussten Friedrich und Eva ihr Kind anderweitig unterbringen. Margret, eine Arbeitskollegin von Evas Mutter im Jüdischen Krankenhaus, bot an, Reha bei Freunden, die selbst viele Kinder hatten, in Ostpreußen auf dem Land zu verstecken.

Friedrichs Mutter Herta war der Überzeugung, dass, wenn das Kind nicht bei ihnen sei, alle erschossen würden. Als Eva diese Spannungen nicht mehr aushielt, wollte sie die Scheidung von Friedrich, der schließlich einwilligte.

Eva zog nach der Scheidung mit Reha zur Untermiete bei der jüdischen Familie Förder in der Münchener Straße 23 in Berlin-Schöneberg ein. Von Arbeitskollegen wurde sie angesprochen, ob sie Widerstand gegen die Nationalsozialisten leisten würde. Um ihr Kind nicht in Gefahr zu bringen, entschied sie sich, Margrets Angebot anzunehmen. Sie übergab Reha in einer Nacht-und-Nebel-Aktion 1941 an Margret auf dem Bahnhof Zoo.

Ehepaar Raphael - Trautenaustr 6

Ende 1941 nahm Eva an einem Training für den Widerstand in Straßburg teil. Bei ihrem ersten Einsatz an der Schweizer Grenze wurde sie festgenommen und kam in Haft. Da ihr nichts nachgewiesen werden konnte, wurde sie schließlich entlassen.

Die Gestapo deportierte Eva mit ihrer Mutter Elisabeth am 19. April 1943 mit dem 39. Osttransport nach Auschwitz-Birkenau. Bei der Selektion auf der Rampe wurden beide für den Arbeitsdienst eingeteilt.

Friedrichs Mutter Herta war schon am 1. März 1943 nach Auschwitz deportiert und ebenfalls für den Arbeitsdienst eingeteilt worden. Im Lager wurde erzählt, dass kurze Zeit später ein SS-Wärter seinen Hund auf sie losgelassen habe, der sie tot gebissen habe. Herta Raphael, geborene Schweitzer, starb mit 45 Jahren.

Friedrich leistete 1943 noch Zwangsarbeit als Tischler in der Möbelfabrik Theodor Rothe in der Zeughofstraße 3 in Berlin-Kreuzberg. In der Vermögenserklärung, die er am 4. April 1943 ausfüllte, gab er an, dass seine Tochter in die Schweiz ausgewandert sei. Seine Deportation verzögerte sich bis zum 17. Mai 1943. Grund dafür könnte die Herbeischaffung seiner versteckten Tochter gewesen sein. Reha wurde schließlich von ihrer letzten Wohnanschrift in der Münchener Straße 23 mit ihrem Vater Friedrich zusammen nach Auschwitz deportiert.

Auch Friedrich wurde für den Arbeitseinsatz eingeteilt. Für die fast 3-jährige Reha gab es keine Rettung. Sie wurde in der Gaskammer ermordet. Friedrich und Eva trafen sich im Lager noch mindestens einmal. Das letzte verabredete Treffen zwischen Eva und Friedrich fand nicht mehr statt, da Friedrich am Tag zuvor ebenfalls in der Gaskammer ermordet worden war. Friedrich Raphael starb mit 24 Jahren kurz nach dem Tod seiner Tochter Reha, die nicht einmal 3 Jahre alt wurde.

Eva und ihre Mutter Elisabeth überlebten Auschwitz und den Todesmarsch Anfang 1945. Bei ihrer Rückkehr nach Berlin fanden sie am Nikolsburger Platz 3 nur noch die Trümmer des bombardierten Hauses vor.

Nach dem Krieg wanderte Evas Mutter Elisabeth zu ihrem Sohn Stefan nach Palästina aus. Eva heiratete 1947 den britischen Offizier Ross Brewster. Sie zogen 1970 nach Kanada. Dort schrieb Eva Brewster ihre schrecklichen Erlebnisse im Holocaust auf und veröffentlichte 1984 das Buch „Vanished in the darkness – An Auschwitz Memoir“. 1999 gab sie der USC Shoa Foundation ein ca. vierstündiges Interview.

Text und Recherche: Gundula Meiering, September 2024

Quellen: Gedenkbuch – Opfer der Verfolgung der Juden unter der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft in Deutschland 1933 – 1945; Berliner Adressbücher – Zentral- und Landesbibliothek Berlin; Arolsen Archives – Deportationslisten; Mapping the lives; Landesarchiv Berlin, Personenstandsunterlagen/über ancestry; Brandenburgisches Landeshauptarchiv (BLHA) Potsdam Signatur: 36A (II) 30521 – Vermögenserklärung; Landesarchiv Berlin – WGA-Datenbank; USC Shoah Foundation, Interview mit Eva Brewster geborene Levy, verwitwete Raphael vom 15.7.1999
Akim Jah: Die Deportationen der Juden aus Berlin – Die nationalsozialistische Vernichtungspolitik und das Sammellager Große Hamburger Straße, Berlin 2013,
Foto: https://de.findagrave.com/memorial/260832654/freddy-raphael
Foto Reha: Yad Vashem Opferdatenbank