HIER WOHNTE
MINNA NEUBURGER
GEB. HARTMANN
JG. 1876
DEPORTIERT 14.1.1943
THERESIENSTADT
ERMORDET 31.3.1943
Minna Neuburger wurde am 4. Juli 1876 in Nürnberg als eines von mehreren Kindern der jüdischen Familie Hartmann geboren. Die Familie lebte, wie aus verschiedenen Umständen zu schließen ist, wohl schon seit Generationen in Deutschland, war zu Wohlstand und Ansehen gelangt, fühlte sich deutsch und gehörte zur bildungsorientierten sowie assimilationsbereiten Gruppe jüdischer Bürger.
Minna Neuburger heiratete 1901 ihren Ehemann Albert Neuburger in Berlin, ließ sich mit ihm in der Französischen Friedrichstadtkirche taufen und verließen auch förmlich die jüdische Gemeinde. Die Gründe dafür sind nicht dokumentiert. Wie bei vielen anderen dürfte der Wunsch nach gänzlicher Assimilation und die Verhinderung von Diskriminierungen eine Rolle gespielt haben, denen Juden trotz ihres bildungs- und einkommensbürgerlichen Status weiterhin ausgesetzt waren.
Minna Neuburgers Mann Albert war ein überaus erfolgreicher Wissenschaftsjournalist und Buchautor. Ihre Rolle war, der Zeit entsprechend, die einer klassischen Hausfrau des gehobenen Bürgertums, die den Haushalt und die Angestellten zu dirigieren und neben ihrem Mann die gesellschaftlichen Verpflichtungen wahrzunehmen hatte. Doch Minna Neuburger war mehr als nur Hausfrau. Sie unterstützte ihren Mann, wie aus Widmungen in seinen Büchern hervorgeht, in seiner publizistischen Tätigkeit. Vor allem aber hat sie, eher ungewöhnlich für diese Zeit, im Jahre 1910 im Ullstein-Verlag selber ein Buch mit dem Titel „Ich kann wirtschaften“ herausgegeben, das zu der in hohen Auflagen verkauften Reihe der „Ich kann…“ Bücher gehörte. Ihr Buch handelt in Beiträgen einer Vielzahl von Verfassern nicht nur alle praktischen Fragen der Hauswirtschaft und Wohnungseinrichtung sowie des Umgangs in der Gesellschaft und mit Hausangestellten ab, sondern es enthält auch eine
Darstellung der rechtlichen Stellung der Frau nach dem noch relativ neuen Bürgerlichen Gesetzbuch. Die nicht rückwärtsgewandte, sondern durchaus fortschrittliche Sicht auf die Rolle und Rechte der Frau in Familie und Gesellschaft macht das Buch zum unverändert lesenswerten Zeitdokument, indem es nicht nur Spiegel der damaligen Verhältnisse ist, sondern auch auf herrschende Missstände aufmerksam macht.
Minna Neuburger und ihr Mann Albert werden die Machtergreifung der Nationalsozialisten 1933 gewiss als Bedrohung erlebt haben, doch hielten sie sich aufgrund ihrer gesellschaftlichen Stellung und ihres Alters vermutlich nicht für unmittelbar gefährdet, konnten sich mit Sicherheit auch nicht vorstellen, was noch kommen würde. Über Versuche zur Emigration ist nichts bekannt, obwohl man sah, was im familiären und nachbarschaftlichen Umfeld geschah. Es ist möglich, dass Albert Neuburger von den Bücherverbrennungen um den 10. Mai 1933 betroffen war; zwar sind seine Werke nicht auf den offiziellen Listen aufgeführt, aber überall wurden die Bibliotheken durchforstet und die Bücher bekannter Juden aussortiert. Jedenfalls wurde seine Tätigkeit für den Ullstein-Verlag schon Mitte 1933 beendet, denn der Verlag hatte sich schnell von seinen jüdischen Mitarbeitern zu trennen (Schriftleitergesetz). Diese beruflichen Veränderungen, die von unmittelbarer Auswirkung auch für Minna
Neuburger waren, mögen der Grund für einen Umzug des Ehepaares aus ihrer Wohnung in der Neuen Winterfeldstraße in die Jenaer Straße 7 sein, die ihre letzte frei gewählte Wohnstätte werden sollte.
Die Eheleute Neuburger waren allen Repressionen und Diskriminierungen, die jüdische Bürger in den Jahren insbesondere aufgrund der Nürnberger Gesetze und im Gefolge der sog. „Reichskristallnacht“ erfahren haben, ausgesetzt. Sie waren direkt von der „Judenvermögensabgabe“ betroffen; so hatte auch Minna Neuburger bis zum 15. August 1939 einen Betrag von 5000 RM an das Wilmersdorfer Finanzamt zu zahlen, der wenig später noch um 5 Prozent erhöht wurde. Wie alle anderen Juden mussten sie ihre Wertgegenstände und den Schmuck abgeben; als wohlhabende Menschen werden sie viel verloren haben, aber wie hoch der Wert genau war, ist nicht bekannt. Obwohl einige ihrer nahen Familienmitglieder und Freunde die Emigration wagten, scheint das Ehepaar Neuburger diese Möglichkeit („aus unbegreiflichem Optimismus“, wie ein Schwager später sagte) nie in Betracht gezogen zu haben.
Im Zuge der immer schärferen Verfolgung der Juden wurden die Neuburgers im Mai 1941 in eine kleine Wohnung in der Agricolastraße 1 zur Untermiete zwangsumgesiedelt; das Bayerische Viertel sollte nach dem Entschluss der Nazis „judenrein“ gemacht werden. Mit dem geringen ihnen verbliebenen Besitz lebten sie dort für mehr als 1,5 Jahre und mussten beobachten, wie von der Sammelstelle in der benachbarten Synagoge Levetzowstraße die Transporte „in den Osten“ organisiert wurden. Als sie im Dezember 1942 um den Preis ihres letzten Vermögens einen „Heimeinkaufsvertrag“ für einen angeblichen Altenheimplatz mit lebenslänglicher Versorgung und Betreuung im Ghetto Theresienstadt unterzeichneten, glaubten sie möglicherweise der Propaganda und meinten, das gefürchtete Deportationsschicksal „in den Osten“ werde ihnen erspart bleiben. Diese letzte Hoffnung wurde bitter enttäuscht. Nachdem sie im Januar 1943 in 14-tägigem Abstand getrennt in Theresienstadt ankamen,
haben sie die furchtbaren Verhältnisse dort nur kurze Zeit überlebt. Der 76-jährige Albert Neuburger starb am 5. März 1943. Von der 67-jährigen Minna Neuburger ist das genaue Todesdatum nicht bekannt; aus den Theresienstädter Kremationslisten Listen geht aber hervor, dass ihr Sarg am 31. März 1943 verbrannt wurde, weshalb sie Anfang der 50er Jahre mit Wirkung von diesem Tage für tot erklärt wurde.