Stolperstein Nassauische Str. 64

Hauseingang Nassauische Str. 63, 25.08.2012

Hauseingang Nassauische Str. 63, 25.08.2012

Der Stolperstein wurde am 22.05.2012 verlegt.

Stolperstein Erich Wolff, 25.08.2012

Stolperstein Erich Wolff, 25.08.2012

HIER WOHNTE
ERICH WOLFF
JG.1887
DEPORTIERT 3.2.1943
ERMORDET IN
AUSCHWITZ

Erich Wilhelm Wolff wurde am 19. September 1887 in Berlin geboren. Seine Eltern waren der Kaufmann Max Wolff und seine Frau Anna Julia Wolff, geb. Levinthal. Erich hatte noch eine Schwester mit Namen Lucie, weitere Geschwister sind nicht bekannt. Erich erlernte ebenso wie sein Vater den kaufmännischen Beruf, er arbeitete als Handelsvertreter und hatte etwa ab 1920 die Alleinvertretung für eine Reihe von Textilfirmen im Raum Groß-Berlin.

Am 31. März 1919 heirateten Erich Wolff und die evangelische Käthe Else Lottchen Hebler, geboren am 24. März 1893 in Podgorz. In seiner 1943 abgegebenen Vermögenserklärung gab Erich Wolff als Konfession „evangelisch“ an. Wir wissen nicht, ob der Eintritt in die evangelische Kirche im Zusammenhang mit der Heirat seiner protestantischen Ehefrau erfolgte oder erst später, um den Verfolgungen durch das rassistische Naziregime zu entgehen.
Zwei Jahre nach der Hochzeit, am 26. Januar 1921, wurde der Sohn Günter Milan geboren. Die Familie lebte zu dieser Zeit in der Kreuzberger Müllenhoffstraße 17, später in der Wilhelmstraße 122, ab 1931 in der Tempelhofer Schönburgstraße 8.
Bis 1935 konnte Erich Wolff seinen Beruf mit seiner eigenen Firma ungehindert ausüben, sein Jahreseinkommen belief sich auf ungefähr 25 000 RM. Er arbeitete ohne Angestellte, Käthe Wolff half ihrem Mann zeitweise, indem sie seine Musterkoffer packte und sie bis zur Straßenbahnhaltestelle schleppte. Die Stimmung unter den Kunden änderte sich jedoch zunehmend. Einzelne Kunden stellten Anfragen wegen seiner „Abstammung“ und verbaten sich weiteren Besuch. Viele begrüßten ihn ostentativ mit „Heil Hitler“, wohl wissend, dass er als Jude den „deutschen Gruß“ nicht erwidern durfte. Seine Frau übernahm seit dieser Zeit einen großen Teil der Kundenbesuche.

Um seine berufliche Existenz zu sichern, nahm Erich Wolff am 1. Januar 1936 einen nicht-jüdischen Sozius in seine Firma auf. Diese wurde unter dem Namen „Lange & Wolff“ in das Handelsregister eingetragen. Am 26. Juli 1938 musste Erich Wolff gezwungenermaßen im Rahmen der „Arisierung“ jüdischer Gewerbebetriebe aus der Firma ausscheiden. Der jüdische Name „Wolff“ hatte aus dem Firmennamen zu verschwinden und die Firma hieß von nun an „Lange & Co“.

Auch für den Sohn Günter war 1938 ein bitteres Jahr. Er hatte ab Ostern 1931 das renommierte Friedrich–Wilhelm–Gymnasium in der Berliner Friedrichstadt besucht. Sein Ziel war Jura zu studieren. In der Schule wurde er wegen seines jüdischen Vaters zunehmend unerträglich drangsaliert und musste schließlich, ein Jahr vor seinem Abitur, die Schule verlassen. Der dem Nationalsozialismus kritisch gegenüber eingestellte Schulleiter attestierte ihm auf dem letzten Zeugnis „Günter Milan Wolff ist am 25. März 1938 versetzt nach VIII, geht ab um Kaufmann zu werden.“
Günter erwarb im September 1940 seinen Kaufmannsgehilfenbrief.

Nach dem Krieg, in dem er als junger Soldat in Nordafrika an der Front kämpfen musste, arbeitete er mit einem kümmerlichen Einkommen im kaufmännischen Beruf, nahm seine Mutter bei sich auf und bestritt im Wesentlichen deren Unterhalt.
Das Ehepaar Wolff ließ sich am 15. Juni 1939 scheiden. Zuvor, im März 1939, war der Umzug in die Nassauische Straße 64 erfolgt, vermutlich war es Erich Wolff alleine, der diese Wohnung bezog. Denn er heiratete bald darauf, im Januar 1940, die am 3. März 1893 in Wolmirstedt bei Magdeburg geborene Margarete Zentawer. Margarete stammte aus einer kinderreichen Magdeburger Familie. Sie war bereits einmal geschieden und hieß in ihrer ersten Ehe Margarete Goergens. Zum Zeitpunkt der Hochzeit war sie schon mit dem Sohn Denny schwanger, er kam am 7. Juni 1940 auf die Welt. Margarete war bereits 47 Jahre, Erich 56 Jahre alt, als das Kind geboren wurde. In der Nassauischen Straße 64 lebten Erich und Margarete nur ein Jahr lang. Nach dem im April 1939 erlassenen Gesetz über Mietverhältnisse mit Juden konnten jüdische Familien mit anderen nach Belieben zusammengelegt werden. Im April 1940, also zwei Monate vor Dennys Geburt, waren sie zur Untermiete bei Benno Löwenthal gemeldet. Er hatte ihnen zwei möblierte Zimmer für eine Monatsmiete von 115 RM überlassen müssen. Die Wohnung befand sich im Vorderhaus im 3. Stock eines Mietshauses am Schlieffenufer 15, direkt an der Spree gelegen. Genau an dieser Stelle befindet sich heute das Bundeskanzleramt.

Erich Wolff wurde für einen Hungerlohn zur Zwangsarbeit herangezogen; Arbeitgeber war die Fa. Nordland in der Kurfürstenstraße 14–16. Es handelte sich um eine Schneekettenfabrik, die berüchtigt war, viele Zwangsarbeiter zu beschäftigten.
Die Lebensverhältnisse der kleinen Familie müssen erbärmlich gewesen sein. Als sie drei Tage vor ihrer Deportation in der Vermögenserklärung schriftlich Auskünfte über ihre verbliebenen Habseligkeiten geben mussten, war kaum etwas vorhanden. Der Obergerichtsvollzieher meldete:

bq. Fehlanzeige! Nach Mitteilung der Hauswartfrau hat Wolff bei Löwenthal nur möbliert gewohnt. Die Schlüssel der Wohnung Löwenthal waren auch nicht vorhanden. Von einer Öffnung der Wohnung habe ich Abstand genommen, da dieses nur unnötig Kosten verursacht hätte. Falls einige Kleidung vorhanden sein sollte, können diese mit abgeschätzt werden, wenn der Hauptmieter Löwenthal abgeschätzt wird.

Der Hinweis auf die Kleidung bezog sich auf Erich Wolffs bittende Angabe:

bq. Meinem Sohn Günter aus erster Ehe, z.Zt. in Nordafrika an der Front gehören einige Gegenstände, sowie Kleidung u. Wäsche, die ich in der Wohnung für ihn zurückgelassen habe… Bitte ihm das zu gewähren.

Es wurde ihm nicht gewährt.
Am 29. März 1943 wurde die Wohnung geräumt. Erich, Margarete und der dreijährige Denny waren zuvor, am 3. Februar 1943, mit dem Transport 28 in das Vernichtungslager Auschwitz Birkenau verschleppt worden. Es waren insgesamt 925 Menschen, die in den Waggons zusammengepfercht in den Tod fuhren. Wie lange sie dort noch leiden mussten, bis sie ermordet wurden, ist nicht bekannt.
Ihr Vermieter Benno Löwenthal wurde drei Wochen später, am 28. Februar nach Auschwitz deportiert.

Für Margaretes im Warschauer Ghetto ermordete Schwester Marianne Zentawer wurde in Magdeburg ein Stolperstein verlegt. Das Schicksal der Familie Zentawer ist dort nachzulesen: https://www.magdeburg.de/PDF/Zentawer_Marianne.PDF?? Weitere Quellen: www.bundesarchiv.de/gedenkbuch
  • Brandenburgisches Landeshauptarchiv www.blha.de
  • Landesamt für Bürger- und Ordnungsangelegenheiten – Entschädigungsbehörde
  • Berliner Adressbücher – Zentral- und Landesbibliothek Berlin
  • WGA Datenbank
  • Deportationslisten
  • Yad Vashem Opferdatenbank

Text und Recherche: Karin Sievert