Stolpersteine Markgraf-Albrecht-Straße 6

Hauseingang Markgraf-Albrecht-Str. 6, 22.07.2012

Hauseingang Markgraf-Albrecht-Str. 6, 22.07.2012

Die Stolpersteine wurden am 08.05.2012 verlegt.

Stolperstein Erich Wilk, 22.07.2012

Stolperstein Erich Wilk, 22.07.2012

HIER WOHNTE
ERICH WILK
JG. 1885
DEPORTIERT 1.11.1941
LODZ/LITZMANNSTADT
ERMORDET 8.5.1942
CHELMNO/KULMHOF

Am 8. August 1885 wurde Erich Wilk in Potsdam geboren. Über seine Familie ist nichts bekannt, ebenso wenig wie über seine Kindheit und Jugend. Nach dem Schulabschluss besuchte er in Potsdam die Baugewerkschule um Architekt zu werden. Dieser Schultyp wurde ursprünglich im 19. Jahrhundert zur Ausbildung von Bauhandwerkern eingerichtet, die Baugewerkschulen entwickelten sich später auch zu Ausbildungsstätten für Bautechniker und Architekten.

Als Architekt ging Erich Wilk nach Berlin. Er ließ sich am Victoria – Luise – Platz 9 nieder, aber auch in der in der nahen Regensburger Straße 8 ist er bis 1934 mit der Berufsbezeichnung „Architekt“ in den Adressbüchern zu finden. Ob Erich Wilk selbstständig arbeitete oder Mitglied eines größeren Architekturbüros war, ist nicht mehr zu ermitteln. In dem von Myra Warhaftig verfassten Lexikon „Deutsche jüdische Architekten vor und nach 1933“ findet Erich Wilk eine kurze Erwähnung: „ Möglicherweise wurde 1917 in Berlin – Zehlendorf ein Villengarten, der heute noch vorhanden ist, von dem Architekten Erich Wilk entworfen…..“

Erich Wilk war Mitglied der Jüdischen Gemeinde Berlin, aber auch in deren Archiven gibt es keinerlei Informationen über ihn. Als jüdischer Architekt und Gemeindemitglied wird er nach Ausschaltung der Juden aus dem öffentlichen Leben keine Aufträge mehr erhalten und sich in einer wirtschaftlichen Notlage befunden haben. Er musste deshalb gezwungenermaßen Räume und Wohnung in der Regensburger Straße, bzw. Victoria – Luise – Platz verlassen und bezog einer Zimmer in der Markgraf – Albrecht – Straße 6 bei der Kosmetikerin Recha Levy.

Am 1. November 1941 wurde er zusammen mit seiner Mitbewohnerin, sowie vier Mitgliedern der Familie Banner aus demselben Haus in das Getto Litzmannstadt (Łódź) deportiert. Durch die im Oktober und November 1941 durchgeführten Transporte in das Getto Łódź sollten bevorzugt große „Judenwohnungen“ freigemacht werden, um Wohnraum für Funktionäre des NS Regimes und für Bombengeschädigte zu schaffen.

Erich Wilk und Recha Levy wurden im Ghetto auf engstem Raum zusammen mit zahlreichen anderen Menschen in der Blattbindergasse 13, Wohnung 7 untergebracht. In den Zimmern befand sich in der Regel kein einziger Einrichtungsgegenstand. Essen, Schlafen, Gehen, Liegen und alle anderen
menschlichen Verrichtungen mussten in drangvoller Enge auf dem Boden stattfinden.

Nach einem halben Jahr in dieser extremsten Not wurden Erich Wilk und Recha Levy am 8. Mai 1942 in das Vernichtungslager Kulmhof (Chelmno) transportiert. Nach Ankunft im „Schloss“ Kulmhof mussten sich die Menschen entkleiden und wurden zu einer Rampe getrieben, an deren Ende einer der drei vorhandenen Gaswagen stand. Nachdem man die Opfer unter Peitschenschlägen dort hineingetrieben hatte, verschloss man die Türen. Der Fahrer kroch unter das Fahrzeug, schloss den Verbindungsschlauch vom Auspuff ins Wageninnere an und startete den Benzinmotor. Durch die eindringenden Abgase erstickten die Menschen innerhalb von zehn Minuten. Anschließend fuhr der Fahrer die Leichen in ein Lager im Wald, wo sie in Massengräbern verscharrt wurden. Unter ihnen befinden sich die sterblichen Überreste von Erich Wilk und Recha Levy.

Recherche und Text: Karin Sievert

Quellen: Gedenkbuch – Opfer der Verfolgung der Juden unter der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft in Deutschland 1933 – 1945 Berliner Adressbücher – Zentral- und Landesbibliothek Berlin Landesarchiv: Deportationsliste Gottwald/Schulle „Die Judendeportationen aus dem Deutschen Reich 1941 – 1945“ Loose: „Berliner Juden im Getto Litzmannstadt 1941 – 1944 Myra Warhaftig. Deutsche jüdische Architekten vor und nach 1933. 500 Biographien. Berlin 2002

Stolperstein Recha Levy, 22.07.2012

Stolperstein Recha Levy, 22.07.2012

HIER WOHNTE
RECHA LEVY
JG. 1880
DEPORTIERT 1.11.1941
LODZ/LITZMANNSTADT
ERMORDET 8.5.1942
CHELMNO/KULMHOF

Recha Levy wurde am 19. Juni 1880 im Westpreußischen Marienburg geboren. Die Datenbank westpreußischer Personen und Familien weist nur 4 Personen mit dem Familiennamen Levy aus, keine dieser Personen scheint jedoch in einer verwandtschaftlichen Beziehung zu Recha gestanden zu haben. Ihr familiärer Hintergrund bleibt im Dunkeln, ebenso der Umstand ihrer Übersiedlung nach Berlin. In den historischen Berliner Adressbüchern finden sich unter der Adresse Markgraf – Albrecht – Straße 6 ab 1935 Eintragungen unter ihrem Namen, zunächst mit der Angabe „Privatier“. Danach war sie als Garderobenfrau und von 1939 bis 1941 als Kosmetikerin gemeldet.
In ihrer Wohnung war ab 1939 auch der Architekt Erich Wilk untergebracht. Infolge des Gesetzes über Mietverhältnisse mit Juden vom April 1939 musste Erich Wilk seine Wohnung in der Regensburger Straße 8 von heute auf morgen verlassen und wurde in die Markgraf – Albrecht – Straße zwangsumgesetzt.
Am 1. November 1941 wurden aus diesem Haus Recha Levy, ihr Mitbewohner Erich Wilk, sowie drei Mitglieder der Familie Banner in dem letzten der insgesamt 4 aufeinander folgenden Berliner Transporte in das Getto von Litzmannstadt (Łódź) deportiert. Sie und Erich Wilk wurden im Getto in der Blattbindergasse 17, Wohnung 7 untergebracht. Die Verhältnisse in den völlig überfüllten Behausungen waren menschenunwürdig und darauf angelegt, die Insassen durch Hunger, Krankheiten und Überarbeitung zu zerstören.
Am 8. Mai 1942 wurde Recha Levy, wieder zusammen mit Erich Wilk, in das 70 km entfernte Kulmhof (Chelmno) verschleppt. Man trieb sie dort in einen der Gaswagen, wo sie durch die eingeleiteten Auspuffgase qualvoll getötet wurden. Anschließend wurden ihre Leichen in einem Massengrab verscharrt.

Recherche und Text: Karin Sievert

Quellen: Gedenkbuch – Opfer der Verfolgung der Juden unter der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft in Deutschland 1933 – 1945 Berliner Adressbücher – Zentral- und Landesbibliothek Berlin Deportationslisten Gottwald/Schulle „Die Judendeportationen aus dem Deutschen Reich 1941 – 1945“ Loose: „Berliner Juden im Getto Litzmannstadt 1941 – 1944 Yad Vashem – Opferdatenbank

Stolperstein Regina Braunspan, 22.07.2012

Stolperstein Regina Braunspan, 22.07.2012

HIER WOHNTE
REGINA BRAUNSPAN
GEB. LEWY
JG 1890
DEPORTIERT 3.10.1942
THERESIENSTADT
ERMORDET 23.1.1943
AUSCHWITZ

Stolperstein Leo Braunspan, 22.07.2012

Stolperstein Leo Braunspan, 22.07.2012

HIER WOHNTE
LEO BRAUNSPAN
JG. 1883
DEPORTIERT 3.10.1942
THERESIENSTADT
ERMORDET 23.1.1943
AUSCHWITZ

Leo Braunspan, seine Frau Regina Braunspan und seine Schwiegermutter Anna Lewy waren am 1. Oktober 1933 in die Markgraf-Albrecht-Straße 6 eingezogen. Sie hatten die Wohnung im 1. Stock des Gartenhauses rechts gemietet. An den Hauseigentümer, den Maurermeister Friedrich Rückert, der in Berlin-Grunewald seine Firma hatte und im Vorderhaus im 1. Stock wohnte, zahlten sie, wie dem Mietvertrag zu entnehmen ist, für zwei Wohnzimmer, Küche mit Speisekammer, Bad und WC, Korridor, Balkon, Mädchenkammer, Keller und Boden 65 RM Miete. Rückert war, wie den erhaltenen Akten zu entnehmen ist, „Arier“. Die Ausstattung der Wohnung war eher bescheiden. Aus den Vermögenserklärungen, die von allen Juden verlangt wurde, ist abzulesen, dass das gesamte Inventar auf 1135,85 RM geschätzt wurde.

Leo Braunspan ist am 16. Januar 1883 in Deutsch-Krone/Pommern (heute: Wałcz/Polen) geboren. Bis 1930 arbeitete er als Abteilungsvorsteher bei der Firma Gebrüder Simon, Klosterstraße 80/85, und bezog ein Monatsgehalt von 450 RM, seitdem war er Pensionär. Seine Frau Regina Braunspan, geb. Lewy, wurde am 16. August 1890 in Berlin geboren. Ihre Mutter Anna Lewy, geb. Fränkel, war ebenfalls Berlinerin, ihr Geburtstag ist der 22. April 1864.

Wie einer der beiden Söhne von Anna Lewy wusste, war einer ihrer Vorfahren “einer von drei so genannten Schutzjuden zur Zeit des Alten Fritz” (König Friedrich II., 1712-1786). Sie hatte eine zweite, jüngere Tochter, Margarete Lewy, geboren am 26. November 1892 in Berlin, die früher in der Cuxhavener Straße 5 und zu dieser Zeit in der Sybelstraße 56 bei Zlotnickis wohnte und ihrerseits zwei Söhne hatte, die aber schon vor 1939 „ausgewandert“ waren, wie es in der Sprache der Nazis für „vor der Verfolgung geflüchtet“ hieß. Margarete Lewy wurde am 18. Mai 1943 nach Theresienstadt und später nach Auschwitz deportiert. Jakob Zlotnicki, geboren am 28. Mai 1881, und Johanna Zlotnicki, geb. Meyersohn, geboren am 26. Dezember 1881, sind am 14. Juli 1942 nach Theresienstadt deportiert und dort umgebracht worden.

Ihre Vermögenserklärungen mussten Leo und Regina Braunspan sowie Anna Lewy am 29. Juni 1942 im Sammellager Gerlachstraße 18-21, einem ehemaligen jüdischen Altersheim, ausfüllen lassen und haben sie eigenhändig mit Bleistift unterschrieben, wobei Regina auch das Formular für ihre Mutter mit dem Zusatz „als Tochter“ unterzeichnete. Am 3. Oktober 1942 wurden sie zu dritt in einen Zug getrieben, der sie ins Ghetto Theresienstadt brachte. Dort ist Anna Lewy am 16. Oktober 78-jährig ums Leben gekommen, während Tochter und Schwiegersohn am 23. Januar 1943 ins Vernichtungslager Auschwitz weitertransportiert wurden, wo sie ermordet worden sind.

Am 6. Mai 1943 wollte das Finanzamt Wilmersdorf-Nord dennoch Steuerschulden von Leo Braunspan in Höhe von 135,60 RM eintreiben. Der Hausbesitzer Rückert verlangte vom Oberfinanzpräsidium eine Nachzahlung der ihm entgangenen Miete. Am 28. Juni 1944 schrieb er im damals üblichen menschenverachtenden Wortschatz: „Nachdem der Mieter Leo Braunspan im Monat September 1942 aus seiner Wohnung in meinem Hause entfernt wurde“, habe er Anspruch auf 947,70 RM Miete – ein weit überhöhter Betrag. Unterdessen war die Familie von Walter Kretzschmer mit Frau und drei Kindern eingezogen.

Jüngster Sohn von Anna Lewy, verheiratet mit Moritz Lewy, war Hermann „Menne“ Lewy, geboren am 1. März 1906 in Berlin, der den gleichen Vornamen wie sein Vater hatte. “… und dennoch: Es hat gesiegt, das klitzekleine Lewy-Engelchen“: Mit dieser stets aufs Neue beschworenen Formel machte er sein Schicksal als einziger Überlebender der gesamten Familie erträglich. Nach überstürzter Flucht aus Berlin nach Antwerpen (1939), Verschleppung ins Internierungslager im französischen Saint-Cyprien und schließlich gelungener, abenteuerlicher Flucht nach Portugal kehrte der gelernte Antiquar und Journalist 1945 nach Deutschland zurück.

Schon im Oktober 1944 hatte er in seinem für die in London erscheinende „Tribüne“ seinen Artikel „Gibt es ein Zurück für Juden aus Deutschland“ mit einem überzeugten „Ja“ beantwortet. So fasste er 1946 beruflich in Ostberlin erst im Dietz-Verlag und später als Verlagsleiter von Rütten&Loening Fuß.
1958 floh er mit seiner Tochter Anna (geboren 1949), nach eigenen Angaben „wegen zunehmender, antisemitischer Tendenzen und Drangsalierung durch die Partei“, nach Westberlin. Schließlich folgte Lewy mit seiner Frau Gerda und Kind kurz darauf dem Ruf der Herausgeber der „Allgemeinen Jüdischen Wochenzeitung“ (damals „Allgemeine Wochenzeitung der Juden in Deutschland“), Karl und Lilly Marx, nach Düsseldorf. Dort arbeitete er ab 1959 Jahrzehnte lang als Chefredakteur. Bis zu seinem Tod 1992 fühlte er sich – vor allem in seiner journalistischen Arbeit – seiner Maxime verpflichtet, „jegliches Aufkeimen extremistischer und anti-jüdischer Gesinnung in Wort und Tat zu bekämpfen.“

Hermann „Menne“ Lewy hatte noch einen älteren Bruder namens Max, der seinen Erzählungen zufolge Mitbegründer der Jugendorganisation der liberalen, aber teilweise antisemitischen “Deutschnationalen Volkspartei” und Chefredakteur einer Berliner Zeitung gewesen sein und dort 1933 entlassen worden sein soll. Über ihn ist nur noch bekannt, dass er nach Mauthausen deportiert wurde. Dort soll er auch umgebracht worden sein. Ein Nachweis dafür findet sich in den zugänglichen Unterlagen aber nicht. Max war wohl der ältere Sohn von Hermann und Anna Lewy. Wo er in Berlin gewohnt hat, ist nicht bekannt.

Text: Helmut Lölhöffel (Stolpersteine-Initiative Charlottenburg-Wilmersdorf) mit Ergänzungen zu Hermann „Menne“ und Max Lewy von Anna Lewy (Berlin), Tochter von Hermann Lewy und Enkelin von Anna Lewy. Quellen: Bundesarchiv; Brandenburgisches Landeshauptarchiv; Familienerinnerungen.

Stolperstein Anna Lewy, 22.07.2012

Stolperstein Anna Lewy, 22.07.2012

HIER WOHNTE
ANNA LEWY
GEB. FRAENKEL
JG. 1864
DEPORTIERT 3.10.1942
THERESIENSTADT
ERMORDET 16.10.1942

Stolperstein Lina Banner, 22.07.2012

Stolperstein Lina Banner, 22.07.2012

HIER WOHNTE
LINA BANNER
JG. 1885
DEPORTIERT 1.11.1941
LODZ/LITZMANNSTADT
ERMORDET 10.3.1942

Stolperstein Alfred Banner, 22.07.2012

Stolperstein Alfred Banner, 22.07.2012

HIER WOHNTE
ALFRED BANNER
JG.1883
DEPORTIERT 1.11.1941
ERMORDET IN
LODZ/LITZMANNSTADT

Stolperstein Hermann Banner, 22.07.2012

Stolperstein Hermann Banner, 22.07.2012

HIER WOHNTE
HERMANN BANNER
JG. 1881
DEPORTIERT 1.11.1941
LODZ/LITZMANNSTADT
ERMORDET 28.1.1942

Hermann, Alfred und Lina Banner waren Kinder des Kaufmannes Louis Banner und seiner Frau Dorothea geb. Biermann, wohnhaft in Wreschen (poln. Wrzesnia), Posen. Das Paar hatte acht Kinder, Hermann war der Viertälteste. Er wurde am 7. März 1881 in Wreschen geboren, die ältesten Geschwister Philippine (*1875) und vermutlich auch Max (*1872) kamen im nahen Gnesen zur Welt, Robert (*1876) als erster in Wreschen. Eine 1879 geborene Schwester, Röschen, war schon ein Jahr später gestorben. Auch die jüngeren Geschwister Alfred (*15. Februar 1883), Lina (*1. Januar 1885) und Nesthäkchen Gunda (*4. Juni 1886) erblickten das Licht der Welt in Wreschen, sodass wir annehmen können, dass alle dort ihre Kindheit verbrachten und vermutlich auch ihre Jugend. Denn in Berlin ist Louis Banner erst 1904 dokumentiert, als Privatier in der Schöneberger Ebersstraße 25. Zu diesem Zeitpunkt waren Max und Robert bereits in die USA ausgewandert, Max 1890, Robert drei Jahre später. Dorothea, die Mutter, war 1903 in Wreschen gestorben und Louis zog mit seinen verbliebenen fünf Kindern nach Berlin. Wenige Jahre später, 1907, ist Louis in die Stralsunder Straße 26 umgezogen. Hermann, der ältere Sohn, ist jetzt der Hauptmieter in der Ebersstraße, Beruf: „Reisender“, also kaufmännischer Vertreter. Der Vater ist nun der Inhaber eines Weißwäschegeschäfts in der Brunnenstraße 5, das den Namen Regina Cohn-Reisner trägt. Wieder einige Jahre später kaufte Louis ein Haus in der Demminer Straße 26, unweit der Brunnenstraße, und heiratete offenbar Regina, die 1911 als seine Witwe dieses Haus erbte. Louis war am 16. Januar 1911 gestorben. Seine Kinder blieben zunächst in der Ebersstraße, mit Ausnahme von Philippine, die 1909 den Kaufmann Max Fabisch geheiratet hatte. Sie war die einzige der sieben Banner-Geschwister, die nicht ledig blieb.

1914 bezogen die anderen in Berlin lebenden Geschwister – Hermann, Alfred, Lina und Gunda – eine 4-Zimmer-Wohnung im dritten Stock der Markgraf-Albrecht-Straße 6. Hauptmieter war nun Alfred. Nach dem Krieg gründeten Hermann und Alfred ein Geschäft für Herren- und Knabenkonfektion unter dem Namen „H&A Banner“ in der Wöhlerstraße 12. Der Betrieb wechselte öfter die Adresse, 1938 befand er sich in der Klosterstraße 29 Ecke Königsstraße (heute Rathausstraße), eine sehr repräsentative Lage.

Beständig blieb dagegen die Wohnadresse. Bis zuletzt lebten Hermann, Alfred und Lina in der Markgraf-Albrecht-Straße 6. Hermann und Alfred kümmerten sich um das Geschäft, Lina führte den Haushalt. Gunda wohnte ebenfalls dort, bis zu ihrer Ausreise 1934 zu den schon lange in den USA eingebürgerten Brüdern Max und Robert. Auch hier wohnten die drei Geschwister in einer gemeinsamen Wohnung in New York.

Bei der Volkszählung vom 17. Mai 1939 lebte in der Markgraf-Albrecht-Straße auch Philippine, die schon seit Juli 1914 verwitwet war. Sie starb dort am 7. Dezember 1940. Für Unklarheit sorgt die Angabe in einigen Quellen, bei dieser Volkszählung habe es im gleichen Haus (aber wohl nicht im gleichen Haushalt) einen jüngeren Alfred Banner gegeben, geboren am 23.April 1909. Über ihn ließ sich allerdings kaum etwas herausfinden, auch nicht über seine Beziehung zu den Banner-Geschwistern.

1939 waren die Nationalsozialisten schon über 6 Jahren an der Macht und hatten durch zahlreiche antisemitische Verordnungen das Leben für Juden immer unerträglicher gemacht. Ziel war die berufliche, finanzielle und soziale Isolierung und Ausgliederung jüdischer Bürger. Juden wurden aus dem Berufsleben gedrängt, mussten besondere Kennkarten beantragen und die Kennzeichnung ihrer Reisepässe hinnehmen, mussten ihrem Namen „Sara“ oder „Israel“ anfügen, ihr Vermögen detailliert angeben. Nach den Novemberpogromen am 9./10. November 1938 häuften sich noch mal die Verordnungen gegen Juden, sie sollten nun gar nicht mehr am öffentlichen Leben teilnehmen, nicht in Theater, Konzerte, Kinos usw. gehen, zu bestimmten Zeiten durften sie gar nicht mehr auf die Straße, durften nur von 4 bis 5 Uhr nachmittags einkaufen. Alle Wertgegenstände mussten sie abliefern, Rundfunkgeräte wurden beschlagnahmt, Telefonanschlüsse gekündigt, ihre Konten wurde zu „Sicherheitskonten“ erklärt, von denen sie nur durch „Sicherungsanordnung“ festgelegte Beträge für ein Existenzminimum abheben durften. Ab 1940 wurden sie nach und nach zu Zwangsarbeit herangezogen.

Auch Hermann und Alfred Banner waren 1941 als Hilfsarbeiter bei der Holzbau GmbH, Tauentzien 10, zwangsverpflichtet worden, mit einem Lohn von 0,80 RM pro Stunde. Noch 1938 hatte die Industrie- und Handelskammer bescheinigt, das „H&A Banner“ voll kaufmännisch sei, ob das Geschäft noch in Händen der Brüder war, erwähnt sie nicht. 1942 meldete die Kammer, der Betrieb sei eingestellt, 1943 wurde die Firma gelöscht.

Zu diesem Zeitpunkt lebten Hermann, Alfred und Lina nicht mehr. Am 18.Oktober 1941 hatten die Nazis begonnen, Juden zu deportieren, zunächst in das Ghetto Lodz, von ihnen in Litzmannstadt umbenannt. Hermann, Alfred und Lina waren für den vierten Deportationszug bestimmt: am 28. Oktober 1941 mussten sie die obligate „Vermögenserklärung“ ausfüllen, die es den Nazis erleichtern sollte, jüdisches Eigentum zu beschlagnahmen. Die Erklärungen von Hermann und Alfred unterscheiden sich kaum, sie nannten einige Kleidungsstücke ihr Eigen, dazu Bücher und Bilder, auch Konten und Wertpapiere, über die sie sowieso nicht verfügen konnten, und je ca. 70 RM Bargeld. Lina, die angab, ohne Entgelt den Haushalt ihrer Brüder zu führen, sei seit 3.Oktober des Jahres „unterhaltungsbedürftig wegen allg. Schwäche“. Auch sie konnte wenig Besitz angeben, aber sie sei zu 1/6 Erbin des Nachlasses ihres Onkels mütterlicherseits, Michael Biermann. Dieser war im August 1940 über 90jährig gestorben und hatte mehrere Grundstücke besessen. Diese Angaben beschäftigten die Oberfinanzdirektion noch jahrelang, 1944 war es ihr noch nicht gelungen, diesen Nachlass „einzuziehen“.

Zwei Tage nach der Unterschrift der Vermögenserklärungen waren Hermann, Alfred und Lina bereits in die Sammelstelle Levetzowstraße 7-8 verbracht worden, eine umfunktionierte Synagoge. Am 1. November 1941 mussten sie mit über 1000 weiteren Leidensgenossen am Gleis 17 des Bahnhofs Grunewald den Zug besteigen, der sie nach Lodz bringen sollte. Auch der 1909 geborene Alfred Banner soll in diesem Deportationszug gewesen sein. Laut Angaben von Arolsen Archives war er ursprünglich auf einer Liste der Gestapo zur Deportation nach Riga am 25. Januar 1942, dann sollen aber einige Menschen auf dieser Liste bereits am 1. November 1941 auch nach Lodz verschleppt worden sein, darunter der jüngere Alfred Banner.

Das Ghetto Lodz war 1940 durch die deutschen Besatzer von der polnischen Industriestadt abgetrennt und mit Stacheldraht umzäunt worden. Etwa 160 000 Lodzer Juden wurden in die bereits heruntergekommenen und – v.a. im Sanitärbereich – äußerst ärmlich ausgestatteten Häuser gepfercht. Im Herbst 1941 deportierte man weitere 20 000 Juden aus dem „Altreich“ in das völlig überfüllte Ghetto. Die Lebensbedingungen im Ghetto waren katastrophal. Keine Heizung, keine Toiletten, keine Betten, weitgehend mussten die Menschen auf Strohsäcken oder dem nackten Boden in Massenunterkünften schlafen, die Ernährung war völlig unzureichend. Hunger, Kälte, Erschöpfung und Krankheiten rafften viele Leute dahin. Für arbeitsfähig Gehaltene mussten Zwangsarbeit v.a. in Munitionsfabriken und Uniformschneidereien leisten. Die drei Banners wurden in ein Zimmer in der Blechgasse 12/5 „eingesiedelt“, wie die verschleiernde offizielle Bezeichnung hieß. Wie Hermann wurde auch die bereits an Schwäche leidende Lina als arbeitsfähig eingestuft, vermutlich auch Alfred, obwohl auf der Gestapoliste nur der jüngere Alfred zu finden ist – auf der Liste der „Eingesiedelten“ wiederum nur der Ältere.

Die Lebensverhältnisse im Ghetto waren offenbar darauf angelegt, den Tod der Bewohner möglichst schnell herbeizuführen. Hermann Banner erlag ihnen als erster am 28. Januar 1942, keine zwei Monate nach der Ankunft. Alfred und Lina folgten ihm am 3. bzw. 10. März 1942. Von dem 1909 geborenen Alfred verliert sich jede Spur.

Quellen:
Gedenkbuch. Bundesarchiv Koblenz, 2006; Gedenkbuch Berlin der jüdischen Opfer des Nationalsozialismus 1995; Berliner Adressbücher; Landesarchiv Berlin; Akten des Landesentschädigungsamtes Berlin; Brandenburgisches Landeshauptarchiv, Akten der Oberfinanzdirektion; http://www.statistik-des-holocaust.de/; Arolsen Archives; Gottwaldt/Schulle, Die „Judendeportationen“ aus dem Deutschen Reich 1941-1945, Wiesbaden 2005
Recherchen/Text: Micaela Haas

Stolperstein Golda Leibenhaut, 22.07.2012

Stolperstein Golda Leibenhaut, 22.07.2012

HIER WOHNTE
GOLDA LEIBENHAUT
JG. 1905
DEPORTIERT 29.10.1941
LODZ/LITZMANNSTADT
ERMORDET 4.5.1942
CHELMNO/KULMHOF

Golda Leibenhaut wurde am 16. Dezember 1905 in Skole im Bezirk Stryj in Galizien/ Ukraine geboren. Das 6500 Einwohner umfassende Städtchen hatte zahlreiche Bewohner mit dem Nachnamen Leibenhaut. Wer von ihnen mit Golda verwandt war, ist nicht mehr zu ermitteln. Über ihre Eltern, eventuelle Geschwister und sonstige Lebensumstände ist nichts dokumentiert. Auch die Umstände ihrer Umsiedlung nach Berlin sind nicht bekannt. Vielleicht flohen ihre Eltern mit ihr vor den Pogromen, denen 1905 in der Ukraine viele Juden zum Opfer fielen.

Da der Name Leibenhaut jedoch kein einziges Mal in den Berliner Adressbüchern erwähnt wird, spricht einiges dafür, dass Golda ohne ihre Familie irgendwo zur Untermiete gewohnt hat.

In der Volkszählung von 1939, in der Juden in einer Sonderkartei erfasst wurden, war Golda in der Markgraf – Albrecht – Straße 6 registriert. Einige Zeit später musste sie diese Wohnung verlassen, sie wurde zur Untermiete bei Frau D. Heymann in der Elbinger Straße 83 in Prenzlauer Berg einquartiert.

Von dieser Adresse aus wurde Golda Leibenhaut am 29. Oktober 1941 von der als Sammelstelle missbrauchten Synagoge Levetzowstraße in das Getto Litzmannstadt (Łódź) deportiert. In manchen Quellen wird der Abgangstag des Transportes auch mit dem Datum 27. Oktober angegeben. Möglicherweise vergingen zwischen der „Abfertigung“ im Sammellager Levetzowstraße und der tatsächlichen Abfahrt des Sonderzuges vom Bahnhof Grunewald zwei Tage. Eine unvorstellbare Qual für die etwa 1000 Menschen, die in den überfüllten Waggons ausharren mussten.

Im Getto wurde Golda Leibenhaut im Greisenheim II in der Gnesener Straße 26 untergebracht. Da Golda viel zu jung war, um als Heiminsasse dort zu leben – in dem Greisenheim wurden vor allem völlig verarmte alleinstehende Juden untergebracht – ist anzunehmen, dass sie dort als Krankenschwester arbeiten musste. Auch das schützte sie nicht vor der Ermordung. Einen Monat vor Auflösung des Heims und der Ermordung der Insassen wurde Golda am 4. Mai 1942 nach Kulmhof (Chelmno) deportiert, wo sie sofort nach Ankunft in einem Gaswagen umgebracht wurde. Ihr Leichnam wurde mit allen anderen in einem der Massengräber in der Umgebung verscharrt.

Recherche und Text: Karin Sievert

Quellen: Gedenkbuch – Opfer der Verfolgung der Juden unter der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft in Deutschland 1933 – 1945 Deportationslisten Gottwald/Schulle „Die Judendeportationen aus dem Deutschen Reich 1941 – 1945“ Ingo Loose: „Berliner Juden im Getto Litzmannstadt 1941 – 1944 Yad Vashem – Opferdatenbank www.geni.com/people