HIER WOHNTE
HERMANN BANNER
JG. 1881
DEPORTIERT 1.11.1941
LODZ/LITZMANNSTADT
ERMORDET 28.1.1942
Hermann, Alfred und Lina Banner waren Kinder des Kaufmannes Louis Banner und seiner Frau Dorothea geb. Biermann, wohnhaft in Wreschen (poln. Wrzesnia), Posen. Das Paar hatte acht Kinder, Hermann war der Viertälteste. Er wurde am 7. März 1881 in Wreschen geboren, die ältesten Geschwister Philippine (*1875) und vermutlich auch Max (*1872) kamen im nahen Gnesen zur Welt, Robert (*1876) als erster in Wreschen. Eine 1879 geborene Schwester, Röschen, war schon ein Jahr später gestorben. Auch die jüngeren Geschwister Alfred (*15. Februar 1883), Lina (*1. Januar 1885) und Nesthäkchen Gunda (*4. Juni 1886) erblickten das Licht der Welt in Wreschen, sodass wir annehmen können, dass alle dort ihre Kindheit verbrachten und vermutlich auch ihre Jugend. Denn in Berlin ist Louis Banner erst 1904 dokumentiert, als Privatier in der Schöneberger Ebersstraße 25. Zu diesem Zeitpunkt waren Max und Robert bereits in die USA ausgewandert, Max 1890, Robert drei Jahre später.
Dorothea, die Mutter, war 1903 in Wreschen gestorben und Louis zog mit seinen verbliebenen fünf Kindern nach Berlin. Wenige Jahre später, 1907, ist Louis in die Stralsunder Straße 26 umgezogen. Hermann, der ältere Sohn, ist jetzt der Hauptmieter in der Ebersstraße, Beruf: „Reisender“, also kaufmännischer Vertreter. Der Vater ist nun der Inhaber eines Weißwäschegeschäfts in der Brunnenstraße 5, das den Namen Regina Cohn-Reisner trägt. Wieder einige Jahre später kaufte Louis ein Haus in der Demminer Straße 26, unweit der Brunnenstraße, und heiratete offenbar Regina, die 1911 als seine Witwe dieses Haus erbte. Louis war am 16. Januar 1911 gestorben. Seine Kinder blieben zunächst in der Ebersstraße, mit Ausnahme von Philippine, die 1909 den Kaufmann Max Fabisch geheiratet hatte. Sie war die einzige der sieben Banner-Geschwister, die nicht ledig blieb.
1914 bezogen die anderen in Berlin lebenden Geschwister – Hermann, Alfred, Lina und Gunda – eine 4-Zimmer-Wohnung im dritten Stock der Markgraf-Albrecht-Straße 6. Hauptmieter war nun Alfred. Nach dem Krieg gründeten Hermann und Alfred ein Geschäft für Herren- und Knabenkonfektion unter dem Namen „H&A Banner“ in der Wöhlerstraße 12. Der Betrieb wechselte öfter die Adresse, 1938 befand er sich in der Klosterstraße 29 Ecke Königsstraße (heute Rathausstraße), eine sehr repräsentative Lage.
Beständig blieb dagegen die Wohnadresse. Bis zuletzt lebten Hermann, Alfred und Lina in der Markgraf-Albrecht-Straße 6. Hermann und Alfred kümmerten sich um das Geschäft, Lina führte den Haushalt. Gunda wohnte ebenfalls dort, bis zu ihrer Ausreise 1934 zu den schon lange in den USA eingebürgerten Brüdern Max und Robert. Auch hier wohnten die drei Geschwister in einer gemeinsamen Wohnung in New York.
Bei der Volkszählung vom 17. Mai 1939 lebte in der Markgraf-Albrecht-Straße auch Philippine, die schon seit Juli 1914 verwitwet war. Sie starb dort am 7. Dezember 1940. Für Unklarheit sorgt die Angabe in einigen Quellen, bei dieser Volkszählung habe es im gleichen Haus (aber wohl nicht im gleichen Haushalt) einen jüngeren Alfred Banner gegeben, geboren am 23.April 1909. Über ihn ließ sich allerdings kaum etwas herausfinden, auch nicht über seine Beziehung zu den Banner-Geschwistern.
1939 waren die Nationalsozialisten schon über 6 Jahren an der Macht und hatten durch zahlreiche antisemitische Verordnungen das Leben für Juden immer unerträglicher gemacht. Ziel war die berufliche, finanzielle und soziale Isolierung und Ausgliederung jüdischer Bürger. Juden wurden aus dem Berufsleben gedrängt, mussten besondere Kennkarten beantragen und die Kennzeichnung ihrer Reisepässe hinnehmen, mussten ihrem Namen „Sara“ oder „Israel“ anfügen, ihr Vermögen detailliert angeben. Nach den Novemberpogromen am 9./10. November 1938 häuften sich noch mal die Verordnungen gegen Juden, sie sollten nun gar nicht mehr am öffentlichen Leben teilnehmen, nicht in Theater, Konzerte, Kinos usw. gehen, zu bestimmten Zeiten durften sie gar nicht mehr auf die Straße, durften nur von 4 bis 5 Uhr nachmittags einkaufen. Alle Wertgegenstände mussten sie abliefern, Rundfunkgeräte wurden beschlagnahmt, Telefonanschlüsse gekündigt, ihre Konten wurde zu „Sicherheitskonten“
erklärt, von denen sie nur durch „Sicherungsanordnung“ festgelegte Beträge für ein Existenzminimum abheben durften. Ab 1940 wurden sie nach und nach zu Zwangsarbeit herangezogen.
Auch Hermann und Alfred Banner waren 1941 als Hilfsarbeiter bei der Holzbau GmbH, Tauentzien 10, zwangsverpflichtet worden, mit einem Lohn von 0,80 RM pro Stunde. Noch 1938 hatte die Industrie- und Handelskammer bescheinigt, das „H&A Banner“ voll kaufmännisch sei, ob das Geschäft noch in Händen der Brüder war, erwähnt sie nicht. 1942 meldete die Kammer, der Betrieb sei eingestellt, 1943 wurde die Firma gelöscht.
Zu diesem Zeitpunkt lebten Hermann, Alfred und Lina nicht mehr. Am 18.Oktober 1941 hatten die Nazis begonnen, Juden zu deportieren, zunächst in das Ghetto Lodz, von ihnen in Litzmannstadt umbenannt. Hermann, Alfred und Lina waren für den vierten Deportationszug bestimmt: am 28. Oktober 1941 mussten sie die obligate „Vermögenserklärung“ ausfüllen, die es den Nazis erleichtern sollte, jüdisches Eigentum zu beschlagnahmen. Die Erklärungen von Hermann und Alfred unterscheiden sich kaum, sie nannten einige Kleidungsstücke ihr Eigen, dazu Bücher und Bilder, auch Konten und Wertpapiere, über die sie sowieso nicht verfügen konnten, und je ca. 70 RM Bargeld. Lina, die angab, ohne Entgelt den Haushalt ihrer Brüder zu führen, sei seit 3.Oktober des Jahres „unterhaltungsbedürftig wegen allg. Schwäche“. Auch sie konnte wenig Besitz angeben, aber sie sei zu 1/6 Erbin des Nachlasses ihres Onkels mütterlicherseits, Michael Biermann. Dieser war im August 1940 über
90jährig gestorben und hatte mehrere Grundstücke besessen. Diese Angaben beschäftigten die Oberfinanzdirektion noch jahrelang, 1944 war es ihr noch nicht gelungen, diesen Nachlass „einzuziehen“.
Zwei Tage nach der Unterschrift der Vermögenserklärungen waren Hermann, Alfred und Lina bereits in die Sammelstelle Levetzowstraße 7-8 verbracht worden, eine umfunktionierte Synagoge. Am 1. November 1941 mussten sie mit über 1000 weiteren Leidensgenossen am Gleis 17 des Bahnhofs Grunewald den Zug besteigen, der sie nach Lodz bringen sollte. Auch der 1909 geborene Alfred Banner soll in diesem Deportationszug gewesen sein. Laut Angaben von Arolsen Archives war er ursprünglich auf einer Liste der Gestapo zur Deportation nach Riga am 25. Januar 1942, dann sollen aber einige Menschen auf dieser Liste bereits am 1. November 1941 auch nach Lodz verschleppt worden sein, darunter der jüngere Alfred Banner.
Das Ghetto Lodz war 1940 durch die deutschen Besatzer von der polnischen Industriestadt abgetrennt und mit Stacheldraht umzäunt worden. Etwa 160 000 Lodzer Juden wurden in die bereits heruntergekommenen und – v.a. im Sanitärbereich – äußerst ärmlich ausgestatteten Häuser gepfercht. Im Herbst 1941 deportierte man weitere 20 000 Juden aus dem „Altreich“ in das völlig überfüllte Ghetto. Die Lebensbedingungen im Ghetto waren katastrophal. Keine Heizung, keine Toiletten, keine Betten, weitgehend mussten die Menschen auf Strohsäcken oder dem nackten Boden in Massenunterkünften schlafen, die Ernährung war völlig unzureichend. Hunger, Kälte, Erschöpfung und Krankheiten rafften viele Leute dahin. Für arbeitsfähig Gehaltene mussten Zwangsarbeit v.a. in Munitionsfabriken und Uniformschneidereien leisten. Die drei Banners wurden in ein Zimmer in der Blechgasse 12/5 „eingesiedelt“, wie die verschleiernde offizielle Bezeichnung hieß. Wie Hermann wurde auch die
bereits an Schwäche leidende Lina als arbeitsfähig eingestuft, vermutlich auch Alfred, obwohl auf der Gestapoliste nur der jüngere Alfred zu finden ist – auf der Liste der „Eingesiedelten“ wiederum nur der Ältere.
Die Lebensverhältnisse im Ghetto waren offenbar darauf angelegt, den Tod der Bewohner möglichst schnell herbeizuführen. Hermann Banner erlag ihnen als erster am 28. Januar 1942, keine zwei Monate nach der Ankunft. Alfred und Lina folgten ihm am 3. bzw. 10. März 1942. Von dem 1909 geborenen Alfred verliert sich jede Spur.
Quellen:
Gedenkbuch. Bundesarchiv Koblenz, 2006; Gedenkbuch Berlin der jüdischen Opfer des Nationalsozialismus 1995; Berliner Adressbücher; Landesarchiv Berlin; Akten des Landesentschädigungsamtes Berlin; Brandenburgisches Landeshauptarchiv, Akten der Oberfinanzdirektion; http://www.statistik-des-holocaust.de/; Arolsen Archives; Gottwaldt/Schulle, Die „Judendeportationen“ aus dem Deutschen Reich 1941-1945, Wiesbaden 2005
Recherchen/Text: Micaela Haas