HIER WOHNTE
HEINRICH HERZOG
JG. 1870
DEPORTIERT 4.8.1942
THERESIENSTADT
ERMORDET 26.9.1942
TREBLINKA
Als Heinrich Herzog, der einst mit seinem Bruder einen Backbetrieb besessen und geleitet hatte, 1942 deportiert wurde, lebte seine Frau nicht mehr und seine vier Kinder waren schon in alle Himmelsrichtungen verstreut. Sie hatten sich rechtzeitig in Sicherheit bringen können. Heinrich Herzog, der in der Markgraf-Albrecht-Straße 8 im 2. Stock des Gartenhauses wohnte, ist am 7. November 1870 in Schwersenz (Swardzedz) geboren. In die allen Juden vor dem Abtransport abverlangte Vermögenserklärung, die er mit allergrößter Genauigkeit ausfüllte und die im Brandenburgischen Landeshauptarchiv aufbewahrt ist, trug er in die Rubrik Geburtsort ein: „Schwersenz (Polen, jetzt Deutschland)“.
Früher war er nach eigenen Angaben bis 1934 Fabrikleiter in der Mazzefabrik Brüder Herzog in Berlin-Friedrichshain, Andreasstraße 32, und hatte ein Monatseinkommen von 200 Reichsmark. Mazze oder Matze ist ein ungesäuertes Fladenbrot. Jetzt sei er „ohne Beruf“, schrieb der fast 72jährige in das 16seitige Formular. Er gab exakte Auskünfte über das Haus und über seine Wohnung: Eigentümer des Eckhauses Markgraf-Albrecht-Straße/Küstriner Straße (heute Damaschkestraße 21) sei A. Guttmann gewesen, ein in Polen lebender Jude. Das Gebäude sei jedoch „beschlagnahmt“ worden, „weil polnisches Eigentum“, so formulierte Herzog. Die Wohnung beschrieb er so: „1 zweifenstriges und 1 einfenstriges Zimmer, Gesamtgröße und Küche ca 40 qm, W.C., Warmwasser nur 2 Tage in der Woche, kleiner Balkon, Badezimmer, Korridor. Bewohne 1 einfenstriges Zimmer.“ Als Hauptmieter zahlte er 70 Reichsmark Miete. Er vergaß nicht anzumerken: „Das kleine Zimmer ist voriges Jahr neu
tapeziert worden, auf meine Kosten.“ Während er selbst also mit diesem Zimmer Vorlieb nahm, vermietete er das größere an Leo und Lucie Linde, geb. Korn. Sie „bewohnen das zweifenstrige Zimmer mit Balkon teilmöbliert für M 70.- “ Der Untermietvertrag sei „nur mündlich abgeschlossen“. Leo Linde, geboren am 15. August 1872, und seine Frau Lucie Linde, geboren am 5. Juli 1890, die vorher in der Johann-Sigismund-Straße 2 bei Hannemann gewohnt hatten, wurden am 19. Oktober 1942 nach Riga deportiert und dort erschossen.
Heinrich Herzogs vier Kinder hatten sich in alle Welt retten können. Eine Tochter, Betty Schimmelburg, geb. Herzog, war nach Mount Lawey, einen Vorort von Perth in Australien, geflüchtet. Ein Sohn Kurt Herzog befand sich in England und war dort, wie der Vater aufschrieb, „interniert“. Ein zweiter Sohn, Norbert Herzog, war nach Santiago de Chile entkommen. Eine weitere Tochter, Margot Mugdan, geb. Herzog, lebte in New York.
In Berlin waren aber außer ihm selbst noch Heinrich Herzogs Brüder Alfred und Julius geblieben. Zusammen mit ihm hatte Alfred, geboren am 5. März 1883 in Schwersenz (Swardzedz), die Mazzefabrik geführt. Er wohnte mit seiner Frau Hedwig Herzog, geb. Rothholz, geboren am 14. April 1892 in Posen (Poznan), und der Tochter Annemarie Charlotte, geboren am 2. August 1921 in Berlin, in der Sybelstraße 12. Alle drei sind am 2. und 3. März 1943 vom Bahnhof Grunewald nach Auschwitz deportiert und dort ermordet worden.
Der andere Bruder, Dr. med. Julius Herzog, geboren am 23. März 1878 in Schwersenz (Swardzedz), war Arzt gewesen, durfte aber seinen Beruf nicht mehr ausüben und wohnte in der Sybelstraße 38 als Untermieter bei Paul und Hedwig Weihermann, die am 5. September 1942 nach Riga deportiert und dort erschossen wurden. Julius Herzog wurde am 3. Oktober 1942 nach Theresienstadt deportiert, sein Todesdatum ist der 23. Oktober 1942.
Aus dem Sammellager an der Großen Hamburger Straße 26, dem ehemaligen Jüdischen Altersheim, ist der älteste der drei Brüder, Heinrich Herzog, am 4. August 1942 zum Bahnhof Grunewald und vom berüchtigten Gleis 17 ins Ghetto Theresienstadt deportiert worden. Am 26. September 1942 wurde er ins Vernichtungslager Treblinka weitertransportiert.
Am 24.10.1942 wurde seine Wohnung in der Markgraf-Albrecht-Straße 8 geräumt. Die auf das Aufkaufen des Eigentums deportierter Juden spezialisierte Firma Paul Borneleit in der Rosenthaler Straße 13 bewertete Herzogs hinterlassene Habseligkeiten mit 100 RM und bekam dafür 70 RM von der Finanzbehörde. Kurz danach, am 14.11.1942, meldete sich noch die Hausverwaltung Kurt Börner, Unter den Linden, und wollte von Heinrich Herzog 68,60 RM Schulden eintreiben.
Recherche und Text: Helmut Lölhöffel