Stolpersteine Trautenaustraße 10

Hauseingang Trautenaustr. 10, 10.06.2012

Hauseingang Trautenaustr. 10, 10.06.2012

Diese Stolpersteine wurden am 29.04.2012 verlegt.

Stolperstein Dorothea Chalfon

Stolperstein Dorothea Chalfon, 10.06.2012

HIER WOHNTE
DOROTHEA CHALFON
GEB. CASPER
JG. 1884
DEPORTIERT 14.11.1941
ERMORDET IN
MINSK

Stolperstein Michael Chalfon

Stolperstein Michael Chalfon, 10.06.2012

HIER WOHNTE
MICHAEL CHALFON
JG. 1877
DEPORTIERT 14.11.1941
ERMORDET IN
MINSK

Stolperstein Berthold Lewin, 10.06.2012

Stolperstein Berthold Lewin, 10.06.2012

HIER WOHNTE
BERTHOLD LEWIN
JG 1887
DEPORTIERT 12.1.1943
ERMORDET IN
AUSCHWITZ

Stolperstein Anna Nachtlicht

Stolperstein Anna Nachtlicht, 10.06.2012

HIER WOHNTE
ANNA NACHTLICHT
GEB. LEVY
JG. 1880
DEPORTIERT 19.10.1942
RIGA
ERMORDET 22.10.1942

Anna Nachtlicht, geb. Levy, hatte eine Schwester und drei Brüder. Sie kam nach der Jahrhundertwende als junge Frau nach Berlin. Dort heiratete sie um 1908 den Architekten Leo Nachtlicht und bekam 1909 und 1912 die Töchter Ursula und Ilse. Die Familie lebte ohne finanzielle Sorgen. Der Ehemann und Vater betrieb als bekannter Architekt ein großes Büro, um die vielen Aufträge für Wohn- und Geschäftsbauten zu erfüllen. In der Weltwirtschaftskrise versteigerte das Ehepaar 1932 seine Kunstsammlung. 1933 erhielt Leo Nachtlicht als Jude Arbeitsverbot, konnte jedoch 1938 noch den Töchtern die Ausreise nach London ermöglichen. 1941 nahmen diese die britische Staatsbürgerschaft an.

Ehepaar Nachtlicht

Am 22. September 1942 starb Leo Nachtlicht im Jüdischen Krankenhaus. Anna Nachtlicht verließ am 19. Oktober 1942 mit dem „21. Osttransport“ vom Moabiter Bahnhof Putlitzbrücke Berlin Richtung Riga. Unter den 959 Berliner Jüdinnen und Juden dieses Transportes waren 140 Kinder unter zehn Jahren. In Riga wurden 81 Männer zum Arbeitseinsatz ausgewählt, nur 17 von ihnen überlebten. Alle anderen Menschen wurden nach der Ankunft in umliegende Wälder gebracht und dort ermordet.
Die Töchter beantragten 1949 eine Wiedergutmachung für den Verlust des elterlichen Haushaltes und die berufliche Benachteiligung des Vaters. Erst nach achtjährigem Verfahren kam es zu einem Vergleich mit dem Berliner Finanzsenator, der nicht annähernd den Wertverlust und eine Wiedergutmachung für das ihren Eltern zugefügte Unrecht spiegelte.

Biografische Zusammenstellung:
Christl Wickert
Dank an Atina Grossmann/New York, eine Großnichte der Nachtlichts.

Stolperstein Leo Nachtlicht

Stolperstein Leo Nachtlicht, 10.06.2012

HIER WOHNTE
LEO NACHTLICHT
JG. 1872
GEDEMÜTIGT / ENTRECHTET
TOT 22.9.1942

Leo Nachtlicht stammte aus einer jüdischen Kaufmannsfamilie in Schlesien. Er hatte zwei Brüder. Nach dem Abitur studierte er in Berlin an die Technische Hochschule Charlottenburg (heute: TU Berlin) Architektur und besuchte nebenbei eine Kunstschule und die Kunstgewerbeschule. Ein Semester hörte er auch an der Technischen Hochschule Karlsruhe. Leo Nachtlicht arbeitete seit den 1890er Jahren im Architekturbüro des Berliner Jugendstilarchitekten Bruno Möhring (1863-1929), zu dem 1902 auch der Architekt und Stadtplaner Bruno Taut (1880-1938) stieß. Ab 1904 führte Nachtlicht ein eigenes Atelier in Berlin, in jenem Jahr hatte er das Empfangszimmer des deutschen Pavillions auf der Weltausstellung in St. Louis gestaltet. Er entwarf und baute Landhäuser, Villen und deren Inneneinrichtungen, wie die seines Schwagers Heinrich Busse in der Friedenauer Fregestraße 20. Bekannt wurde er auch für Ladenbauten und Warenhäuser. Nachtlicht beteiligte sich an Kunstgewerbe- und Architekturausstellungen, so bekam er 1931 für einen Entwurf zur Berliner Bauausstellung den ersten Preis.

Leo Nachtlicht heiratete Anna, geb. Levy. Das Paar hatte zwei Töchter, Ursula (1909–1999) und Ilse (1912- ). Ab 1913 lehrte er an der Höheren Fachschule für Dekorationskunst, die 1910 u.a. vom Deutschen Werkbund mitgegründet worden war. Von 1928 bis 1930 gehörte Hermann Henselmann (1905-1995) zu den Mitarbeitern in Nachtlichts Büro. Nach 1945 war dieser einer der führenden Architekten in der DDR. Leo Nachtlicht war Mitglied im Architekten- und Ingenieur-Verein zu Berlin, im Deutschen Werkbund und im Vorstand des Bundes Deutscher Architekten.

Nur ganz wenige Bauten von Leo Nachtlicht überstanden den Zweiten Weltkrieg: Das 1910 von Nachtlicht entworfene und unter seiner Aufsicht errichtete Landhaus für Hugo Corts in Berlin-Frohnau, Sigismundkorso 82 wird heute als Schulgebäude genutzt. In der 1929 für den jüdischen Banker Julius Perlis (1874-1935) fertig gestellten Sacrower Villa wurde jüngst die ARD-Serie Weißensee gedreht. Im gleichen Jahr nahm der Gourmenia-Palast an der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche seinen Betrieb auf; geplant und errichtet von Leo Nachtlicht im Sinne der Neuen Sachlichkeit. 1943 wurde das Areal des heutigen Bikinihauses durch Bomben zerstört. Das noch 1933 fertiggestellte Wohnhaus für Oberingenieur Max am Ende in Kleinmachnow, Föhrenwald 5 wurde 2007 abgerissen.

Leo Nachtlicht

Ende 1932 bot Nachtlicht seine Kunstsammlung, darunter Werke von Emil Nolde, Ernst Oppler und Paula Modersohn-Becker, zur Versteigerung an. Nur wenige Monate später wurde ihm als Jude die Arbeitserlaubnis entzogen und er aller Ämter enthoben. Nachtlicht ermöglichte den Töchtern am 18. April 1939 noch die Ausreise nach London, wo sie als Sekretärin bzw. Buchhalterin ihren Lebensunterhalt verdienen konnten. Schon 1938 hatte sich Nachtlicht erfolglos um eine Arbeitserlaubnis in London beworben. Einem seiner Brüder gelang mit seiner Familie die Ausreise nach Australien, der andere Bruder überlebte mit seiner nichtjüdischen Ehefrau in Berlin im Untergrund. Leo Nachtlicht starb im Jüdischen Krankenhaus, wahrscheinlich an den Folgen eines Selbstmordversuchs. Er wurde auf dem Jüdischen Friedhof Weißensee beigesetzt. Seine Ehefrau Anna wurde genau einen Monat später in Riga ermordet.
Die Töchter beantragten 1949 eine Wiedergutmachung für den Verlust des elterlichen Haushaltes und die beruflichen Benachteiligung des Vaters. Erst nach achtjährigem Verfahren kam es zu einem Vergleich mit dem Berliner Finanzsenator, der nicht annähernd den Wertverlust und eine Wiedergutmachung für das ihren Eltern zugefügte Unrecht spiegelte.

Biografische Zusammenstellung
Christl Wickert, Dank an Atina Grossmann/New York, eine Großnichte der Nachtlichts.
Weitere Quellen
Myra Warhaftig: Deutsche jüdische Architekten vor und nach 1933. Das Lexikon, Berlin 2005.

Stolperstein Dora Nachum, 10.06.2012

Stolperstein Dora Nachum, 10.06.2012

HIER WOHNTE
DORA NACHUM
JG. 1901
DEPORTIERT 12.3.1943
ERMORDET IN
AUSCHWITZ

Dora Nachum wurde am 24. Februar 1901 in Hamburg geboren. Ihr Vater Magnus Nachum hatte einen Altmetallhandel im Stadtteil Hammerbrook, ihre Mutter Alma, geborene Goldschmidt, war die Tochter eines Lederhändlers. Dora hatte zwei Schwestern, Gertrud (*1899) und Frieda (*1906).
Die drei Schwestern besuchten die Hamburger Paulsenstiftschule, eine private höhere Mädchenschule mit emanzipatorischer und reformpädagogischer Ausrichtung. Ursprünglich als Armenschule gegründet, unterrichtete sie inzwischen Mädchen aus verschiedenen gesellschaftlichen Schichten. Die langjährige Direktorin, Anna Wohlwill, war Jüdin; sie legte großen Wert auf die Konfessionsunabhängigkeit ihrer Schule. In der Zeit, als die Nachum-Mädchen ihre Schule besuchten, war Anna Wohlwill bereits pensioniert, unterrichtete aber bis fast zu ihrem Tod 1919 weiter.

Dora machte nach der Schule eine Ausbildung zur Lehrerin für Krankenschwestern. Ihre Schwester Gertrud wurde medizinische Assistentin, Frieda Sozialarbeiterin. Bis 1930 lebte Dora allein in einer Wohnung in Hamburg-Altona.
1931 starb ihre Mutter. Bald darauf zog Dora nach Berlin, vielleicht gleichzeitig mit ihrem Vater. 1934 gründete dieser in Berlin-Tiergarten wiederum einen Altmetall-Großhandel. Die Geschäftsräume befanden sich in der Ottostraße, die allerdings in diesem Jahr in “Norkusstraße” umbenannt wurde – nach dem zum “Blutzeugen der Bewegung” erklärten Hitlerjungen Norkus, dessen Todestag zu einem Märtyrergedenktag der Nazis wurde. Heute heißt die Straße wieder Ottostraße.

Dora Nachum, Trautenaustr. 10

Auch Doras Schwester Gertrud zog nach Berlin und heiratete dort. Frieda blieb in Hamburg und heiratete ebenfalls. Dora Nachum blieb ledig und war als Lehrerin berufstätig. Zum Zeitpunkt der sogenannten Minderheiten-Volkszählung 1939 wohnte sie in der Trautenaustraße 10, ihr Vater lebte in der Nähe seiner Metallhandlung in Tiergarten.
Wir wissen nicht, ob Dora und ihr Vater versucht haben, aus Deutschland zu fliehen. Magnus Nachum wurde im Sommer 1942 von Berlin aus erst nach Theresienstadt und dann in das Vernichtungslager Treblinka verschleppt, wo man ihn am 26. September 1942 im Alter von 70 Jahren ermordete. Dora Nachum wurde am 12. März 1943 vom Güterbahnhof Moabit nach Auschwitz deportiert und gleich nach der Ankunft vergast. Sie war 42 Jahre alt. Ihre Schwester Frieda und deren Mann waren schon im Herbst 1941 von Hamburg aus erst ins Ghetto Łódź und dann ins Vernichtungslager Kulmhof (Chełmno) deportiert worden, wo man sie tötete. Der dritten Schwester, Gertrud, gelang die Flucht nach Palästina. Nach dem Tod ihres ersten Mannes heiratete sie dort noch einmal und lebte mit ihrem zweiten Mann in einem Kibbuz.

Recherche und Text: Christine Wunnicke

Quellen:
Myheritage
Yad Vashem
Gedenkbuch des Bundes
stolpersteine-hamburg.de
dasjuedischehamburg.de
Berliner und Hamburger Adressbücher
Datenbank jüdischer Gewerbebetriebe Berlin

Stolperstein Betty Hermann, 10.06.2012

Stolperstein Betty Hermann, 10.06.2012

HIER WOHNTE
BETTY HERMANN
GEB. LEVY
JG 1877
DEPORTIERT 19.10.1942
RIGA
ERMORDET 22.10.1942

Stolperstein Ilse Herzfeld, 10.06.2012

Stolperstein Ilse Herzfeld, 10.06.2012

HIER WOHNTE
ILSE HERZFELD
GEB. WEYL
JG 1890
GEDEMÜTIGT / ENTRECHTET
FLUCHT IN DEN TOD
19.10.1941

Dorothea Hauser, Bewohnerin der Trautenaustraße 10, hielt am 29. April 2012 zur Stolpersteinverlegung in der Trautenaustraße und zur Einweihung der Gedenkstele am Nikolsburger Platz die folgende Ansprache:

“Die Trautenaustraße und der Nikolsburger Platz sind für die 110 Menschen, derer wir heute gedenken, Zuhause gewesen. Für manche war es Heimat – viele lebten jahrzehntelang hier -, für andere war die Trautenaustraße letzte Zuflucht.
Genauso wie wir lebten unsere ehemaligen jüdischen Nachbarn gerne hier. Es braucht nur wenig Phantasie, sich das vorzustellen. Damals wie heute erfreute man sich am Gänselieselbrunnen auf dem Nikolsburger Platz. Auch die Rotdorne, die hier in unserer Straße demnächst wieder so blühen werden, gab es bereits. Damals wie heute stand am Nikolsburger Platz die Cecilienschule – wenngleich diese seinerzeit keine gemischte Grundschule, sondern eine höhere Mädchenschule war. Etwa die Hälfte der Schülerinnen war jüdisch.
In Berlin lebte Anfang der 1930er Jahre fast ein Drittel der rund 500.000 deutschen Juden, und Wilmersdorf war in Berlin der Bezirk mit dem höchsten jüdischen Bevölkerungsanteil, nahezu 14 Prozent. Zum Vergleich: Im Deutschen Reich betrug der Anteil derjenigen, die sich zum jüdischen Glauben bekannten, damals insgesamt weniger als 0,8 Prozent.
Vor der Herrschaft des Nationalsozialismus verstanden sich unsere ehemaligen jüdischen Nachbarn sozial, kulturell und politisch als Teil der deutschen Gesellschaft. Zugleich bewahrten viele von ihnen eine oft stark gelockerte, aber doch durchaus gelebte Bindung an Glauben und jüdische Traditionen. Dazu gehörte der Besuch der liberalen Synagoge hier um die Ecke in der Pariser Straße oder der großen Gemeindesynagoge mit 2300 Plätzen in der Prinzregentenstraße, die im September 1930 eingeweiht wurde.
Trotz der Bedrückungen der Weltwirtschaftskrise von 1930/31 und einzelner antisemitischer Vorfälle schon vor 1933 haben die Juden, die damals hier lebten, Trautenaustraße und Nikolsburger Platz lange als funktionierende Nachbarschaft gesehen.
Man, das heißt jüdische wie nicht-jüdische Nachbarn, traf sich im berühmten Café Josty – dort, wo sich heute Ecke Bundesallee der Bio-Supermarkt befindet. Man schickte die Töchter auf die Cecilienschule. Man traf sich hier am Nikolsburger Platz Nr. 6 in von der Veldens Bücherstube und gab die Wäsche zur Bügelanstalt Buckow im selben Haus. Man begegnete sich gegenüber in der Trautenaustraße 6, heute das Seniorenwohnhaus, in der Buchhandlung Franz, in der Drogerie Fiehring, im Milchladen Kleemann oder beim Friseur Krumesz. Man sah sich dort, wo heute der Spielplatz ist, beim Blumenladen Leuschner und in der Wäscherei Meier oder auf der anderen Seite beim Zahnarzt Israelski am Nikolsburger Platz 1. Und man besuchte gemeinsam die Lichtspiele am Nikolsburger Platz, ein Kino mit 300 Plätzen, das drüben an der Ecke war, dort, wo heute der Neubau Trautenaustraße 18 steht. 1931/32 sah man sich dort die Verfilmung von Erich Kästners „Emil und die Detektive“ an, Drehbuch Billy Wilder, die im Sommer zuvor teils an der Trautenaustraße gedreht worden war, und unsere kleine Straße weithin bekannt machte.
Mit dieser Nachbarschaft war es von 1933 an vorbei. Die Juden in der Trautenaustraße standen stattdessen vor Ausgrenzung und Entrechtung, Job- und Existenzverlust, Vermögensentzug, Ausplünderung und Verfolgung. Viele flohen ihre deutsche Heimat – ein Schritt, für den durch immer neue Bestimmungen und Schikanen des NS-Staats ganz ungeheure Hürden zu überwinden waren, während zugleich die Aufnahmebereitschaft anderer Ländern immer geringer wurde. Immerhin konnten durch die sogenannten Kindertransporte nach Großbritannien zahlreiche Kinder und Jugendliche gerettet werden; ihre Eltern freilich sollten viele nicht wieder sehen. Spätestens im November 1938, als man von diesem Platz aus den Brandgeruch von der Synagoge in der Prinzregentenstraße her wahrnahm, hieß es nur noch: rette sich wer kann. Doch vielen blieb die Möglichkeit der Flucht aus Deutschland, die nach Kriegsbeginn im September 1939 gegen Null ging, verwehrt. Sie waren, wie Sie heute bei der Stolpersteinverlegung und dem Verlesen ihrer Namen und Lebensdaten haben feststellen können, zumeist alt und/ oder weiblich.
Im Oktober 1941 wurde Juden die Auswanderung dann ganz verboten und die systematischen Deportationen begannen. Ilse Herzfeld aus der Trautenaustraße 10, die es offenbar als erste hätte treffen sollen, entzog sich ihrer Deportation am 19. Oktober 1941 durch Selbstmord. Als eine von vier Untermietern der Familie Nachtlicht gehörte sie zu der ganzen Reihe von Zugezogenen, für die heute Stolpersteine gelegt wurden. Es waren zumeist Juden aus der Provinz, Verwandte wie Freunde, die vor der Verfolgung durch NS-Staat und Mitmenschen in die Großstadt Berlin geflohen waren, wo sie sich vergleichsweise erträglichere Lebensbedingungen erhofft hatten. Auch die Witwe Erna Heilbronner aus der Trautenaustraße 16 hatte mehrere Untermieter aufgenommen. Insgesamt 16 Stolpersteine liegen jetzt vor diesem Haus.
Für die verzweifelt und mittellos Zurückgeblieben, bis 1942/43 Todgeweihten, engte sich der Lebensraum auch außerhalb der eigenen vier Wände oder Logis-Zimmer stetig weiter ein. Man weiß gar nicht, wo man anfangen und wie man aufhören soll: Vom November 1938 an, zum Beispiel, durften Juden das Kino am Nikolsburger Platz nicht mehr betreten. Gleiches galt für die Badeanstalt in der Trautenaustraße 5, dem heutigen PANGEA-Haus. Und dann auch für die Wohnungen nicht-jüdischer Nachbarn und Bekannten. Ab Juli 1940 durften Juden in der Trautenaustraße, wo die Kriegswirtschaft bald Schlangen vor den Läden produzierte, wie überall in Berlin nur noch zwischen 4 und 5 Uhr nachmittags einkaufen. Viel weiter schafften sie es zu Fuß kaum, denn die Benutzung der Straßenbahn, die seinerzeit durch die Trautenaustraße rumpelte, war ihnen ebenso verboten wie bald alle anderen öffentlichen Verkehrsmittel. Autos sowieso, Fahrräder wurden beschlagnahmt. Auch Telefon und Radio waren verboten.
Der Friseur Krumesz in der Trautenaustraße 6 wurde für Juden ebenso tabu wie der Zigarrenladen hier drüben am Nikolsburger Platz 1, wo heute ein Garagengeschoss steht, die Milchläden in der Trautenaustraße 6 und der Trautenaustraße 10, die Buchläden am Nikolsburger Platz usw. usf., da Juden weder Milch noch Fleisch noch sogenannte deutsche Druckerzeugnisse oder Eier einkaufen durften. Die Liste ließe sich beliebig verlängern; ich könnte noch sehr lange reden und es ließe sich noch viel mehr sagen: Zu unseren ermordeten ehemaligen jüdischen Nachbarn. Aber auch zu Solidarität und Widerstand von Nicht-Juden, die es in der Trautenaustraße – neben Gleichgültigkeit, Verrat und Berreicherung – auch gegeben hat.”