Stolpersteine Trautenaustr. 8

Hauseingang Trautenaustr. 8

Hauseingang Trautenaustr. 8, Foto: A. Bukschat & C. Flegel, 10.06.2012

Der Stolperstein für Franziska Israel ist von Hausbewohnern gespendet worden, die Stolpersteine für Walter Caro und Charlotte Glückstein von Eva Züchner.
Sie wurden am 29.04.2012 verlegt.

Stolperstein Franziska Israel

Stolperstein Franziska Israel, Foto: A. Bukschat & C. Flegel, 10.06.2012

HIER WOHNTE
FRANZISKA ISRAEL
GEB. DEUTSCH
JG. 1880
DEPORTIERT 2.4.1942
GHETTO WARSCHAU
ERMORDET

Franziska Israel wurde als Sara Franziska Deutsch am 27. Mai 1880 in Berlin geboren. Ihre Eltern, der 41-jährige Handelsmann Jacob Deutsch (geboren 1839) und dessen 38-jährige Ehefrau Auguste Deutsch, geborene Krzywynos (geboren 1842), wohnten damals in der Klosterstraße 5/6 in Berlin-Mitte. Sie hatten zuvor in Meseritz in der Provinz Posen (heute Międzyrzecz, Polen) schon drei Kinder, der ältesten Tochter Marie (geboren 1868) und den Söhnen Sigismund (geboren 1869) und Salli (geboren 1872).

Anfang der 1870er-Jahre siedelten sie nach Berlin um, wo die beiden Söhne Joseph (geboren1874) und Gustav (geboren 1876) geboren wurden. Beide wurden nur ein halbes Jahr alt. Sara Franziska, die sie später Selma nannten, und ihre Geschwister bekamen am 30. Mai 1883 noch einen weiteren Bruder mit Namen Bruno.

Über Selmas Kindheit und Jugend konnte nichts recherchiert werden. 1896 starb ihr Bruder Salli nach langen Leiden mit 24 Jahren in Görbersdorf (heute Sokołowsko) bei Waldenberg (Wałbrzych) in Schlesien (heute Polen). Auch ihre älteste Schwester Marie wurde nicht alt, sie starb 1899 mit 31 Jahren.

Am 31. August 1907 heiratete Selma mit 27 Jahren den vier Jahre älteren Schlachter Isidor Theodor Israel, der in Usch (Ujście) in der Provinz Posen am 30. Oktober 1914 geboren worden war. Die Ehe dauerte nur sieben Jahre. Sie wohnten in der Gotenstraße 50 in Berlin-Schöneberg, als Isidor am 9. November 1914 im Auguste-Victoria-Krankenhaus in Berlin-Schöneberg starb. Selma wurde mit 34 Jahren Witwe.

Selmas Mutter starb 11 Jahre nach ihrem Vater am 19. Februar 1917. Jetzt war Selma nicht nur Witwe, sondern auch Waise. Es blieben ihr der älteste Bruder Sigismund mit seiner Ehefrau Martha, geborene Nathan, sowie ihr jüngster Bruder Bruno mit seiner evangelischen Ehefrau Auguste, geborene Dietrich. Das Berliner Adressbuch führte Franziska Deutsch in den zwanziger Jahren in der Westfälischen Straße 49 in Berlin-Halensee mit dem Zusatz „Strumpfwaren”.

Sigismund und Martha wohnten bei der Minderheiten-Volkszählung am 17. Mai 1939 in der Stahlheimer Straße 2a in Berlin-Prenzlauer Berg. Ihrer Tochter Margot (geboren am 22. Februar 1909) war 1939 noch die Flucht nach England gelungen.

Im Jüdischen Adressbuch 1931/32 findet sich Selmas jüngster Bruder, der Kaufmann Bruno Deutsch, in der Ritterstraße 115 in Berlin-Kreuzberg. Er lebte mit seiner nicht-jüdischen Ehefrau in einer „Mischehe“, wie es die Nationalsozialisten nannten. Bei der Minderheiten-Volkszählung 1939 war Bruno in der berüchtigten „Heil-und Pflegeanstalt” Herzberge in Berlin-Lichtenberg gemeldet. In dieser Anstalt wurden Forschungen an lebenden Kranken vorgenommen, weil psychisch Kranke nach nationalsozialistischer Überzeugung „unwertes Leben waren, das nicht geschützt werden müsse“. Vor diesem Hintergrund hatte Bruno großes Glück, hier entlassen worden zu sein. Seine Ehefrau starb mit 51 Jahren im Horst-Wessel-Krankenhaus am 28. September 1940. Bruno zog daraufhin zur Untermiete in die Dragonerstraße 6 (heute Max-Beer-Straße) in Berlin-Mitte.

Selma Franziska war bei der Minderheiten-Volkszählung 1939 in der Trautenaustraße 8 in Berlin-Wilmersdorf gemeldet. Es ist anzunehmen, dass sie dort zur Untermiete wohnte, denn das Berliner Adressbuch führte sie nicht als Hauptmieterin. Wie lange sie dort wohnte, ist nicht bekannt. Sie war die erste der Familie Deutsch, die den Deportationsaufruf im März 1942 erhielt. Zu dem Zeitpunkt arbeitete sie als Hausangestellte und wohnte in der Bleibtreustraße 33 in Berlin-Charlottenburg zur Untermiete, so notierte es zumindest die Gestapo auf der Deportationsliste. Der Deportationszug mit Selma Franziska Israel verließ Berlin am 2. April 1942 und wurde, anstatt wie geplant nach Trawniki bei Lublin zu fahren, in das Warschauer Ghetto umgeleitet.

Da ihr Bruder Bruno in seiner Vermögenserklärung am 16. Oktober 1942 schrieb, dass seine Schwester nach Warschau ausgewandert sei, ist anzunehmen, dass sie ihm einen solchen Brief geschrieben hatte. Ab dem 22. Juli 1942 wurde das Warschauer Ghetto durch die SS in der „Großen Aktion“ im Rahmen der „Aktion Reinhardt” schrittweise aufgelöst. Die Ghettobewohner wurden zum größten Teil in das Vernichtungslager Treblinka deportiert. Selma Franziska Israel wurde mit 62 Jahren höchstwahrscheinlich in Treblinka ermordet.

Ihren jüngsten Bruder Bruno deportierte die Gestapo am 19. Oktober 1942 nach Riga und ermordete ihn dort am 22. Oktober 1942. Am gleichen Tag fanden Polizisten in der Schönhauser Allee 113 in Berlin-Prenzlauer Berg die Leichen von Selma und Brunos ältesten Bruder Sigismund Deutsch und seiner Ehefrau Martha, die beide Selbstmord begangen hatten, um sich der anstehenden Deportation zu entziehen. Sie wurden auf dem jüdischen Friedhof in Weißensee beigesetzt. Ihre Tochter Margot Velardo, geborene Deutsch, ließ nach dem Krieg für ihre Eltern einen Grabstein aufstellen.

Text und Recherche: Gundula Meiering, September 2024

Quellen: Gedenkbuch – Opfer der Verfolgung der Juden unter der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft in Deutschland 1933 – 1945; Berliner Adressbücher – Zentral- und Landesbibliothek Berlin; Arolsen Archives – Deportationslisten; Mapping the lives; Landesarchiv Berlin, Personenstandsunterlagen/über ancestry; Brandenburgisches Landeshauptarchiv (BLHA) Potsdam Signatur: 36A (II) 7192 – Vermögenserklärung Bruno Deutsch; Landesarchiv Berlin – WGA-Datenbank; Akim Jah: Die Deportationen der Juden aus Berlin – Die nationalsozialistische Vernichtungspolitik und das Sammellager Große Hamburger Straße, Berlin 2013

Stolperstein Walter Caro

Stolperstein Walter Caro, Foto: F. Siebold, Januar 2013

HIER WOHNTE
WALTER CARO
JG. 1899
IM WIDERSTAND
VERSTECK/DENUNZIERT
VERHAFTET SEPT. 1943
DEPORTIERT 18.4.1944
ERMORDET IN
AUSCHWITZ

Stolperstein Charlotte Glückstein

Stolperstein Charlotte Glückstein, Foto: A. Bukschat & C. Flegel, 10.06.2012

HIER WOHNTE
CHARLOTTE
GLÜCKSTEIN
JG. 1919
DENUNZIERT
VERHAFTET SEPT. 1943
FRAUENGEFÄNGNIS
CHARLOTTENBURG
1944 RAVENSBRÜCK
FLOSSENBÜRG
ÜBERLEBT

In diesem Haus wurden Walter Caro und Charlotte Glückstein im September 1943 verhaftet. Charlotte Glückstein, evangelisch getauft, galt als sogenannter Mischling ersten Grades. Sie lernte Walter Caro Anfang 1939 in der großen Konfektionsfirma Siegfried Heumann im Hausvogteiviertel kennen, einst jüdisch, dann arisiert. Sie wurde als Directrice eingestellt, der im Nazi-Deutsch sogenannte Volljude Walter Caro war Ende 1938 mit der Arisierung vom Geschäftsführer zum Verkaufsleiter herabgestuft worden, durfte dort aber noch ein Jahr weiterarbeiten. Charlotte und Walter verliebten sich ineinander, sie war 19, er 39 Jahre alt.

Anfang 1940 wurde Walter Caro fristlos entlassen und als Bauhilfsarbeiter zur Zwangsarbeit gepresst. Während der „Fabrikaktion“ Ende Februar 1943, also nach drei bis vier Jahren Zwangsarbeit, wurden die Juden reichsweit an ihren Arbeitsplätzen verhaftet und deportiert. Walter gehörte zu denen, die in den Untergrund fliehen konnten. Er war nun ein „U-Boot“. Seine Wohnung in Prenzlauer Berg konnte er nicht mehr betreten. Charlotte versteckte ihn sieben Monate lang in ihrer Wohnung in der Trautenaustraße 8. In dieser Zeit arbeitete Walter mit dem „U-Boot“ und Passfälscher Rolf Isaaksohn zusammen, der sich wenig später als Gestapo-Spitzel verdingte. Er verkaufte mehrere gefälschte Ausweise an den Arzt Georg Groscurth, der sie an versteckt lebende Juden weitergab. Wiederum sieben Monate später, am 7. September 1943, wurden Walter und Charlotte von Unbekannten denunziert und von der Gestapo in der Trautenaustraße 8 festgenommen. Vier Tage zuvor war die Widerstandsgruppe „Europäische Union“ um Robert Havemann und Georg Groscurth aufgeflogen, von der aber Walter gar nichts ahnte. Walters Haftgrund dennoch: Er habe einer illegalen Organisation auf kommunistischer Grundlage falsche Papiere verschafft. Charlottes Haftgrund: Beherbergung eines Volljuden.

Beide wurden im Gestapo-Hauptquartier in der Prinz-Albrecht-Straße erkennungsdienstlich erfasst und verhört, Walter gleich mehrfach, um aus ihm weitere Namen von Sympathisanten der „Europäischen Union“, die er doch gar nicht kannte, herauszufoltern. Irgendwann gab die Gestapo auf und sperrte Walter Caro ins Sammellager in der Großen Hamburger Straße, später in der Schulstraße. Seine Deportation erfolgte am 18. April 1944 mit dem von der Geheimen Staatspolizei (Gestapo) so bezeichneten 51. Osttransport, der am 20. April im Vernichtungslager Auschwitz eintraf. Vermutlich ist Walter Caro, 44 Jahre alt, noch am selben Tag in der Gaskammer ermordet worden.

Charlotte Glückstein wurde auf eine Odyssee getrieben, die anderthalb Jahre dauerte. Deren erste Station war das Frauengefängnis Charlottenburg in der Kantstraße, gefolgt vom Straflager 21 in Hallendorf, dem KZ Ravensbrück und zwei Außenlagern des KZ Flossenbürg. Sie floh Ende April 1945 aus dem Lager Neu-Rohlau, Sudetengau, zu Fuß in die bereits amerikanisch besetzte Zone im Vogtland. Die Flucht dauerte sieben Tage. Noch dreihundert Kilometer bis Berlin. Noch zwei Wochen bis zu Charlottes 26. Geburtstag. Sie wog 40 Kilo.

Nach und nach haben sich die Schicksale von Walter Caro und Charlotte Glückstein in der ungeheuerlichen Menge an Daten, Fakten und Zahlen der „großen“ Geschichte verloren. Ein Hauch ihrer „kleinen“ Geschichte ist in den Stolpersteinen vor dem Haus Trautenaustraße 8 aufbewahrt.

Text: Eva Züchner

In einem sorgfältig recherchierten Buch werden die Lebenswege Walter Caros, Charlotte Glücksteins, ihrer Verwandten und Freunde ausführlich erzählt, aber auch die Karrieren ihrer Verräter und Peiniger präzis geschildert:
Eva Züchner: Der verbrannte Koffer. Eine jüdische Familie in Berlin.
Berlin 2012, 160 S., 22 Abb., ISBN 978-3-8270-1050-6, € 18,90