Stolpersteine Pestalozzistraße 14

Hauseingang Pestalozzistr. 14

Hauseingang Pestalozzistr. 14

Die folgenden Stolpersteine wurden am 26.04.2012 verlegt.

Stolperstein Julie Bernstein

Stolperstein Julie Bernstein

HIER WOHNTE
JULIE BERNSTEIN
JG. 1882
DEPORTIERT 26.9.1942
ERMORDET IN
RAASIKU

Julie Bernstein wurde am 1. November 1882 in Posen (poln. Poznan) als Tochter des Lehrers Michaelis Bernstein und seiner Frau Jenny geb. Posch geboren. Sie hatte zwei Brüder: Heinrich kam 1885 auf die Welt, Ernst 1889. Beide gingen zum Militär. Julie heiratete nicht. Sie wurde Stenotypistin, möglicherweise auch erst, nachdem sie nach Berlin ging. Wir wissen nicht genau, wann das war, sehr wahrscheinlich aber erst nach dem Ersten Weltkrieg, als Posen polnisch wurde. 1920 war auch ihre Mutter gestorben, sie war schon seit 1909 verwitwet. Das Adressbuch Berlin kennt nur eine Julie Bernstein zwischen 1924 und 1931, als „Privatiere“ oder „Rentiere“ bezeichnet, d.h., von ihrem Vermögen lebend, und in der Blücherstraße 13 wohnhaft. Wenn Julie Bernstein sich bis Anfang der 30er Jahre eine eigene Wohnung leisten konnte, so muss sie anschließend entweder zu Verwandten oder in Untermiete gezogen sein.

Die mit Beginn der nationalsozialistischen Machtausübung zunehmende Erschwerung der Lebensumstände von Juden haben sicherlich auch Julie Bernsteins Möglichkeiten eingeschränkt. Juden wurden nach und nach aus dem öffentlichen Leben gedrängt und verloren auch die Verfügung über ihr Vermögen. Julie Bernstein arbeitete, ob freiwillig oder durch die Umstände gezwungen, als Stenotypistin für die Jüdische Gemeinde. Es ist nicht klar, ab wann sie dort tätig war, jedenfalls lang genug, um ab 1. April 1941 Anspruch auf Ruhegeld zu haben. Im Mai 1939, zum Zeitpunkt der Volkszählung, bei der Juden in gesonderten „Ergänzungskarten“ erfasst wurden, lebte Julie Bernstein in der Pestalozzistraße 14 als Untermieterin von der gleichaltrigen Jenny Basch, die wie sie aus Posen gebürtig war.

Da die Wohnhäuser in der Pestalozzistraße seit 1930 der jüdischen Gemeinde gehörten, ist denkbar, dass Julie Bernstein kraft ihrer Tätigkeit für die Gemeinde – ihr Arbeitsplatz lag in der Rosenstraße 2/4 – in der Pestalozzistraße eine Unterkunft fand. Wir wissen aber nicht, wie lange vor der Volkszählung von 1939 sie schon dort wohnte, da das Adressbuch sie nicht mehr aufführt. Im September 1941 wurde sie zur Zwangsarbeit verpflichtet und Anfang Juli 1942, nachdem Jenny Basch im Juni deportiert worden war, auch genötigt, aus der Wohnung auszuziehen. Ihr wurde ein Zimmer bei Rosa Cohn in der Kaiser-Friedrich-Straße 70 zugewiesen.
Gut zwei Monate später, am 18. September, musste sie die „Vermögenserklärung“ ausfüllen, ein Vorbote der Deportation. In der von ihr verlangten detaillierten Aufzählung ihrer Habe findet sich nur noch ein schwacher Glanz ihres einstigen Vermögens wieder: 1 Seidenkleid, 7 paar Strümpfe, 6 paar Handschuhe, 2 Schirme, 3 Handtaschen hatte sie in die Kaiser-Friedrich-Straße mitnehmen können. Nun wurden auch die beschlagnahmt und Julie Bernstein in die zur Sammelstelle umfunktionierte Synagoge in der Levetzowstraße verschleppt. Ihre Vermieterin Rosa Cohn war nach ihren Angaben schon vorher „ausgewandert“, ein Euphemismus für die Deportation.
Julie hatte vorher auch erleben müssen, dass ihr Bruder Heinrich mit seiner Frau Johanna geb. Baruch am 11. Juli 1942 nach Auschwitz deportiert wurde. Wenig später, am 26. September 1942, wurde Julie Bernstein ebenfalls verschleppt. Mit 811 weiteren Opfern pferchte man sie in einen Zug, der schon zwei Tage zuvor in Frankfurt am Main mit 237 Juden gestartet war. Sie wurden nach Raasiku in Estland deportiert, wo mehrere Zwangsarbeitslager zur Ölschiefergewinnung bestanden. Allerdings wurden von den über 1000 Deportierten dieses Zuges nur etwa 200 zur Arbeit „selektiert“, die anderen wurden in Bussen nach Kalevi-Liiva, ein Waldgebiet bei dem nahe gelegenen Dorf Jägala, gefahren, wo sie nach Ankunft von estnischen Polizisten unter Aufsicht deutscher Sicherheitspolizei erschossen wurden. Die 59jährige Julie Bernstein gehörte höchstwahrscheinlich zu den sofort Ermordeten. Von den zur Zwangsarbeit Bestimmten überlebten nur 7 Frankfurter und 19 Berliner.

Julie Bernsteins Bruder Heinrich und dessen Frau überlebten Auschwitz nicht. Der zweite Bruder Ernst Bernstein konnte noch 1939 nach Shanghai flüchten. Julies Vermieterin Rosa Cohn, in Aachen am 25. Oktober 1882 geboren, war bereits am 5. September 1942 nach Riga deportiert und dort ermordet worden.

Quellen:
Gedenkbuch. Bundesarchiv Koblenz, 2006; Gedenkbuch Berlin der jüdischen Opfer des Nationalsozialismus 1995; Brandenburgisches Landeshauptarchiv, Akten der Oberfinanzdirektion; Berliner Adressbücher; Einwohnermeldekartei Posen (http://e-kartoteka.net/en/); Gottwaldt/Schulle, Die „Judendeportationen“ aus dem Deutschen Reich 1941-1945, Wiesbaden 2005

Stolperstein Jenny Basch

Stolperstein Jenny Basch

HIER WOHNTE
JENNY BASCH
GEB. KAUFMANN
JG. 1882
DEPORTIERT 13.6.1942
ERMORDET IN
SOBIBOR

Jenny Basch wurde als Jenny Kaufmann am 31. Oktober 1882 in Posen geboren. Ihr Vater war der Lehrer Mayer Max Kaufmann, seine Frau war Hanchen geb. Schachno. Jenny hatte drei ältere Brüder, Philipp, Ewald und Hugo, und drei jüngere Schwestern, Clara, Hedwig und Rosa. Hedwig starb bereits als Kleinkind. 1904 heiratete Jenny den zwei Jahre älteren Friseur Martin Basch aus Fraustadt in Posen, heute Wschowa. 1913 zog das Paar nach Posen, zu den Eltern Kaufmann. Im Juli 1915 ging Martin Basch zum Militär und nach dem Krieg, im August 1921, übersiedelten er und Jenny nach Berlin, an den Monbijouplatz 4, wo Martin wieder als Friseur tätig war. Mitte der 30er Jahre verstarb er jedoch, und wir finden 1937 Jenny Basch, Witwe, erstmals im Adressbuch. Sie hatte im Jahr davor eine Wohnung in der Pestalozzistraße 14 bezogen.

Das Haus Pestalozzistraße 14/15 war 1884/85 für den Geheimen Postbaurat Wilhelm Tuckermann gebaut worden. Bereits 1887, damals noch Nr. 2 und 3 der „Strasse 11“, wohnten dort mehrere Mietparteien. Nach Pestalozzi wurde die Straße ein Jahr später benannt und erst 1897 erhielten die beiden Häuser die Nummern 14 und 15. Wilhelm Tuckermann wohnte selbst in der Nr. 15, auch „Villa Tuckermann“ genannt, ein Verwandter von ihm in dem anderen Haus. 1910 erwarben der jüdische Kaufmann Bernhard Samuel Jacobsohn und seine Frau Betty Sophie das Gartengrundstück hinter den Wohnhäusern und ließen dort eine Privatsynagoge erbauen, die am 9. Mai 1912 eingeweiht wurde. Die Synagoge wurde dann 1915 von der jüdischen Gemeinde übernommen, die Mietshäuser an der Straßenfront blieben Eigentum von Tuckermann. Nach seinem Tod 1919 blieben die Häuser im Besitz der Erbengemeinschaft. Zu den Mietern gehörte auch die Jüdische Gemeinde, die Wohlfahrtseinrichtungen wie Suppenküchen, später auch Einrichtungen der „Jüdischen Winterhilfe“ dort unterhielt. 1930 erstand die Jüdische Gemeinde auch die Wohnhäuser und hatte so einen direkteren Zugang zu den Wohnungen. So wohnten hier dann auch der Rabbiner Wezer Cycowicz und andere Angestellte der Gemeinde und es konnten auch wohnungslos gewordene Gemeindemitglieder untergebracht werden. Auch Jenny Basch erhielt hier eine Wohnung.

In den auf ihren Einzug folgenden Jahren musste Jenny Basch erleben, wie ihr Leben durch Antisemitismus und diskriminierende Maßnahmen der NS-Regierung zunehmend erschwert wurde. Nach dem Novemberpogrom am 9./10. November 1938 häuften sich noch mal die Verordnungen gegen Juden, sie sollten vom öffentlichen Leben ausgeschlossen werden, durften nicht in Theater, Konzerte, Kinos usw., zu bestimmten Zeiten durften sie gar nicht mehr auf die Straße, durften nur von 4 bis 5 Uhr nachmittags einkaufen. Alle Wertgegenstände mussten sie abliefern, Rundfunkgeräte wurden beschlagnahmt, Telefonanschlüsse gekündigt. Hinzu kamen Zwangseinweisungen von Juden, die anderswo ihre Wohnungen räumen mussten, um für Nichtjuden „Platz zu machen“. Jenny Basch musste ihre Wohnung laut Ergänzungskarte von 1939 mit der über 80-jährigen Johanna Labaschin, geb. Broh und mit Julie Bernstein teilen. Außerdem wohnte die 4-jährige Karin Jenny Ascher bei ihr, und es bleibt unklar, welcher der drei Frauen das Kind – vielleicht als Enkelin oder Nichte – zuzuordnen ist. Diese Ergänzungskarten waren Bestandteil der Volkszählung vom Mai 1939, auf ihnen wurde registriert, wer wie viele jüdische Großeltern hatte. Obwohl das Statistikgeheimnis zugesichert wurde, kann man sich denken, dass diese Kartei für die Judenverfolgung missbraucht wurde, z.B. bei der Zwangsverpflichtung zur Arbeit. Und tatsächlich wurden Jenny Basch und Julie Bernstein zum 25. September 1941 zum „Reichsarbeitsdienst“ zwangsverpflichtet.

1942 ist Jenny Basch nicht mehr im Adressbuch Berlin verzeichnet. Allerdings wohnte sie im Frühjahr 1942 noch in der Pestalozzistraße. Ende Mai oder Anfang Juni dieses Jahres wurde sie von dort von der Gestapo in die als Sammellager missbrauchte Synagoge in der Levetzowstraße 7-8 verschleppt, von wo aus sie mit weiteren 745 Berliner Juden zunächst nach Lublin deportiert wurde. Im gleichen Zug waren außerdem mindesten 36 Potsdamer Juden, darunter viele Kinder der „Israelitischen Erziehungsanstalt“ in Beelitz. Das Datum dieser Deportation ist nicht ganz eindeutig. Während allgemein der 13. Juni 1942 genannt wird, gibt es auch Hinweise dafür, dass der Zug schon am 2. Juni abfuhr.

Noch im Ankunftsbahnhof von Lublin wurde auf einem Nebengleis eine Reihe von Männern zur Zwangsarbeit ausgesucht und in das Lager Majdanek geschickt. Obwohl Jenny Basch wie auch andere auf der Deportationsliste als „arbeitsfähig“ eingestuft wurde, scheint es keine Frauen unter den Zwangsarbeitern gegeben zu haben. Alle anderen, also auch Jenny Basch, wurden in das Vernichtungslager Sobibór weitergeleitet und dort kurz nach der Ankunft in Gaskammern durch Motorabgase ermordet.

Jennys Bruder Ewald Kaufmann, der zuletzt in Friedrichshain gewohnt hatte, wurde am 26. Oktober 1942 mit seiner Familie nach Riga deportiert und dort ermordet. Für sie liegen Stolpersteine vor dem Haus Boxhagener Straße 50. Zu den anderen Geschwistern von Jenny Basch finden sich keine Daten in den Gedenkbüchern.

Quellen:
Gedenkbuch. Bundesarchiv Koblenz, 2006; Gedenkbuch Berlin der jüdischen Opfer des Nationalsozialismus 1995; Berliner Adressbücher; Bundesarchiv Berlin-Lichterfelde, Ergänzungskarten; Einwohnermeldekartei Posen (http://e-kartoteka.net/en/); Gottwaldt/Schulle, Die „Judendeportationen“ aus dem Deutschen Reich 1941-1945, Wiesbaden 2005; Esther Slevogt, Die Synogoge Pestalozzistrasse, Berlin 2012; www.statistik-des-holocaust.de

Stolperstein Karin Jenny Ascher

Stolperstein Karin Jenny Ascher

HIER WOHNTE
KARIN JENNY
ASCHER
JG. 1935
DEPORTIERT 29.11.1942
ERMORDET IN
AUSCHWITZ

Karin Jenny Ascher wurde am 5. Mai 1935 in Berlin-Charlottenburg geboren. Sie war 4 Jahre alt, als bei der Volkszählung im Mai 1939 in gesonderten „Ergänzungskarten“ alle Juden erfasst wurden. Karin Jenny hatte sowohl mütterlicher- wie väterlicherseits jüdische Großeltern. Sie lebte in der Pestalozzistraße 14 in der Wohnung von Jenny Basch, die Ergänzungskarte gibt aber keinen Aufschluss darüber, wer ihre Eltern waren, bzw. ob und wenn, wie sie mit einer der drei in der Wohnung gemeldeten Frauen, Jenny Basch, Julie Bernstein oder Hanna Labaschin, verwandt war. Wir wissen nicht, ob ihre Eltern gestorben, inhaftiert oder vielleicht untergetaucht waren.

Nachdem im Juni 1942 die Hauptmieterin Jenny Basch deportiert worden war, mussten auch die anderen Frauen ausziehen und Karin Jenny kam in das Auerbach’sche Waisenhaus in der Schönhauser Allee 162.

Dieses jüdische Waisenhaus war von dem Lehrer und Erzieher Baruch Auerbach 1833 in der Rosenstraße als „Waisen-Erziehungs-Anstalt“ gegründet worden, zunächst nur für Knaben, 1843 gründete er auch eines für Mädchen, das später in die Oranienburger Straße umzog. Er leitete beide bis zu seinem Tod 1864. Die Waisenhäuser zogen 1897 zusammen in einen Neubau in der Schönhauser Allee 162. Baruch Auerbachs Anspruch war, Waisenkindern nicht nur Obdach und Brot zu geben, sondern ein echter Ersatz für ein Elternhaus zu sein, sich auch um die Bildung und Berufszukunft der Zöglinge zu kümmern. Entsprechend gut war der Ruf des Auerbach’schen Waisenhauses. 1942 allerdings, als Karin Jenny hinkam, konnte das Heim schwerlich noch diesem Anspruch genügen. NS-Diskriminierungen und Einschränkungen galten auch für jüdische Einrichtungen, sogar die Kinder mussten Sterne tragen, konnten sich nicht frei bewegen, konnten nicht mehr ins Kino oder Theater, in Museen oder Schwimmbäder gehen, durften keine Ausflüge mehr machen. Andere Waisenhäuser waren geschlossen worden und die Kinder von dort in das Auerbach’sche eingewiesen, das dementsprechend überfüllt war. Sich um die Zöglinge zu kümmern, wie Baruch Auerbach es gewollt hatte, war nicht mehr möglich. Kurt Crohn, der Leiter des Waisenhauses, der nach den Pogromen von 1938 noch Kindertransporte nach England organisiert hatte, hatte kaum noch Möglichkeiten, seine Schutzbefohlenen zu retten.

Auch das Schicksal des Auerbach’schen Waisenhauses hatten die Nazis bereits besiegelt. Am 19. Oktober 1942 verließ den Güterbahnhof Moabit ein Zug mit 959 Berliner Juden, 140 davon waren Kinder unter 10 Jahren, knapp die Hälfte von ihnen aus dem Auerbach’schen Waisenhaus. Sie wurden nach Riga verschleppt und dort nach Ankunft sofort ermordet. Karin Jenny war nicht dabei, ihr war noch ein Aufschub von fünf Wochen gegönnt, bis auch sie deportiert wurde. Vorher noch musste selbst für Kinder – Karin war 7 Jahre alt – eine „Vermögenserklärung“ ausgefüllt werden, sie wurde am 25. November von dem Lehrer Ernst Berger „i.A.“ und mit dem Zusatz „Kinderheim“ unterschrieben. Natürlich sind keinerlei Vermögens- oder Sachwerte eingetragen, aber offenbar hatte Ernst Berger das Formular zusammen mit Karin ausgefüllt. Auf die Frage, aus wie vielen Personen der Haushalt bestünde, steht dort:“1 Person, aus mir“. Karin war unter den 75 Kindern des Heims (nach anderer Quelle 36), die in das zum Sammellager umfunktionierte Altersheim in der Großen Hamburger Straße 26 gebracht wurden. Ein 5-jähriger Horst Ascher war auch dabei, vielleicht eine zufällige Namensgleichheit, vielleicht aber auch ein Cousin oder gar ein Brüderchen von Karin. Am 29. November 1942 wurden sie beide und knapp 1000 weitere Opfer, darunter drei Betreuerinnen aus dem Heim, nach Auschwitz deportiert. Keiner überlebte. Aus den zynisch-genauen „Transportlisten“ erfahren wir, dass Karin 7 Jahre alt, „ledig“ und von Beruf „Kind“ war.

Das Auerbach’sche Waisenhaus wurde im Dezember 1942 ganz aufgelöst, das Gebäude beschlagnahmt und ab Januar 1943 der Hitlerjugend zur Verfügung gestellt, aber schon im November des gleichen Jahres stark bombenbeschädigt. In den 1950er Jahren wurde es durch einen Wohnneubau ersetzt, nur ein kleines Stück Originalmauer im Hof blieb erhalten. Erst im Jahr 2000 entstand hier auch eine Gedenkinstallation aus Tonspielzeugen, sie wurde jedoch kurz darauf von Unbekannten zerstört. 2011 wurde im Rahmen des Berliner Gedenkstättenprogramms eine Gedenktafel für die ermordeten Kinder an das Haus Schönhauser Allee 162 angebracht. Schließlich wurde am 26. Juni 2014 ein von der Künstlerin Susanne Ahner gestaltetes Mahnmahl eingeweiht: in die originalen Mauerreste sind die bis jetzt bekannten Namen von 137 Kindern und 11 Betreuern eingraviert, auch Karin Aschers Namen ist hier verewigt.

Ernst Berger, Karins Lehrer, war 1883 in Essen geboren und wohnte zuletzt in einem Haus der Jüdischen Gemeinde in der Joachismsthaler Straße 13. Er wurde am 12. März 1943 nach Auschwitz deportiert und dort ermordet. Kurt Crohn, der letzte Heimleiter, war 1896 in Köslin geboren worden und wurde am 28. September 1944 ebenfalls nach Auschwitz deportiert und dort ermordet.

Quellen:
Gedenkbuch. Bundesarchiv Koblenz, 2006; Gedenkbuch Berlin der jüdischen Opfer des Nationalsozialismus 1995; Brandenburgisches Landeshauptarchiv, Akten der Oberfinanzdirektion; Gottwaldt/Schulle: Die „Judendeportationen“ aus dem Deutschen Reich 1941-1945, Wiesbaden 2005.

Stolperstein Benno Itzig

Stolperstein Benno Itzig

HIER WOHNTE
BENNO ITZIG
JG. 1898
DEPORTIERT 9.12.1942
ERMORDET IN
AUSCHWITZ

Benno Itzig wurde am 27. August 1898 in Löbau (Lubawa) in Westpreußen geboren. Über seine Kindheit und Jugend ist nichts dokumentiert. Auch nicht, wann und wo er seine Braut, Hedwig Alexander, heiratete. Er soll ein gelernter Elektriker gewesen sein, im Berliner Adressbuch wird er ganz allgemein als Kaufmann bezeichnet. Er war dort erstmals 1930 verzeichnet, das junge Ehepaar muss aber schon einige Jahre zuvor in der Hauptstadt gelebt haben, da 1928 ihr Sohn Heinz in Berlin zur Welt kam. Sie wohnten in der Prinzenstraße 76, später in Zehlendorf.

Stolperstein Hedwig Itzig

Stolperstein Hedwig Itzig

HIER WOHNTE
HEDWIG ITZIG
GEB. ALEXANDER
JG. 1899
DEPORTIERT 9.12.1942
ERMORDET IN
AUSCHWITZ

Hedwig Itzig war die Tochter von Hermann Alexander und seiner Frau Bertha, geb. Katz. Sie wurde am 13. Juni 1899 in Rogasen, Posen, (heute polnisch Rogoźno) geboren. Sie hatte drei Brüder, Karl, Isidor, Georg, und eine Schwester, Selma. 1902, als Georg geboren wurde, lebte die Familie bereits im nicht sehr weit entfernten Czersk bei Konitz (Westpreußen), wo Hermann Alexander eine kleine Zigarren- und Zigarettenfabrik betrieb. Hermann Alexander fiel im Ersten Weltkrieg und seine Witwe Bertha gab die Zigarrenfabrik auf und zog nach Kolberg. Auch Hedwig, genannt Heti, war mit ihr in Kolberg und vielleicht lernte sie Benno Itzig dort kennen. Spätestens 1927 zogen Benno und Hedwig nach Berlin, am 2. Februar 1928 wurde hier ihr Sohn Heinz Itzig geboren. Wahrscheinlich wohnten sie zur Untermiete, bis sie 1929 eine eigene Wohnung in der Prinzenstraße fanden. Hetis Geschwister lebten bald auch alle in der Hauptstadt und ihre Mutter Bertha Alexander zog zu der Tochter Selma, inzwischen verheiratete Izbicki, in die Invalidenstraße 33.

Ab der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 wurde das Leben für Familie Itzig wie für alle Juden zunehmend schwieriger. Zahlreiche antisemitische Verordnungen schränkten nach und nach ihren Lebensraum ein. Von einer beruflichen Tätigkeit als selbständiger Kaufmann seine Familie zu ernähren wurde zusehends unmöglich. 1936 gaben Itzigs ihre Zehlendorfer Wohnung auf und zogen am 1. April in eine 2 ½-Zimmer-Wohnung in der von der Jüdischen Gemeinde verwalteten Pestalozzistraße 14. Im ersten Jahr wird Benno Itzig im Adressbuch noch als Kaufmann bezeichnet, in den folgenden als Kontorist. Wahrscheinlich wurde er von der Jüdischen Gemeinde beschäftigt.

Am 20. Oktober 1941 wurde auch er wie die meisten Juden zu Zwangsarbeit herangezogen. Er musste Gleisbauarbeiten bei der Reichsbahn verrichten, Bautrupp 7. Wenige Tage später wurde auch Hedwig zur Arbeit Zwangsverpflichtet. In ihrer kleinen Wohnung waren Itzigs außerdem gezwungen weiter zusammenzurücken und an die eingewiesenen Alfons Themal und Max Michaelis unterzuvermieten.

Im Juni 1942 mussten Itzigs erleben, dass Hedwigs Mutter Bertha Alexander nach Theresienstadt deportiert wurde. Anfang Dezember 1942 hatten auch Benno und Hedwig Itzig und sogar der 14-jährige Heinz je eine „Vermögenserklärung“ auszufüllen, möglicherweise waren sie da schon von der Gestapo abgeholt und in das Sammellager in der Großen Hamburger Straße 26 eingeliefert worden. Untermieter gaben sie keine mehr an, denn Alfons Themal war bereits im Oktober 1941 deportiert worden. Max Michaelis’ Schicksal ist nicht bekannt. An Vermögen besaß Benno Itzig noch 2.77 RM. Einrichtung, Garderobe und Vorräte, darunter 2 Zentner Presskohle, musste die Familie zurücklassen. Nach einer knappen Woche im Sammellager, am 9. Dezember 1942, wurden Benno, Hedwig und Heinz Itzig nach Auschwitz deportiert und dort ermordet. Ihr Todesdatum ist nicht bekannt.

Hedwigs Mutter Bertha Alexander, geboren 1869, wurde am 12. Juni 1942 nach Theresienstadt deportiert und starb dort an den elenden Lebensumständen am 24. Februar 1944. Von Hedwigs Geschwistern überlebte nur Selma, sie konnte 1939 in letzter Minute mit Mann und Kind nach England fliehen. Isidor soll durch eine Vergiftung umgekommen sein, möglicherweise selbst herbeigeführt. Georg wurde am 6. März 1943 nach Auschwitz verschleppt und dort ermordet. Karl floh mit seiner hochschwangeren Frau Ilse, geb. Cassirer, die er wenige Monate zuvor geheiratet hatte, Ende Dezember 1938 nach Holland. Ihre Tochter Juliana Beatrix wurde am 9. Januar 1939 im Flüchtlingslager Rotterdam geboren. Im April 1941 wurden sie im von der Jüdischen Gemeinde mitbetriebenen Flüchtlingslager Westerbork untergebracht, das jedoch ab Juli 1942 von der deutschen SS übernommen und als polizeiliches Durchgangslager für Deportationen genutzt wurde, was die Lebensbedingungen drastisch verschlechterte. Karl Alexander überlebte nur ein Jahr: am 25. Juli 1943 starb er im Lager Westerbork. Ilse Alexander und die 4-jährige Juliana wurden am 17. September nach Auschwitz verschleppt und dort ermordet.

Text: Micaela Haas. Quellen: Gedenkbuch. Bundesarchiv Koblenz, 2006; Gedenkbuch Berlin der jüdischen Opfer des Nationalsozialismus 1995; Brandenburgisches Landeshauptarchiv, Akten der Oberfinanzdirektion; John Izbicki: Life between the lines, 2012 (Neffe von Hedwig Itzig, enthält einige Ungenauigkeiten); https://www.joodsmonument.nl

Stolperstein Heinz Itzig

Stolperstein Heinz Itzig

HIER WOHNTE
HEINZ ITZIG
JG. 1928
DEPORTIERT 9.12.1942
ERMORDET IN
AUSCHWITZ

Stolperstein Georg Herrmann

Stolperstein Georg Herrmann

HIER WOHNTE
GEORG HERRMANN
JG. 1905
DEPORTIERT 19.4.1943
ERMORDET IN
AUSCHWITZ

Georg Herrmann wurde am 31. Mai 1905 in Neuenburg/Westpreußen geboren, heute polnisch Nowe. Wahrscheinlich war er ein Sohn des dortigen Kolonialwarenhändlers Eugen Herrmann. Georg machte wohl eine Klempnerlehre, da er später in diesem Beruf tätig wurde. Unklar ist, wann er nach Berlin kam und ob er versuchte, sich dort selbstständig zu machen. Um 1932 heiratete er die ein Jahr jüngere Gertrud Wolff, die Ehe blieb kinderlos.

Stolperstein Gertrud Herrmann

Stolperstein Gertrud Herrmann

HIER WOHNTE
GERTRUD HERRMANN
GEB. WOLFF
JG. 1906
DEPORTIERT 19.4. 1943
ERMORDET IN
AUSCHWITZ

Gertrud Herrmann geb. Wolff war am 10. April 1906 in Schwanau/Westpreußen auf die Welt gekommen. Das liegt in der Kaschubischen Schweiz nahe Danzig und heißt heute Sianowo. Gertruds Mutter Hedwig geb. Jacks war eine Kaufmannstochter aus Schwanau, ihr Vater, Julius Wolff aus Liebemühl in Ostpreußen, war ebenfalls Kaufmann. Sie hatten 1900 geheiratet und lebten zunächst in Schwanau, vielleicht beteiligte sich Julius Wolff am Gemischtwarenladen seines Schwiegervaters. 1902 bekamen sie ihr erstes Kind, Arthur. Es folgten Erna, Heinrich, Gertrud, Kurt und Emmi. 1912, Gertrud war sechs Jahre alt, zogen ihre Eltern nach Lauenburg in Pommern, heute Lębork. Dort bekam Gertrud noch zwei weitere Geschwister, Siegfried und Anni. 1936 oder 1937 kamen Julius und Hedwig Wolff nach Berlin, wahrscheinlich wohnten schon mehrere ihrer Kinder in der Hauptstadt. Möglich, dass für den inzwischen 60-jährigen Julius Wolff das Leben als Jude in der Provinz in Anbetracht des staatlich geförderten Antisemitismus unerträglich geworden war. Allerdings wurde ihnen auch in Berlin das Leben durch die zunehmende Anzahl an judenfeindlichen Verordnungen erschwert. Hinzu kam, dass Hedwig fortschreitend erblindete.

Auch für Georg Herrmann wurde es schwieriger, den Lebensunterhalt für sich und seine Frau zu bestreiten. Etwa 1936 konnte er aber eine feste Anstellung bei der Jüdischen Gemeinde als Hauswart in der Pestalozzistraße 14 bekommen. Herrmanns bekamen dort eine 2-Zimmer-Wohnung im Seitenflügel, 1. Stock rechts. Georg hatte alle Arbeiten im Haus zu erledigen, möglicherweise war er auch für die Nr. 15 zuständig. Im Berliner Adressbuch wurde er zunächst als Hauswart bezeichnet, dann als Klempner.

Gertruds ältere Schwester Erna war am 10. April 1936 gestorben, am 14. Januar 1939 starb auch ihr Vater. Die fast erblindete Mutter, Hedwig Wolff, kam in ein jüdisches Blindenheim, zunächst nach Steglitz, dann in das Taubstummen- und Blindenheim Weißensee, Parkstraße 22. Im September 1942 konnten ihre Kinder nicht verhindern, dass sie mit allen anderen Insassen des Heims nach Theresienstadt deportiert wurde. Inzwischen waren nur noch Gertrud und Emmi mit ihren Ehemännern Georg Herrmann und Leo Waldmann in Berlin, den anderen war die Flucht nach London oder Israel gelungen. Gertrud, Emmi und Leo – der eigentlich Schlosser war – wurden zur Zwangsarbeit herangezogen. Unklar ist, ob Georg weiter in der Pestalozzistraße arbeiten konnte, oder, was wahrscheinlicher ist, auch zwangsverpflichtet wurde.

Emmi und Leo Waldmann wurden bei der sogenannten „Fabrikaktion“ von der Arbeit weg verhaftet und am 1. März 1943 nach Auschwitz deportiert. Wenige Wochen später, am 19. April 1943, wurden auch Georg und Gertrud Herrmann nach Auschwitz verschleppt. Da alle vier noch unter 40 Jahre alt waren, ist es gut möglich, dass sie nicht sofort ermordet, sondern zum Arbeitseinsatz bestimmt wurden.

Wie durch ein Wunder überlebte Gertruds Mutter, Hedwig Wolff, bereits ganz erblindet, drei Winter lang die entsetzlichen Lebensumstände in Theresienstadt. Von ursprünglich 1000 mit ihr am 14. September 1942 Deportierten haben nur 57 überlebt. Hedwig Wolff kehrte nach Berlin zurück und verstarb dort 76-jährig am 8. Juni 1954.

Quellen: Gedenkbuch. Bundesarchiv Koblenz, 2006; Gedenkbuch Berlin der jüdischen Opfer des Nationalsozialismus 1995; Berliner Adressbücher; Akten des Landesentschädigungsamtes Berlin; Gottwaldt/Schulle, Die „Judendeportationen“ aus dem Deutschen Reich 1941-1945, Wiesbaden 2005

Stolperstein Max Keil

Stolperstein Max Keil

HIER WOHNTE
MAX KEIL
JG. 1890
VERHAFTET 1938
SACHSENHAUSEN
ENTLASSEN 11.1.1939
DEPORTIERT 19.10.1942
RIGA
ERMORDET 22.10.1942

Max Keil wurde in Gnesen (polnisch Gniezno in der Gegend von Posen/Poznan) am 5. Januar 1890 als eines von sieben Kindern des Schuhmachers Josef Keil und seiner Frau Friederike geb. Kottlow geboren. Er hatte vier Brüder und zwei Schwestern, einer der Brüder starb bereits im Kleinkindalter. Max absolvierte eine Lehre als Kaufmann in der Schuhbranche bei der Schuhfabrik Bergmann in Gnesen und wurde anschließend bei Salamander angestellt. 1914 meldete er sich als Freiwilliger zum Kriegsdienst, kam aber nicht an die Front, da er bereits bei der Ausbildung auf dem Tempelhofer Feld vom Pferd stürzte, sich einen Unterschenkelbruch zuzog und fortan gehbehindert war. Er wurde jedoch als Dolmetscher in Warschau eingesetzt.

Nach dem Krieg machte er sich in Berlin selbständig, zunächst als Schuhgroßhändler, dann als Schuhfabrikant. Er heiratete Herta Giese, die zum jüdischen Glauben übertrat. Sie wohnten in der Babelsberger Straße 43, die Schuhfabrik Max Keil & Co lag in der Greifswalder Straße 224. Max war Logenbruder des Oddfellow-Ordens, ein (nicht jüdischer) Freimaurerorden, der 1933 verboten und aufgelöst wurde. Außerdem war Max Keil Mitglied im Reichsbund jüdischer Frontkämpfer, der im Unterschied zu den Zionisten die Assimilation der Juden in die deutsche Gesellschaft befürwortete. Die Aktivitäten des Bundes wurden 1936 stark eingeschränkt, 1938 wurde auch er aufgelöst.

Am 1. September 1924 wurde der Sohn Harry geboren und jüdisch getauft. Die Schuhfabrik geriet Mitte der 20er Jahre ins Strudeln, vielleicht infolge der Inflation. Max Keil musste sie aufgeben, ab 1927 arbeitete er in der Schuhdetailabteilung bei der Schuh-Firma Leisner-Klausner und als Vertreter für schwedische Gummischuhe. 1930 ging auch seine Ehe zu Bruch, im August des Jahres wurde er von Herta geschieden, der Sohn wurde dem Vater zugesprochen. Der Kontakt zu Herta blieb jedoch eng, wahrscheinlich Harrys wegen.

Ende 1933 machte sich Max Keil noch einmal selbständig: er gründete eine „Schuhbesohlanstalt“, also eine Schumacherwerkstatt in der Berliner Straße 20/21 in Wilmersdorf, vermutlich wohnte er auch dort. Später kam noch eine Reparaturannahmestelle in der Kaiserallee 191 (heute Bundesallee) dazu. Trotz der zunehmenden Schikanen gegen jüdische Unternehmen scheinen Max Keils Geschäfte gut gelaufen zu sein. Er beschäftigte drei, zeitweise auch vier Gesellen. Bei dem Geschäftsboykott in der Weihnachtszeit 1935 wurden zwar auch seine Schaufenster beschmiert, aber kurz darauf konnte er neue Maschinen anschaffen und sich „mechanische Schuhmacherwerkstatt“ nennen. Er beschäftigte immer noch zwei Schuhmacher. Laut einem Gesellen ließ er Reklame in den umliegenden Kinos laufen und zählte zu seiner Kundschaft u. a. die Beamten eines nahen Polizeireviers, Personal der Landhausklinik, der Schwedischen Kirche und der Bulgarischen Botschaft. Am 19. März 1936 heiratete Max Keil ein zweites Mal. Die Braut war Gertrud Robert aus Ulm. Mit ihr und Sohn Harry zog er in eine 3½-Zimmer-Wohnung in der Badenschen Straße 28, die er neu und – so der Geselle – „komfortabel“ einrichten ließ.

Stolperstein Gertrud Keil

Stolperstein Gertrud Keil

HIER WOHNTE
GERTRUD KEIL
GEB. ROBERT
JG. 1902
DEPORTIERT 19.10.1942
RIGA
ERMORDET 22.10.1942

Gertrud Robert war die jüngste Tochter von dem am 12. Februar 1852 in Graudenz (Grudziadz im heutigen Polen) geborenen Hermann Robert und seiner Frau Natalie Koppel, die in Militsch (Milicz) in Niederschlesien am 27. März 1862 zur Welt gekommen war. Gertrud war am 6. September 1902 in Ulm geboren worden. Sie hatte zwei Schwestern und zwei Brüder, einer davon starb zweijährig an Diphtherie. Einige Zeit vor Gertruds Geburt, gegen 1890, zog die Familie von Graudenz nach Ulm, wo Hermann Robert ein Warenhaus betrieb, das unter dem Namen H. Tietz & Co, Inhaber Hermann Robert, firmierte. Um 1915 erlitt Hermann Robert einen schweren gesundheitlichen Einbruch und galt fortan als nicht mehr geschäftsfähig. 1916 wurde das Geschäft auf Natalie Robert umgeschrieben. Hermann Robert musste in eine psychiatrische Nervenklinik eingewiesen werden, damals Heil- und Pflegeanstalt genannt.

Wann und warum Gertrud nach Berlin kam, ist ungeklärt, vielleicht weil ihre älteren Geschwister Frieda und Georg bereits in der Hauptstadt lebten, vielleicht aber auch nach dem Tod der Mutter an einem Herzinfarkt 1934. Ein Jahr zuvor war Meta, die andere Schwester, an Darmkrebs gestorben. Nach der Heirat mit Max Keil lebte sie mit ihm in der Badenschen Straße und half mit in der Schuhmacherei. Eine Schwägerin Max Keils, vermutlich Frieda Robert, bediente in der Reparaturannahmestelle in der Kaiserallee. Am 6. August 1937 wurde die Tochter Ruth geboren.

Ein entscheidender und schrecklicher Einschnitt im Leben der Keils wurde die Pogromnacht vom 9./10. November 1938. Das Geschäft wurde geplündert und zerstört, auch in der Wohnung wurde geplündert, am 11. November wurde Max Keil festgenommen und in Sachsenhausen inhaftiert. Für Gertrud begann eine rastlose Zeit: sie musste für sich und die beiden Kinder eine neue, zunächst provisorische, Unterkunft besorgen, sich um das Schicksal ihres Mannes kümmern, Auswanderungspläne schmieden und vorantreiben. Max schrieb sie nach Sachsenhausen, Harry könne nach Holland gehen, eine neue Bleibe hätte sie in Aussicht. Max empfahl ihr, sich in der Auswanderungsangelegenheit vom Reichsbund der Frontsoldaten beraten zu lassen. Am 11. Januar 1939 wurde er entlassen. Er erhielt einen Teil seiner Maschinen zurück, konnte sie aber nicht mehr nutzen und stellte sie in der Pestalozzistraße 14 unter. Im Laufe des Jahres konnte die Familie dort eine Wohnung beziehen, denn 1940 ist Max Keil unter dieser Adresse wieder im Adressbuch verzeichnet, Beruf Kaufmann.

Sich als Kaufmann durchzuschlagen war inzwischen für Juden fast unmöglich. Max Keil bezog noch seine Kriegsrente, aber auch diese dürfte, wie alle Renten von Juden, empfindlich gekürzt worden sein. Dazu kamen alle anderen antisemitischen Maßnahmen, die darauf abzielten, Juden völlig aus dem öffentlichen Leben zu verdrängen. Dennoch setzten Max und Gertrud noch ein lebensbejahendes Zeichen: am 15. Januar 1940 bekamen sie eine zweite Tochter: Chana. Der Sohn aus erster Ehe, Harry, begann eine Bauschlosserlehre, wurde aber im April 1941, 16-jährig, zur Zwangsarbeit bei der Waffenfabrik Genschow, Bouchéstraße 12, herangezogen. Aus Holland war wohl nichts geworden. Mit anderen beteiligte er sich an Widerstandsaktionen und Sabotage, wurde erwischt und Anfang September 1941 für 3½ Monate im Arbeitserziehungslager Wuhlheide interniert. Auch Gertrud und sogar Max, obwohl er auf Krücken lief, mussten Zwangsarbeit leisten.

Wir wissen nicht, ob und wann Gertrud Nachricht vom jämmerlichen Tode ihres Vaters erhielt. 1940 befand sich Hermann Robert in der – ursprünglich fortschrittlichen – psychiatrischen Anstalt Günzburg. Dort hatte man aber schon 1938 zusammen mit der I.G. Farben „Humanexperimente“ durchgeführt, 1939 beteiligte sich die Anstalt an dem NS-„Euthanasie“-Programm zur Tötung psychisch Kranker indem Patienten in Tötungsanstalten weiterverlegt wurden. Am 5. Juli 1940 wurde Hermann Robert von Günzburg in die „Heil- und Pflegeanstalt“ Zwiefalten überführt, wo zur Tötung bestimmte Kranke vor allem aus Baden-Württemberg konzentriert wurden. Die Anstalt war folglich hoffnungslos überfüllt. Von hier wurden die Kranken, so auch Hermann Robert, in das nahe gelegene Grafeneck „verlegt“, wo sie in Gaskammern umgebracht wurden. Hermann Robert wurde noch 1940 ermordet.

Am 16. Oktober 1942 wurden Max, Gertrud, Ruth, Chana und auch Harry von der Gestapo abgeholt und in die als Sammellager missbrauchte Synagoge in der Levetzowstraße 7-8 gebracht. Harrys Mutter Herta, die inzwischen wieder aus dem Judentum ausgetreten war, gelang es, ihren Sohn nach drei Tagen – in letzter Minute – wieder frei zu bekommen. An diesem Tag, dem 19. Oktober 1942, wurden Max und Gertrud mit ihren fünf und zwei Jahre alten Töchtern Ruth und Chana zusammen mit 955 anderen Opfern – darunter 140 Kinder – vom Güterbahnhof Moabit aus nach Riga deportiert und dort drei Tage später in den umliegenden Wäldern ermordet.

Von Max Keils Brüdern überlebte keiner. Seine Schwägerin Minna geb. Horn, Jg. 1890, und Ehefrau und vermutlich Witwe von Benno Keil, wurde bereits am 19. Januar 1942 nach Riga deportiert. Markus Keil, geboren 1873, und sein 40–jähriger Sohn Bruno wurden bei der „Fabrikaktion“ von der (Zwangs-)Arbeit weg verhaftet und am 1. März 1943 nach Auschwitz deportiert. Auch der ein Jahr jüngere Sohn Herbert wurde im Rahmen der „Fabrikaktion“ am 12. März 1943 nach Auschwitz verschleppt. Markus’ Frau, 1876 als Johanna Holz geboren, wurde wenige Tage darauf, am 17. März 1943, nach Theresienstadt deportiert. Hermann Keil und seine Frau Paula geb. Gottfeld, Jg. 1891 und 1890, waren schon vorher, am 29. Januar 1943, nach Auschwitz deportiert worden. Der 28-jährige Sohn von Benno und Minna, Martin, und dessen fast gleichaltrige Frau Pepi, geb. Lecker, wurden bei der „Fabrikaktion“ verhaftet und am 4. März 1943 nach Auschwitz verschleppt. Von ihnen allen überlebte lediglich Martin die Deportation. Sein Bruder Heinz und sein Vetter Hans, Sohn von Hermann Keil, entkamen rechtzeitig den Nazischergen. Max Keils Schwester Grete und ihr Mann Franz Hinzer waren schon früh in Gnesen gestorben, die andere Schwester, Martha Keil, verheiratete Marienfeld, starb 1939 in Berlin. Ihr Sohn Leo emigrierte wahrscheinlich schon in den 1920er Jahren in die USA.

Auch Gertruds 14 Jahre ältere Schwester Frieda Robert wurde am 26. September 1942 deportiert und bei Raasiku in Estland ermordet. Für sie liegt ein Stolperstein in der Livländischen Straße 17. Gertruds Bruder Georg erscheint glücklicherweise auf keiner Deportationsliste.

Harry Keil, Max Keils Sohn, nach dem Arbeitslager wieder Zwangsarbeiter in der Rüstungsindustrie, wurde auch am 27. Februar 1943 am Arbeitsplatz verhaftet und in der Rosenstraße 2-4 inhaftiert. Obwohl er als „Geltungsjude“ wie ein „Volljude“ behandelt wurde (weil er jüdisch getauft und eingesegnet war), gelang es seiner „arischen“ Mutter ein zweites Mal, ihn aus der Gestapohaft frei zu bekommen. „Es wurden ihm keine Lebensmittelkarten ausgefolgt“ steht auf dem Entlassungsschein. Harry hatte weiter als „jugendlicher Hilfsarbeiter“ für 0,60 RM die Stunde 12 Stunden am Tag bei verschiedenen Firmen zu schuften – bis zum 9. Februar 1945. An diesem Tag war er ohne Judenstern unterwegs, wurde abermals festgenommen und nun in dem Lager Schulstraße 78 inhaftiert, das letzte Berliner Sammellager bis zum Kriegsende. Auch dieses überlebte er. 1948 heiratete er und starb in Berlin im Jahr 1989.

Recherchen und Text: Micaela Haas. Quellen: Gedenkbuch. Bundesarchiv Koblenz, 2006; Gedenkbuch Berlin der jüdischen Opfer des Nationalsozialismus 1995; Berliner Adressbücher; Akten des Landesentschädigungsamtes Berlin; Gottwaldt/Schulle, Die „Judendeportationen“ aus dem Deutschen Reich 1941-1945, Wiesbaden 2005

Stolperstein Ruth Keil

Stolperstein Ruth Keil

HIER WOHNTE
RUTH KEIL
JG. 1937
DEPORTIERT 19.10.1942
RIGA
ERMORDET 22.10.1942

Stolperstein Jakob Schmul

Stolperstein Jakob Schmul

HIER WOHNTE
JAKOB SCHMUL
JG. 1868
DEPORTIERT 5.11.1942
THERESIENSTADT
ERMORDET 25.11.1942

Jakob Schmul kam am 25. Februar 1868 in Hohensalza (Inowrazlaw, Region Posen/Poznan), zur Welt. Er machte eine Schneiderlehre – möglicherweise ein Traditionsberuf, da später in Berlin mehrere Schneider den Familiennamen Schmul führten. Ob und wie sie mit Jakob Schmul verwandt waren, wissen wir nicht. Jakob heiratete die aus dem nahegelegenen Schubin (Szubin) stammende Anna Schaul. In Schubin war Anna am 17. Oktober 1874 geboren worden. Das Ehepaar blieb wahrscheinlich zunächst in Posen, da Jakob Schmul im Berliner Adressbuch erst 1924 verzeichnet ist. Da hatte er sich als Schneider in der Charlottenburger Wallstraße 91 (heute Zillestraße 27) niedergelassen. Vielleicht haben beide schon früher zur Untermiete in Berlin gewohnt. Die Wallstraße wurde 1933 nach dem in einer Straßenschlacht zwischen Kommunisten und Nationalsozialisten umgekommenen SS-Mann Hans Maikowski umbenannt und dabei veränderte man die Hufeisennummerierung in wechselseitige Hausnummerierung, sodass Jakob Schmuls Adresse nun Maikowskistraße 27 lautete.

1935 zogen Jakob und Anna Schmul um in eine 1-Zimmer-Wohnung in der Pestalozzistraße 14, Seitenflügel, 2. Stock. Dort zahlten sie an die Jüdische Gemeinde 38,85 RM Miete, es dürfte sich um eine bescheidenere Wohnung als in der Wallstraße gehandelt haben. In den folgenden Jahren mussten sich Schmuls aber noch viel mehr einschränken, da die wachsende Zahl an antijüdischen Vorschriften und Gesetzen der NS-Regierung ihnen sowohl das Bestreiten des Lebensunterhalts sowie überhaupt die Teilnahme am öffentlichen Leben immer weiter erschwerten und beschnitten.

Im Herbst 1942 mussten sie auch diese bescheidene Wohnung räumen: sie waren zur „Umsiedlung“, im Klartext zur Deportation nach Theresienstadt bestimmt. Ende Oktober unterschrieben sie gezwungenermaßen eine “Vermögenserklärung“, in der sie äußerst spärliche Angaben machten. Der 74-jährige Jakob Schmul sah keine Veranlassung mehr, seinen Beruf zu nennen, Kinder oder Verwandte gab er nicht an. Ihre wenigen Möbel wurden später von einem Gerichtsvollzieher auf 138.- RM geschätzt. Die „Vermögenserklärung“ hatte der „Einziehung“, sprich Raub, des jüdischen Besitzes dienen sollen – an den Schmuls konnte sich das Reich kaum bereichern. Jakob und Anna Schmul wurden zunächst von der Gestapo in dem Sammellager in der Großen Hamburger Straße 26 interniert, ein ehemaliges jüdisches Altersheim. Am 5. November 1942 hatten sie am Anhalter Bahnhof in aller Früh einen von zwei später verschlossenen 3.-Klasse-Waggons zu besteigen, die an den regulären Zug nach Dresden angehängt wurden. In ihnen wurden 100 Berliner Juden nach Theresienstadt deportiert, auch Jakob und Anna Schmul.

In Theresienstadt erwartete sie nicht das zynisch versprochen „Altersghetto“, in dem sie einen ruhigen Lebensabend verbringen würden, sondern ein entsetzlich überfülltes Lager, in dem Kälte, Hunger und miserable hygienische Verhältnisse herrschten. Krankheit, Seuchen und Tod waren die Folgen. Jakob und Anna Schmul wurden auf dem Dachboden des Gebäudes 4V einquartiert, sicherlich eine Massenunterkunft. Jakob Schmul überlebte diese erbärmlichen Zustände keine drei Wochen: am 25. November 1942 starb der 74-Jährige, amtlich an „Altersschwäche“, tatsächlich an Vernichtung durch menschenverachtende Lebensbedingungen. Todesfallanzeige

Anna hingegen ertrug dieses Dasein zunächst noch über 1½ Jahre. Dann, am 16. Mai 1944, wurde sie, diesmal zusammen mit 2500 Personen, von Theresienstadt nach Auschwitz verschleppt. Sie gehörten zu den rund 7500, die im Mai 1944 in drei „Transporten“ aus Theresienstadt weggebracht wurden, weil am 23. Juni eine internationale Kommission angekündigt war und die Wohnungen nicht so beengt aussehen sollten.

Lediglich 34 der am 16. Mai Deportierten überlebten, Anna Schmul gehörte nicht zu ihnen. Ihr Todesdatum ist nicht bekannt.

Quellen:
Gedenkbuch. Bundesarchiv Koblenz, 2006; Gedenkbuch Berlin der jüdischen Opfer des Nationalsozialismus 1995; Berliner Adressbücher; Brandenburgisches Landeshauptarchiv, Akten der Oberfinanzdirektion; Gottwaldt/Schulle, Die „Judendeportationen“ aus dem Deutschen Reich 1941-1945, Wiesbaden 2005

Stolperstein Anna Schmul

Stolperstein Anna Schmul

HIER WOHNTE
ANNA SCHMUL
GEB. SCHAUL
JG. 17.10.1942
DEPORTIERT 5.11.1942
THERESIENSTADT
1944 AUSCHWITZ
ERMORDET

Stolperstein Alfons Themal

Stolperstein Alfons Themal

HIER WOHNTE
ALFONS THEMAL
JG. 1873
DEPORTIERT 18.10.1941
LODZ/LITZMANNSTADT
ERMORDET 12.12.1941

Alfons Themal kam am 12. November 1873 in der Stadt Posen, heute polnisch Poznan, auf die Welt. Die Familie Themal war in Posen weitverzweigt, es waren Kaufleute, die mit Textilien und Schneiderartikeln, aber auch mit Papier und Schreibwaren handelten. Von letzteren machte sich die Papierwarenfirma „J. Themal Posen“ einen Namen, indem sie mindestens seit 1910 einen Postkartenverlag betrieb. Alfons’ Eltern waren Marcus Themal und Helene geb. Nordon, die wiederum mit Isidor, dem Gründer von „J. Themal Posen“, verwandt waren. 1921 registrierte die Witwe von Isidor Themal, Olga Themal, eine Zweigniederlassung in Berlin, die sie ein Jahr später zur Hauptniederlassung erklärte und als „Kunstverlagsanstalt“ bezeichnete. Möglich, dass Alfons Themal in diesem Zusammenhang nach Berlin kam, denn das einzige Mal, dass er im Berliner Adressbuch erschien, war 1922, in Steglitz, Schildhornstraße 66. Von Beruf war er Buchhändler. Arthur Themal, vermutlich sein Bruder, hatte einen Verlag in Köslin. Im Adressbuch war Alfons als Kaufmann aufgeführt.

Wo Alfons Themal nach 1922 gewohnt hat, bleibt im Dunkeln, wie auch sein Privatleben. Wahrscheinlich ist er der Alfons Themal, der mit Charlotte, geb. Löwenstein verheiratet war. 1939 war er geschieden oder verwitwet, denn er wohnte allein zur Untermiete bei Benno Itzig in der Pestalozzistraße 14. Laut einem Nachtrag auf der Ergänzungskarte zur Volkszählung im Mai 1939 wollte der Reichsarbeitsdienst ihn am 21. Oktober 1941 zur Zwangsarbeit einberufen. Da war er aber schon seit drei Tagen nicht mehr in Berlin: am 18. Oktober 1941 war er in das Ghetto Lodz deportiert worden. Vorher musste er noch einmal umziehen, in die Goethestraße 75. Am 16. Oktober 1941 kam er dann in die als Sammellager missbrauchte Synagoge in der Levetzowstraße 7-8, zwei Tage später musste er bei strömendem Regen in einer langen Reihe quer durch die ganze Stadt zu Fuß zum Bahnhof Grunewald laufen, um dort den Deportationszug zu besteigen.

Schon 1940 war das Ghetto Lodz/Litzmannstadt durch die deutschen Besatzer von der polnischen Industriestadt abgetrennt und mit Stacheldraht umzäunt worden. Etwa 160000 Lodzer Juden wurden in die bereits heruntergekommenen und – vor allem im Sanitärbereich – äußerst unzulänglich ausgestatteten Häuser gepfercht. Im Oktober 1941 deportierten die Nationalsozialisten dann weitere 20000 Juden aus dem „Altreich“ in das völlig überfüllte Ghetto. Am 18. Oktober ging von Gleis 17 im Grunewald ein versiegelter Zug mit über 1000 Juden von Berlin ab, unter ihnen Alfons Themal. Es war der Beginn der Deportationen aus Berlin, der erste Berliner „Osttransport“ überhaupt.

Die Lebensbedingungen im Ghetto waren katastrophal. Keine Heizung, keine Toiletten, keine Betten, weitgehend mussten die Menschen auf Strohsäcken oder dem nackten Boden in Massenunterkünften schlafen, die Ernährung war völlig unzureichend. Hunger, Kälte, Erschöpfung und Krankheiten rafften viele Leute dahin. Alfons Themal wurde in eine Unterkunft in der Kreuzstraße 2 „eingesiedelt“, so die Amtssprache. Die vorherrschenden menschenverachtenden Lebensumstände hielt er nicht lange aus. Knapp zwei Monate nach Ankunft und einen Monat nach seinem 68. Geburtstag, am 12. Dezember 1941, starb er an deren Folgen.

Arthur Themal, der Bruder, am 23. Juni 1875 in Posen geboren, war der erste Ehemann von Ilse Kunz-Krause, für die ein Stolperstein vor der Schillerstraße 14/15 liegt. Er wurde am 9. Dezember 1942 nach Auschwitz deportiert und dort ermordet. Kurz darauf, am 14. Dezember 1942, wurde Charlotte Themal geb. Löwenstein, Jahrgang 1879 und vermutlich Alfons’ geschiedene Frau, nach Riga deportiert und dort ebenfalls umgebracht.

Text: Micaela Haas. Quellen: Gedenkbuch. Bundesarchiv Koblenz, 2006; Gedenkbuch Berlin der jüdischen Opfer des Nationalsozialismus 1995; Berliner Adressbücher; Landesarchiv Berlin; Gottwaldt/Schulle, Die „Judendeportationen“ aus dem Deutschen Reich 1941-1945, Wiesbaden 2005

Stolperstein Clara Oberski

Stolperstein Clara Oberski

HIER WOHNTE
CLARA OBERSKI
GEB. GORDON
JG. 1869
DEPORTIERT 28.8.1942
THERESIENSTADT
1942 TREBLINKA
ERMORDET

Clara Oberski wurde als Clara Gordon in Guttentag (Schlesien, heute polnisch Dobrodzień) am 20. März 1869 geboren. Wie und wann es Clara Gordon von Schlesien nach Gardelegen (heute Sachsen-Anhalt) verschlug, bleibt im Dunkeln. Jedenfalls heiratete sie dort am 20. Oktober 1907 den ein Jahr älteren Josef Oberski, der aus Posen stammte. Dieser hatte vor Gardelegen in Tangermünde gelebt und war 1905 verwitwet. Er brachte drei kleine Kinder mit in die neue Ehe, Siegfried, 1900 geboren, Kurt 1901, und Werner 1905, bereits in Gardelegen. Möglicherweise starb dessen Mutter bei seiner Geburt. Clara Oberski brachte 1908 eine Tochter zur Welt, Anni Johanna.

1913 zog die ganze Familie nach Berlin, wo Josef Oberski eine Agentur für Spielwaren in der Chodowieckistraße 16 betrieb. Vermutlich hatte dieses Geschäft in Kriegszeiten keine gute Konjunktur, 1915 hatte Josef Oberski zusätzlich eine Lesehalle in der Neuen Königsstraße 79 (heute Otto-Braun-Straße) eröffnet, bald darauf wechselte er zum Handel mit Kämmen und Haarschmuck und hatte nur noch die Adresse Neue Königsstraße 79. Dort wohnte die Familie zwei Jahrzehnte, die Söhne machten sich nach und nach als Kaufleute selbständig. Claras Tochter Anni absolvierte eine Ausbildung als Schneiderin am Lette-Verein und arbeitete bei verschiedenen Modehäusern. Sie wohnte wohl weiterhin bei den Eltern. 1934 gab Josef das Geschäft auf und wechselte als „Privatier“ die Wohnung: er zog in die Pestalozzistraße, laut Adressbuch im ersten Jahr in die Nr. 15 danach in die Nr. 14 – ersteres war möglicherweise ein Fehler im Adressbuch.

Lange lebte Josef Oberski nicht in der neuen 3-Zimmer-Wohnung. Laut Tochter Anni starb er dort am 1. Januar 1937. Clara Oberski hat aber offenbar die Wohnung nicht umgemeldet, denn noch 1940 wurde sie im Adressbuch unter Josef Oberski geführt. Erst 1941 lautete der Eintrag auf Clara, um dann gar nicht mehr aufzutauchen. Clara und Anni blieben in der Pestalozzistraße und nahmen 1938 einen Untermieter auf, Kurt Salomon. Vermutlich handelte es sich nicht um eine Zwangseinweisung, denn Kurt Salomon, der sich im Zuge der Verdrängung von Juden aus dem Wirtschaftleben wohl nicht mehr als kaufmännischer Angestellter behaupten konnte, arbeitete als Hilfskraft für die Jüdische Gemeinde und diese war bestrebt, ihre Angestellten in ihr gehörenden Gebäuden unterzubringen.

Anni Oberski und Kurt Salomon kamen sich offenbar näher, denn am 1. Oktober 1939 heirateten sie. Zu diesem Zeitpunkt hatte Anni schon seit einem Jahr ihre Arbeit verloren. Sie war von der Firma Baer & Sohn als Jüdin zum 1. Oktober 1938 gekündigt worden.

Am 28. August 1942 wurde Clara Oberski nach Theresienstadt deportiert. Theresienstadt war keineswegs ein „altersgerechtes Ghetto“, wie es die Nazis propagierten, sondern ein erbärmliches Konzentrationslager, das für viele die Funktion eines Durchgangslagers erfüllte. So auch für Clara Oberski: Einen Monat nach ihrer Ankunft, am 29. September 1942, wurde sie mit 2000 weiteren Menschen in einen Zug nach Treblinka gepfercht und in diesem Vernichtungslager ermordet.

Quellen:
Gedenkbuch. Bundesarchiv Koblenz, 2006; Akten des Landesentschädigungsamtes Berlin; Gedenkbuch Berlin der jüdischen Opfer des Nationalsozialismus 1995; Berliner Adressbücher; Brandenburgisches Landeshauptarchiv, Akten der Oberfinanzdirektion; Gottwaldt/Schulle, Die „Judendeportationen“ aus dem Deutschen Reich 1941-1945, Wiesbaden 2005

Stolperstein Kurt Salomon

Stolperstein Kurt Salomon

HIER WOHNTE
KURT SALOMON
JG. 1893
DEPORTIERT 2.2.1943
THERESIENSTADT
1944 AUSCHWITZ
ERMORDET

Kurt Salomon war am 1. Oktober 1893 in Berlin geboren. Er hatte einen Bruder Günther. Er machte eine kaufmännische Ausbildung, wurde aber 1914, 21-jährig, zum Kriegsdienst eingezogen. Bald verwundet, war er 1915 erstmals im Lazarett und 1919 ein zweites Mal nach einem Schädelbasisbruch. Er galt als kriegsversehrt und bezog eine entsprechende Rente. Sein Werdegang nach dem Ersten Weltkrieg ist wenig dokumentiert. Laut Anni war er einige Zeit in Stuttgart ansässig, hatte auch ein erstes Mal geheiratet und war – schuldlos, wie sie betont – geschieden worden. Obwohl nicht voll arbeitsfähig infolge seiner Verletzungen, fand er wahrscheinlich Anfang der 1930er Jahre in Berlin Arbeit als Einkäufer im KaDeWe. Aber bereits 1933 wurden nach dem Boykott am 1. April die meisten jüdischen Angestellten vom KaDeWe entlassen. Wahrscheinlich war Kurt Salomon unter ihnen, zudem wurde seine Rente schrittweise gekürzt. Kurt Salomon fand schließlich Arbeit bei der Jüdischen Gemeinde als Helfer in der Materialverwaltung und bekam in diesem Zusammenhang vermutlich das Zimmer bei Clara Oberski.

Im Oktober 1939 jedoch, kurz vor oder nach seiner Heirat mit Anni Oberski, wurde er wieder entlassen. Der Leiter der Materialverwaltung der Jüdischen Gemeinde zu Berlin berichtete später: „Auf eine Anordnung der Gestapo an die Personalverwaltung der Gemeinde musste Kurt Salomon fristlos entlassen werden“. Ein Grund sei nicht genannt worden. Der Grund dürfte die Zuweisung – trotz seiner Behinderung – als Zwangsarbeiter gewesen sein, zuletzt als Gepäckträger bei der Reichsbahn, in Schichtarbeit. Auch Anni wurde ab Juli 1940 als Lageristin bei Siemens und Halske zwangsverpflichtet.

Am 25. August 1942 mussten Kurt und Anni Salomon ohnmächtig zusehen, wie Annis Mutter, Clara Oberski, von der Gestapo abgeholt und in das Sammellager im ehemaligen jüdischen Altersheim in der großen Hamburger Straße 26 eingewiesen wurde. Drei Tage später wurde sie deportiert. Davon wussten Anni und Kurt nichts. Sie wurden am 13. Dezember 1942 verhaftet und mussten die der Deportation vorausgehende „Vermögenserklärung“ ausfüllen. Viel zu erklären gab es nicht: einige Möbel, „diverse“ Wäsche. Sie gaben an, einen Untermieter zu haben, Cäsar Lewinsohn, und die Möbel in dem versiegelten Zimmer rechts würden Hedwig Stein gehören – offenbar hatten sie eine zweite Untermieterin, die untergetaucht oder schon deportiert worden war. Beschlagnahmt wurde alles.

Das Ehepaar Salomon wurde zunächst noch anderthalb Monate aus unbekanntem Grund in Polizeihaft gehalten. Vielleicht hatten sie Vorbereitungen zum Untertauchen getroffen. Erst Ende Januar 1943 kamen sie in das Sammellager Gerlachstraße, auch ein umfunktioniertes jüdisches Altersheim, und wurden am 2. Februar ebenfalls nach Theresienstadt deportiert.

Dort erst erfuhr Anni, die gehofft hatte, ihre Mutter wiederzusehen, dass Clara Oberski bereits weiterverschleppt worden war. Kurt und Anni hatten sich nun den menschenunwürdigen Lebensbedingungen in Theresienstadt zu fügen: Hunger, Kälte, Krankheit, hoffnungslose Überfüllung. Anni musste im Typhus-Hospital arbeiten. Nach über 1½ Jahren Dasein in diesen katastrophalen Umständen, wurden sie am 6. Oktober 1944 in einem „Transport“ von 1550 Opfern nach Auschwitz weiterdeportiert. Dort wurden sie voneinander getrennt. Einige Männer suchte man zur Arbeit aus, der kriegsversehrte Kurt Salomon gehörte wohl kaum dazu. Wir müssen davon ausgehen, dass er kurz nach Ankunft ermordet wurde.

Auch 191 Frauen wurden „selektiert“, unter ihnen Anni. Sie kam in das Lager der Organisation Todt in Birnbäumel, Niederschlesien, ein Außenlager des KZ Groß-Rosen. Dort musste sie mit den anderen Frauen Schützengraben ausheben.

Von den 1550 aus Theresienstadt am 6. Oktober 1944 Deportierten überlebten nur 111, darunter Anni Salomon. Sie war in der Krankenstube, als im Januar 1945 die Frauen auf den Todesmarsch nach Groß-Rosen geschickt wurden und konnte so am 23. Januar 1945 von der Roten Armee befreit werden. Sie emigrierte nach Kolumbien, heiratete wieder und kam nach Berlin zurück, wo sie 1976 starb.

Der einstige Untermieter Cäsar Lewinsohn, Jahrgang 1892, wurde am 22. Januar 1945 in Buchenwald ermordet, das Schicksal von Hedwig Stein ist ungeklärt. Annis Halbbrüder kamen alle um: Siegfried Oberski floh 1937 in die Niederlande, wurde im September 1943 im Lager Westerbork interniert und am 11. Januar 1944 nach Bergen-Belsen deportiert, wo er ermordet wurde. Kurt Oberski emigrierte nach Belgien, wurde ebenfalls aufgegriffen, nach Drancy in Frankreich gebracht und von dort am 19. August 1942 nach Auschwitz deportiert und ermordet. Werner Oberski wurde am 12. Januar 1943 von Berlin aus nach Auschwitz verschleppt und dort ebenfalls ermordet. Kurt Salomons Bruder Günther konnte rechtzeitig nach Brasilien fliehen.

Quellen:
Gedenkbuch. Bundesarchiv Koblenz, 2006; Akten des Landesentschädigungsamtes Berlin; Gedenkbuch Berlin der jüdischen Opfer des Nationalsozialismus 1995; Berliner Adressbücher; Brandenburgisches Landeshauptarchiv, Akten der Oberfinanzdirektion; Gottwaldt/Schulle, Die „Judendeportationen“ aus dem Deutschen Reich 1941-1945, Wiesbaden 2005

Stolperstein Hans Witkowski

Stolperstein Hans Witkowski

HIER WOHNTE
HANS WITKOWSKI
JG. 1892
DEPORTIERT 26.10.1942
RIGA
ERMORDET 29.10.1942

Hans Witkowski wurde am 1. März 1892 in Posen (polnisch Poznan) geboren. Über sein Elternhaus und seine Kindheit wissen wir nichts. Er machte wohl eine kaufmännische Ausbildung, denn er war später als Kaufmann tätig. Sehr wahrscheinlich war er Soldat im Ersten Weltkrieg und hat erst danach Frieda Isaak geheiratet. Frieda Isaak kam am 21. Mai 1893 in Wreschen (polnisch Wrzesnia) zur Welt, etwa 50 km südöstlich von Posen. Auch von ihr wissen wir sehr wenig. Das Paar ließ sich in Berlin nieder, wo 1921 Lieselotte Witkowski am 3. August geboren wurde. Sie ist wohl die Tochter von Hans und Frieda, ein eindeutiger Beleg konnte nicht gefunden werden. Im Berliner Adressbuch ist Hans Witkowski erst 1924 mit einer eigenen Wohnung in der Wilmersdorfer Bornimer Straße 17 (Halensee) verzeichnet. In welcher Branche er Kaufmann war, ist nicht angegeben.

In der Bornimer Straße wohnte die Familie über zehn Jahre. Möglich, dass es noch mehr Kinder gab. Etwa 1935 bezogen sie eine Wohnung in dem Gebäude Pestalozzistraße 15, das, wie die Nr. 14, der jüdischen Gemeinde gehörte. Daher ist es nicht unwahrscheinlich, dass Hans Witkowski in irgendeiner Form für die Reichsvertretung der deutschen Juden gearbeitet hat. Nach allen bekannten Unterlagen hat die Familie Witkowski jedenfalls im Haus Nr. 15 gewohnt, obwohl die Stolpersteine vor der Nr. 14 verlegt sind.

1939, als bei der Volkszählung vom 17. Mai alle Juden in einer besonderen „Ergänzungskartei“ erfasst wurden, lebte die inzwischen 17-jährige Liselotte nicht in der Pestalozzistraße. Sie hatte sich mittlerweile für die Alija, die Auswanderung nach Palästina, entschieden, wie viele junge Juden, die keine Zukunft für sich im nationalsozialistischen Deutschland sahen. Hatten sich in den 1920er Jahren hauptsächlich Kinder aus zionistischen Familien dazu entschlossen, so waren mit der Machtübertragung an Hitler und den folgenden antisemitischen Maßnahmen immer mehr Jugendliche ohne zionistischen Hintergrund dazu bereit. Zur Vorbereitung auf Palästina wurden sie angehalten, eine landwirtschaftliche und/oder handwerkliche Ausbildung in einer von der Reichsvertretung der Juden eingerichteten Stätte, einem Hachschara-Lager (Hachschara = „Vorbereitung, Tauglichmachung“). Meist fanden Hachschara-Kurse auf landwirtschaftlichen Gütern statt. Die Gruppe von Auswanderungswilligen lernte dort gemeinsam, was für den Aufbau eines Gemeinwesens in Palästina notwendig erschien. Es ging vor allem um gärtnerische, land- und hauswirtschaftliche sowie handwerkliche Fertigkeiten. Sie lernten auch modernes Hebräisch, und wurden zur jüdischen Religion, Kultur und Geschichte unterrichtet. Leben und Arbeiten im Kollektiv galten als besonders wichtig. Die bereits bestehenden Lehrstätten und auch die Einrichtung neuer wurden von den NS-Behörden geduldet, solang man die Politik verfolgte, Juden zur Auswanderung zu ermuntern oder zu zwingen.

Lieselotte ging nach Ellguth-Steinau in Oberschlesien, ein ehemaliges Rittergut, das die Reichsvertretung 1936/7 übernehmen durfte, um dort ein Lehrgut einzurichten. Dort sollte eine Erstausbildung stattfinden. Wie lange Lieselotte dort war, ist unklar. Im Sommer 1941 nahm man Abstand von der Förderung der Auswanderung, im Oktober folgte ein Auswanderungsverbot für Juden. Eine Reihe der Hachschara-Umschulungslager wurde in Zwangsarbeitslager umgewandelt, viele andere ganz aufgelöst. Zu letzteren gehörte Ellguth, das zum 1. Juli geschlossen wurde. Liselotte wurde in das Umschulungs- und Arbeitslager Am Grünen Weg 86 in Paderborn umgemeldet, sie kam dort am 15. Juli 1941 an.

Das „Arbeits- und Umschichtungslager“ in Paderborn war 1939 auf einem Grundstück entstanden, das die Stadt der Reichsvertretung überlassen hatte, mit der Auflage, dass die Insassen eine bestimmte Anzahl von Stunden Arbeitsdienst für die Stadt leisten sollten. Als Lieselotte dort ankam, wurde das Lager aber gerade in ein reines Arbeitslager umgewandelt, die jungen Leute hatten nun voll für die Müllabfuhr und andere städtische Betriebe zu arbeiten, ein kleiner Teil wurde auch Privatunternehmen zugeteilt. Die Arbeit war hart, die Lebensmittelzuteilungen unzulänglich, Freizügigkeit auf ein Minimum eingeschränkt. Dennoch blieb das Lager weiterhin in Selbstverwaltung, wenn auch unter Kontrolle der Gestapo, aber ohne militärische Bewachung. Trotz schwerer Arbeitsbelastung und Hunger fand abends und oft auch nachts weiterhin Kulturarbeit statt, der Gruppenzusammenhang half den jungen Leuten durchzuhalten.

Trotzdem waren auch hier Verfolgungsmaßnahmen zu spüren, eine davon betraf Liselotte Witkowski direkt. Vielleicht schon in Berlin, auf jeden Fall in Ellguth hatte sie den ein Jahr jüngeren Leon Türk kennen gelernt, auch er war nun in Paderborn. 1942 beschlossen beide zu heiraten. In diesem Zusammenhang fiel den NS-Behörden aber auf, dass Leon polnischer Abstammung war und als staatenlos galt. Daraufhin wurde er festgenommen und nach Sachsenhausen gebracht und dort am 19. Juli 1942 ermordet. Die Urne mit seiner Asche wurde nach Paderborn geschickt, dort besteht heute noch sein Grab.

Diesem Schicksalsschlag für Lieselotte folgte ein zweiter: In Berlin wurden Hans und Frieda Witkowski im Oktober 1942 von der Gestapo abgeholt, in die zum Sammellager umfunktionierte Synagoge in der Levetzowstraße 7-8 gebracht und am 26. Oktober mit knapp 800 weiteren Menschen vom Bahnhof Moabit aus nach Riga deportiert. Unter ihnen waren mindestens 204 Angestellte der Jüdischen Gemeinde, weswegen man auch von einer „Gemeindeaktion“ sprach. In Riga angekommen, wurden alle in den Wäldern um Riga umgebracht.

Man kann annehmen, dass Lieselotte von der Deportation, nicht aber von der Ermordung ihrer Eltern erfuhr. Sie selbst musste erleben, wie wenige Monate darauf, Ende Februar 1943, auch das Lager in Paderborn im Rahmen der „Fabrikaktion“ aufgelöst wurde, eine Aktion, bei der in Berlin und im ganzen Reich zwangsarbeitende Juden an den Arbeitsplätzen festgenommen werden sollten. Die 98 jungen Leute vom Lager Am Grünen Weg wurden am 1. März 1943 mit anderen Paderborner Juden nach Bielefeld verbracht und von dort über Hannover, Erfurt und Dresden nach Auschwitz deportiert. An allen Stationen wurden Waggons (wahrscheinlich Güterwagen) mit weiteren Opfern angehängt, so dass schließlich 1500 Menschen in diesem Zug deportiert wurden. Möglich, dass in Auschwitz Lieselotte nicht sofort ermordet, sondern zunächst für „arbeitstauglich“ befunden wurde, letztlich hat sie aber das Vernichtungslager nicht überlebt.

Quellen:
Gedenkbuch. Bundesarchiv Koblenz, 2006; Gedenkbuch Berlin der jüdischen Opfer des Nationalsozialismus 1995; Berliner Adressbücher; Gottwaldt/Schulle, Die „Judendeportationen“ aus dem Deutschen Reich 1941-1945, Wiesbaden 2005; Margit Naarmann, Ein Auge gen Zion— : das jüdische Umschulungs- und Einsatzlager am Grünen Weg in Paderborn 1939-1943, Köln 2000

Stolperstein Frieda Witkowski

Stolperstein Frieda Witkowski

HIER WOHNTE
FRIEDA WITKOWSKI
GEB. ISAAK
JG. 1893
DEPORTIERT 26.10.1942
RIGA
ERMORDET 29.10.1942

Stolperstein Lieselotte Witkowski

Stolperstein Lieselotte Witkowski

HIER WOHNTE
LIESELOTTE
WITKOWSKI
JG. 1921
DEPORTIERT 1.3.1943
ERMORDET IN
AUSCHWITZ