HIER WOHNTE
LINA FRIEDLÄNDER
JG. 1890
DEPORTIERT 27.11.1941
RIGA
ERMORDET 30.11.1941
Lina Friedländer kam als älteste Tochter von Ferdinand Friedländer und seiner Frau Bertha geb. Samson am 15.Dezember 1890 in Kalkberge/Rüdersdorf bei Berlin zur Welt. Ihr folgten im Abstand von je zwei Jahren die Schwestern Julia und Erna. Ferdinand Friedländer führte mit seinem Bruder Isidor das Kalkstein-Unternehmen ihres 1889 verstorbenen Vaters Salomon Friedländer. Sie richteten eine Zweigstelle in Berlin ein, und 1901 zog Ferdinand Friedländer mit Frau und Kindern nach Berlin, zunächst in die Lessingstraße 13, in der sich auch das „Kalk, Kalkstein und Mauersteine Geschäft“ befand. 1906, der Betrieb befand sich mittlerweile in der Joachimsthalerstraße 35, bezog die Familie in der gleichen Straße Nr. 19 eine geräumige 8-Zimmer-Wohnung.
In Kalkberge hatte Lina eine Privatschule besucht, in Berlin ging sie noch einige Jahre wie ihre Schwestern auf das Dorotheen-Lyzeum. Anschließend studierte sie Musik und absolvierte eine Ausbildung zur Pianistin und Klavierlehrerin. Inwieweit sie ihren Beruf ausüben konnte, bleibt unklar. 1908 war die Mutter Bertha gestorben, und man kann annehmen, dass Lina, als die älteste Tochter, den Haushalt führte. Julia war Kindergärtnerin am Pestalozzi-Froebel-Haus, 1914 heiratete sie den Frauenarzt Kurt Fleischer und verließ die väterliche Wohnung. Erna war nach dem Abitur 1913 zum Chemiestudium nach Freiburg gegangen, kam aber noch im selben Jahr nach Berlin zurück, um dort weiter zu studieren. In den 20er Jahren verließ sie nochmals Berlin, um in Hamburg in einem Labor zu arbeiten.
Im Juli 1926 starb Ferdinand Friedländer während eines Aufenthalts in Bad Kissingen. Er wurde neben seine Ehefrau auf dem Jüdischen Friedhof Weißensee bestattet. Lina zog nun mit ihrer Schwester Erna, die inzwischen aus Hamburg zurückgekehrt war, in eine 3-Zimmer-Wohnung in der Augustastraße 63, heute Blissestraße. Erna fand nun eine Stellung als Büroangestellte bei der Jüdischen Gemeinde und Lina führte – wieder – den gemeinsamen Haushalt.
Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 waren die Schwestern in ihrem Lebensalltag zunehmend eingeschränkt. Sie fühlten sich wohl durch Ernas Stelle bei der Jüdischen Gemeinde einigermaßen geschützt, aber die immer häufigeren antisemitischen Verordnungen zur Isolierung der jüdischen Bevölkerung betrafen auch sie. Juden wurden aus dem Berufsleben gedrängt, mussten besondere Kennkarten beantragen und die Kennzeichnung ihrer Reisepässe hinnehmen, mussten ihrem Namen „Sara“ oder „Israel anfügen, sie konnten nur noch eingeschränkt über ihr Vermögen verfügen. Nach den Novemberpogromen am 9./10. November 1938 häuften sich noch mal die Verordnungen gegen Juden. Sie durften nicht am öffentlichen Leben teilnehmen, nicht in Theater, Konzerte, Kinos usw. gehen, zu bestimmten Zeiten durften sie gar nicht mehr auf die Straße, durften nur von 4 bis 5 Uhr nachmittags einkaufen. Alle Wertgegenstände mussten sie abliefern, Rundfunkgeräte wurden beschlagnahmt,
Telefonanschlüsse gekündigt, ihre Konten wurde zu „Sicherheitskonten“ erklärt, von denen sie nur durch „Sicherungsanordnung“ festgelegte Beträge für ein Existenzminimum abheben durften.
Zum Zeitpunkt der Novemberpogrome wohnte Lina nicht mehr in der Augustastraße (die mittlerweile nach einem SA-Mann in Stenzelstraße umbenannt worden war). Um Wohnraum für Nichtjuden zu schaffen, wurden Juden gezwungen, in kleinere Wohnungen oder in ein
Zimmer zur Untermiete bei andern Juden zu ziehen. Lina kam bei der Familie des Handelsvertreter Stanislaus Zwergel in der Mommsenstraße 23 unter. Erna, die vielleicht auch eine zeitlang hier wohnte, musste sich schließlich eine andere Bleibe suchen. Bei der Volkszählung vom 17. Mai 1939 wohnte sie in Moabit, Lina wurde in der Mommsenstraße 23 registriert.
Auch Lina musste, wie Erna, mindestens noch einmal umziehen. Verschiedene Quellen geben für sie die Adresse Leibnizstraße 42 bei Georg Mannheim am. Offenbar war Zwergel, der nach 1939 nicht mehr im Adressbuch auftaucht, um- oder weggezogen. Er überlebte den Krieg, vermutlich durch seine nichtjüdische Ehefrau geschützt.
Lina Friedländer war nicht geschützt, sie wurde im November 1941 vom Bahnhof Grunewald aus nach Riga deportiert, sehr wahrscheinlich am 27. des Monats. Nach einer anderen Quelle verschleppte man sie am 14. November nach Minsk. Die Deportationslisten beider „Transporte“ sind leider nicht erhalten, sodass sich das nicht mehr nachprüfen lässt. Vermutlich war sie ursprünglich für die Deportation nach Minsk vorgesehen und wurde schon vor dem 14. November in die Levetzowstraße 7-8 gebracht – eine zur Sammelstelle umfunktionierte Synagoge -, dann aber erst am 27. nach Riga verschleppt. Die Menschen, die nach Riga kamen, wurden alle auf Ankunft am 30. November 1941 in den Wäldern von Rumbula ermordet. Sollte Lina Friedländer nach Minsk gekommen sein, hat sie auch das nicht überlebt.
Knapp ein Jahr später, am 26. Oktober 1942, wurde Linas Schwester Erna ebenfalls nach Riga deportiert und dort auf Ankunft ermordet. Ihre Schwester Julia konnte mit ihrem Mann und ihren zwei Kindern rechtzeitig nach Palästina auswandern. Linas letzter Vermieter Georg Mannheim wurde am 3. März 1943 mit seiner Frau Paula nach Auschwitz deportiert und dort umgebracht.
Julias Sohn Frank widmete 1999 seiner Tante Lina Friedländer ein Gedenkblatt bei Yad Vashem
Quellen:
Gedenkbuch. Bundesarchiv Koblenz, 2006; Gedenkbuch Berlin der jüdischen Opfer des Nationalsozialismus 1995; Berliner Adressbücher; Landesarchiv Berlin; Akten des Landesentschädigungsamtes Berlin; Brandenburgisches Landeshauptarchiv, Akten der Oberfinanzdirektion; Gottwaldt/Schulle, Die „Judendeportationen“ aus dem Deutschen Reich 1941-1945, Wiesbaden 2005; Yad Vashem, Zentrale Datenbank der Namen der Holocaustopfer
Recherchen: Sabine Davids und Micaela Haas, Text: Micaela Haas