Stolpersteine Mommsenstraße 23

Hauseingang Mommsenstr. 23

Hauseingang Mommsenstr. 23, 06.04.2012

Diese Stolpersteine wurden am 13.3.2012 verlegt. Der Spender war Ronny-Meir Dotan (Tel Aviv).

Stolperstein Lina Friedländer

Stolperstein Lina Friedländer, 06.04.2012

HIER WOHNTE
LINA FRIEDLÄNDER
JG. 1890
DEPORTIERT 27.11.1941
RIGA
ERMORDET 30.11.1941

Lina Friedländer kam als älteste Tochter von Ferdinand Friedländer und seiner Frau Bertha geb. Samson am 15.Dezember 1890 in Kalkberge/Rüdersdorf bei Berlin zur Welt. Ihr folgten im Abstand von je zwei Jahren die Schwestern Julia und Erna. Ferdinand Friedländer führte mit seinem Bruder Isidor das Kalkstein-Unternehmen ihres 1889 verstorbenen Vaters Salomon Friedländer. Sie richteten eine Zweigstelle in Berlin ein, und 1901 zog Ferdinand Friedländer mit Frau und Kindern nach Berlin, zunächst in die Lessingstraße 13, in der sich auch das „Kalk, Kalkstein und Mauersteine Geschäft“ befand. 1906, der Betrieb befand sich mittlerweile in der Joachimsthalerstraße 35, bezog die Familie in der gleichen Straße Nr. 19 eine geräumige 8-Zimmer-Wohnung.

In Kalkberge hatte Lina eine Privatschule besucht, in Berlin ging sie noch einige Jahre wie ihre Schwestern auf das Dorotheen-Lyzeum. Anschließend studierte sie Musik und absolvierte eine Ausbildung zur Pianistin und Klavierlehrerin. Inwieweit sie ihren Beruf ausüben konnte, bleibt unklar. 1908 war die Mutter Bertha gestorben, und man kann annehmen, dass Lina, als die älteste Tochter, den Haushalt führte. Julia war Kindergärtnerin am Pestalozzi-Froebel-Haus, 1914 heiratete sie den Frauenarzt Kurt Fleischer und verließ die väterliche Wohnung. Erna war nach dem Abitur 1913 zum Chemiestudium nach Freiburg gegangen, kam aber noch im selben Jahr nach Berlin zurück, um dort weiter zu studieren. In den 20er Jahren verließ sie nochmals Berlin, um in Hamburg in einem Labor zu arbeiten.

Im Juli 1926 starb Ferdinand Friedländer während eines Aufenthalts in Bad Kissingen. Er wurde neben seine Ehefrau auf dem Jüdischen Friedhof Weißensee bestattet. Lina zog nun mit ihrer Schwester Erna, die inzwischen aus Hamburg zurückgekehrt war, in eine 3-Zimmer-Wohnung in der Augustastraße 63, heute Blissestraße. Erna fand nun eine Stellung als Büroangestellte bei der Jüdischen Gemeinde und Lina führte – wieder – den gemeinsamen Haushalt.

Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 waren die Schwestern in ihrem Lebensalltag zunehmend eingeschränkt. Sie fühlten sich wohl durch Ernas Stelle bei der Jüdischen Gemeinde einigermaßen geschützt, aber die immer häufigeren antisemitischen Verordnungen zur Isolierung der jüdischen Bevölkerung betrafen auch sie. Juden wurden aus dem Berufsleben gedrängt, mussten besondere Kennkarten beantragen und die Kennzeichnung ihrer Reisepässe hinnehmen, mussten ihrem Namen „Sara“ oder „Israel anfügen, sie konnten nur noch eingeschränkt über ihr Vermögen verfügen. Nach den Novemberpogromen am 9./10. November 1938 häuften sich noch mal die Verordnungen gegen Juden. Sie durften nicht am öffentlichen Leben teilnehmen, nicht in Theater, Konzerte, Kinos usw. gehen, zu bestimmten Zeiten durften sie gar nicht mehr auf die Straße, durften nur von 4 bis 5 Uhr nachmittags einkaufen. Alle Wertgegenstände mussten sie abliefern, Rundfunkgeräte wurden beschlagnahmt, Telefonanschlüsse gekündigt, ihre Konten wurde zu „Sicherheitskonten“ erklärt, von denen sie nur durch „Sicherungsanordnung“ festgelegte Beträge für ein Existenzminimum abheben durften.

Zum Zeitpunkt der Novemberpogrome wohnte Lina nicht mehr in der Augustastraße (die mittlerweile nach einem SA-Mann in Stenzelstraße umbenannt worden war). Um Wohnraum für Nichtjuden zu schaffen, wurden Juden gezwungen, in kleinere Wohnungen oder in ein
Zimmer zur Untermiete bei andern Juden zu ziehen. Lina kam bei der Familie des Handelsvertreter Stanislaus Zwergel in der Mommsenstraße 23 unter. Erna, die vielleicht auch eine zeitlang hier wohnte, musste sich schließlich eine andere Bleibe suchen. Bei der Volkszählung vom 17. Mai 1939 wohnte sie in Moabit, Lina wurde in der Mommsenstraße 23 registriert.

Auch Lina musste, wie Erna, mindestens noch einmal umziehen. Verschiedene Quellen geben für sie die Adresse Leibnizstraße 42 bei Georg Mannheim am. Offenbar war Zwergel, der nach 1939 nicht mehr im Adressbuch auftaucht, um- oder weggezogen. Er überlebte den Krieg, vermutlich durch seine nichtjüdische Ehefrau geschützt.

Lina Friedländer war nicht geschützt, sie wurde im November 1941 vom Bahnhof Grunewald aus nach Riga deportiert, sehr wahrscheinlich am 27. des Monats. Nach einer anderen Quelle verschleppte man sie am 14. November nach Minsk. Die Deportationslisten beider „Transporte“ sind leider nicht erhalten, sodass sich das nicht mehr nachprüfen lässt. Vermutlich war sie ursprünglich für die Deportation nach Minsk vorgesehen und wurde schon vor dem 14. November in die Levetzowstraße 7-8 gebracht – eine zur Sammelstelle umfunktionierte Synagoge -, dann aber erst am 27. nach Riga verschleppt. Die Menschen, die nach Riga kamen, wurden alle auf Ankunft am 30. November 1941 in den Wäldern von Rumbula ermordet. Sollte Lina Friedländer nach Minsk gekommen sein, hat sie auch das nicht überlebt.

Knapp ein Jahr später, am 26. Oktober 1942, wurde Linas Schwester Erna ebenfalls nach Riga deportiert und dort auf Ankunft ermordet. Ihre Schwester Julia konnte mit ihrem Mann und ihren zwei Kindern rechtzeitig nach Palästina auswandern. Linas letzter Vermieter Georg Mannheim wurde am 3. März 1943 mit seiner Frau Paula nach Auschwitz deportiert und dort umgebracht.

Julias Sohn Frank widmete 1999 seiner Tante Lina Friedländer ein Gedenkblatt bei Yad Vashem

Quellen:
Gedenkbuch. Bundesarchiv Koblenz, 2006; Gedenkbuch Berlin der jüdischen Opfer des Nationalsozialismus 1995; Berliner Adressbücher; Landesarchiv Berlin; Akten des Landesentschädigungsamtes Berlin; Brandenburgisches Landeshauptarchiv, Akten der Oberfinanzdirektion; Gottwaldt/Schulle, Die „Judendeportationen“ aus dem Deutschen Reich 1941-1945, Wiesbaden 2005; Yad Vashem, Zentrale Datenbank der Namen der Holocaustopfer

Recherchen: Sabine Davids und Micaela Haas, Text: Micaela Haas

Stolperstein Erna Friedländer

Stolperstein Erna Friedländer, Foto: A. Bukschat & C. Flegel, 06.04.2012

HIER WOHNTE
ERNA FRIEDLÄNDER
JG. 1894
DEPORTIERT 26.10.1942
RIGA
ERMORDET 29.10.1942

Erna Friedländer wurde am 24. April 1894 in Kalkberge/Rüdersdorf bei Berlin, (heute Rüdersdorf) geboren und war die Tochter von Ferdinand Friedländer und Bertha geb. Samson. Sie hatte zwei ältere Schwestern: Lina, geboren am 15. Dezember 1890 und Julia, geboren am 29. Januar 1892. Bertha Friedländer stammte aus Bernburg/Anhalt, ihr Mann Ferdinand war 1859 ebenfalls in Kalkberge geboren worden. Wie sein Vater Salomon war er Kalksteinhändler. Nach Salomons Tod 1889 übernahm Ferdinand mit seinem Bruder Isidor das Unternehmen und etablierte eine Zweigstelle in Berlin in der Landsberger Strasse 3, das Hauptkontor war weiterhin in Kalkberge/Rüdersdorf.

1901 zog zunächst Ferdinand mit seiner Familie nach Berlin in die Lessingstraße 13, in die ein Jahr zuvor auch das Geschäft für „Kalk, Kalksteine und Mauersteine“ umgesiedelt worden war. Einige Jahre später, 1906, bezogen Friedländers eine 8-Zimmer-Wohnung in der Joachimsthaler Straße 19, der Betrieb befand sich inzwischen in der Joachimsthaler Straße 35.

Die Töchter besuchten in Berlin das Dorotheen-Mädchenlyzeum; Erna setzte ihre Ausbildung am Auguste-Viktoria-Mädchengymnasium fort und bestand 1913 dort das Abitur.
Am 24. April 1908 war Bertha Friedländer gestorben, sie wurde in Weißensee beigesetzt. Die Töchter blieben mit dem Vater in der Joachimsthaler Straße wohnen. Ernas Schwester Julia, eine ausgebildete Kindergärtnerin, heiratete im Mai 1914 den Gynäkologen Kurt Fleischer. Erna, die nach dem Abitur zum Chemiestudium nach Freiburg gegangen war, kehrte schon im Oktober 1913 nach Berlin zurück und setzte ihr Studium an der Friedrich-Wilhelm-Universität fort. Dort promovierte sie Anfang 1918, noch im Krieg, mit der Dissertation „Über Heteropolymolybdänate vierwertiger Elemente”. Als Chemikerin fand Erna zunächst Arbeit bei den Auer-Werken in Berlin. In dem von Carl Auer 1892 gegründeten Unternehmen wurden Gasglühstrümpfe und die 1898 patentierten Metallfadenlampen hergestellt. 1906 ließ Auer unter dem Namen Osram elektrische Glüh- und Bogenlichtlampen patentieren. Ab 1906 wurde das Glühlampenwerk an der Warschauer Straße gebaut (später Osram, in der DDR Narwa und heute „Oberbaum City“). Die Osram GmbH wurde mit Beteiligung von Siemens und AEG 1918 gegründet. Erna arbeitete vermutlich im Labor oder in einer Forschungsabteilung.

Wir wissen nicht genau, wie lange Erna bei der Auer-Gesellschaft beschäftig war. Sie ging später nach Hamburg und arbeitete dort in dem Labor eines Dr. Heymann. In der zweiten Hälfte der 20er Jahre kam sie nach Berlin zurück, möglicherweise aus Anlass des Todes ihres Vaters. Ferdinand Friedländer war am 27. Juli 1926 in Bad Kissingen gestorben, vermutlich weilte er dort zur Kur. Er wurde neben seiner Frau in Berlin-Weißensee beigesetzt. Erna und ihre Schwester Lina lösten die Wohnung auf und bezogen eine kleinere in der Augustastraße 63 in Wilmersdorf (heute Blissestraße). Erna hatte nun Arbeit als Büroangestellte bei der jüdischen Gemeinde gefunden, Lina führte den Haushalt. Diese Wohnung bewohnten Erna und Lina noch 1937. Im Adressbuch 1938 ist zwar die Adresse Stenzelstraße 13/15 genannt, es handelt sich jedoch um die gleiche Wohnung. Die Straße wurde 1937 nach einem im Straßenkampf umgekommenen SA-Mann umbenannt, die Häusernummerierung geändert. (1947 erhielt die Straße dann den Namen Blissestraße).

Ernas Schwester Julia war bereits mit ihrem Mann im November 1936 nach Palästina ausgewandert, da Kurt Fleischer in Berlin nicht mehr arbeiten konnte. Zuvor hatten sie schon ihre beiden Kinder nach Palästina geschickt. Erna besuchte Julia 1937 dort, kehrte jedoch nach Berlin zurück.
Der Adressbucheintrag von 1938 ist die letzte Nennung von Erna Friedländer. Wie viele anderen Juden, wurden die Schwestern infolge der wachsenden gesetzlichen und sozialen Diskriminierung genötigt, ihre Wohnung aufzugeben und in beengtere Verhältnisse in Untermiete zu wechseln. Die beiden Frauen mussten sich nun trennen. Möglich, dass sie zunächst noch beide in der Mommsenstraße 23 unterkamen, aber schon bei der Volkszählung im Mai 1939 – Juden wurden in einer Sonderkartei erfasst – ist dort nur Lina registriert, für Erna ist die Adresse Tile-Wardenberg-Straße 3-4 in Moabit angegeben.

Erna musste erleben, dass ihre Schwester im November 1941 deportiert wurde und sie nichts mehr von ihr hörte. Als Angestellte der Jüdischen Gemeinde dürfte sie aber über das hoffnungslose Schicksal von Deportierten im Bilde gewesen sein. Sie selber musste am 21. Oktober 1942 die „Vermögenserklärung“ unterschreiben, die der Deportation stets unmittelbar vorausging. Sie hatte abermals umziehen müssen und bewohnte nun ein Zimmer zur Untermiete bei Lane Kadisch in der Solinger Straße 3. Viel Vermögen konnte Erna allerdings in der Erklärung nicht mehr angeben. Sie verdiente zwar als Büroangestellte bei der Jüdischen Kultusvereinigung ein bescheidenes, aber festes Gehalt und ihr war die Zwangsarbeit erspart geblieben. Schmuck und Wertgegenstände hatte sie aber schon im Februar 1939 abgeben müssen, über Wertpapiere und Bankkonten durften Juden nicht mehr frei verfügen, lediglich das festgelegte Minimum für die Existenz konnten sie abheben. Die Wohnungseinrichtung in der Augustastraße hatten sie und Lina gezwungenermaßen zu niedrigen Preisen verkaufen müssen, da sie die Möbel nicht in ihre Untermietezimmer mitnehmen konnten. In dem Formular gab Erna noch an, dass aus dem gemeinsamen Haushalt „alle aus- oder abgewandert“ seien – „Abwanderung“ war einer der verschleiernden NS-Euphemismen für die Deportation.

Erna Friedländer wurde am 24. Oktober 1942 in die als Sammelstelle missbrauchte Synagoge Levetzowstraße 7-8 gebracht und zwei Tage darauf vom Güterbahnhof Moabit aus mit 797 weiteren Opfern nach Riga deportiert. Unter ihnen waren außer Erna mindestens noch 203 Angestellte der Jüdischen Gemeinde (nach anderer Quelle 354) mit ihren Angehörigen, weswegen die Gestapo auch von der „Gemeindeaktion“ sprach. Bei Ankunft in Riga am 29. Oktober wurden alle Insassen des Zuges in den umgebenden Wäldern ermordet.

Ernas letzte Vermieterin, Lane Kadisch geb. Klein, wurde am 26. Februar 1943 nach Auschwitz deportiert und dort ermordet.

Julia Fleischer geb. Friedländer, Ernas Schwester, stellte in den 1950ger Jahren mehrere Wiedergutmachungs- und Entschädigungsanträge gegen die Bundesrepublik Deutschland. Die Verfahren zogen sich jahrelang hin, wurden teilweise eingestellt bzw. endeten mit der Auszahlung geringer Beträge.

Frank Fleischer, der Sohn von Julia, widmete 1999 seiner Tante Erna Friedländer ein Gedenkblatt bei Yad Vashem.

Quellen:
Gedenkbuch. Bundesarchiv Koblenz, 2006; Gedenkbuch Berlin der jüdischen Opfer des Nationalsozialismus 1995; Berliner Adressbücher; Landesarchiv Berlin; Akten des Landesentschädigungsamtes Berlin; Brandenburgisches Landeshauptarchiv, Akten der Oberfinanzdirektion; Gottwaldt/Schulle, Die „Judendeportationen“ aus dem Deutschen Reich 1941-1945, Wiesbaden 2005; Yad Vashem, Zentrale Datenbank der Namen der Holocaustopfer

Recherchen: Sabine Davids und Micaela Haas, Text: Micaela Haas