Zum Gedenken an die einstigen Bewohner/innen hielt Marcel de Groot, Geschäftsführer der Schwulenberatung Berlin gGmbH, die auch die 8 Stolpersteine gespendet hat, diese Ansprache:
p(. Liebe Mitbenutzer und Bewohner des Hauses Mommsenstrasse 45. Wir stehen hier heute zusammen, um gemeinsam Stolpersteine zu verlegen für die Menschen, die hier gewohnt haben und von hier aus verschleppt worden sind.
p(. Stolpersteine: „Ein Projekt, das die Erinnerung an die Vertreibung und Vernichtung der Juden, der Zigeuner, der politisch Verfolgten, der Homosexuellen, der Zeugen Jehovas und der Euthanasieopfer im Nationalsozialismus lebendig erhält.“
p(. Die Absicht des Künstlers Gunter Demnig ist unter anderem, den NS-Opfern, die in den Konzentrationslagern zu Nummern degradiert wurden, ihre Namen zurückzugeben. Das Bücken, um die Texte auf den Stolpersteinen zu lesen, soll auch eine symbolische Verbeugung vor den Opfern sein. Außerdem soll die Markierung der Tatorte mitten in dichtbesiedelten Wohngebieten die von einigen Zeitgenossen vorgebrachte Schutzbehauptung, dass man von den Deportationen nichts mitbekommen habe, in Frage stellen
p(. „Ein Mensch ist erst vergessen, wenn sein Name vergessen ist”, sagt Gunter Demnig. Mit den Steinen vor den Häusern wird die Erinnerung an die Menschen lebendig, die einst hier wohnten.
p(. Dass wir hier leben und arbeiten in einem Haus, dass eine reiche, lange Geschichte hat, dürfte uns allen klar sein. Viele Besucher bewundern den reich verzierten Eingang, den Stuck an den Decken, den Fahrstuhl und die Fußböden. Dass es nicht immer als Büro, Schule oder Kanzlei genutzt worden ist, nehmen wir vielleicht nur noch am Rande wahr. Es ist unser Platz, an dem wir unterrichten, beraten, Akten führen und Verträge unterschreiben, arbeiten. Wir nutzen das Haus als selbstverständlichen Teil unseres Lebens.
p(. Als ich vor einiger Zeit mich mehr mit der Geschichte dieses Hauses auseinandergesetzt habe, beschloss ich nachzufragen, ob eigentlich in diesem Haus auch Menschen gewohnt hatten, die deportiert und ermordet worden waren. Ich fand es sehr beklemmend, als ich dann die Liste mit den 8 Namen bekam von Juden, die hier gewohnt und gelebt hatten, deren Leben ein so brutales, ein so schreckliches Ende genommen hat. Vielleicht wurde das Büro, in dem ich arbeite, als Schlafzimmer genutzt, hat eines der Opfer hier gehofft, geliebt, geweint, gelebt.
p(. Die vorläufigen Recherchen, die Herr Lölhöffel, Koordinator der Initiative Stolpersteine des Bezirks, mir weiterreichte, ergaben folgendes:
p(. Die Familie Jüttner hat im 1. Stock des Vorderhauses gewohnt. Siegbert (geboren am 20. Juni 1913 in Danzig) und Ingeborg (geborene Lebrecht, geboren am 11. Juli 1920 in Berlin) Jüttner waren verheiratet, ihr Sohn Bela wurde am 6. April 1941 in Berlin geboren, er ist im Alter von nicht einmal zwei Jahren in der Gaskammer umgebracht worden. Über Abraham Jüttner, vermutlich den Vater, geboren am 3. Januar 1886 in Posern, wurde in den Akten nichts gefunden, dafür wissen wir von Else Jüttner, geboren am 19.Februar 1984 in Posen. Diese fünf wurden am 4. und 12.März 1943 vom Bahnhof Grunewald nach Auschwitz deportiert und dort ermordet.
p(. Über die Familie Jüttner gibt es keine Akten mehr im Brandenburgischen Landeshauptarchiv, wo die Vermögensakten deportierter Juden aufbewahrt sind. (Von einer alten Berlinerin, die diese Stolpersteine sah, war nachträglich etwas zu erfahren: Siegbert Jüttner sei der Leiter eines Jüdischen Kindergartens in Kreuzberg – zunächst am Hoffmanndamm, später am Fränkelufer – gewesen, in den sie als fünfjähriges Mädchen ging. Eines Tages im Jahr 1940, erinnerte sie sich, habe ein Schild an der Tür gehangen. Sie wusste nicht, was darauf stand, aber deutsche Jungen hätten die jüdischen Kinder bespuckt und Steine nach ihnen geworfen. Daraufhin habe Jüttner die Eltern darum gebeten, ihre Kinder nicht mehr zu bringen. In ihrer Erinnerung war Siegbert Jüttner „ein väterlicher, gütiger Mensch“.)
p(. Hedwig Salomon , geb. Cohn, geboren am 30. Mai 1885 in Bentschen in der Nähe von Posen, wohnte im 2. Stock, sie war vor ihrer Deportation im Polizeigefängnis, d.h. sie war vermutlich im Widerstand aktiv. Auch über sie gibt es außer einer Karteikarte nichts mehr. Sie sit am 19. Oktober 1942 nach Riga deportiert worden, wo die meisten sofort nach ihrer Ankunft erschossen worden sind.
p(. Zu Arthur Silbermann, geboren am 21. Januar 1903 in Wielen, wurde ein Eintrag gefunden, dass er in der Mommsenstraße 45 zum Stichtag der Volkszählung am 17. Mai 1939 “bei Jüdner” wohnte, es ist denkbar, dass er Untermieter bei Jüttners war und der Name falsch geschrieben wurde. Für Silbermann ist auch ein Eintrag “Sybelstr. 9” zu finden, aber ohne nähere Zusätze. Über ihn gibt es Unterlagen im Brandenburgischen Landeshauptarchiv, die noch nicht ausgewertet sind. Vielleicht auch über Jenny Themal, die am 13. November 1863 in Posen geboren ist und am 21. September 1942 im Alter von 78 Jahren vom Gleis 17 des Bahnhofs Grunewald ins Ghetto Theresienstadt deportiert wurde.
p(. Die Stolpersteine mahnen uns, wachsam zu sein und zu bleiben. Eine freie demokratische Gesellschaft kann nur frei und demokratisch bleiben, wenn wir alle wachsam bleiben und jede rechtsextreme Ansicht mit allen Mitteln bekämpfen.
p(. Heute gedenken wir der jüdischen Mitbürger aus unserem Haus, die Opfer der Shoah wurden. Heute wollen wir ihnen die Nummern entziehen und geben ihnen ihre Namen zurück.
p(. Wir gedenken Else Jüttner, Abraham Jüttner, Siegbert Jüttner, Ingeborg Jüttner, Bela Jüttner, Jenny Themal, Hedwig Salomon und Arthur Silbermann.
p(. Lassen Sie uns eine Minute schweigen.