Stolpersteine Sybelstr. 32

Stolpersteine Sybelstraße 32

Hauseingang Sybelstr. 32, Foto: F. Siebold, Juni 2013

Hauseingang Sybelstr. 32, Foto: F. Siebold, Juni 2013

Diese Stolpersteine wurden von mehreren Hausbewohnerinnen und -bewohnern gemeinschaftlich gespendet und am 08.11.2011 verlegt.

Stolperstein Rosalie Freitag, Foto: F. Siebold, Juni 2013

Stolperstein Rosalie Freitag, Foto: F. Siebold, Juni 2013

HIER WOHNTE
ROSALIE FREITAG
GEB. KATZ
JG. 1871
DEPORTIERT 2.9.1942
THERESIENSTADT
ERMORDET 29.9.1942
TREBLINKA

Stolperstein Susi Freitag, Foto: F. Siebold, Juni 2013

Stolperstein Susi Freitag, Foto: F. Siebold, Juni 2013

HIER WOHNTE
SUSI FREITAG
GEB. LEHMANN
JG 1899
DEPORTIERT 19.2.1943
ERMORDET IN
AUSCHWITZ

Stolperstein Leo Freitag, Foto: F. Siebold, Juni 2013

Stolperstein Leo Freitag, Foto: F. Siebold, Juni 2013

HIER WOHNTE
LEO FREITAG
JG. 1901
DEPORTIERT 19.2.1943
ERMORDET IN
AUSCHWITZ

Stolperstein Blanka Krombach, Foto: F. Siebold, Juni 2013

Stolperstein Blanka Krombach, Foto: F. Siebold, Juni 2013

HIER WOHNTE
BLANKA KROMBACH
GEB. BECK
JG 1874
DEPORTIERT 25.1.1942
ERMORDET IN
RIGA

Stolperstein Pauline Simon-Sussmann, Foto: F. Siebold, Juni 2013

Stolperstein Pauline Simon-Sussmann, Foto: F. Siebold, Juni 2013

HIER WOHNTE
PAULINE
SIMON-SUSSMANN
GEB. BECK
JG. 1861
GEDEMÜTIGT / ENTRECHTET
FLUCHT IN DEN TOD
27.7.1942

Stolperstein Rebekka Knopf, Foto: F. Siebold, Juni 2013

Stolperstein Rebekka Knopf, Foto: F. Siebold, Juni 2013

HIER WOHNTE
REBEKKA KNOPF
GEB. BECK
JG. 1870
DEPORTIERT 16.6.1942
THERESIENSTADT
ERMORDET 23.6.1944

Susi und Leo Freitag wohnten zusammen mit Rosalie Freitag, die wahrscheinlich Leos Mutter war, in der Sybelstraße 32. Susi Freitag, geb. Lehmann , geboren am 6. März 1899 in Berlin, hatte die Handelsschule abgeschlossen und arbeitete als Büroleiterin für mehrere Firmen. Sie war geschieden und hieß Philipp, bevor sie Leo Freitag , geboren am 3. Juni 1901 in Schwersenz (Swarzędz) bei Posen (Poznan), heiratete. Er war Kaufmann. Sie hatte einen Bruder und zwei Schwestern, die nach dem Zweiten Weltkrieg in England und in Israel lebten. Susi und Leo Freitag wurden am 19. Februar 1943 gemeinsam vom Bahnhof Grunewald in einem Todeszug mit 997 Menschen ins Vernichtungslager Auschwitz deportiert. 772 von ihnen sind in den Gaskammern getötet worden.

Die am 22. Juli 1871 in Posen (Poznan) geborene Rosalie Freitag, geb. Katz , war schon fast ein halbes Jahr vorher deportiert worden. Zunächst wurde sie in das Sammellager im zweckentfremdeten ehemaligen Jüdischen Altersheim an der Großen Hamburger Straße 26 verschleppt, wohin später auch Susi und Leo Freitag zur Registrierung mussten. Dann wurde sie am 2. September 1942 ins Ghetto Theresienstadt deportiert und von dort ins Vernichtungslager Treblinka, wo sie am 29. September 1942 ermordet worden ist.

Blanca Krombach, geb. Beck , lebte von 1934 bis 1942 in der Sybelstraße 32 im Vorderhaus im ersten Stock links in einer 4-Zimmer-Wohnung mit Küche, Flur und Kammer. Mit ihr wohnten zeitweise ihre beiden Schwestern Pauline Simon-Sussmann, geb. Beck, geboren am 15. Februar 1861 in Bromberg, und Rebekka Knopf, geb. Beck, geboren am 1. November 1870 in Bromberg. Die Lebensumstände der drei verwitweten Schwestern, die 110 Reichsmark Miete aufzubringen hatten, waren höchst bescheiden.
Vor 1939 hatte auch Richard Krombach dort gewohnt. Über ihn ist kaum etwas, nicht einmal das Todesdatum. Es gibt eine „Meldung über evakuierte Juden“ vom Mai 1942, in der die BEWAG als Hauptmieter Richard Krombach nennt, der eine offene Stromrechnung von 9,64 RM habe. Offenbar wusste die BEWAG nicht, dass Krombach schon am Tag der Volkszählung seit mindestens drei Jahren nicht mehr lebte. Bis 1938 stand er als „Haushaltungsvorstand“ im Berliner Adressbuch – zunächst mit der Berufsbezeichnung Kaufmann, später als „Agent“. Seit 1939 war „Krombach,B.,Vw.“, also seine Frau Blanca, als Witwe eingetragen.
Blanca Krombach wurde am 16. September 1874 in Bromberg geboren. Im Oktober 1934 war sie mit ihrem Mann in die Sybelstraße 32 eingezogen. Als sie am 29.12.1941 wie alle zur Deportation bestimmten Juden eine Vermögenserklärung abgeben musste, wurde in gut lesbarer Handschrift sorgfältig eingetragen: „verwitwet“, „ohne Beruf“ und „keine Beschäftigung“. Auch ihr Mobiliar und den Hausrat ist gewissenhaft aufgelistet: unter anderem „1 kl. Brücke, 7 Stühle, 1 Bank, 5 Wandbilder“ sowie „1 Hammer, 1 Zange“. Ihr Gesamtvermögen bezifferte sie auf 150 Reichsmark (RM). Der Wert dieses Geldes lässt sich schwer einordnen, weil es damals Bezugsscheine gab. Ein Anhaltspunkt: 1939 kosteten 5 kg Kartoffeln 1,10 RM und 1 kg Rindfleisch 1,70 RM. Die Vermögenserklärung, die sich im Brandenburgischen Landeshauptarchiv in Potsdam befindet, ist von einer anderen Person geschrieben worden, mit von der Unterschrift abweichender Handschrift und Tinte, aber sicherlich von Blanca Krombach diktiert. Das Finanzamt bilanzierte am 2.9.1942, Frau Krombach habe „kein Vermögen gehabt“. Ein amtlicher Schätzer taxierte am 8.4.1942 die Hinterlassenschaft auf 65 RM.
Zuvor war bei einer Wohnungsbesichtigung am 6.3.1942 vom Generalbauinspektor ein Reparaturbedarf in Höhe von 858,62 errechnet worden, die dem Hausbesitzer Otto Bauer, er wohnte in der Knesebeckstraße 22, aber nicht erstattet wurden, woraufhin er sich beim Oberfinanzpräsidenten beschwerte: Die Wohnung sei noch „nicht vollständig geräumt, sodass der mir vom Herrn Generalbauinspektor zugewiesene arische Mieter noch nicht einziehen konnte“. Außerdem hatte das Hauptplanungsamt die Wohnung beschlagnahmt, weil sie offenbar für einen privilegierten Mieter vorgesehen war. Am 1.6.1942 wurde die „Aufhebung der Beschlagnahme“ verfügt, die Wohnung sei „bewohnbar, ungezieferfrei“, am 12.6. wurde sie neu bezogen. Noch Monate später mahnte der Generalbauinspektor die Instandsetzungskosten an, einmal mit dem Zusatz: „Den Rest versuche ich durch die Jüdische Kultusvereinigung einzuziehen.“
In einer Notiz von Mai 1942 ist zu lesen: Blanca Krombach sei „evakuiert, von Gestapo abgeholt“ worden. Die Wahrheit: Am 25. Januar 1942 wurde die 67 Jahre alte Frau bei eisiger Kälte in einen auf dem Bahnhof Grunewald bereitstehenden überfüllten Güterzug getrieben, der fünf Tage und vier Nächte lang nach Riga fuhr. Viele waren bei der Ankunft auf dem Bahnhof Skirotava schon erfroren, viele der Entkräfteten wurden sofort nach dem Aussteigen erschossen. Nur 13 der 1044 Menschen, die in diesem Todeszug saßen, haben überlebt.

Pauline Simon-Sussmann, geb. Beck , geboren am 15. Februar 1861 in Bromberg, war die ältere Schwester von Blanca Krombach, bei der sie zunächst in der Sybelstraße 32 wohnte, bevor sie sich pflegebedürftig ins Hospital des Jüdischen Altersheims an der Auguststraße 14-16 begeben musste. Dort beging sie am 27. Juli 1942 – kurze Zeit, nachdem ihre Schwester Rebecka aus einem anderen Altersheim deportiert worden war – im Alter von 81 Jahren Selbstmord.
Nachdem das Altersheim im Sommer 1943 aufgelöst und von der Hitlerjugend in Beschlag genommen worden war, wunderten sich die Beamten der nationalsozialistisch durchsetzten Finanzbehörden, warum die alte Dame kein Inventar und kein Vermögen hinterlassen hatte und forschten mehr als ein Jahr lang eifrig nach, fanden aber nichts. Am 18.11.1943 veröffentlichte der Reichsanzeiger trotzdem eine Namensliste von Personen, deren Vermögen eingezogen worden seien, darunter auch den von Pauline Simon-Sussmann.

Rebekka Knopf, geb. Beck , geboren am 1. November 1870 in Bromberg, war die mittlere der drei Schwestern, die in der Wohnung von Blanca Krombach zusammenlebten. Ihr 1925 gestorbener Ehemann hieß Sally Knopf. Er betrieb eine kombinierte Lumpensortieranstalt mit Wollwarenfabrikation. Seine Frau besaß in Halberstadt ein Zweifamilienhaus, aus den Mieteinnahmen bezog sie ihr Einkommen. Nach der Flucht ihres Sohnes aus Deutschland im Jahr 1938 musste sie dieses Haus für eine geringe Summe „verschreiben“, wie Beamte damals beschönigend die Zwangsenteignung nannten.
Zusammen mit ihrem Sohn hatte sie in der Solinger Straße 9 gewohnt. Als der Hauswart sie nach der Flucht des Sohnes mit antisemitischen Sprüchen bedrohte, ließ sie ihr gesamtes Hab und Gut zurück und zog Hals über Kopf mit zwei Koffern zu ihrer Schwester Blanca. Mit fast 72 Jahren wurde sie aus dem Jüdischen Altersheim Iranische Straße 3, wo die Gestapo auch ein Sammellager eingerichtet hatte, am 16. Juni 1942 ins Ghetto Theresienstadt deportiert und am 23. Juni 1944 umgebracht. Ihr Sohn überlebte in den USA.

Recherchen und Texte: Brigitte Döring, Helmut Lölhöffel, Frank Siebold
Quellen: Brandenburgisches Landeshauptarchiv, Potsdam; Berliner Adressbücher 1936-1939; Gottwald/Schulle: Die Judendeportationen, Wiesbaden 2005