Stolpersteine Deidesheimer Straße 9

Hausansicht Deidesheimer Str. 9

Die Stolpersteine für Nathan Havelland und Anna Springarn wurden am 7.6.2011 verlegt. Der Stolperstein für Erich Heine wurde am 16.6.2022 verlegt und von Stephen Joseph gespendet.

Stolperstein Nathan Havelland

Stolperstein für Nathan Havelland

HIER WOHNTE
NATHAN HAVELLAND
JG. 1873
DEPORTIERT 14.9.1942
THERESIENSTADT
ERMORDET 10.3.1944

Nathan Havelland ist am Neujahrstag 1873 in Nordhausen (Thüringen) geboren und in Bleicherode, einer Kleinstadt südlich des Harz, aufgewachsen. Die Eltern waren Hermann und Helene Havelland, seine Geschwister hießen Paul, Elise, Siegmund und Martha. In Bleicherode lebten viele Juden, es gab eine große jüdische Gemeinde.
1915 gründete er in Berlin eine Knopffabrik in der Kurstraße 15 in Mitte, die später in der Sebastianstraße 72 in Kreuzberg war. Nathan Havelland war wohl unverheiratet, Nachkommen sind nicht bekannt.
1939 wurde die Knopffabrik zwangsliquidiert. Havelland, der bis dahin ein wohlhabender Fabrikbesitzer war, musste als Untermieter des Kaufmanns Isidor Friedenthal nach Wilmersdorf in die Deidesheimer Straße 9 ziehen, wo er bei der Volkszählung am 17.5.1939 gemeldet war. Vor seiner Deportation wurde Havelland allerdings in die Elsässer Straße 20 (heute Torstraße in Mitte) umquartiert, wo er von der Geheimen Staatspolizei (Gestapo) abgeholt wurde.
Am 14. September 1942 ist Nathan Havelland in einem Zug mit 1000 Menschen vom Güterbahnhof Moabit nach Theresienstadt gebracht worden. Auf der Deportationsliste stand er unter der Nummer 499, in der Spalte Beruf war „ohne“ eingetragen. Im Ghetto Theresienstadt wurde der 71-jährige am 10. März 1944 ums Leben gebracht.
Eine der Schwestern, Martha Havelland, am 4. Oktober 1879 in Bleicherode geboren, wurde am 23. September 1940 aus Hamburg deportiert und am selben Tag ermordet.
Nathan Havellands Vermieter Isidor Friedenthal stand 1940 nicht mehr im Adressbuch, ist also 1939 gestorben oder geflüchtet.

Text: Stolpersteine-Initiative Charlottenburg-Wilmersdorf. Quellen: Bundesarchiv, Berliner Adressbuch und Branchenbuch, Verzeichnis jüdischer Unternehmen.

Kurz vor Nathan Havellands Deportation hatte sich seine Mithausbewohnerin Anna Spingarn ums Leben gebracht. Anna Spingarn, genannt Hannchen, wurde am 8. Juni 1872 in Kattowitz (Katowice) in Schlesien geboren. Über ihr Leben ist nichts bekannt. Sie wohnte zur Untermiete bei dem Ingenieur Franz van der Brock in der Deidesheimer Straße 9. Um dem Schicksal vieler ihr bekannter jüdischer Menschen zu entgehen, die von ihren Augen verschleppt wurden, beging sie am 21. April 1942 Selbstmord. Sie war 69 Jahre alt.

Stolperstein Anna Spingarn

Stolperstein für Anna Spingarn

HIER WOHNTE
ANNA SPINGARN
JG. 1872
GEDEMÜTIGT / ENTRECHTET
FLUCHT IN DEN TOD
21.4.1942

Erich_Heine_deidesheimer-strasse-9

HIER WOHNTE
ERICH HEINE
JG. 1886
VERHAFTET 14.6.1938
“JUNI AKTION”
BUCHENWALD
ERMORDET 2.7.1938

- english below -

Erich Heine wurde am 13. Mai 1886 in Neubrandenburg geboren. Seine Eltern waren Martha Heine, geb. Levy, geboren 1860, und Max Heine, geboren 1849, von Beruf Pferdehändler, beide waren Juden. Erich war von Beruf Schneider. Er hatte zwei ältere Geschwister, Georg, geboren 1884, ebenfalls Pferdehändler, und Selma, geboren 1883, von Beruf Weberin. Beide zogen später mit ihren Familien nach Chemnitz.
Erich Heines Großonkel Isidor Heine war der letzte Rektor der Synagoge in Neubrandenburg. Er starb 1942, einen Tag vor seiner Deportation in einem Konzentrationslager. Er war vermutlich der letzte Jude, der in Neubrandenburg lebte, nach seinem Tod wurde seine Heimatstadt für „judenfrei“ erklärt. Mehrere Familienmitglieder von Erichs Vater wurden deportiert und kamen in den Lagern ums Leben.
Erich wohnte nach seinem Umzug von Mecklenburg-Vorpommern nach Berlin bei seiner inzwischen verwitweten Mutter Martha in der Deidesheimer Straße 9 in Wilmersdorf.
Bei einer Razzia im Juni 1938 wurde Erich inhaftiert und am 14. Juni in das Konzentrationslager Buchenwald bei Weimar deportiert.

Foto zu Erich Heine: Von links (stehend): Hans und Selma Heine, Georg und Erich Heine, Georgs Frau Margarethe (ganz links möglicherweise die Eltern von Selma). Von links (sitzend): Martha und ihre Enkelin Kaete mit zwei ihrer Söhne.

Von links (stehend): Hans und Selma Heine, Georg und Erich Heine, Georgs Frau Margarethe (ganz links möglicherweise die Eltern von Selma). Von links (sitzend): Martha und ihre Enkelin Kaete mit zwei ihrer Söhne.

Diese sogenannte „Juni-Aktion“ wurde offiziell ins Leben gerufen, um „arbeitsscheue“ Männer von der Straße zu holen, tatsächlich sollte sie dem NS-Regime billige männliche Arbeitskräfte zur Verfügung stellen. Von den 9.000 gefangenen Männern waren 2.300 Juden.

Erich Heine starb am 2. Juli 1938, zwei Wochen nach seiner Inhaftierung, auf der Krankenstation des Lagers. Offiziell wurde bei ihm eine „Lungenentzündung“ diagnostiziert, ein Eintrag in seinem Totenschein vom KZ Buchenwald ersetzte einen ersten handschriftlichen Eintrag „auf der Flucht erschossen“.
Seine Urne wurde nach Berlin geschickt und er wurde auf dem Jüdischen Friedhof in Weißensee neben seiner 1937 verstorbenen Mutter Martha beigesetzt. Es gibt keinen Grabstein, aber die Grabstätte ist der Familie bekannt.

Grabstelle Erich Heine

Seiner 1883 geborenen Schwester Selma war mit ihrem Mann Hans Bernstein und den Kindern Kaete (Kate), geboren 1906, Fritz (Fred), geboren 1916, und Karl Ludwig (Charles), geboren 1920, die Flucht gelungen. 1938 starteten sie von Chemnitz aus über die Schweiz, dann an Bord eines Schiffes in Southampton, Großbritannien, und gelangten schließlich über Kuba nach New York, wo sie 1943 endlich in Kalifornien ein neues Leben beginnen konnten. Selma starb 1970.
Erichs Bruder Fritz war Soldat der britischen Armee und starb 1942 in Wales, Großbritannien. Erich Heines Nichte Kate Bernstein, verheiratet mit Heinz Joseph Franck, hatte zwei Kinder. Sie starb 1952 in Kalifornien. Charles Bernstein wurde 1942 in die amerikanische Armee eingezogen und arbeitete später als Landwirt. Er starb 1990.
Auch Erich Heines Bruder Georg, geboren 1884, gelang zusammen mit seiner Frau Margarethe, der Tochter und den beiden Söhnen Gerhard und Hans die Flucht. 1939 bestiegen sie den Dampfer „Njassa“ und fanden für viele Jahre Schutz in Kenia, wo Georg 1963 starb.
Georg und Margarethes Sohn Gerhard bekamen später einen Sohn namens Eric (benannt nach seinem Großonkel Erich). Über Hans haben wir keine Informationen.
Die Enkelin von Georg und Margarethe (geb. Heine und verheiratete Joseph) hatte einen Sohn Stephen Joseph, der den Stolperstein für seinen Großonkel Erich Heine stiftete. Er kam in Kenia zur Welt und lebte dort bis zu seinem elften Lebensjahr. Von dort zog die Familie nach Kalifornien und erst viele Jahre später fanden sie, ganz in der Nähe, weitere Familienangehörige, von denen sie bis dahin nichts gewusst hatten.

english biography

Quellen:
Foto Familie und Grabstelle: aus Familienbesitz
www.juden-in-mecklenburg.de
Stolpersteinpate: Stephen Joseph, USA, Großneffe von Erich Heine