HIER WOHNTE
FRANZISKA
PACKSCHER
JG. 1891
DEPORTIERT 24.10.1941
LODZ / LITZMANNSTADT
ERMORDET 5.5.1942
CHELMNO / KULMHOF
Franziska Julie Marie Packscher sah das Licht der Welt erstmals in Berlin am 23. Januar 1891. Ihr Vater war Arthur Packscher, die Mutter Karoline geb. Stein. Franziska war die zweite Tochter des Paares, ihre Schwester Else war drei Jahre älter. Die Familie wohnte in der Lutherstraße 40 (heute Martin-Luther-Straße). Als ein Jahr später der Bruder Herbert geboren wurde, waren sie in die Wormser Straße 9 umgezogen.
Arthur Packscher wechselte alle paar Jahre – manchmal auch nach nur einem Jahr – die Wohnung, auch beruflich führte er ein wechselhaftes Leben. Als er 1887 mit 24 Jahren Karoline heiratete, war er noch Buchhalter und wohnte in der Kochstraße 56. Im Jahr darauf gründete er das „Berliner Velociped-Verkaufs- und Verleih-Institut ‚Zum Stahlroß‘“, offenbar lag ihm Mechanik mehr als Buchhaltung. Das Unternehmen scheint zwar bald gescheitert zu sein, aber Arthur blieb bei der Mechanik, in der Lutherstraße baute er eine „Mechanische Werkstatt und Telegraphenbauanstalt“ auf. Er machte eine Kunstschlosserausbildung und erweiterte sein Angebot um Installation von Wasser, Gas und Kanalisation. Bald konnte er Werkstatt und Wohnung trennen und als Kunstschlossermeister gelten. Um die Jahrhundertwende war sein Geschäft am Kurfürstendamm 118 und seine Wohnung im dritten Stock der Georg-Wilhelm-Straße 2. 1912, Franziska war 21 Jahre alt, hatte er den
Ingenieurstitel erworben und war von Charlottenburg nach Berlin in die Frankfurter Allee 290 gezogen. Er nannte sich Zivilingenieur und betrieb ein Patentbüro im Stadtzentrum, erst in der Königsstraße, später in der Gertraudenstraße, noch später an der Friedrichsgracht 41. Ab 1925 hat sein Sohn Herbert, inzwischen auch Ingenieur, einen eigenen Adressbucheintrag, ebenfalls in der Frankfurter Allee 290.
Wir wissen nicht, ob Franziska mit in die Frankfurter Allee gezogen ist. Sie war ledig geblieben, hatte vielleicht eine Ausbildung gemacht und lebte – wenn ja, zur Untermiete – weiterhin in Charlottenburg. 1935 ließ sie sich in der Messiaskapelle in der Kastanienallee 22 evangelisch taufen. Sie folgte damit dem Beispiel ihrer Schwester Else, inzwischen verheiratete Siegmund, die diesen Schritt bereits ein Jahr zuvor getan hatte.
Die Messiaskapelle in Prenzlauer Berg lag auf dem Gemeindegebiet der Segens-Gemeinde und war der Sitz der 1822 gegründeten „Gesellschaft zur Beförderung des Christentums unter den Juden“. Unter dem NS-Regime weigerten sich einige Berliner Gemeinden, Juden zu taufen. Die Abgewiesenen konnten sich in der Messiaskapelle taufen lassen, die dafür zum wichtigsten Ort Berlins wurde. Im Januar 1941 wurde die Gesellschaft verboten und die Kapelle geschlossen. Seit 2007 finden hier Gedenkveranstaltungen für deportierte Christen jüdischer Herkunft statt.
Am 17. Mai 1939 fand eine Volkszählung statt, bei der Juden – auch christlich getaufte – in einer gesonderten Kartei erfasst wurden, die sog. Ergänzungskartei. In ihr war eingetragen, wer wie viele jüdische Großeltern hatte. Auch Franziska Packscher ist in ihr registriert, sie war zu diesem Zeitpunkt in der Giesebrechtstraße 22 bei Frau Hahn gemeldet.
Die Ergänzungskarten fanden unter anderem Verwendung bei der Verpflichtung von Juden zur Zwangsarbeit. Wir wissen nicht sicher, ob auch Franziska zwangsverpflichtet wurde. Aber ihre Bezeichnung auf einer späteren Liste als „Lageristin“ lässt eher an eine Arbeit in der Rüstungsindustrie, als an einen erlernten Beruf denken.
Die Annahme des christlichen Glaubens hat Franziska in keiner Weise geschützt. Auch sie und ihre Schwester, die wohl zeitweise, nachdem sie geschieden war, auch in der Giesebrechtstraße 22 wohnte, waren den Demütigungen und Schikanen gegenüber Juden ausgesetzt. Unter anderem konnte Franziska nicht in der Giesebrechtstraße bleiben, sondern wurde genötigt, in ein Zimmer in der Blumenstraße 24 zu ziehen. Nach Aufhebung des Mietrechts für Juden, wurden diese zwangsweise in einzelnen Wohnungen und Häusern zusammengepfercht um Wohnraum für Nichtjuden frei zu machen. Die Verfolgung der Juden gipfelte kurz darauf in den Deportationen, die in Berlin im Oktober 1941 begannen. Gleich im zweiten der Deportationszüge, der am 24. Oktober das Gleis 17 am Bahnhof Grunewald verließ, war unter den etwa eintausend Opfer auch Franziska Packscher.
Ziel der Deportation war das Ghetto Łódź. Schon 1940 war es durch die deutschen Besatzer von der polnischen Industriestadt, die sie Litzmannstadt nannten, abgetrennt und mit Stacheldraht umzäunt worden. Etwa 160 000 einheimische Juden wurden in die bereits heruntergekommenen und – vor allem im Sanitärbereich – äußerst ärmlich ausgestatteten Häuser gepfercht. Im Herbst 1941 deportierten die Nationalsozialisten dann weitere 20 000 Juden aus dem „Altreich“ in das völlig überfüllte Ghetto.
Die Lebensbedingungen im Ghetto waren schwer zu ertragen. Keine Heizung, keine Toiletten, keine Betten, weitgehend mussten die Menschen auf Strohsäcken oder dem nackten Boden in Massenunterkünften schlafen, die Ernährung war völlig unzureichend. Hunger, Kälte, Erschöpfung und Krankheiten rafften viele Leute dahin. Für arbeitsfähig Gehaltene mussten Zwangsarbeit vor allem in Munitionsfabriken und Uniformschneidereien leisten. Vermutlich wurde auch die 50jährige Franziska zur Arbeit eingesetzt. Sie überlebte zwar den Winter, aber im Frühjahr waren sicherlich ihre Kräfte vollends aufgezehrt. Nicht mehr Arbeitsfähige wurden nun in das nicht weit entfernte Vernichtungslager Kulmhof (Chełmno) weiterverschleppt, in dem seit Januar 1942 bereits 45 000 polnische Juden ermordet worden waren. Am 4. Mai 1942 fand dann die erste Weiterdeportation von Berliner und Wiener Juden nach Kulmhof statt. Alle Deportierten wurden sofort nach Ankunft mit Motorabgasen ermordet. Auch
Franziska Packscher gehörte zu den Opfern.
Zu diesem Zeitpunkt lebte Franziskas Schwester Else Siegmund nicht mehr. Sie hatte die eigene Deportation nicht abwarten wollen und sich am am 8. Februar 1942 mit Schlafmitteln das Leben genommen, laut Sterbeurkunde in der Giesebrechtstraße 22. Franziskas Mutter Karoline und ihr Bruder Herbert, die zusammen in der Frankfurter Allee gelebt hatten, mussten auch kurzfristig umziehen, sie kamen unter in der Boxhagener Straße 2b, bei Wolf. Von dort wurde Karoline abgeholt und am 14. Januar 1943 nach Theresienstadt deportiert, wo sie wenige Wochen darauf, am 3. März 1943, an den unmenschlichen Lebensbedingungen im Lager starb. Zwei Tage vor ihr, am 12. Januar 1943, war Herbert nach Auschwitz verschleppt worden. Auch er hat nicht überlebt.
Quellen:
Gedenkbuch. Bundesarchiv Koblenz, 2006; Gedenkbuch Berlin der jüdischen Opfer des Nationalsozialismus 1995; Berliner Adressbücher; Landesarchiv Berlin; Arolsen Archives; https://www.holocaust.cz/de/opferdatenbank/; https://www.landeskirchenarchivberlin.de/forum-fur-erinnerungskultur/forum-schwerpunkte-der-arbeit/arbeitsbereiche/christen-judischer-herkunft/gedenkort-messiaskapelle-2/; https://www.statistik-des-holocaust.de/list_ger.html
Recherchen/Text: Micaela Haas
Stolpersteininitiative Charlottenburg-Wilmersdorf