Berta hat keinen Beruf erlernt. Mit Ende Zwanzig, in der Zeit zwischen 1890 und 1893, heiratet sie den ein Jahr jüngeren jüdischen Kaufmann Ulrich Heymann aus Castrop, in Schriftsätzen oft auch „Uri“ genannt. Der junge Ehemann ist wohlhabend. Er besitzt Grundstücke, Häuser und Wertpapiere. Das Ehepaar siedelt sich in der sauerländischen Kleinstadt Hüsten an, die heute zu Arnsberg gehört. Beide haben vier Kinder. Der älteste Sohn Arthur wird 1894 geboren, die Töchter Margarete, Hilda und Erna einige Jahre später. Die Mädchen werden angehalten, Berufe zu erlernen. Hilda lässt sich zur Warenhaus-Einkäuferin ausbilden und Margarete absolviert die Höhere Handelsschule.
Die Familie führt ein ereignisreiches Leben. Im Jahr 1912 zieht sie nach Brüssel um. Dort betreibt Ulrich Heymann eine Wäschefabrik. Bei Kriegsausbruch 1914 muss die Familie aus Belgien fliehen. Sie kommt bei Verwandten in Mülheim a. d. Ruhr und in Berlin unter. Ein Jahr später besetzen die deutschen Truppen Belgien. Die Heymanns kehren nach Brüssel zurück. 1918 hat Deutschland den Krieg verloren. Ulrich Heymann verliert seine Fabrik und einen großen Teil seines Vermögens. Die Familie flieht erneut und siedelt sich vorübergehend in Köln an. Uri Heymanns Geschäfte florieren wieder.
Tochter Margarete wird nach ihrer Ausbildung mit 21 Jahren Sekretärin in Direktorien von Banken und Stahl-Unternehmen. Später arbeitet sie bei einer Bank in Berlin. Dorthin ist die Familie Heymann im Jahr 1930 umgezogen. Die Wohnung in Charlottenburg, Giesebrechtstraße 6, I. Stock, ist „herrschaftlich“, wie Zeitzeugen bemerken. Uri Heymann übernimmt in Berlin „Vertretungen“, u.a. für den GROHAG Konzern und das „Ury Gebrüder: Warenhaus“ in Leipzig. Verwandtschaftliche Beziehungen helfen ihm dabei. Er handelt mit Aktien und Wertpapieren und verdient auch damit gut.
Ein Jahr vor der Machtübernahme der Nazis heiratet Tochter Margarete den in Düsseldorf lebenden jüdischen Rechtsanwalt Herbert Liebermann. Er muss seine Kanzlei 1933 aufgeben und arbeitet fortan als juristischer Beirat für Treuhandgesellschaften. Das Paar wird im Mai 1939 nach Melbourne auswandern. Der Sohn Arthur Heymann lebt in Hamburg, in den renommierten Colonnaden an der Binnenalster. Er wandert 1934 nach Paris aus. Ebenso wie seine Schwester Erna und ihr Mann Rudolf Neugass, die bis dahin in Leipzig lebten.
Die Heymanns haben inzwischen die vorderen beiden Zimmer in der Giesebrechtstraße 6 an Tochter Hilda und den Schwiegersohn Dr. Jakob Pomeraniec vermietet. Pomeraniec stammt aus Brest-Litowsk. Er kam 1928 als Zwanzigjähriger nach Berlin, studierte Chemie und spricht fließend deutsch, englisch, französisch und russisch. Der junge Mann ist vermögend, plant eine eigene Firma zu gründen, liebt Bücher, Silber und wertvolles Porzellan. Am 28. Oktober 1938 starten die Nazis eine Ausweisungsaktion für 17.000 in Deutschland lebende polnische Juden. Auch Dr. Pomeraniec wird an diesem Tag verhaftet und nach Polen ausgewiesen. Es gelingt ihm, nach Brüssel zu fliehen. Später emigrieren er und seine Frau Hilda nach London. Dort werden sie für immer bleiben.
Uri Heymann kann seine Firmen-Vertretungen bis November 1938 behalten. Danach werden die letzten jüdischen Betriebe “zwangsarisiert“. Juden sollen aus dem deutschen Wirtschaftsleben „ausgeschaltet“ werden. Die Familie hat kein laufendes Einkommen mehr. Ab Januar 1939 verkauft Uri Heymann u.a. Grundstücksbeteiligungen in Castrop-Rauxel, Aktien für 11.000 Reichsmark, ein Miethaus in Hüsten für 9.500 Reichsmark.
Die Eheleute Heymann fassen den Entschluss, nach Frankreich auszuwandern. Am 20. Juli 1939 schreiben sie in einem Brief an ihre Tochter Margarete in Melbourne: „Rudi (der in Paris lebende Schwiegersohn Rudolf Neugass) betont immer wieder, dass wir uns für später keine Sorge machen brauchten. … Vor 8 Tagen erhielten wir Luftpost Brief von ihm, womit er uns freudestrahlend mitteilt, dass zufolge Nachricht von der Präfektur, unserem Antrag auf Einreise seitens der Polizei nichts im Wege stünde.“ Und ein paar Tage später: „In den 9 Jahren unseres Hierseins haben wir nicht so viel Genuss von der Wohnung gehabt wie in den letzten 3 Monaten.“ Sechs Wochen später bricht der Zweite Weltkrieg aus. Die Heymanns müssen in der Giesebrechtstraße 6 wohnen bleiben, nun zusammen mit den Eltern ihres Schwiegersohnes Herbert Liebermann.