Else – manchmal auch Elsa genannt – erlebte als Kind mehrere Wohnungswechsel, die Familie zog von der Alexanderstraße nach Tiergarten, dort mehrfach um und später wieder nach Mitte. Magnus Wolff wechselte auch mehrmals das Betätigungsfeld, einige Jahre war er im Getreidegeschäft tätig, dann, um 1884, eröffnete er in der Friedrichstraße einen „Baby-Bazar“, wo „Baby-Bedarf und Luxusartikel für Kinder, Wöchnerinnen und Ammen“ zu haben waren. Die Familie wohnte wieder in Mitte, zunächst in der Jäger-, dann in der Französische Straße.
1894 starb Magnus Wolff und Else zog mit ihrer Mutter – Margarete und wahrscheinlich auch Rosa waren schon verheiratet – in die Friedrichstraße 36. Albertine führte den Baby-Bazar weiter, vermutlich mit Hilfe ihrer Tochter. Am 23. Februar 1895 heiratete auch Else, der Bräutigam war der Buchhalter Otto Story. Das Paar wohnte fortan in der Königgrätzer Straße 89 (heute Stresemannstraße), und Otto Story übernahm das Baby-Geschäft, möglicherweise hatte er schon vorher dort gearbeitet. Am 1. November 1895 brachte Else ein Mädchen zur Welt, das sie Ellen Charlotte nannte – das aber schon nach 8 Monaten starb.
Auch mit Otto Story wechselte Else häufig die Wohnung. 1914, als er nur 54jährig starb, lebten sie im Bezirk Grunewald, Paulsborner Straße 46. Dort blieb Else noch einige Jahre, um dann 1918 eine Wohnung in die Wilmersdorfer Tharandter Straße 2 zu beziehen. Als sie im September nächsten Jahres den Amtsgerichtsrat Siegfried Noah aus Westpreußen heiratete, zog dieser mit in die Tharandter Straße ein. Kinder aus dieser Ehe sind nicht dokumentiert, vermutlich hatten sie keine.
Erst 1933 bezogen Noahs eine Wohnung in der Giesebrechtstraße 11. Möglicherweise stand dieser Umzug in Zusammenhang mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten. Schon am 7. April 1933 erließen sie das „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“, wonach alle „nichtarischen“ Beamten in den Ruhestand versetzt werden sollten. So erging es auch Siegfried Noah, der bald im Adressbuch als Amtsgerichtsrat i. R. bezeichnet wird. Dies sollte nicht die einzige Drangsalierung von Juden bleiben. Zahlreiche diskriminierende Verordnungen, verstärkt nach den Pogromen vom November 1938, zielten darauf, Juden die Existenz unerträglich zu machen, sie wirtschaftlich und sozial vom öffentlichen Leben auszuschließen, sie zur Auswanderung zu bewegen. Gleichzeitig wurden sie durch diverse finanzielle Maßnahmen – Sondersteuern, Sperrung der Konten – und auch durch die Zwangsablieferung von Wertgegenständen um Besitz und Vermögen gebracht. Die durch Reichsfluchtsteuer,
steigende Visagebühren, teurere Schiffspassgen immer unerschwinglicher werdende Auswanderung war dadurch für viele gar nicht mehr möglich.
So wird es auch Siegfried und Else Noah ergangen sein. Zu Kriegsbeginn, als Emigration praktisch unmöglich geworden war, wohnten sie immer noch in der Giesebrechtstraße. Sie mussten die immer neuen Diskriminierungen und Erniedrigungen von Juden erdulden. Auch in ihrer Wohnung mussten sie sich einschränken: Mindestens eine Untermieterin, Frieda Loewy, hatten sie aufzunehmen aufgrund der Zwangsumsetzungen von Juden, die Wohnraum für Nichtjuden freimachen sollten. In dieser Wohnung starb Siegfried Noah am 19. März 1941, laut Sterbeurkunde an „Leistenbruch, Gefäßverkalkung, Einklemmung des Bruches, Bauchfellentzündung“.
Wenige Wochen nach dem Tod ihres zweiten Ehemannes, Mitte Mai, wurde auch Else Noash genötigt, ihre Wohnung aufzugeben. Sie zog in die Pension Leubuscher in der Bamberger Straße 5, wo ihre Schwester Margarete Falkenfeld schon seit längerer Zeit lebte. Beide Schwestern teilten sich ein möbliertes Zimmer.
Margarete Wolff hatte 1892 den sozialdemokratischen Rechtsanwalt Max Falkenfeld geheiratet, mit dem sie zwei Söhne hatte, Hellmuth und Wolfgang. Sie lebte mit ihrem Mann zunächst in Fürstenwalde, ab 1902 in Frankfurt/Oder. 1926 starb Wolfgang und drei Jahre später vergifteten sich Max und Margarete mit Gas vom Küchenherd. Max starb, Margarete überlebte den Suizidversuch. Sie ging nach Berlin, wo Sohn Hellmuth lebte und sich einen Namen als Philosoph und Schriftsteller gemacht hatte. Seit 1931 wohnte Margarete in der Pension Leubuscher.
Anfang Juli 1942 erhielten beide Schwestern die Formulare zur „Vermögenserklärung“, die alle zur Deportation Bestimmten auszufüllen hatten. Viel zu erklären gab es allerdings nicht mehr: Beide hatte je ein Bankkonto mit ein paar Hundert Reichsmark, über das sie aber nur begrenzt verfügen durften, Else gab noch den Besitz von einer Couch, einem Schrank, einer Kommode, einem Bettvorleger und einer Stehlampe an, Margarete lediglich eine Plüschdecke – und ein Wertpapierdepot, das für sie keinen Wert mehr hatte. Wenige Tage später waren beide in der Großen Hamburger Straße 26 interniert, ein auf Anordnung der Gestapo in ein „Sammellager“ umfunktioniertes jüdisches Altersheim. Und am 17. Juli 1942 wurden sie nach Theresienstadt deportiert.
Das „Altersghetto“ Theresienstadt, in dem angeblich Juden einen ruhigen Lebensabend verbringen konnten, unterschied sich kaum von anderen Konzentrationslagern. Die menschenunwürdigen Behausungen waren brutal überbelegt, die Nahrung mangelhaft, die Hygienebedingungen katastrophal. Seuchen und Krankheiten grassierten, die Überlebenschancen waren minimal. Viele Insassen wurde in Vernichtungslager weiterdepotiert und dort ermordet. Else Noah überlebte noch über anderthalb Jahre in Theresienstadt, bis auch sie den grausamen Lebensumständen erlag. Laut der Krematoriumskartei von Theresienstadt wurde sie dort am 14. März 1944 im Sarg Nr. 22506 eingeäschert.
Margaretes Schicksal ist nicht eindeutig. Offenbar war sie für die Deportation von Theresienstadt nach Treblinka am 19. September 1942 bestimmt. Aus nicht bekannten Gründen blieb sie wohl dennoch in Theresienstadt, wo sie, folgt man der „Todesfallanzeige“, am 24. Februar 1943 offiziell an „Herzmuskelentartung“ starb. Ihr Sohn Hellmuth konnte mit seiner Frau Suse Byk im Oktober 1938 über London in die USA flüchten.
Die Betreiberin der Pension in der Bamberger Straße, Valeska Leubuscher, wurde am 10. September 1942 mit zwei ihrer Schwestern, Thekla Sandheim, geb. Leubuscher, und Hedwig Heymann geb. Leubuscher ebenfalls nach Theresienstadt deportiert. Die drei Schwestern starben binnen weniger Tage bzw. Wochen nach der Ankunft, Hedwig am 27. September, Thekla am 14. Oktober und Valeska am 21. November 1942.
Quellen:
Gedenkbuch. Bundesarchiv Koblenz, 2006; Gedenkbuch Berlin der jüdischen Opfer des Nationalsozialismus 1995; Berliner Adressbücher; Landesarchiv Berlin; Brandenburgisches Landeshauptarchiv, Akten der Oberfinanzdirektion; Arolsen Archives; www.holocaust.cz/de/opferdatenbank/; Gottwaldt/Schulle, Die „Judendeportationen“ aus dem Deutschen Reich 1941-1945, Wiesbaden 2005
Recherchen/Text: Micaela Haas
Stolpersteininitiative Charlottenburg-Wilmersdorf