HIER WOHNTE
ERICH GROSS
JG. 1894
DEPORTIERT 6.3.1943
AUSCHWITZ
ERMORDET IN
KZ MITTELBAU-DORA
Erich Gross war am 2. August 1894 in Preußisch Friedland (Westpreußen) geboren worden und wohnte seit 1937 in der Pestalozzistraße 99a im Vorderhaus, 2. Stock. Er war Kaufmann und hatte in seinem Geburtsort einen Lebensmittelgroß- und -detailhandel und eine Likörfabrik gehabt. 1936 verließ er Preußisch Friedland aufgrund von Judenverfolgung und kam nach Berlin. In Berlin betätigte er sich wieder im Lebensmittelgroßhandel. Er soll ein Lager in der Schönhauser Allee 8-9 betrieben haben. Möglicherweise beteiligte er sich an dem im Adressbuch eingetragenen Lebensmittelgroßhandel Schebeler. 1938 musste er auch das aufgeben.
Im Dezember 1938 heiratete er Gertrud Croner , geboren am 1. November 1905 in Berlin, die zu ihm in die Pestalozzistraße zog. Ihr erster Ehemann war nach der Rückkehr von einer kurzen Inhaftierung in einem Konzentrationslager 1937 gestorben. Gertrud Gross hatte seit 1928 einen Konfektionsladen in Oberschöneweide gehabt, der in der Pogromnacht am 9. November 1938 geplündert und zerstört wurde. Ihr wurde die Ausweisung angedroht, da ihr verstorbener Mann aus Polen stammte. Durch die Heirat mit Erich Gross wurde das abgewendet.
1941 wurden beide zur Zwangsarbeit verpflichtet. Gertrud Gross zunächst bei Siemens, dann bei der Batteriefabrik Zeiler. Erich Gross wurde als Hilfsschweißer bei Nordland eingesetzt, Kurfürstenstrasse 14, („Nordland Deutsche Schneekettenfabrik“ und „Nordland Deutsche Sichtscheibenfabrik“) für 25.- Reichsmark in der Woche. Damit hätte er wohl kaum die Miete von 100.- Mark seiner 4 ½ Zimmer Wohnung bestreiten können, hätte er nicht zwei Untermieter gehabt, Ilse Cohn und Max Eisenstädt (sie seien, so ist aus einem späteren Schreiben in der Akte der Oberfinanzdirektion zu erfahren, „am 27.2. auch evakuiert“ worden). An Hausrat sind von Erich Gross in der von ihm verlangten „Vermögenserklärung“ lediglich „diverse Kleidungsstücke“ angegeben. Seine Habe, einschließlich der Einrichtung der möbliert vermieteten Zimmer, wurde auf ganze 55.- Mark geschätzt. Möbel seien allerdings nur noch in einem Zimmer gewesen, der Rest ausgeplündert,
berichtete später eine Nachbarin. Die Wohnung wurde erst fast ein Jahr nach der Deportation, am 15. Januar 1944, geräumt – bis dahin musste die Oberfinanzdirektion der Hausbesitzerin die Miete ersetzen, insgesamt 954,50 Mark.
Von der nach der „Arisierung“ des Wohngebäudes neuen Hausbesitzerin Schauppmeyer ist aus den Akten zu erfahren, dass die Untermieter „wohl sämtlich von ihrem Arbeitsplatz abgeholt“ worden seien, also bei der sogenannten „Fabrikaktion“ am 27. Februar 1943. Nicht so Erich und Gertrud Gross: von ihnen wusste Frau Schauppmeyer zu berichten, dass sie seit Mitte Januar 1943 „verschwunden“ seien. Sie, Schauppmeyer, hätte am 24.1. die Polizei benachrichtigt. Auch die Reichsvereinigung der Juden hätte ihr nicht mitteilen können, wo das Ehepaar sei. Tatsächlich waren Erich und Gertrud Gross bereits im November 1942 untergetaucht – für Erich Gross letztlich ohne Erfolg: Er wurde auf der Strasse erkannt, denunziert und verhaftet. Die „Vermögenserklärung“ unterschrieb er am 6. März 1943 im Sammellager in der ehemaligen Synagoge Levetzowstrasse. Am gleichen Tag wurde er nach Auschwitz deportiert. Dort gehörte er vermutlich zu den Häftlingen, die im Außenlager
der Buna-Werke Auschwitz-Monowitz zur Arbeit eingesetzt wurden. Von 662 Deportierten seines „Transports“ wurden 187 Männer und 65 Frauen zur Arbeit selektiert, alle anderen sofort ermordet. Noch im Jahr 1943 verschleppte man Erich Gross weiter in das Lager Sangershausen, das zum KZ Mittelbau-Dora gehörte. In Mittelbau-Dora wurde unterirdisch unter unmenschlichsten Bedingungen vor allem an Hitlers „Wunderwaffen“ V1 und V2 gebaut. Erich Gross’ genaues Todesdatum ist unbekannt. Zeugen berichteten später, dass er im März 1945 auf dem Transport vom KZ zur Ostsee umgekommen sei, bis kurz vor „Torschluss“ habe die Helferin in Berlin, bei der Gertrud Gross zeitweise untergetaucht war, noch Nachrichten von ihm erhalten.
Obwohl in der Vermögenserklärung eingetragen ist, die Ehefrau „wandert mit aus“, konnte Gertrud Gross dank Helfern in der Stadt weiter in der Illegalität bis Kriegsende überleben. Sie arbeitete schwarz als Schneiderin und Haushaltshilfe, litt allerdings unter gesundheitlichen Folgen der Zwangsarbeit, die sie als Illegale nicht angemessen behandeln lassen konnte. Nach dem Krieg heiratete sie 1950 erneut und wanderte anschließend in die USA aus. Dort starb sie 94-jährig in San Francisco im Jahr 2000.
Gertrud Gross’ Mutter Jette Croner, geb. Wolff, geboren am 2. Februar 1868 in Strelno (Strzelno) in der Region Posen (Poznan), wohnte zuletzt auch in der Pestalozzistrasse 99a. Sie wurde am 28. August 1942 nach Theresienstadt deportiert und am 29. September 1942 nach Treblinka weiter verschleppt. Ihr genaues Todesdatum ist nicht bekannt.
Quellen: Bundesarchiv; Brandenburgisches Landeshauptarchiv, Akten der Oberfinanzdirektion; Berliner Adressbücher; Statistik des Holocaust; Akten der Berliner Entschädigungsbehörde