HIER WOHNTE
HULDA SACHS
GEB. PEISER
JG. 1867
DEPORTIERT 28.5.1943
THERESIENSTADT
ERMORDET 24.4.1944
Hulda Sachs, geborene Peiser, stammte aus einer alteingesessenen, gut situierten Posener Familie. Sie wurde dort am 4. August 1867 als Tochter von Samuel Nicholas Peiser und seiner Frau Auguste, geb. Morgenstern, geboren. In den 1850er-Jahren lebte das Ehepaar Peiser einige Jahre in den Vereinigten Staaten, wo auch Huldas ältere Brüder zur Welt kamen.
Sie hatte acht Geschwister:
- Ihre Brüder Michaelis und Louis wurden Ärzte – Louis wanderte in den 1880er-Jahren nach New York aus und arbeitete dort am German Hospital in der Upper Eastside,
- der Bruder Gerson wurde Gymnasiallehrer,
- Heinrich wurde Doktor der Jurisprudenz,
- Carl war später Teilhaber eines Leipziger Musikgeschäfts.
- Huldas Schwester Johanna heiratete einen Rabbiner,
- ihre Schwestern Eva und Netka heirateten Ärzte.
1889 heiratete Hulda Peiser in Posen den Arzt Dr. Emanuel Sachs. Er war der Sohn eines Lehrers aus dem nahegelegenen Wollstein (Wolsztyn) und knapp zehn Jahre älter als sie. Hulda und Emanuel zogen nach Pollnow (Polanów) in Hinterpommern, eine Kleinstadt mit gut 2000 Einwohnern. Dr. Sachs behandelte Patienten auf den großen Landgütern der Umgebung und leitete auch das kleine städtische Krankenhaus mit zehn Betten. Er erhielt den Ehrentitel eines Sanitätsrats.
Das Ehepaar Sachs bekam drei Kinder, die Töchter Gertrud (*3. April 1890) und Helene (*5. Oktober 1894) und den Sohn Günther (*24. Oktober 1898). Beide Töchter besuchten die Höhere Mädchenschule im Ostseebad Kolberg (Kołobrzeg) und machten dann eine Berufsausbildung am dortigen Lehrerinnenseminar. Günther diente im Ersten Weltkrieg als Gefreiter im Feldartillerie-Regiment Nr. 89. Er fiel, mit nicht einmal achtzehn Jahren, am 22. August 1916. Sein Name steht bis heute auf dem Gefallenendenkmal von Polanów.
Huldas Mann starb am 31. Januar 1920 mit sechzig Jahren im Städtischen Krankenhaus Stettin. Seine Witwe zog kurz darauf nach Berlin und dort in die lebhafte Reuterstraße in Neukölln.
Auch Huldas Töchter zogen nach Berlin. Gertrud arbeitete dort als Lehrerin und lebte ebenfalls in Neukölln. Dort heiratete sie am 18. Mai 1923 den oberfränkischen Ingenieur Georg Stieglitz, geboren am 30. Mai 1882 in Poppenreuth/Münchberg. Georg war kein Jude. In den folgenden Jahren ist die Geschichte der Familie nur lückenhaft zu rekonstruieren. Spätestens seit 1937 wohnten Gertrud und Georg Stieglitz, die anscheinend keine Kinder hatten, in der Mainzer Straße 16 in Wilmersdorf. Am 17. Mai 1939, dem Datum der so genannten „Minderheiten-Volkszählung”, lebten auch Gertruds Schwester Helene und die Mutter Hulda Sachs bei ihnen. Über das weitere Schicksal von Gertrud und Georg Stieglitz, die in einer sog. „privilegierten Mischehe” lebten, da der Mann nicht-jüdisch war, war nichts in Erfahrung zu bringen. Sie tauchen auf keiner Liste von Opfern oder Überlebenden des Holocaust auf. Weder von Gertrud noch von Georg Stieglitz ist ein Todesdatum zu
ermitteln.
Hulda Sachs zog spätestens 1943 aus der Wohnung ihrer Tochter Gertrud Stieglitz und deren Mann in der Mainzer Straße in das Jüdische Altenheim in der Auguststraße in Berlin-Mitte. Mit großer Wahrscheinlichkeit wurde sie nach der Deportation ihrer Tochter Helene am 12. März 1943 von den Nazis zwangsweise dorthin „umgesiedelt”.
Von dort aus wurde sie mit dem sog. „90. Alterstransport” (Transport I/95) mit 326 weiteren Jüdinnen und Juden, darunter viele Alte und Kranke, nach Theresienstadt verschleppt. Die Viehwaggons ohne Sitze verließen am 28. Mai 1943 den Güterbahnhof Putlitzstraße und erreichten zwei Tage später bei sengender Hitze den Bahnhof Bauschowitz – Theresienstadt. Von dort musste jeder, der sich noch auf den Beinen halten konnte, zweieinhalb Stunden lang zu Fuß in das Ghetto Theresienstadt laufen. Die sechsundsiebzigjährige Hulda Sachs überlebte dort unter unmenschlichen Bedingungen fast ein Jahr. Sie starb am 24. April 1944.
Recherche und Text: Christine Wunnicke
Quellen
Myheritage.com
Ancestry.com
Minderheiten-Volkszählung 1939
Berliner Adressbücher
Yad Vashem
Gedenkbuch des Bundesarchivs
Heirats- und Sterbeurkunden, Deportationslisten
Dr. Paul Börners Reichs-Medicinal-Kalender für Deutschland, 1886
Oldenburgische Beiträge zu jüdischen Studien, Bd. 18, 2006
Krankenhaus-Lexicon für das Deutsche Reich, 1900