HIER WOHNTE
SALLY KORNBLUM
JG. 1878
DEPORTIERT
AUSCHWITZ
ERMORDET 5.11.1942
Sally Kornblum wurde am 30. Juni 1878 in Leipzig als Sohn von Markus Kornblum und seiner Frau Rosalie geboren. 1902 heiratete er die 20-jährige Stenotypistin Eleonore aus Berlin (geboren am 22.1.1882, nach anderer Aussage am 10.1.1883), Tochter von Georg und Lisa Kornblum, möglicherweise eine entfernte Verwandte. Das Paar lebte in Dresden, wo Sally eine Strohhutfabrik hatte. Dort wurden ihre beiden Söhne geboren, Helmut-Wolfgang am 2. September 1904 und Hanns-Georg am 30. August 1908. Kurz danach zog die Familie nach Berlin, wo Sally mit Erfolg eine In- und Exportfirma aufzog. Eleonore, die offenbar aus einem wohlhabenden Hause kam, konnte auch beträchtliche Vermögenswerte, namentlich Grundstücke, in die Ehe einbringen. Kornblums wohnten in der Kantstraße 47.
Sally Kornblum wurde im Ersten Weltkrieg eingezogen und war Frontkämpfer. Der Krieg scheint seinen Geschäften nicht geschadet zu haben, denn um 1919 zog die Familie in eine gediegenere Wohnung im 3. Stock der Bleibtreustraße 10/11. Die Firma war in der Markgrafenstraße 30 angesiedelt. Nach späteren Aussagen von Jugendfreunden der Söhne führten Kornblums ein “luxuriöses” Leben, besonders beeindruckte die jungen Leute, dass Sally Kornblum einen Reitstall in Hoppegarten hatte. Um 1931 zog die Familie wieder um in die Schlüterstraße 17, auch diese eine großzügige Wohnung. Um die gleiche Zeit wurde eine weitere Firma “Überseehandel HG Kornblum” auf den Namen des jüngeren Sohnes, Hanns-Georg gegründet. Der Ältere, Helmut, hatte ein Jurastudium abgebrochen und arbeitete in den Firmen von Vater und Bruder mit. Nebenbei ging er seiner Autoleidenschaft nach, lernte bei einem befreundeten Kfz-Meister Automechanik. Für Helmut, der vorhatte zu heiraten, richtete die
Mutter eine Wohnung in der Goethestraße 69 ein.
Aus der Heirat wurde nichts. Mit der Machtübernahme Hitlers wurden Sallys Geschäfte immer weiter eingeschränkt, bis er sie vermutlich 1939 ganz aufgeben musste. Helmut zog als erster Konsequenzen, er emigrierte 1936 nach Südafrika, wurde Taxifahrer in Johannesburg. Sally und Eleonore, und auch Hanns, zogen in die wesentlich bescheidenere Wohnung in der Goethestraße. Hanns heiratete kurz vor Kriegsbeginn die am 11. September 1914 im rumänischen Gura Humora (Gura Humorolui, Bukowina) geborene Ottilie Schöner, laut Hausverwalter “Ausländerin und Jüdin”. Das junge Paar wohnte auch in der Goethestraße 69, 1942 ist Ottilie Kornblum als Mieterin im Adressbuch eingetragen.
1939 wurde Hanns Kornblum wie andere Juden auch zur Zwangsarbeit verpflichtet, und zwar als Maschinenarbeiter. Sein 60-jähriger Vater Sally Kornblum wurde höchstwahrscheinlich ebenfalls zwangsverpflichtet. 1942 wurde Sally Kornblum laut Akten Opfer einer “Sonderaktion”. Ziemlich sicher handelte es sich um die Verhaftungswelle am 27./28. Mai: Als “Vergeltung” nach dem Anschlag der Gruppe Baum auf die Ausstellung “Das Sowjetparadies” wurden 500 Juden verhaftet, 250 sofort erschossen, die anderen ins KZ Sachsenhausen gesperrt. Sally Kornblum kam nach Sachsenhausen und wurde später mit dem Deportationsziel Auschwitz verschleppt. Am 5. November 1942 wurde er dort ermordet, vielleicht kam er auch bereits während der Fahrt dorthin ums Leben.
Die Ehe zwischen Hanns und Ottilie Kornblum wurde im Juli 1943 geschieden, unklar ist warum und ob sie sich schon vorher trennten. 1942 lebten in der Goethestraße 69 auf jeden Fall Hanns und seine Mutter Eleonore. Eleonore starb mit 60 Jahren an einer Lungenentzündung am 28. Dezember 1942 in ihrer Wohnung. Die schwer erträglichen Lebensumstände für Juden, vor allem aber die Nachricht von Sallys Tod dürften sie auch gebrochen haben. Sie wurde am 31.12.42 in Weißensee beerdigt.
Zu Hanns Kornblum teilte der Hausverwalter Johann Bäcker mit, er sei “nach der allgemeinen Verhaftungsaktion vom 27.2.43 nicht mehr in die Wohnung zurückgekommen” – die sog. “Fabrikaktion”, bei der zahlreiche Juden direkt am Arbeitsplatz festgenommen wurden. Hanns war jedoch der Verhaftung entkommen und offenbar untergetaucht. Eine jüdische Freundin, Ilse Arndt, arrangierte für sich und ihn die Flucht in die Schweiz über die Fluchthelferin Luise Meier. Luise Meier hatte schon mehreren Juden geholfen, von Singen aus über die Grenze zu gelangen, bis Ende des Krieges rettet sie 28 Menschen das Leben. Hanns Kornblum gelang die Flucht jedoch nicht: noch in letzter Minute, am Abend vor dem abgesprochenen Treffen am 1.11.43 mit Luise Meier, wurde er in Singen in seinem Gasthaus – wie es heißt, trotz gut gefälschtem Ausweis – von der Gestapo verhaftet. Nach mehreren Verhören habe er, so der offizielle Bericht, in der Gestapostelle in Singen Selbstmord
begangen. Luise Meier und Ilse Arndt hatte er offenbar nicht verraten, denn Letztere gelangte unbeschadet in die Schweiz.
In Berlin war inzwischen die Einrichtung der Wohnung in der Goethestraße inventarisiert und auf 220.- RM geschätzt worden. Bis zur Versteigerung am 20.7.43 waren allerdings die besten Möbelstücke bereits “verschwunden”. Der Erlös brachte dem Deutschen Reich 117 RM ein – dennoch ein Verlustgeschäft, denn der Erwerber, ein Händler Dümel aus Steglitz, “verweigerte die Abnahme der Möbel” ohne eine vorherige “Wanzenentwesung”. Diese wurde von Desinfektor Hans Bredt “mittels Vergasung” für 179.60 RM durchgeführt.
Sally Kornblums ältester Sohn Helmut überlebte. Nachdem er infolge eines Raubüberfalls 1957 sein Taxigewerbe in Südafrika aufgeben musste, kehrte er zunächst nach Berlin zurück, konnte aber dort keine neue Existenz aufbauen. Nach einem rastlosen Dasein, das ihn unter anderem nach Argentinien, Uruguay, Israel und schließlich Italien führte, starb er in Genua am 15. Januar 1985.
Quellen:
Brandenburgisches Landeshauptarchiv, Akten der Oberfinanzdirektion; Gedenkbuch. Bundesarchiv Koblenz, 2006; Akten des Landesentschädigungsamtes Berlin; Berliner Adressbücher; Claudia Schoppmann, Fluchtziel Schweiz, in: Überleben im 3. Reich, Hrsg. W. Benz, München 2003; Claudia Schoppmann, Flucht in den Tod, Text zu einer Ausstellung im Rathaus Charlottenburg 2012