HIER WOHNTE
NATALIE
LICHTENSTAEDT
GEB. SANDBERGER
JG. 1889
DEPORTIERT 14.11.1941
MINSK
ERMORDET
Natalie Sandberger kam am 2. August 1889 in Czempin/Posen (heute Czempiń/Polen) als Tochter des Kaufmanns Abraham Adolph Sandberger (1853–1936), der sich später nur noch Adolph (Adolf) nannte, und der 1852 geborenen Mathilde Sandberger, geb. Hammel, auf die Welt. Czempin war auch der Geburtsort ihrer Eltern. In dem Ort südlich von Posen waren die Männer der Familie Sandberger bekannte Kaufleute, sie besaßen eine Brauerei und einen Getreidehandel.
Natalie Sandberger hatte drei ebenfalls in Czempin geborene Schwestern und einen Bruder: Valeska/Wally (1878–1942), Recha (1881–1941), Pera (1885–1942) und den in Berlin geborenen Siegfried (1891–1981).
1890 verkaufte ihr Vater seine Firma in Czempin und erwarb in Berlin einen Betrieb, der Lampenfüße und Kannen herstellte. Die Familie wohnte in der Wallner-Theater-Straße in Berlin-Mitte. Bereits zwei Jahre später wechselte Adolf Sandberger das Metier: Bis zum Ende des Jahrhunderts besaß er einen Großhandel für Papier und eine Tütenfabrik. Die Firma befand sich anfangs in der Markgrafenstraße im heutigen Kreuzberg. Dann zog die Familie in die Goltzstraße 34 nach Schöneberg. Sie wohnte in der ersten Etage, während das Geschäft nun im Parterre des Hauses war. Adolf Sandberger verwaltete dieses Haus und die beiden Nachbarhäuser.
Natalie Sandberger verbrachte hier die ersten Jahre ihrer Kindheit. Nach der Jahrhundertwende lebte die Familie für längere Zeit wiederum in heutigen Berlin-Kreuzberg, zuerst in der Neuenburgerstraße, dann in der Urbanstraße. 1903 heiratete Natalies Schwester Valeska (Wally) den Buchbindermeister Adolf Hammel (1877–1915), 1911 ihre Schwester Recha den Kaufmann Albert Rosenbaum. Beide hatten noch bei den Eltern und Geschwistern in der Neuenburgerstraße gelebt. Siegfried, Natalie und Pera wohnten dort weiterhin.
Die Eltern Sandberger zogen 1912 in die Urbanstraße 6. Natalie Sandberger war berufstätig, sie arbeitete als Lageristin. Am 8. Mai 1913 heiratete sie den 1891 in Bromberg/Posen (heute Bydgoszcz/Polen) geborenen Kaufmann Siegfried Lichtenstaedt, dessen Vater in Bromberg ein Geschäft für Herrengarderobe besessen hatte Die Schwiegereltern Lichtenstaedt waren mit ihren Kindern zu Beginn der 1890er Jahre nach Berlin gekommen. Auch Siegfried Lichtenstaedt lebte noch bei den Eltern.
Nach der Hochzeit wohnten Natalie Lichtenstaedt und ihr Ehemann für kurze Zeit in der ersten eigenen Wohnung in Tempelhof. Sie scheinen keine Kinder gehabt zu haben. Während des Ersten Weltkrieges starben die Schwiegereltern Lichtenstaedt. Anfang der 1920er-Jahre lebte das Ehepaar am Rande der Stadt in Berlin-Johannisthal. Hier waren in der Nähe des Flugplatzes Johannisthal-Adlershof eine Reihe von Neubauten entstanden. Natalie Lichtenstaedt und ihr Ehemann wohnten in Haus 3 am Groß-Berliner Damm 12/13. Zu dieser Zeit war Siegfried Lichtenstaedt Mitbesitzer einer Großhandlung für Seidenwaren. Nach deren Auflösung im Jahr 1926 betrieb er das Geschäft allein weiter. Der zivile Luftverkehr in Adlershof wurde 1923 nach der Eröffnung des Zentralflughafens Tempelhof eingestellt. Das Ehepaar zog zurück in die Innenstadt von Berlin und wohnte bis ungefähr 1930 in der Kaiserallee 137 (heute Bundesallee) in Berlin-Friedenau.
Danach begann das gemeinsame Leben der Verwandten Sandberger/Lichtenstaedt: Der Vater von Natalie Lichtenstaedt wohnte inzwischen mit seinen ledigen Kindern am Kaiserkorso 151 in Berlin-Tempelhof. 1928 heiratete Natalies Bruder Siegfried Sandberger. Natalie und Siegfried Lichtenstaedt zogen in dieselbe Wohnung bzw. dasselbe Haus am Kaiserkorso – wiederum in der Nähe eines Flughafens.
Mitte der 1930er-Jahre wurde die Mainzer Straße 16a in Berlin-Wilmersdorf das letzte gemeinsame und selbst gewählte Zuhause. Der verwitwete Adolf Sandberger starb dort 1936. Das Ehepaar Lichtenstaedt und Natalies Schwester Pera Sandberger blieben in der Wohnung.
Am 14. November 1941 wurden Natalie und Siegfried Lichtenstaedt vom Bahnhof Grunewald aus in das Ghetto von Minsk deportiert. Sie waren zwar vorher im Sammellager in der Synagoge Levetzowstraße gewesen, hatten aber bis dahin in ihrer Wohnung Mainzer Straße bleiben können. Von den 1000 Verschleppten kehrte kaum jemand zurück. Das Ehepaar Lichtenstaedt wurde in Minsk ermordet.
Natalie Lichtenstaedts Schwester Pera Sandberger musste die Mainzer Straße 16a verlassen und wohnte zuletzt zur Untermiete bei dem ehemaligen Ziegeleibesitzer Gustav Mayer in der Motzstraße 94 im Bezirk Wilmersdorf. Sie wurde am 15. August 1942 nach Riga deportiert und gleich nach der Ankunft am 18. August 1942 ermordet. Gustav Mayer kam in Theresienstadt um, sein Sohn hatte mit Ehefrau und Kind emigrieren können.
In Berlin starben Natalie Lichtenstaedts verwitwete Schwestern Recha Rosenbaum und Valeska Hammel: Recha Rosenbaum starb 1941 an einer Krankheit, Wally Hammel erhängte sich am 16. September 1942. Natalie Lichtenstaedts Nichte Margot Stein, Tochter ihrer Schwester Wally, wurde mit Ehemann und Kind 1943 in Auschwitz ermordet. Ihr Schwager Max Lichtenstaedt wurde 1943 ebenfalls nach Auschwitz verschleppt und dort getötet.
Es überlebten ihr Bruder Siegfried Sandberger und ihr Schwager Alfred Lichtenstaedt .
Quellen:
Archivkatalog Staatsarchiv Luzern, PA 265 Sandberger-Walter, Siegfried und Herta/Papiere 1867–1970:
https://query–staatsarchiv.lu.ch/detail.aspix?ID=130694/
Arolsen Archives
Adressbücher Bromberg
Berliner Adressbücher
Berliner Telefonbücher
Deutscher Reichsanzeiger 1884, 1890, 1926
Gedenkbuch Bundesarchiv
Alfred Gottwaldt/Diana Schulle: Die „Judendeportationen“ aus dem Deutschen Reich, Wiesbaden 2005
HU Datenbank jüdischer Gewerbebetriebe in Berlin 1930-1945
Jüdisches Adressbuch 1931/31
Landesarchiv Berlin, Personenstandsunterlagen/über ancestry
https://www.geni.com/people/
https://www. juedische-gemeinden.de
https://www.statistik-des-holocausts.de: Transportlisten
https://www.mappingthelives.org/
Vorrecherchen Nachlass von Wolfgang Knoll