Else Glaser geb. Laband wurde am 5. April 1878 in Beuthen (Bytom, Oberschlesien) geboren. Laut ihrem Sohn entstammte sie einer angesehenen oberschlesischen jüdischen Familie. Offenbar hatten Labands Kontakte zu der ebenfalls angesehenen Familie Glaser im nicht allzu weit gelegenen Ratibor (heute Racibórz), denn im August 1909 heiratete Else Laband den zwanzig Jahre älteren Kaufmann Samuel Glaser aus dieser Stadt. Das Paar wohnte dort in der Wilhelmstraße 15. Am 18. Juli 1910 kam ihr Sohn Ernst Franz zur Welt, am 26. Februar 1914 die Tochter Marianne. Samuel Glaser war zunächst Prokurist in der 1873 gegründeten Papierwarenfabrik seines Schwagers Hugo Schück, Ehemann seiner Schwester Anna. Er wurde später Teilhaber und schließlich, nach dem Tod von Hugo Schück, Alleininhaber der Fabrik. Samuel Glaser und Anna Schück zählten zu den wohlhabenden Schichten Ratibors. Samuel Glaser war lange Stadtverordneter und erhielt die
Ehrenbürgerschaft. Außerdem wurde er von der preußisch-süddeutschen Klassenlotterie zum Lotterie-Einnehmer benannt, eine zusätzliche Verdienstquelle. Nachdem er am 2. Juni 1930 starb, war Else Inhaberin der Fabrik.
Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten und der durch sie betriebenen offiziellen Diskriminierung von Juden wurden die Geschäfte schwieriger, von 120 Arbeitern musste bis zuletzt auf 30 reduziert werden, schließlich wurde das Unternehmen in die Insolvenz getrieben und 1938 stillgelegt. Else war aber weiterhin eine recht vermögende Frau. Sie löste den sehr gediegenen Hausstand in Ratibor auf und zog nach Berlin, in die Bayerische Straße 2. Mit ihr zog auch ihre Tochter Marianne nach Berlin. Marianne hatte um 1932, nach dem „Einjährigen“ (mittlere Reife), eine Ausbildung als Kindergärtnerin und Fürsorgerin an einem Heim in Breslau begonnen. Sie brach sie jedoch vorzeitig ab, weil sie Verfolgung wegen einer Beziehung zu einem „Arier“ befürchtete. 1934/35 ging sie für ein Jahr als Hausmädchen nach London und kehrte von dort nach Ratibor zur Mutter zurück. Ernst war schon etwa 1930 von Ratibor weggegangen, hatte in Breslau, Freiburg und Berlin Jura
studiert, wurde aber 1934 als Jude nicht zum Referendarsexamen zugelassen. Er ging daraufhin nach Bern und schloss dort das Studium mit einem Dr. jur. ab. Danach kehrte er nach Berlin zurück. Da er als Jurist nicht arbeiten konnte, wurde er Teilhaber einer Firma, der „Orient Teppiche Import Ernst Philipsborn“, und war dort als Kaufmann tätig. Als seine Mutter nach Berlin kam, zog er zu ihr in die Bayerische Straße.
Nach der Pogromnacht am 9./10. November 1938 entkam Ernst knapp der Gestapo, wurde aber im Dezember festgenommen und mit der Auflage entlassen, sich täglich zu melden und seine Emigration zu betreiben. Am 22. Mai 1939 wanderte er über London nach Australien aus. Vorher war es ihm gelungen, eine beträchtliche Summe über Prag nach London zu schmuggeln, von der er sein Landing Permit in Australien finanzierte und zwei bolivianische Visa für Else und Marianne kaufte. Wegen des Kriegsausbruches konnten Mutter und Schwester davon aber keinen Gebrauch mehr machen.
Wenige Tage vor Ernsts Auswanderung heiratete Marianne Ernst Ring. Von ihm weiß man recht wenig. Er soll schon früh deportiert worden sein. Marianne war noch 1943 der Meinung, er sei „in Polen“. Offenbar hatte sie keine Nachricht von ihm. Nach dem Krieg galt er als tot. Vielleicht handelte es sich um Dr. rer. pol. Ernst Ring, am 27. April 1900 in Breslau geboren und von dort am 25. November 1941 nach Kowno (Kauen) deportiert und vier Tage später ermordet. Das Gedenkbuch des Bundesarchivs kennt in dieser Generation kein anderes Opfer dieses Namens. Wenn es sich hier um Mariannes Ehemann handelt, wäre er irgendwann nach der Heirat nach Breslau zurückgekehrt, während Marianne bei der Mutter in Berlin blieb.
Mutter und Tochter sahen sich auch in Berlin zunehmend den diskriminierenden Verordnungen der Regierung ausgesetzt, die nach dem Pogrom vom November 1938 noch drastisch verschärft wurden. Else konnte über ihr Vermögen nicht mehr frei verfügen, sie konnte nur noch von einem „beschränkt verfügbaren Sicherheitskonto“ die durch „Sicherungsanordnung“ festgelegten Beträge für ein Existenzminimum abheben. Zahlreiche andere Einschränkungen schlossen Juden weitgehend vom öffentlichen Leben aus: Theater, Konzerte, Kinos usw. durften sie nicht mehr besuchen, konnten nur von 4 bis 5 Uhr nachmittags einkaufen, Rundfunkgeräte und andere Wertgegenstände wurden beschlagnahmt, Telefonanschlüsse gekündigt. Silber und Schmuck mussten abgegeben werden, Ernst Glaser lieferte beides noch vor seiner Auswanderung in der Pfandleihstelle Jägerstraße ab.
Else und Marianne wurden zur Zwangsarbeit herangezogen, die Mutter bei AEG in der Drontheimer Straße, die Tochter, die zuletzt als zahnärztliche Assistentin gearbeitet hatte, als Handarbeiterin bei Siemens & Halske in Gartenfeld (Spandau). Ab September 1941 mussten sie den stigmatisierenden Judenstern tragen. 1942 wurden sie auch genötigt, die Wohnung in der Bayerischen Straße 2 aufzugeben. Sie zogen im November des Jahres in eine 2 ½- Zimmer-Wohnung im Gartenhaus des Kurfürstendamms 177. Kaum dort eingezogen, wurde Else Glaser zur Deportation abgeholt und in die Sammelstelle Große Hamburger Straße 26 gebracht, einem zu diesem Zweck geräumten ehemaligen jüdischen Altersheim. Sie musste die obligate „Vermögenserklärung“ ausfüllen, gab aber an, sie könne über ihr Vermögen „keine genauen Angaben machen, da die Abholung unvorbereitet kam“. Auch könne sie zu den Untermietern nur sagen, es gäbe sie, aber „alles andere [sei] unbekannt, da erst neu
eingezogen“.
Tatsächlich lebten in der Wohnung auch Hugo Berendt, ein Freund Mariannes, und Eduard Simon, letzterer vermutlich erst nach Elses Abholung. Else erhielt in dem Sammellager am 26. November 1942 einen Bescheid zugestellt, demgemäß ihre gesamte Habe beschlagnahmt sei, und am 29. November wurde sie mit knapp 1000 weiteren Opfern nach Auschwitz deportiert und dort ermordet. Es war der erste Deportationszug von Berlin nach Auschwitz. Ob Else Glaser gleich nach Ankunft ins Gas geschickt wurde oder erst im Zwangsarbeitslager „durch Arbeit vernichtet“, ist unbekannt.
Marianne Ring blieb nach der Abholung ihrer Mutter mit Hugo Berendt und Eduard Simon in der Wohnung am Kurfürstendamm zurück. Schon wenige Monate später, Ende Februar 1943, gerieten alle drei in die sogenannte „Fabrikaktion“: am 27. Februar 1943 sollten in einer reichsweiten Aktion alle noch in deutschen Betrieben arbeitenden Juden ohne Vorankündigung direkt am Arbeitsplatz festgenommen werden. Marianne Ring und Hugo Berendt gelang es, dieser Massenverhaftung zu entkommen, sie tauchten unter. Sie wurden jedoch – vermutlich durch Denunziation – wieder aufgegriffen, wann genau ist nicht ganz klar: entweder schon im Mai 1943, wie der Portier aussagte – der aber sonst ungenaue bis falsche Angaben machte – oder in den folgenden Monaten. Die „Vermögenserklärung“ füllten sie wahrscheinlich im Polizeigefängnis am 2. September 1943 aus, am 7. September befanden sie sich in dem Sammellager in der Großen Hamburger Straße 26, wo auch Marianne mitgeteilt wurde, dass
ihr (nicht mehr vorhandenes) Vermögen beschlagnahmt sei. Drei Tage später, am 10. September, wurden sie mit 47 anderen Juden vermutlich in einem verplombten Einzelwaggon nach Auschwitz deportiert. Diese vergleichbar kleine Gruppe bestand hauptsächlich aus Menschen, die versteckt gelebt hatten und von der Gestapo aufgespürt worden waren. In Auschwitz wurden alle sofort ermordet mit Ausnahme von 9 Frauen, die zur Arbeit ausgesucht wurden. Gut möglich, dass die erst 29-jährige Marianne Ring dazu gehörte – überlebt hat sie es nicht. Ihr Todesdatum ist nicht bekannt.
Eine besondere Rolle im Leben von Else und Marianne spielte das polnische Kindermädchen Agata Krutki. Sie zog in Ratibor Ernst und Marianne mit auf und ging zusammen mit Else und deren Tochter nach Berlin, obwohl sie als Nichtjüdin nicht in einem jüdischen Haushalt arbeiten durfte. Sie kümmerte sich bis zuletzt um beide, vermutlich auch noch um Marianne, als diese untergetaucht war.
Über Agata Krutki erhielten wir Kenntnis durch einen Brief von Boris Pasch, bei dessen Eltern sie ab den 40er Jahren im Dienst war.