Georg Jüttner , geboren am 8. April 1881 in Posen und seine Ehefrau Adele Jüttner, geb. Cohn, geboren am 24. März 1892 in Hohensalza, wohnten in der Sybelstraße 40, Vorderhaus, 2. Etage links. Darunter, auf der 1. Etage links, wohnte ihr Sohn Hans Jüttner mit seiner Ehefrau Hilde Jüttner.
Die Wohnung von Georg und Adele Jüttner wurde, wie es in den Aktenvermerken heißt, am 24.4.1943 geräumt. Kurz zuvor sind sie von den Nazis und ihren Helfern in das so genannte „Siechenheim“ in der Auguststraße 14-16 gebracht worden. Dieses Haus hatte früher der Jüdischen Gemeinde gehört, darin wurde unter anderem ein jüdisches Kinderheim geführt. Die Nazis machten es 1940/41 zu einer Sammelstelle für ältere Jüdinnen und Juden, die von dort in den Tod geschickt worden sind.
So auch Georg und Adele Jüttner, die mit dem 90. Alterstransport am 28.5.1943 nach Theresienstadt deportiert wurden. Ihre „Vermögenserklärung“, die alle Deportierten kurz zuvor abgeben mussten und die dazu diente, die Menschen von Staats wegen zu berauben, blieb bei dem Ehepaar Jüttner leer. Es gab nichts mehr, woran sich das III. Reich bereichern konnte. „Unterschrieben“ war die Erklärung von den auskunftspflichtigen entrechteten Juden mit drei Kreuzen. Darunter der handschriftliche Zusatz des aufnehmenden Beamten: „gelähmt“.
Georg Jüttner wurde am 7.7.1943 in Theresienstadt ermordet, seine Frau Adele 1944 in Auschwitz, beide im Alter von 61 Jahren.
Kaum dass die Jüttners aus ihrer Wohnung in das Siechenheim verschleppt worden waren, gab es Begehrlichkeiten auf ihre Wohnung in der Sybelstraße 40. In einem Schreiben der Hausverwaltung an das „Hauptwirtschaftsamt Berlin-Brandenburg“ vom 24.3.1943 heißt es „Betrifft: Bevorzugte Räumung der Judenwohnung Georg Jüttner … in die Wohnung des abgeschobenen Juden Jüttner ist der Hauptmann Pantlitschko eingewiesen worden. Es wird gebeten, diese Wohnung bevorzugt schätzen zu lassen …“ Die Behörden hatten gespurt. Die Schätzung der Werte war die Voraussetzung für die Räumung. Einen Monat später, am 24.4.1943, wurde die Wohnung geräumt, was auch immer dort zu beschlagnahmen und zu rauben war. Denn die Jüttners hatten ihre „Möbel und Einrichtungsgegenstände der jüdischen Kulturvereinigung übereignet“, auch dieser Hinweis findet sich in den Akten. Hauptmann Pantlitschko war aber offenbar nicht bereit, die Wohnung ohne eine gründliche Renovierung zu
beziehen. Er legte am 21.5.1943 der Vermögensverwertungsstelle einen Kostenvoranschlag des Malermeisters Ammann & Schröer in Höhe von 746,22 RM (etwa 3.500 €) vor und stellte die Anfrage, ob diese Kosten nicht von dem früheren Mieter, dem Juden Jüttner, zu tragen seien. Das zuständige Amt beim Oberfinanzpräsidenten bejahte dies mit Schreiben vom 22.7.1943. Es ist nicht bekannt, ob jemals eine Zahlung erfolgt ist. Bekannt ist allerdings, dass der Hausverwalter mehrmals die von März bis Juni 1943 ausstehende Miete, monatlich 130 RM, beim Oberfinanzpräsidenten angemahnt hat, weil „Anfang März der jüdische Mieter Jüttner evakuiert und die Wohnung durch das Hauptplanungsamt beschlagnahmt wurde“. Am 21.6.1943 wies das Oberfinanzpräsidium die ausstehende Miete in voller Höhe an.
Hans Jüttner , geboren am 14. September 1914 in Bromberg, und seine Ehefrau Hilde Jüttner , geb. Marcus, geboren am 30. Juni 1913 in Bochum, wohnten im Vorderhaus auf der 1. Etage links. Sie wurden schon vor ihren Eltern bzw. Schwiegereltern abgeholt: am 19.2.1943 wurden Hans und Hilde Jüttner ins Vernichtungslager Auschwitz deportiert und dort ermordet.
In ihrer Vermögenserklärung wird die Wohnung wie folgt beschrieben: „4 Zimmer, WC, Warmwasser, Warmwasserheizung, Balkon, Fahrstuhl, Badezimmer, Mädchenkammer“. Als Beruf gaben beide an: „Arbeiter / Arbeiterin, Siemens-Schuckertwerke, Kabelwerk Gartenfeld“. Es ist anzunehmen, dass sie aus ihren wirklichen Berufen hinausgedrängt wurden und stattdessen Zwangsarbeit in der Rüstungsindustrie zu verrichten hatten. In der Vermögenserklärung beantworteten sie die vorgedruckte Frage, ob sie Ansprüche auf Gehalt, Provisionen etc. hätten: „Restlohn“.
Unterschrieben hatte das Ehepaar Hans und Hilde Jüttner die Erklärung am 13.2.1943, sechs Tage vor ihrer Deportation nach Auschwitz. Am 29.3.1943 schätzte der Gerichtsvollzieher Brückenstein den Gesamtwert der Möbel in der Wohnung auf 564,- RM. An diesen Werten konnte sich der Händler Messerer bereichern, der die Möbel Anfang April gegen entsprechende Zahlung abgeholt hat, um sie für einen guten Preis loszuschlagen.
Bei der Dokumentierung dieser Schicksale macht die große Zahl der an den Morden beteiligten Täter, Mitwisser, Nutznießer und Vollstrecker betroffen. Es waren eben nicht nur die Gestapo oder die SS, es waren auch die Hausverwalter, Gerichtsvollzieher, Gebrauchtmöbelhändler, Malermeister, Siemens-Angestellte, Finanzbeamte, Eisenbahner … und wo waren eigentlich die Hausnachbarn in der Sybelstraße 40?
Text: Lothar Lewien
Quellen: Brandenburgisches Landeshauptarchiv Potsdam