HIER WOHNTE
MARTHA KIWI
GEB. BROMBERG
JG. 1881
DEPORTIERT 5.9.1942
RIGA
ERMORDET 8.9.1942
Martha Kiwi ‘s Mädchenname war Bromberg. Sie wurde am 2. März 1881 in Posen (heute Poznan) geboren. Ihr Vater Adolf Bromberg hatte eine Schuh- und Schäftefabrik in Posen. Ihre Mutter hieß Jenny und war eine geborenen Auerbach, sie war Prokuristin in der Schuhfabrik. 1914 trat auch Eugen Bromberg in die Firma ein, sehr wahrscheinlich ein Bruder Marthas. Als nach dem Ersten Weltkrieg Posen polnisch wurde, siedelten Eugen Bromberg mit der Fabrik und sehr wahrscheinlich auch Adolf und Jenny Bromberg nach Berlin über. Zu diesem Zeitpunkt war Martha schon längst verheiratet. Sie hatte den zwei Jahre älteren, aus Obornik nahe Posen stammenden Hermann Kiwi kennen gelernt und ihn geheiratet, wann genau, wissen wir nicht. Hermann Kiwi hatte in Schlesien eine Ausbildung bei einer Holz-Aktien-Gesellschaft im Sägewerk gemacht. Nach einem Freiwilligenjahr bei einem Regiment in Posen 1899/1900 – möglich, dass er da Martha kennen lernte –abeitete er weitere
sieben Jahre bei der Holzfirma. 1907 machte er sich selbständig, indem er ein Holzgeschäft mit Sägewerk und Landwirtschaft von einem Verwandten in Pudewitz übernahm, auch unweit von Posen. Vielleicht war das der richtige Zeitpunkt gewesen, Martha zu heiraten.
Hermann Kiwi machte gute Geschäfte mit der Waggonindustrie und mit Eisenbahnwerken und brachte es zu einigem Wohlstand. Ob Hermann und Martha Kinder hatten, wissen wir nicht. 1914 ging Hermann als Freiwilliger in den Krieg, und als er zurückkam, konnte er sich mit seinem Geschäft nicht in dem inzwischen polnischen Posen halten. 1921 zog er, wie sein Schwager, mit Martha und eventuellen Kindern nach Berlin und begann, dort wieder einen Holzhandel aufzubauen.
Das Geschäftslokal war in der Düsseldorfer Straße 42, die Wohnung in Charlottenburg, Kaiserdamm 16. Das Unterfangen war jedoch nicht einfach. In der unmittelbaren Nachkriegszeit liefen die Geschäfte nicht so gut, dann kam die Inflation, das Einkommen reichte gerade für eine „einigermaßen auskömmliche Existenz“. Das Geschäft wurde in die Weimarer Straße 50 verlegt. Aber noch vor Ausbruch der Weltwirtschaftskrise war Hermann Kiwi insolvent. 1928 stand der Gerichtsvollzieher in der Weimarer Straße vor verschlossener Tür, „unbekannt verzogen“.
Nicht nur Hermanns Firma ging zu Bruch, auch seine Ehe scheint gescheitert zu sein. Schon 1926 verzeichnet das Adressbuch am Kaiserdamm 16 nur Kiwi, Martha geb. Bromberg, Privatiere, Hermann wohnte vielleicht bei seinem Holzgeschäft in der Weimarer Straße, spätestens 1928 aber zur Untermiete bei einer Frau Herforth in der Windscheidstraße 13. Als die Industrie- und Handelskammer (IHK) ihn 1929 ausfindig machte und aufforderte, seine Firma zu löschen, da er schon länger gar keine Geschäfte tätige, sondern als Vertreter arbeite, bat Hermann Kiwi um Aufschub, da dies nur vorübergehend sei, „infolge der schlechten Wirtschaftslage“. Er sei im Begriff wieder zu heiraten, „wodurch dem Unternehmen weiteres Betriebskapital zugeführt werden“ solle. Aber ein Jahr später meldete die IHK: „die in Aussicht genommene Wiederverheiratung des Kiwi verzögert sich…“. Ob sie je stattfand, erfahren wir nicht mehr, 1931 bat Hermann Kiwi um Löschung aus dem
Handelsregister.
Wovon Martha lebte, die laut Adressbuch bis 1933 in der Wohnung Kaiserdamm 16 blieb, wissen wir nicht. Vielleicht hatte sie Untermieter, vielleicht aber auch – da als „Privatiere“ bezeichnet – eigenes Vermögen, das sie nicht bereit war, in Hermanns glücklose Firma zu stecken. 1934 bis 1936 war sie im Adressbuch nicht vorhanden, 1937 noch einmal, wohnhaft in der Wielandstraße 14. Im gleichen Jahr hatte Hermann offenbar noch einen Anlauf unternommen und eine Holzhandlung in der Wilmersdorfer Kaiserallee 27 etabliert (heute Bundesallee), die allerdings 1940 wieder aus dem Adressbuch verschwunden war.
Kein Wunder, denn inzwischen war es für Juden fast unmöglich, selbständig zu arbeiten. Zahlreiche antisemitische Verordnungen des NS-Regimes zielten darauf, Juden vollständig aus dem Berufsleben zu drängen, zusätzlich zu den Bestimmungen, die ihren Alltag bitter einschränkten. Auch Martha konnte praktisch nicht mehr am öffentlichen Leben teilnehmen, Theater, Kino, Konzerte u.ä. waren ihr, wie allen Juden, untersagt. Sperrstunden und Bannbezirke für Juden wurden bestimmt, Schmuck, Silber, Radiogeräte u.ä. mussten sie abliefern; hatten sie Vermögen, so durften sie nur über einen dem Existenzminimum entsprechenden Betrag verfügen. Das Mietrecht für Juden wurde außer Kraft gesetzt, oftmals wurden sie genötigt, ihre Wohnungen aufzugeben. Martha Kiwi ist vermutlich von der Wielandstraße 14 in die Nummer 30 gezogen, zur Untermiete. Dort lebte sie jedenfalls im Mai 1939, als bei der Volkszählung Juden auf „Ergänzungskarten“ gesondert registriert wurden.
Noch einmal wurde Martha Kiwi gezwungen, umzuziehen, in die Krausnickstraße 13. Von dort wurde sie Ende August 1942 abgeholt, in die als Sammellager missbrauchte Synagoge in der Levetzowstraße 7/8 gebracht und am 5. September 1942 vom Güterbahnhof Moabit in der Putlitzstraße aus mit 795 anderen Leidensgenossen nach Riga deportiert. Ziel war angeblich das Rigaer Ghetto, dorthin gelangte jedoch nur das Gepäck der Deportierten. Die Menschen selbst wurden, bis auf 80 zur Zwangsarbeit ausgesuchte Männer, nach der dreitägigen Reise sofort in den umliegenden Wäldern erschossen. Auch Martha Kiwi wurde am 8. September 1942 ermordet.
Hermann Kiwi war schon mit dem ersten Berliner Deportationszug am 18. Oktober 1941 vom Gleis 17 am Bahnhof Grunewald in das Ghetto Lodz verschleppt worden. Dort sah er sich völlig unmenschlichen Lebensbedingungen ausgesetzt, an denen viele Ghettobewohner starben. Hermann Kiwi überlebte zunächst bis zum 8. Mai 1942, der Tag an dem er weiter in das 80 km entfernte Vernichtungslager Kulmhof deportiert und dort, wie auch die anderen Opfer, auf Ankunft in einem Gaswagen ermordet wurde. Für ihn liegt ein Stolperstein vor seinem letzten Wohnhaus in der Hektorstraße 5.
Recherche/Text: Micaela Haas. Quellen: Gedenkbuch. Bundesarchiv Koblenz, 2006; Gedenkbuch Berlin der jüdischen Opfer des Nationalsozialismus 1995; Berliner Adressbücher; Adressbücher Posen; Landesarchiv Berlin