Stolpersteine Olivaer Platz 5 (früher Pariser Str. 30/31)

Hausansicht Olivaer Platz 5 Ecke Bayerische Straße

Der Stolperstein zum Gedenken an Alfred Schmidt-Sas wurde von seinem ehemaligen Schüler Gerd C. Wagner (USA) gespendet und am 29.03.2008 verlegt.

Der Stolperstein für Robert Gumpert wurde am 24.09.2010 verlegt.

Stolperstein für Alfred Schmidt - Sas

Stolperstein für Alfred Schmidt - Sas

HIER WOHNTE
ALFRED
SCHMIDT-SAS
JG. 1895
IM WIDERSTAND
TODESURTEIL 9.10.1942
HINGERICHTET 5.4.1943
GEFÄNGNIS PLÖTZENSEE

Alfred Schmidt-Sas wurde am 23. März 1895 als Ernst Alfred Schmidt in Schlegel (Oberlausitz), geboren. Sein Vater Reinhardt Schmidt war Bäckermeister, seine Mutter Bertha war eine geborenen Offermann. Den Beinamen „Sas“ bekam er später von Kollegen und Freunden, er ist die Abkürzung von „Schmidt aus Schlegel“. Alfred hatte zwei Geschwister, Martha, 1900 auf die Welt gekommen, und der vier Jahre später geborene Gerhard. Bei dessen Geburt starb seine Mutter. Ein Jahr später heiratete der Vater Pauline Nichterwitz, sie brachte ihren Sohn Ewald mit in die Ehe ein, der somit Alfreds Stiefbruder wurde.

Der Vater – unüblich für einen Bäckermeister – war ein leidenschaftlicher Klavierspieler und Alfred begeisterte sich früh für dieses Instrument. Gern hätte er Musik studiert, aber die Eltern sahen den Lehrerberuf für ihn vor. Ab 1910 besuchte Alfred das Lehrerseminar in Löbau, unterbrach jedoch die Ausbildung, als er sich 1914, von den Lehrern angefeuert, als Freiwilliger zum Kriegsdienst meldete. Er diente an verschiedenen Fronten, wurde mehrmals verwundet und auch ausgezeichnet und wurde noch Ende 1917 zum Fliegerbeobachter ausgebildet. Kurz vor Ende des Ersten Weltkriegs wurde sein Doppeldecker über Frankreich abgeschossen und er bei französischen Bauern einquartiert und gesundgepflegt. Dass er im Geschwader Richthofen gedient habe, gehört wohl ins Reich der Legende. Im Dezember 1918 kehrte er, wie so mancher, als Kriegsgegner nach Schlegel zurück.

Im Juli 1919 holte Alfred seine Lehramtsprüfung nach und machte seine ersten Berufserfahrungen an einer Dorfschule. Ob seines reformpädagogischen Ansatzes sorgte der Dorfpfarrer dafür, dass er zum Jahresende gekündigt wurde. Daraufhin besuchte er zunächst das Konservatorium in Leipzig, nahm aber im August 1920 wieder eine Stelle als Volksschullehrer in Leipzig an und fand bei den Schulräten der damals linken Koalition Unterstützung für seine fortschrittliche Pädagogik.

In Leipzig begann Schmidt-Sas sich politisch zu interessieren, schloss sich nacheinander verschiedenen linken Gruppierungen an, am längsten schließlich der anarchosyndikalistischen Allgemeinen Arbeiterunion. Ihrem Einfluss ist wahrscheinlich zu danken, dass er den Amtseid verweigerte, als er eine Beamtenstelle hätte bekommen können, und 1922 wurde er schließlich entlassen. Da er nun Erfahrungen im Arbeitermilieu sammeln wollte, arbeitete er kurze Zeit in Leipziger Fabriken und auf der Werft in Hamburg. Nach vier Monaten kehrte er allerdings gesundheitlich angeschlagen und um einige Illusionen ärmer nach Schlegel zurück. 1923 ging er wieder in den Schuldienst, nachdem er nun den Beamteneid nachholte, wurde jedoch über mehrere Jahre nur als „nichtständiger“ Lehrer beschäftigt. Nach wie vor Anhänger der Reformpädagogik, war er bei den Schülern beliebt, eckte aber häufig bei Kollegen und Eltern an und musste mehrmals die Schule wechseln. Im Oktober 1928 bekam er eine feste Stelle an der 55. Volksschule in Leipzig, an der auch einige reformpädagogische „Versuchsklassen“ eingerichtet worden waren. Sowohl in seinem Unterricht wie aber auch in seiner Freizeit spielte Musik weiterhin eine zentrale Rolle.

Politisch sympathisierte Sas, so nannten ihn nun alle, mit dem Sozialismus, war aber, wie viele linke Intellektuelle, „gegen die Parteienwirtschaft“, weswegen er auf Distanz u.a. zur KPD stand. Parteidisziplin und Zentralismus passten auch schlecht zu seinem Lebensstil, der vielfach als „bohemehaft“ beschrieben wird. Unter dem Eindruck des Erstarkens der Rechten, namentlich der NSDAP, näherte er sich dann doch allmählich den KPD-Positionen und trat im Oktober 1930 in die kommunistische Partei ein. Für sie war er hauptsächlich als Schulungsleiter und beim Agitprop-Theater tätig. Zwei Jahre später geriet er aber über die Frage der „Vaterlandsverteidigung“ in offenen Konflikt und wurde im Herbst 1932 ausgeschlossen. Die Schulungsarbeit führte er jedoch weiter.

Im März 1933, kurz nach Hitlers Machtübernahme, wurde er wegen „politischer Unzuverlässigkeit“ aus dem Schuldienst entlassen und von März bis Mai in „Schutzhaft“ genommen, auch aufgrund einer Resolution gegen die Nazis, die er im Lehrerverein eingebracht hatte. Fortan arbeitete er als freiberuflicher Musiklehrer.

Ende 1931 ließ sich Schmidt-Sas von der Lehrerin und Psychologin Marianne Haubold scheiden, die er 1924 geheiratet hatte. 1933 lernte er die Schauspielerin Marga Dietrich kennen, die mit ein Grund für seinen Entschluss werden sollte, im Herbst 1934 nach Berlin umzuziehen. Sie hatte eine Schauspielschule in der Droysenstraße 9 gegründet. Alfred wohnte in der Pariser Straße 30/31, am Olivaer Platz, und baute sich auch in Berlin eine Existenz als Musikerzieher auf.

In Berlin enthielt sich Alfred zunächst aktiver politischer Betätigung und war mehr darauf bedacht, seinen Beruf als Musikerzieher trotz der Naziherrschaft ausüben zu können. Bald hatte er zahlreiche Kontakte zu antifaschistischen Künstlern und Intellektuellen, deren Kinder er unterrichtete. Unter anderem besuchte er die Abendgesellschaften bei Elisabeth Pungs, deren Sohn Rainer bei ihm Klavierspiel lernte. Elisabeth Pungs, eine wohlhabende Ingenieursgattin, hatte sich vor 1933 in der „Roten Hilfe“ engagiert und stand der KPD nah. Bei den Gesellschaften in ihrer Wohnung in der Wiesbadener Straße wurde nicht nur über Kunst und Kultur debattiert, sondern auch politisch diskutiert. Dort verkehrte ebenfalls der sehr junge Hanno Günther, der Kontakt zur (inzwischen ja illegalen) KPD suchte, und der Alfred zum Verhängnis werden sollte – obwohl nicht erwiesen ist, dass er ihm je persönlich begegnete.

Frau Pungs hatte Sas wiederholt, erstmalig 1939, gefragt, ob er nicht einen Kontakt für Hanno zur Partei herstellen könne. Sas reagierte abweisend, fand sich zwei Jahre später aber doch bereit, ein Treffen mit einem KPD-Funktionär, den er gut aus Leipzig kannte, zu vermitteln. Nach Kriegsbeginn hatten Pungs und Günther eine Serie antifaschistischer Klebezettel und Flugblätter verbreitet. Um die Vervielfältigung zu erleichtern, fragte Elisabeth Pungs Sas, ob er ihr ein Abzugsgerät über seine Künstlerfreunde besorgen könne, den Zweck nannte sie nicht und Sas fragte auch nicht danach, sondern besorgte das Gerät. Es kam aber gar nicht zum Einsatz, denn nach einer Verhaftung im Bekanntenkreis unterbrach Frau Pungs die Aktion und brachte das Gerät Sas zurück. Erst nach einer Pause wurden weitere Flugblätter verfasst und auf einem anderen Gerät vervielfältigt, das nicht Sas, sondern Hanno Günther anderweitig organisiert hatte. Inzwischen hatte sich um Günther eine Gruppe von gleich jungen Menschen gebildet, von denen die meisten sich von der Rütli-Schule in Neukölln kannten, die sie vor 1933 besucht hatten, als dort noch fortschrittliche Reformkonzepte verfolgt wurden. Diese Gruppe wurde seit Anfang 1941 beraten und angeleitet von jenem KPDler, dessen Kontakt Sas vermittelt hatte. Sas selber hatte gar keinen Bezug zu der Gruppe. Es war die Gestapo, die später in ihm einen kommunistischen Anleiter und Drahtzieher der „Rütligruppe“, wie sie sie nannte, sehen wollte, um ihre Theorie zu stützen, die jungen Leute seien eine kommunistische Parteizelle gewesen.

Frau Pungs indes beanspruchte Sas noch einmal: als Hanno Günther einberufen wurde, galt es, das Abzugsgerät irgendwo sicher zu deponieren, und sie bat Sas, es aufzubewahren. Dieser stellte es in verhängnisvoller Unbekümmertheit neben das andere auf seinen Hängeboden…

Der tatsächliche Anleiter – ohne dass aus der Gruppe eine förmliche Parteizelle geworden wäre – wurde im Juni 1941 verhaftet. Den wochenlangen Verhören und Folter der Kriminalpolizei hielt er letztlich nicht stand und gab unter anderem auch die Namen der Rütligruppe preis.

Sechs junge Leute sowie Elisabeth Pungs und Alfred Schmidt-Sas wurden verhaftet. Sas war gerade zum Geburtstag seines Bruders in Schlegel, als er am 10. August 1941 dort festgenommen und in das Gefängnis in Bautzen gebracht wurde. Nach wenigen Tagen verlegte man ihn in das Berliner Polizeigefängnis am Alexanderplatz, wo auch die anderen Verhafteten vernommen wurden. In fünf Verhören versuchte die Gestapo von Sas das Geständnis zu bekommen, er habe eine kommunistische Jugendgruppe geleitet. Er bestritt das hartnäckig, gab lediglich die Beschaffung eines Abzuggerätes zu, zumal inzwischen beide Geräte bei einer Durchsuchung seiner Wohnung gefunden worden waren. Die Gestapo blieb aber bei ihrer Version und meinte, nun genug Indizien gegen ihn zu haben. Die Ermittlungen wurden noch im September abgeschlossen, die Gefangenen in Untersuchungshaft nach Moabit verlegt – außer Sas, der in das KZ Sachsenhausen kam, weil er ja vorbestraft sei. Im März 1942 wurde er überraschend freigelassen, vielleicht auf Fürsprache einflussreicher Freunde, am 25. Juni jedoch wieder verhaftet und diesmal in das Strafgefängnis Plötzensee gebracht.

Am 9. Oktober 1942 fand der Prozess gegen fünf der jungen Menschen und Sas vor dem Volksgerichtshof statt. Ein weiterer Jugendlicher war verhandlungsunfähig wie auch Elisabeth Pungs, die an einer offenen Tbc litt. Sie wurde dennoch als Zeugin geladen und zu der Aussage gedrängt, Sas hätte nicht ignorieren können, dass das Abzugsgerät zur illegalen politischen Arbeit dienen sollte. Der Prozess dauerte nur einen Tag und endete mit dem bereits vorbereiteten Urteilen: Todesstrafe wegen „Vorbereitung zum Hochverrat in Tateinheit mit landesverräterischer Feindbegünstigung“. Sas wurde vorgeworfen, den Abzugsapparat beschafft, den Kontakt mit dem KPD-Funktionär hergestellt und für letzteren kommunistische Bücher aus Leipzig abgeholt zu haben, alles „zum Zwecke hochverräterischer Betätigung“. Dass er selber die Gruppe angeleitet habe, wurde in der Urteilsbegründung nicht mehr behauptet, aber alle „Angeklagten haben eine politische Betätigung entfaltet, deren kommunistische Zielrichtung von Anfang an feststand“. Verschärfend für Sas wurde gewertet, dass er bei seiner Entlassung aus der „Schutzhaft“ 1933 sich verpflichtet habe, nicht mehr gegen den Staat zu agieren. Lediglich eine junge Frau wurde „nur“ der Beihilfe beschuldigt und zu „nur“ 7 Jahren Zuchthaus verurteilt.

Die Gnadengesuche aller Angeklagten – Schmidt-Sas hatte drei geschrieben – wurden abgelehnt. Auch ein Gesuch, seine Verlobte Marga Dietrich noch zu heiraten, wurde abschlägig beschieden. Nach wenigen Wochen, Anfang Dezember, wurden die Mitverurteilten hingerichtet, Sas saß noch mehrere Monate in Plötzensee. Statt sich aber von dem Warten in Ungewissheit zermürben zu lassen, nutzte er die Zeit, um viel zu lesen und zu schreiben – Briefe, Notizen und, was ihm besonders wichtig wurde, Gedichte. Das half ihm, wie er in Abschiedsbriefen an seine Mutter und seine Lebensgefährtin schrieb, die Angst vor dem Tod vollständig abzustreifen. Am 5. April 1943 wurde er schließlich in Plötzensee durch das Fallbeil ermordet.

Alfred Schmidt-Sas

Alfred Schmidt-Sas

Alfred Schmid-Sas war unbestritten ein Opfer der menschenverachtenden Nazi-Justiz. Aus seiner antifaschistischen und pazifistischen Haltung machte er keinen Hehl. Ein linientreuer Kommunist war er jedoch nicht. Obschon er Freundschaften mit und Kontakte zu Kommunisten hatte, stand er der KPD kritisch gegenüber. Erst 1940 war er wieder bereit, sich sporadisch in Widerstandshandlungen einbinden zu lassen, mit der „Rütligruppe“ hatte er jedoch direkt nichts zu tun. Zur Legendenbildung hat hier paradoxerweise nicht nur die Sicht der Gestapo, sondern auch die DDR-Geschichtsschreibung beigetragen, die wiederholt Schmidt-Sas als den Kopf dieser Gruppe, die eine KPD-Jugendgruppe gewesen sei, dargestellt hat, sie mitunter auch als Sas-Gruppe bezeichnet. Eine Sichtweise, die eine führende Rolle der KPD im Widerstand untermauern sollte. Marga Schmidt-Dietrich, deren Ehe mit Sas posthum 1952 anerkannt wurde, verwahrte sich gegen diese Darstellung. Und ihr war wichtig, dass nicht nur der Antifaschist Schmidt-Sas, sondern auch der Musiker und (späte) Dichter in Erinnerung bleibe.

Text: Dr. Micaela Haas.
Quellen: Gedenkbuch. Bundesarchiv Koblenz, 2006; Akten des Landesentschädigungsamtes Berlin; Gedenkbuch Berlin der jüdischen Opfer des Nationalsozialismus 1995; Volker Hoffmann, Der Dienstälteste von Plötzensee. Das zerrissene Leben des Musikerziehers Alfred Schmidt-Sas (1895-1943), Berlin, 1998

Stolperstein für Robert Gumpert

Stolperstein für Robert Gumpert

HIER WOHNTE
ROBERT GUMPERT
JG. 1860
DEPORTIERT 12.8.1942
THERESIENSTADT
ERMORDET 2.11.1942

Robert Gumpert, von seiner Familie liebevoll Robchen genannt, wurde am 31. Oktober 1860 als zweiter Sohn des Kaufmanns Julius Gumpert und seiner Ehefrau Cäcilie Gumpert, geborene Wronkow, in Erkner, damals im Kreis Niederbarnim in Brandenburg, geboren. Sein älterer Bruder Siegmund war bei seiner Geburt fast 3 Jahre alt. Fünf Jahre nach Robert kam Minna, die kleine Schwester der beiden, am 5. April 1865 auch in Erkner zur Welt.

Über Roberts Kindheit und Jugend konnte nichts recherchiert werden. Von Beruf wurde er Bankkaufmann und arbeitete als Bankier und Börsenmakler. 1895 führte ihn das Berliner Adressbuch als Mitinhaber der Firma „Gumpert & Philipp Bankgeschäfte“ in der Charlottenstraße 33a und in der Klosterstraße 21. Der zweite Inhaber war Max Philipp. Privat wohnte Robert zusammen mit seiner Mutter und Schwester Minna in der Grenadierstraße 24a in Berlin-Mitte.

Zu Roberts Verwandtschaft zählten der Philosoph Ludwig Marcuse, der Maler Jakob Steinhardt und der Arzt und Schriftsteller Martin Gumpert.

Im Oktober 1897 heiratete Robert Gumpert mit 37 Jahren die 25-jährige Else Fliegel (geboren am 30. Mai 1872) aus Berlin.

Am 5. Juli 1902 wurde ihr erstes Kind Richard Julius in der Marburger Straße 7 in Berlin-Charlottenburg geboren. Sechs Jahre später, am 13. Mai 1908, kam ihr zweites Kind Gerda Minna zur Welt. Die Familie wohnte damals in der Neuen Winterfeldstraße 14 in Berlin-Schöneberg.

1912 zog die Familie Gumpert mit ihrer Haushälterin Martha Heinrich nach Berlin-Charlottenburg in die Giesebrechtstraße 9. Die Häuser dieser Straße waren um 1905 entstanden. Es war ein Wohnort für das gehobene Bürgertum, unter ihnen ein großer Anteil jüdischer Bewohner und Bewohnerinnen. Bei der Nummer 9 handelte es sich um das Eckhaus Giesebrechtstraße/Kurfürstendamm 63. Es ist anzunehmen, dass die Gumperts eine große Wohnung, wie dort üblich, bewohnten. Das Berliner Adressbuch wies Robert Gumpert 1920 als Bankier aus, er arbeitete selbstständig an der Börse und war Aufsichtsratsvorsitzender.

Im Oktober 1920 gab Robert Gumpert den Tod seiner 86-jährigen Mutter am 27. September 1920 bekannt. Sie wurde, wie der früh verstorbene Vater, in Alt-Landsberg beigesetzt.

Roberts Sohn Richard wurde ebenfalls Bankier. Als Mitglied einer zionistischen Jugendgruppe plante er nach Palästina auszuwandern und absolvierte deshalb noch eine Gärtnerlehre. Zum Abschluss dieser Lehre schenkte ihm sein Vater eine Bergwanderung in die Dolomiten, die in einer großen Katastrophe endete: Richard stürzte am 2. August 1927 in der Nähe von Ortisel im Grödnertal in Südtirol bei einem Wettersturz ab und kam dabei im blühenden Alter von 25 Jahren ums Leben. Die Beisetzung fand auf dem jüdischen Friedhof in Berlin-Weißensee am 21. August 1927 statt.

Drei Jahre später, am 21. November 1930, starb Roberts Ehefrau Else schon mit 58 Jahren. Die 22-jährige Tochter Gerda zeigte den Tod beim Standesamt an. Robert Gumpert wurde mit 70 Jahren Witwer. Seine Tochter Gerda besuchte zu der Zeit die Mode-Klasse des Lette-Vereins, wo sie sich als Modezeichnerin ausbilden ließ.

1932 verlobte sich Gerda Gumpert mit Walter Kurt Kuhnert (geboren am 25. Dezember 1899 in Bielefeld), der sich in Berlin und Potsdam als erfolgreicher Architekt einen Namen gemacht hatte. Zusammen mit Karl J. Pfeiffer führte er ein Architekturbüro zuerst in Potsdam und dann in Berlin. Sie bauten verschiedene Wohnhäuser und gewannen zweite Preise bei den Wettbewerben für den Flughafen Tempelhof (1925) und für das Rathaus Zehlendorf (1926).

Für seine zukünftige Frau und sich baute Walter Kuhnert 1932 einen modernen Bungalow in der Schubertstraße 2 in Bergstücken in Potsdam-Babelsberg. Robert Gumpert finanzierte diesen Bau.

Als Karl J. Pfeiffer erfuhr, dass Walter Kuhnert mit einer Jüdin verlobt war, stellte er ihn vor die Wahl: Entweder Heirat mit einer jüdischen Frau oder Büropartnerschaft. Karl J. Pfeiffer drohte damit, öffentlich zu machen, dass Walter eine Jüdin heiraten wolle. Walter Kuhnert entschied sich für seine Frau und verlor sein Büro.

Am Tag der Machtergreifung der Nationalsozialisten am 30. Januar 1933 zog der Rentier Robert Gumpert in eine 4,5 – Zimmer-Wohnung in die Pariser Straße 30/31 am Olivaer Platz, circa 500 Meter von seinem alten Wohnort entfernt. Die Wohnung bestand aus Herrenzimmer, Speisezimmer, Schlafzimmer und Salon. Seine langjährige Haushälterin Martha Heinrich zog in die Kammer neben der Küche, das so genannte Dienstmädchenzimmer.

Bei der Hochzeit seiner Tochter Gerda mit Walter Kuhnert am 13. Mai 1933 war Robert, wie traditionell üblich, der erste Trauzeuge. Als Mitgift versprach er den Eheleuten eine monatliche Unterstützung aus seinem Einkommen, damit das Vermögen, welches sie später erben sollten, erst einmal nicht angetastet werden müsse. Er bezog Einkünfte aus Tantiemen, Dividenden, Zinsen, Pacht und aus Spekulationsgewinnen. Von 1893 bis 1935 war er Vorsitzender des Aufsichtsrates der Glückauf AG für Braunkohleverwertung, Lichtenau Bezirk Liegnitz, außerdem saß er im Aufsichtsrat der Berlin-Neuroder Kunstanstalten und der Albrecht & Meister AG, Berlin. 1933 hatte er als Rentier noch ein Jahreseinkommen von 17.561RM.

Walter Kuhnert musste 1935 aufgrund seiner sogenannten „Mischehe“ auch aus seiner Berufsorganisation, der „Reichskulturkammer der bildenden Künste“, zwangsweise ausscheiden, was einem Berufsverbot gleichkam. Während der Arbeitslosigkeit seines Schwiegersohns unterstützte Robert Gumpert ihn und seine Tochter mit 300RM monatlich.

Obwohl Robert Gumpert nicht beabsichtigte, seinen inländischen Wohnsitz aufzugeben, wie auf dem Vordruck des Finanzamtes seiner Meinung nach fälschlich angegeben war, wies er am 2. August 1938 seine Bank an, die Reichsfluchtsteuer in Höhe von 47.300RM aus seinem Wertpapier-Depot auf ein Sperrkonto als Sicherheit zu hinterlegen. Der Betrag errechnete sich aus einem Viertel der Angabe seines Gesamtvermögens, das laut Steuerbescheid 1936 fast 200.000RM betrug.

Am 9. November 1938 randalierte die SA auch in Potsdam-Babelsberg. Unter anderem wollten sie das Haus in der Schubertstraße 2 stürmen, weil sie hier Juden vermuteten. Gerda Kuhnert war damals schwanger und hatte große Angst, massakriert zu werden. Nur durch das beherzte Auftreten ihres Nachbarn Herrn Ziesenitz, der vor das Haus trat und sagte: „Der Kuhnert ist kein Jude“, konnte das Schlimmste verhindert werden.

Mit Schreiben vom 22. Dezember 1938 eröffnete das Finanzamt Wilmersdorf Robert Gumpert, dass er aufgrund der Durchführungsverordnung über die Sühneleistung der Juden 32.200RM Judenvermögensabgabe zu leisten habe. Die erste Rate war schon am 15. Dezember 1938 fällig und von seinem Konto eingezogen worden. Es folgten die 2., 3. und 4. Rate von jeweils 8.050RM. Aufgrund einer zweiten Durchführungsverordnung vom 19. Oktober 1939 hatte er im November 1939 noch eine 5. Rate in Höhe von 8.050RM in Form von Wertpapieren zu zahlen.

Am 7. März 1939 erblickte Peter-Nicolaus Kuhnert das Licht der Welt. Robert wurde mit 79 Jahren Großvater. Peter-Nicolaus nannte sich ab den 1960er Jahren Nikolaus.

Bei der Minderheiten-Volkszählung am 17. Mai 1939 wurden Robert Gumpert und sechs weitere Mieterinnen und Mieter im Haus als Juden gemeldet. Einer jüdischen Mieterin und einem jüdischen Ehepaar gelang noch 1940 die Flucht ins Ausland. Der Fabrikant Heinrich Löwenthal hatte eine nichtjüdische Mutter und war als Mischling I. Grades noch vor einer Deportation geschützt. Alle anderen jüdischen Mieterinnen und Mieter, darunter auch Robert Gumpert, mussten aufgrund des „Gesetzes über Mietverhältnisse mit Juden“, welches ihnen jeglichen Kündigungsschutz nahm, das Haus innerhalb von 8 Tagen verlassen. Dem Dienstmädchen Martha Heinrich wurde in dieser Zeit verboten, bei einem Juden zu arbeiten.

Nachdem er seine Wohnungseinrichtung innerhalb kürzester Zeit weit unter Wert an Händler verkauft hatte, zog Robert Gumpert am 21. Mai 1941 zur Untermiete bei der 36-jährigen jüdischen Hauptmieterin Tinny Miriam Kaufmann, geborene Sigle, in ein teilmöbliertes Zimmer in die Fasanenstraße 42. Tinny Kaufmanns Ehemann Karl war ein entfernter Verwandter von Robert Gumpert. Er wurde in Auschwitz ermordet.

In der Wohnung lebte auch Tinnys 7-jähriger Sohn Harry Sigle (geboren am 4. November 1933) genannt Kaufmann, der die 2. Klasse besuchte. Zwei Monate später, am 22. Juli 1941, brachte Tinny ihren zweiten Sohn Dan Michael zur Welt. Sie lebten gut ein Jahr zusammen. Robert Gumpert, der immer sehr gut mit Geld umgehen konnte, wird in dieser Zeit viele schlaflose Nächte aufgrund von Geldsorgen gehabt haben.

Bei der Devisenstelle des Oberfinanzpräsidenten bat er Ende Juli 1941 um Genehmigung für eine Auszahlung von 275RM für Miete und Verpflegung, 150RM für Taschengeld, 50RM zur Unterstützung „seiner ehemaligen arischen Hausangestellten“ und 300RM zur Unterstützung seines arbeitslosen „arischen Schwiegersohnes“.

Am 9. September 1941 wurde ihm vom Reichswirtschaftsministerium zur Kenntnis gegeben, dass er alle noch in seinem Depot befindlichen Aktien der Preußischen Staatsbank (Seehandlung) zum Kauf anzubieten habe.

Über sein noch verbliebenes Geld durfte er nicht mehr selber verfügen. Die Devisenstelle erlaubte ihm im Januar 1942 die monatliche Unterstützung seiner Hausangestellten Martha Heinrich in Höhe von 50RM monatlich, nicht aber die Zahlung von monatlich 300RM an seinen Schwiegersohn. Einspruch durfte nicht mehr eingelegt werden.

In der Fasanenstraße bekam Robert Gumpert im August 1942 die Aufforderung, eine Vermögenserklärung auszufüllen und sich im Sammellager in der Großen Hamburger Straße 26, dem ehemaligen Altersheim der Jüdischen Gemeinde, einzufinden. Noch am Vorabend der Deportation besuchte seine Tochter Gerda ihren Vater Robert im Sammellager und versprach – entsprechend jüdischer Tradition, dass Kinder ihre Eltern beschützen sollen – ihn auf seiner Fahrt nach Theresienstadt zu begleiten.

Gerdas damaligen Nachbarn in der Schubertstraße, dem Ehepaar Ziesenitz, ist es zu verdanken, dass sie nicht mit ihrem Vater in den Deportationszug stieg. Sie banden sie an einem Stuhl fest und verhinderten dadurch, dass sie zusammen mit ihrem Vater den Tod im Ghetto fand bzw. weiter in das Vernichtungslager Auschwitz deportiert wurde.

Robert Gumpert, Olivaer Platz 5 ehemals Pariser Str. 30/31

Mit dem 42. Alterstransport (I-43) wurde der 81-jährige Robert Gumpert mit 99 anderen Personen vom Anhalter Bahnhof am 12. August 1942 nach Theresienstadt deportiert. Aufgrund der unmenschlichen Bedingungen im Ghetto Theresienstadt lebte er dort nur noch 74 Tage. Laut Todesfallanzeige des Ghettos Theresienstadt starb Robert Gumpert am 2. November 1942 zwei Tage nach seinem 82. Geburtstag an Altersschwäche. Er wurde ermordet.

Seine Tochter Gerda überlebte die Shoah in der Schubertstraße 2 zusammen mit ihrem Sohn Nikolaus. Ihre sogenannte „privilegierte Mischehe“ schützte sie vor der Deportation. Ihr Sohn Nikolaus hatte aus Sicherheitsgründen ab 1941 das Grundstück in der Schubertstraße nicht mehr verlassen. Nur bei den wohlgesinnten Nachbarn Ziesenitz durfte er spielen, wozu das Ehepaar Ziesenitz ein Loch in den Zaun geschnitten hatte. Sie verrieten nicht, dass Gerda und Nikolaus jüdisch waren. Trotz der sogenannten „privilegierten Mischehe“ erfuhren Gerda und Nikolaus von Walter Kuhnert, dass immer wieder auch jüdische Angehörige sogenannter Mischehen deportiert wurden. Gerda und Nikolaus wurde klar, dass ihr Leben in Ausschwitz enden sollte. Nur der Sieg gegen Nazideutschland unterband dies.

Gerdas Ehemann Walter Kuhnert wurde gegen seinen Willen am 1. September 1939 zur Wehrmacht eingezogen und musste am Norwegenfeldzug teilnehmen. Er befand sich auf dem Kriegsmarineschiff Blücher, welches vor Oslo torpediert wurde. Dank Walters Geistesgegenwart, ein Rettungsschiff herunterzulassen, überlebte er. Wegen seiner jüdischen Ehefrau wurde er vor versammelter Mannschaft unehrenhaft aus der Wehrmacht entlassen und degradiert. 1942 bekam er eine Stelle bei einer Wohnungsbaugesellschaft in Posen. Der damalige Leiter kannte Walters eheliche Verhältnisse, behielt sie aber für sich. Aufgrund der sogenannten Verordnung für jüdisch Versippte und Mischlinge musste Walter Mitte 1944 Posen innerhalb von 24 Stunden verlassen. Vorübergehend bekam er eine Beschäftigung bei Ohrenstein & Koppel, unter Hitler Maschinenbau AG genannt, in Babelsberg.

Im Januar 1945 wurde er in ein Arbeitslager für sogenannte „jüdisch Versippte und Mischlinge“ in Zerbst bei Dessau deportiert. Dort wurde er gezwungen, Landebahnen zu bauen.

Die Verlegung des Stolpersteins für Robert Gumpert am Olivaer Platz 5, ehemals Pariser Straße 30/31, wurde durch seinen Enkel Nikolaus Kuhnert initiiert.

Text und Recherche: Gundula Meiering mit Unterstützung des Enkels von Robert Gumpert Nikolaus Kuhnert und des Urenkels Daniel Kuhnert, Oktober 2024

Quellen
Gedenkbuch – Opfer der Verfolgung der Juden unter der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft in Deutschland 1933 – 1945; Berliner Adressbücher – Zentral- und Landesbibliothek Berlin; Arolsen Archives – Deportationslisten; Mapping the lives; Landesarchiv Berlin, Personenstandsunterlagen/über ancestry; My Heritage; Landesamt für Bürger- und Ordnungsangelegenheiten Entschädigungsbehörde (LABO) Reg. Nr. 7.640 Antragstellerin: Gerda Kuhnert; Landesarchiv Berlin – 5 WGA 6122/50, 51 WGA 2870-73/57 und 51 WGA 8584-85/59
Akim Jah: Die Deportationen der Juden aus Berlin – Die nationalsozialistische Vernichtungspolitik und das Sammellager Große Hamburger Straße, Berlin 2013