HIER WOHNTE
ROBERT GUMPERT
JG. 1860
DEPORTIERT 12.8.1942
THERESIENSTADT
ERMORDET 2.11.1942
Robert Gumpert, von seiner Familie liebevoll Robchen genannt, wurde am 31. Oktober 1860 als zweiter Sohn des Kaufmanns Julius Gumpert und seiner Ehefrau Cäcilie Gumpert, geborene Wronkow, in Erkner, damals im Kreis Niederbarnim in Brandenburg, geboren. Sein älterer Bruder Siegmund war bei seiner Geburt fast 3 Jahre alt. Fünf Jahre nach Robert kam Minna, die kleine Schwester der beiden, am 5. April 1865 auch in Erkner zur Welt.
Über Roberts Kindheit und Jugend konnte nichts recherchiert werden. Von Beruf wurde er Bankkaufmann und arbeitete als Bankier und Börsenmakler. 1895 führte ihn das Berliner Adressbuch als Mitinhaber der Firma „Gumpert & Philipp Bankgeschäfte“ in der Charlottenstraße 33a und in der Klosterstraße 21. Der zweite Inhaber war Max Philipp. Privat wohnte Robert zusammen mit seiner Mutter und Schwester Minna in der Grenadierstraße 24a in Berlin-Mitte.
Zu Roberts Verwandtschaft zählten der Philosoph Ludwig Marcuse, der Maler Jakob Steinhardt und der Arzt und Schriftsteller Martin Gumpert.
Im Oktober 1897 heiratete Robert Gumpert mit 37 Jahren die 25-jährige Else Fliegel (geboren am 30. Mai 1872) aus Berlin.
Am 5. Juli 1902 wurde ihr erstes Kind Richard Julius in der Marburger Straße 7 in Berlin-Charlottenburg geboren. Sechs Jahre später, am 13. Mai 1908, kam ihr zweites Kind Gerda Minna zur Welt. Die Familie wohnte damals in der Neuen Winterfeldstraße 14 in Berlin-Schöneberg.
1912 zog die Familie Gumpert mit ihrer Haushälterin Martha Heinrich nach Berlin-Charlottenburg in die Giesebrechtstraße 9. Die Häuser dieser Straße waren um 1905 entstanden. Es war ein Wohnort für das gehobene Bürgertum, unter ihnen ein großer Anteil jüdischer Bewohner und Bewohnerinnen. Bei der Nummer 9 handelte es sich um das Eckhaus Giesebrechtstraße/Kurfürstendamm 63. Es ist anzunehmen, dass die Gumperts eine große Wohnung, wie dort üblich, bewohnten. Das Berliner Adressbuch wies Robert Gumpert 1920 als Bankier aus, er arbeitete selbstständig an der Börse und war Aufsichtsratsvorsitzender.
Im Oktober 1920 gab Robert Gumpert den Tod seiner 86-jährigen Mutter am 27. September 1920 bekannt. Sie wurde, wie der früh verstorbene Vater, in Alt-Landsberg beigesetzt.
Roberts Sohn Richard wurde ebenfalls Bankier. Als Mitglied einer zionistischen Jugendgruppe plante er nach Palästina auszuwandern und absolvierte deshalb noch eine Gärtnerlehre. Zum Abschluss dieser Lehre schenkte ihm sein Vater eine Bergwanderung in die Dolomiten, die in einer großen Katastrophe endete: Richard stürzte am 2. August 1927 in der Nähe von Ortisel im Grödnertal in Südtirol bei einem Wettersturz ab und kam dabei im blühenden Alter von 25 Jahren ums Leben. Die Beisetzung fand auf dem jüdischen Friedhof in Berlin-Weißensee am 21. August 1927 statt.
Drei Jahre später, am 21. November 1930, starb Roberts Ehefrau Else schon mit 58 Jahren. Die 22-jährige Tochter Gerda zeigte den Tod beim Standesamt an. Robert Gumpert wurde mit 70 Jahren Witwer. Seine Tochter Gerda besuchte zu der Zeit die Mode-Klasse des Lette-Vereins, wo sie sich als Modezeichnerin ausbilden ließ.
1932 verlobte sich Gerda Gumpert mit Walter Kurt Kuhnert (geboren am 25. Dezember 1899 in Bielefeld), der sich in Berlin und Potsdam als erfolgreicher Architekt einen Namen gemacht hatte. Zusammen mit Karl J. Pfeiffer führte er ein Architekturbüro zuerst in Potsdam und dann in Berlin. Sie bauten verschiedene Wohnhäuser und gewannen zweite Preise bei den Wettbewerben für den Flughafen Tempelhof (1925) und für das Rathaus Zehlendorf (1926).
Für seine zukünftige Frau und sich baute Walter Kuhnert 1932 einen modernen Bungalow in der Schubertstraße 2 in Bergstücken in Potsdam-Babelsberg. Robert Gumpert finanzierte diesen Bau.
Als Karl J. Pfeiffer erfuhr, dass Walter Kuhnert mit einer Jüdin verlobt war, stellte er ihn vor die Wahl: Entweder Heirat mit einer jüdischen Frau oder Büropartnerschaft. Karl J. Pfeiffer drohte damit, öffentlich zu machen, dass Walter eine Jüdin heiraten wolle. Walter Kuhnert entschied sich für seine Frau und verlor sein Büro.
Am Tag der Machtergreifung der Nationalsozialisten am 30. Januar 1933 zog der Rentier Robert Gumpert in eine 4,5 – Zimmer-Wohnung in die Pariser Straße 30/31 am Olivaer Platz, circa 500 Meter von seinem alten Wohnort entfernt. Die Wohnung bestand aus Herrenzimmer, Speisezimmer, Schlafzimmer und Salon. Seine langjährige Haushälterin Martha Heinrich zog in die Kammer neben der Küche, das so genannte Dienstmädchenzimmer.
Bei der Hochzeit seiner Tochter Gerda mit Walter Kuhnert am 13. Mai 1933 war Robert, wie traditionell üblich, der erste Trauzeuge. Als Mitgift versprach er den Eheleuten eine monatliche Unterstützung aus seinem Einkommen, damit das Vermögen, welches sie später erben sollten, erst einmal nicht angetastet werden müsse. Er bezog Einkünfte aus Tantiemen, Dividenden, Zinsen, Pacht und aus Spekulationsgewinnen. Von 1893 bis 1935 war er Vorsitzender des Aufsichtsrates der Glückauf AG für Braunkohleverwertung, Lichtenau Bezirk Liegnitz, außerdem saß er im Aufsichtsrat der Berlin-Neuroder Kunstanstalten und der Albrecht & Meister AG, Berlin. 1933 hatte er als Rentier noch ein Jahreseinkommen von 17.561RM.
Walter Kuhnert musste 1935 aufgrund seiner sogenannten „Mischehe“ auch aus seiner Berufsorganisation, der „Reichskulturkammer der bildenden Künste“, zwangsweise ausscheiden, was einem Berufsverbot gleichkam. Während der Arbeitslosigkeit seines Schwiegersohns unterstützte Robert Gumpert ihn und seine Tochter mit 300RM monatlich.
Obwohl Robert Gumpert nicht beabsichtigte, seinen inländischen Wohnsitz aufzugeben, wie auf dem Vordruck des Finanzamtes seiner Meinung nach fälschlich angegeben war, wies er am 2. August 1938 seine Bank an, die Reichsfluchtsteuer in Höhe von 47.300RM aus seinem Wertpapier-Depot auf ein Sperrkonto als Sicherheit zu hinterlegen. Der Betrag errechnete sich aus einem Viertel der Angabe seines Gesamtvermögens, das laut Steuerbescheid 1936 fast 200.000RM betrug.
Am 9. November 1938 randalierte die SA auch in Potsdam-Babelsberg. Unter anderem wollten sie das Haus in der Schubertstraße 2 stürmen, weil sie hier Juden vermuteten. Gerda Kuhnert war damals schwanger und hatte große Angst, massakriert zu werden. Nur durch das beherzte Auftreten ihres Nachbarn Herrn Ziesenitz, der vor das Haus trat und sagte: „Der Kuhnert ist kein Jude“, konnte das Schlimmste verhindert werden.
Mit Schreiben vom 22. Dezember 1938 eröffnete das Finanzamt Wilmersdorf Robert Gumpert, dass er aufgrund der Durchführungsverordnung über die Sühneleistung der Juden 32.200RM Judenvermögensabgabe zu leisten habe. Die erste Rate war schon am 15. Dezember 1938 fällig und von seinem Konto eingezogen worden. Es folgten die 2., 3. und 4. Rate von jeweils 8.050RM. Aufgrund einer zweiten Durchführungsverordnung vom 19. Oktober 1939 hatte er im November 1939 noch eine 5. Rate in Höhe von 8.050RM in Form von Wertpapieren zu zahlen.
Am 7. März 1939 erblickte Peter-Nicolaus Kuhnert das Licht der Welt. Robert wurde mit 79 Jahren Großvater. Peter-Nicolaus nannte sich ab den 1960er Jahren Nikolaus.
Bei der Minderheiten-Volkszählung am 17. Mai 1939 wurden Robert Gumpert und sechs weitere Mieterinnen und Mieter im Haus als Juden gemeldet. Einer jüdischen Mieterin und einem jüdischen Ehepaar gelang noch 1940 die Flucht ins Ausland. Der Fabrikant Heinrich Löwenthal hatte eine nichtjüdische Mutter und war als Mischling I. Grades noch vor einer Deportation geschützt. Alle anderen jüdischen Mieterinnen und Mieter, darunter auch Robert Gumpert, mussten aufgrund des „Gesetzes über Mietverhältnisse mit Juden“, welches ihnen jeglichen Kündigungsschutz nahm, das Haus innerhalb von 8 Tagen verlassen. Dem Dienstmädchen Martha Heinrich wurde in dieser Zeit verboten, bei einem Juden zu arbeiten.
Nachdem er seine Wohnungseinrichtung innerhalb kürzester Zeit weit unter Wert an Händler verkauft hatte, zog Robert Gumpert am 21. Mai 1941 zur Untermiete bei der 36-jährigen jüdischen Hauptmieterin Tinny Miriam Kaufmann, geborene Sigle, in ein teilmöbliertes Zimmer in die Fasanenstraße 42. Tinny Kaufmanns Ehemann Karl war ein entfernter Verwandter von Robert Gumpert. Er wurde in Auschwitz ermordet.
In der Wohnung lebte auch Tinnys 7-jähriger Sohn Harry Sigle (geboren am 4. November 1933) genannt Kaufmann, der die 2. Klasse besuchte. Zwei Monate später, am 22. Juli 1941, brachte Tinny ihren zweiten Sohn Dan Michael zur Welt. Sie lebten gut ein Jahr zusammen. Robert Gumpert, der immer sehr gut mit Geld umgehen konnte, wird in dieser Zeit viele schlaflose Nächte aufgrund von Geldsorgen gehabt haben.
Bei der Devisenstelle des Oberfinanzpräsidenten bat er Ende Juli 1941 um Genehmigung für eine Auszahlung von 275RM für Miete und Verpflegung, 150RM für Taschengeld, 50RM zur Unterstützung „seiner ehemaligen arischen Hausangestellten“ und 300RM zur Unterstützung seines arbeitslosen „arischen Schwiegersohnes“.
Am 9. September 1941 wurde ihm vom Reichswirtschaftsministerium zur Kenntnis gegeben, dass er alle noch in seinem Depot befindlichen Aktien der Preußischen Staatsbank (Seehandlung) zum Kauf anzubieten habe.
Über sein noch verbliebenes Geld durfte er nicht mehr selber verfügen. Die Devisenstelle erlaubte ihm im Januar 1942 die monatliche Unterstützung seiner Hausangestellten Martha Heinrich in Höhe von 50RM monatlich, nicht aber die Zahlung von monatlich 300RM an seinen Schwiegersohn. Einspruch durfte nicht mehr eingelegt werden.
In der Fasanenstraße bekam Robert Gumpert im August 1942 die Aufforderung, eine Vermögenserklärung auszufüllen und sich im Sammellager in der Großen Hamburger Straße 26, dem ehemaligen Altersheim der Jüdischen Gemeinde, einzufinden. Noch am Vorabend der Deportation besuchte seine Tochter Gerda ihren Vater Robert im Sammellager und versprach – entsprechend jüdischer Tradition, dass Kinder ihre Eltern beschützen sollen – ihn auf seiner Fahrt nach Theresienstadt zu begleiten.
Gerdas damaligen Nachbarn in der Schubertstraße, dem Ehepaar Ziesenitz, ist es zu verdanken, dass sie nicht mit ihrem Vater in den Deportationszug stieg. Sie banden sie an einem Stuhl fest und verhinderten dadurch, dass sie zusammen mit ihrem Vater den Tod im Ghetto fand bzw. weiter in das Vernichtungslager Auschwitz deportiert wurde.