HIER WOHNTE
PAUL FIEGEL
JG. 1881
FLUCHT 1939
AUSTRALIEN
Paul Fiegel wurde am 12. November 1881 als Sohn von Benno und Minna Fiegel, geb. Cohn, in Berlin geboren. Er war Inhaber der von seinem Vater gegründeten „Benno Fiegel AG”.
Benno Fiegel AG
Import von Sämereien / Samengroßhandlung (Nahrungs- und Genußmittel)
Gegründet 1922, Übernahme 1937, Liq.: 1937
Monbijouplatz 3 (Mitte)
Ab mindestens 1930 war das Unternehmen in der Landsberger Str. 91 angesiedelt. Paul Fiegel musste die Firma am 1. Juli 1937 unter dem Zwang der NS-Behörden verkaufen. Das Hetzblatt Der Stürmer hatte ihn an den Pranger gestellt. Ab diesem Zeitpunkt war er ohne Einkommen.
Paul Fiegel hatte am 26. April 1914 Erna Hirschfeld geheiratet, die am 10. Juni 1893 in Leipzig zur Welt gekommen war. Aus der Ehe ging als einziges Kind der Sohn Bernhard, genannt Bernd, hervor, der am 1. Januar 1919 in Berlin-Charlottenburg geboren wurde.
Fiegels waren alteingesessene Charlottenburger und wohnten seit mindestens 1922 in der Mommsenstraße 70. Sie zogen Anfang 1935 in die Mommsenstraße 6 – in eine Wohnung mit sieben Zimmern im Vorderhaus. Erna Fiegel ließ die Wohnung aufwändig renovieren. In einer „Eidesstattlichen Erklärung” für das Berliner Entschädigungsamt schrieb Erna Fiegel am 27. Januar 1961: „Anlässlich des Umzuges in die neue Wohnung hatten wir die gesamte Einrichtung von dem Architekten Max Lewy, Berlin-Zehlendorf …bearbeiten lassen; Stoffe, Fussbodenbeläge und Vorhänge waren von der Firma Gerson, Berlin.“. Sie glaubte noch an eine Zukunft in Deutschland. Nach dem Erlass der „Nürnberger Gesetze“ am 15. September 1935 war es damit vorbei. Am Ende einer Italien-Reise schrieb Erna Fiegel am 16. September 1935 in ihr Tagebuch: „Das ist der Schluss alles Erfreulichen; denn kaum im Coupé verstaut, verlangt es die Männlichkeit nach deutschen Zeitungen. Ade Frohsinn und
Freude – der Nürnberger Parteitag hat dafür gesorgt, dass wir erneut wissen, was es heißt, Jude zu sein“.
Paul und Erna Fiegel entschlossen sich zur Flucht nach Sydney/Australien. Sie buchten Schiffsbilletts für den Dampfer Slamat, der am 10. Juni 1939 von Rotterdam nach Colombo aufbrach. Mit dem Dampfer Srathallan ging es von Colombo weiter nach Sydney.
Der Sohn Bernd ging seit August 1925 in die 19. Gemeindeschule Charlottenburg. Er hatte es nicht weit, musste nur um die Ecke in die Bleibtreustraße 43 gehen. Bis 1934 besuchte er dort auch das weiterführende Kaiser-Friedrich-Gymnasium, die heutige Europaschule Joan Miró. Danach nahm er eine kaufmännische Lehre bei der Firma „Levinger und Feibel” in Frankfurt/Main auf, die er nicht beenden konnte. Im Jahr 1936 verfolgte der 17jährige als begeisterter Sportler die Olympischen Spiele in Berlin. Seinem Tagebuch vertraute er am 1. August an: „Es ist für mich sehr aufregend. Das schreckliche Bewußtsein, im deutschen Sport vollkommen ausgeschaltet zu sein.” Er floh im Juni 1938 zunächst nach Gouda in den Niederlanden. Dort arbeitet er in einer Staatlichen Prüfungsanstalt für keramische Erzeugnisse. 1939 folgte er seinen Eltern nach Sydney.
Gemeinsam begann die Familie Fiegel ein neues Leben in Sydney. Gut ging es ihnen dort nicht. Sie waren Staatenlose. Erna Fiegel fertigte Blumengestecke an, um sie zu verkaufen. Paul Fiegel arbeitete als Packer, sein Sohn Bernhard auf einer Geflügelfarm.
Paul Fiegel starb bereits 1947. Erna Fiegel kehrte 1954 noch einmal nach Berlin zurück, um sich persönlich um die Entschädigung für ihre Familie zu kümmern. Bernhard Fiegel hatte im Rahmen des Berliner Besuchsprogramms für vertriebene Juden eine Einladung nach Berlin erhalten, starb aber bevor er die Reise antreten konnte.
Recherche und Text: Dr. Wolf-Rüdiger Baumann und Claudia Saam
Quellen:
- Berliner Adressbücher
- Entschädigungsamt Berlin
- Schilderungen der Kinder von Bernhard Fiegel, Paul und Naomi Fiegel.
- Ausführliche Geschichte der Familie Fiegel mit Fotos und Dokumenten: Berliner Geschichten – Denkmalamort (Text ebenfalls von Dr. Wolf Rüdiger Baumann und Claudia Saam)