Stolpersteine Sächsische Straße 48

Stolpersteine Sächsische Str. 48

Stolpersteine Sächsische Str. 48

Die Stolpersteine für Anna und Paul Hannes wurden am 12.05.2006 verlegt.
Der Stolperstein für Lina Rychwalski wurde am 17.07.2007 verlegt.

Die Stolpersteine für die Familie Löwenstein wurden am 24. September 2024 verlegt.

Stolperstein Paul Hannes

Stolperstein Paul Hannes

HIER WOHNTE
PAUL HANNES
JG. 1875
DEPORTIERT 1942
THERESIENSTADT
ERMORDET 28.8.1942

Stolperstein Anna Hannes

Stolperstein Anna Hannes

HIER WOHNTE
ANNA HANNES
GEB. ISSACSOHN
JG. 1881
DEPORTIERT 1942
THERESIENSTADT
ERMORDET 30.7.1942

Paul Hannes wurde am 26. Juni 1875 in Dresden geboren. Er war der Sohn von Theodor Hannes (29. Dezember 1841 – 08. Oktober 1890) und Ida Hannes, geb. Friedenthal (16. April 1844 – 10. Mai 1899). Er hatte 4 ältere Geschwister (Georg, Regina, Martha, Wally), die alle vor 1933 gestorben sind und einen jüngeren Bruder Walther, dem die Emigration nach England und später in die USA gelang.

Paul und Anna Hannes

Paul und Anna Hannes

Paul heiratete am 17. Mai 1906 Anna Hannes geb. Isaacsohn, die am 9. Januar 1881 in Berlin geboren wurde. Am 17. April 1907 kam ihre gemeinsame Tochter Ida Helene (Leni) in Frankfurt zur Welt. Ihre Tochter Leni schenkte ihnen zusammen mit ihrem Mann Dr. Rudolf Moritz Löwenstein zwei Enkelkinder, Ulla (geboren am 12. Juni 1934) und Ruth (geboren am 2. März 1937). Die Familie Löwenstein wurde am 26. Februar 1943 nach Auschwitz deportiert und dort ermordet.

Paul hat vom 1. April 1891 bis zum 1. April 1894 eine Lehre zum Großhandelskaufmann in der Berliner Damenwäschefabrik Heinrich Stern & Co. In der Spandauer Straße 16-17 absolviert. Anschließend war er dort als Expedient und Verkäufer bis zum 31. Dezember 1898 angestellt. Sein überliefertes Arbeitszeugnis empfiehlt ihn als „tüchtigen, intelligenten und zuverlässigen jungen Mann“. Vom 15. Juni 1899 bis zum 30. September 1926 war Paul als Handelsvertreter für die Berliner Firma van Bienen & Fischbein in Süddeutschland tätig. Diese Firma war ein Großhandel für Textilwaren und Bekleidung und hatte ihren Firmensitz in Berlin SW19, Kommandantenstraße 6. Paul muss seit der Gründung der Firma dort tätig gewesen sein, denn ausweislich des Berliner Firmenbuchs wurde die Firma 1900 gegründet.
Das überlieferte Arbeitszeugnis, das Paul bei seinem Ausscheiden 1926 ausgestellt wurde, stellt seine guten Verkaufserfolge, seine Beliebtheit bei den Kunden, seine Fachkenntnisse und seine einwandfreien Charaktereigenschaften heraus.
Nach seinem Ausscheiden bei von Bienen & Fischbein hat Paul ab dem 15. März 1927 für die Damenwäschefabrik Paul Hamm & Co. In Berlin, Spandauer Str. 41 als Reisender für Süddeutschland, das Saargebiet und die Schweiz gearbeitet. Sein Arbeitgeber schreibt im überlieferten Arbeitszeugnis „Wir haben in den vergangenen Jahren Herrn Hannes als einen in jeder Beziehung korrekten und charakterlich einwandfreien Mitarbeiter schätzen gelernt und wünschen ihm für die Zukunft alles Gute.“ Das Arbeitszeugnis vom 23. Dezember 1938 enthält den etwas merkwürdigen Satz „Das Anstellungsverhältnis erlischt mit dem 31. Dezember ds. Js.“ Dieses dürfte damit zusammenhängen, dass die jüdische Firma Paul Hamm in 1938 arisiert wurde und in diesem Zusammenhang die Arbeitsverträge mit den jüdischen Mitarbeitern ohne Kündigung aufgelöst wurden.

Am 21. Juni 1942 schrieben Paul und Anna, die inzwischen in der Dahlmannstr. 27 in Berlin-Charlottenburg wohnten, einen Brief an seinen Cousin Berthold und dessen Frau Inge in Hamburg, die dort in einer sogenannten „Privilegierten Mischehe“ mit ihrem Sohn Klaus lebten. Aus diesem im Original überlieferten Brief ist hier zitiert:

bq. Wie schön war es noch im vorigen Jahr, als wir Dich, lb. Berthold, nochmal wiedersahen und gemütlich beisammen waren. Ja, wie vieles hat sich in dem Jahr geändert, was man nicht für menschenmöglich gehalten. … Für uns gibt es im Augenblick überhaupt kein Gemüse, also man gewöhnt sich schon langsam, aber sicher an den Hunger, der einem ja draußen blüht. Wenn ich wüßte, dass ich die Kartoffeln, die Du lb. Inge, mir kürzlich angeboten, noch hier aufessen könnte, würde ich froh sein, Paul mal abends ein paar kochen zu können. … Eure Aennie

Während sie dieses schreibt, muss ein Brief aus Hamburg eingetroffen sein, in dem Klaus seinen Besuch in Berlin ankündigt. Anna schreibt unter ihre Unterschrift noch ein PS an, die kurzfristig drohende Deportation vor Augen:

bq. Soeben treffen Deine lb. Zeilen, mein lieber Klaus ein und lösen eine Riesenfreude bei uns aus. Hoffentlich können wir Dich noch in Ruhe genießen, lb. Klaus. Wie ich schon erwähnte, wäre ich für Kartoffeln, … wenn Ihr sie übrig habt, dankbar. Recht gute Reise und auf ein Wiedersehen freue ich mich schon sehr.

In der letzten Juniwoche 1942 erhielten Paul und Anna, dann den angekündigten Besuch von ihrem Neffen Klaus aus Hamburg. Am 27. Juni 1942 verließ Klaus sie in Richtung Ostsee für ein paar Urlaubstage. Sie schickten ihm einen im Original überlieferten Brief hinterher an sein Urlaubsziel, aus dem hier zitiert ist:

bq. … Zunächst lasse Dir nochmals aus ganzem Herzen danken für all Deine Liebe und Güte, die Du mir erneut in so reichem Maße bewiesen hast. Dein Mitgefühl und die Innigkeit Deines Mitempfindens haben mir außerordentlich wohlgetan und sollen dazu beitragen, das schwere Geschick, das uns bevorsteht, standhaft zu meistern. Die schönen Stunden gemeinsamer Zwiesprache sollen und werden mir immer in unverlierbarer, teurer Erinnerung bleiben. … Gruß und Kuß Dein Onkel Paul

Anna schreibt im Brief weiter:

bq. Es war einzig schön unser kurzes Zusammensein, es war so lieb und gütig von Dir Dich unseretwegen größeren Strapazen auszusetzen, es hat uns Halt und Mut gegeben, zu versuchen das unverdiente Geschick zu tragen und auf ein Wiedersehen zu hoffen. … Wir zehren nun noch von der Erinnerung. … In inniger Liebe grüßt Dich herzlich Tante Aennie

Nur wenige Tage nach der Abreise von Klaus, am Morgen des 09. Juli 1942, wurden Paul und Anna mit dem „18. Alterstransport“ vom Anhalter Bahnhof nach Theresienstadt deportiert. Der Transport kam dort am Abend des gleichen Tages an.

In Theresienstadt überlebten sie nur noch kurze Zeit. Anna starb bereits am 30. Juli 1942 mit 61 Jahren. Aus dem überlieferten Obduktionsbericht geht hervor, dass sie zuletzt in Q707, Zimmer 115 gelebt hat. Q707 stand für vormals Berggasse 7. Im heutigen Terezín hat das Gebäude, das noch steht, die Anschrift Prasżká 170. Wenn die im Obduktionsbericht angegebene Todesursache stimmt, ist Anna an einer Meningitis (Hirnhautentzündung) gestorben.

Paul überlebte nach dem Tod seiner Frau noch etwa einen Monat und starb am 28. August 1942 an Herzschwäche, wenn die angegebene Todesursache stimmt. Er wurde 67 Jahre alt. Als sein letztes Zimmer im Ghetto wird auf der Todesfallanzeige Q707-709, Zimmer 13 angegeben. Es muss sich dabei um das Doppelhaus Berggasse 7-9 handeln, heute Prasżká 170-171.

Für Paul und Anna Hannes und für die Familie ihrer Tochter Leni ist ein gemeinsamer Gedenkstein auf dem alten Teil des jüdischen Friedhofs in Dresden verlegt.

Recherchen und Text: Dr. Berthold Hannes
Quellen: Archiv Familie Hannes, Archiv des Jüdischen Museums Berlin, Opferdatenbank www.holocaust.cz, Zentrale Opferdatenbank Yad Vashem

Stolperstein Lina Rychwalski

Stolperstein Lina Rychwalski

HIER WOHNTE
LINA
RYCHWALSKI
JG. 1892
DEPORTIERT 1942
ERMORDET IN
RIGA

Lina Rychwalski, geboren am 07.07.1892 in Berlin, wohnte seit 1932 zusammen mit ihrem Vater, Louis Rychwalski, in der Sächsischen Straße. Nach dem Tod ihres Vaters zog sie Anfang 1940 in die Heilbronner Str. 22. Dies war ein Judenhaus, aus dem über 70 Menschen deportiert worden sind – auch Lina Rychwalski.
Sie war in dem Personenzug, der mit 1034 jüdischen Männern, Frauen und Kindern am 13. Januar 1942 den Bahnhof Berlin-Grunewald mit dem Ziel Riga verließ. Aus diesem „8. Osttransport“ haben 15 Menschen überlebt – Lina Rychwalski war nicht unter ihnen.

Rudolf Moritz Löwenstein - Sächsische Straße 48

HIER WOHNTE
DR. RUDOLF MORITZ
LÖWENSTEIN
JG. 1899
DEPORTIERT 26.2.1943
AUSCHWITZ
ERMORDET

Rudolf „Rudi“ Löwenstein wurde 1899 in Köln geboren, ging dort auf die Schule Kreuzgasse und hat etwa 1918 die Schule mit dem Abitur abgeschlossen. Ein Eintrag in der Schülerliste von 1910/11 verzeichnet ihn als Schüler der Quarta. Nach dem Abschluss studierte Rudolf Wirtschaftswissenschaften an der Universität Frankfurt am Main und wurde dort im Jahr 1922 mit einer Dissertation zum Thema „Kalkulationsgewinn und bilanzmässige Erfolgsrechnung in ihren gegenseitigen Beziehungen“ promoviert. Das ging noch schnell damals, aber die Wirtschaftswissenschaften waren ja auch gerade erst zu einem wissenschaftlichen Studienfach aufgewertet worden. Ein Exemplar der Dissertationsschrift ist in der Deutschen Nationalbibliothek vorhanden.
Das heutige Gymnasium Kreuzgasse, das es an anderem Standort in Köln immer noch gibt, wurde 1828 als erste städtische höhere Schule Kölns gegründet. Der erste Standort der Schule war in St. Alban, in einem Stadtteil, in dem viele jüdische Bürger wohnten. Schon von den Anfängen an wurde die Schule verstärkt von jüdischen Jungen besucht. Es ist bemerkenswert, dass die damalige höhere Bürgerschule im Februar 1858 als erste Schule in Köln Jüdische Religionslehre einführte. Der von Rabbiner Dr. Schwarz erteilte Religionsunterricht war für die damals 50 jüdischen Schüler der Kreuzgasse verpflichtend. Die katholischen und evangelischen Schüler erhielten Religionsunterricht entsprechend ihrer Konfession.

In den letzten Jahrzehnten hat das Gymnasium Kreuzgasse eine beeindruckende Kultur der Erinnerung an seine vielen jüdischen Schüler entwickelt. Für Rudi wurde ein Stolperstein vor seiner ehemaligen Schule im Jahr 2019 verlegt, für seinen jüngeren Bruder Wilhelm bereits im Jahr 2017. Insgesamt liegen dort bereits etwa 40 Stolpersteine.

Löwenstein, Ida Helene und Rudolf Moritz - Sächsische Straße 48

Rudolf Moritz und Ida Helene Löwenstein

Nach dem Studium ist Rudi Löwenstein nach Berlin gezogen, ist nicht bekannt. Bekannt ist ebenfalls nicht, wo und in welcher Funktion er gearbeitet hat. In Berlin heiratete er am 24. Mai 1933 Ida Helene „Leni“ Hannes im Standesamt Wilmersdorf. Leni war 1907 in Frankfurt geboren und lebte mit ihren Eltern Paul und Anna Hannes in der Waitzstraße 7 in Charlottenburg. Im Berliner Adressbuch von 1933 steht der Eintrag des Haushaltsvorstands Paul Hannes an dieser Adresse. Leni war Antiquarin. Wann und wo sie den Beruf erlernt hat und ob und wo sie in ihrem Beruf gearbeitet hatte ließ sich bisher nicht herausfinden.

Gemäß der Heiratsurkunde vom Mai 1933 lebte R. Löwenstein in Wilmersdorf in der Düsseldorfer Straße 35. 1933 ist sein Name im Adressbuch dort aber nicht zu finden, auch 1934 nicht. Wahrscheinlich wohnte er zur Untermiete.

Einige Zeit nach der Hochzeit zog das frischgebackene Ehepaar in die wunderschöne Schwendener Straße in Dahlem, Hausnummer 49. Die Villen dort sind beeindruckend. Im Adressbuch 1935 findet sich dort erstmals ein Eintrag – das heißt sie dürften dort kurz nach der Geburt ihrer ersten Tochter Ulla im Jahr 1934 hingezogen sein. Ihr Vermieter war ein Dr. Günther Heubel, Generaldirektor der Annahütte, in der Niederlausitz. Auch Lenis Eltern Paul und Anna wohnten dort im Haus, aber in einer eigenen Wohnung. Dieser Vermieter übrigens muss ein überzeugter Nationalsozialist gewesen sein. Er war einer der Teilnehmer des Treffen Hitlers mit Industriellen im Februar 1933, bei dem eine Wahlkampfhilfe von drei Millionen Reichsmark für die NSDAP beschlossen wurde und beging gegen Kriegsende bei Ankunft der russischen Soldaten Selbstmord.

Löwenstein, Ulla und Ruth - Sächsische Straße 48

Ulla und Ruth Löwenstein

Auch 1936 und 1937 wohnte die Familie in der Schwendener Straße. Hier dürfte auch ihre jüngste Tochter Ruth ihr erstes Lebensjahr verbracht haben.

Im Adressbuch 1938 findet sich dann aber eine neue Anschrift: Spechtstraße 16 in Dahlem. Auch das muss schon damals eine wunderschöne Gegend gewesen sein; viele der alten Villen stehen auch heute noch. Das Haus Nr. 16 ist aber inzwischen ein neugebautes Einfamilienhaus. Rudi und seine Familie wohnten wohl zur Miete, denn als dort ebenfalls wohnende Eigentümerin des Hauses ist eine Baronin Maria von der Osten-Sacken verzeichnet. Sie war zu Beginn der 1920er-Jahre in Deutschland unter ihrem Mädchennamen Maria Leeser eine sehr bekannte Tänzerin.

1939 oder 1940 gab es einen großen Umbruch in den Wohnverhältnissen der Familie Löwenstein. Ob dieser Umbruch wegen nachbarschaftlichen Feindseligkeiten, aus staatlicher Verfolgung, aus wirtschaftlichen Gründen oder aus einer Mischung von allem erfolgte, ist nicht bekannt. Ab 1940 jedenfalls ist Rudi Löwenstein nicht mehr als Haushaltsvorstand in den Berliner Adressbüchern zu finden. Bekannt ist, dass er ab dem 15. Dezember 1941 mit seiner vierköpfigen Familie zur Untermiete bei Lenis Eltern Paul und Anna Hannes in der Sächsischen Straße 48 wohnte. Die Eltern lebten schon seit April 1937 dort. Auch wenn dieses ein sehr schönes und großzügiges Haus ist; verglichen mit den Wohnverhältnissen der Familie in Berlin-Dahlem war das ein Abstieg, zurück in die Wohnung der Schwiegereltern zu ziehen.

Ostern 1940 war dann die Einschulung von Ulla. Die Einschulungskarte ist in den Arolsen Archives erhalten. Ab dem 1. April besuchte Ulla die 1. Klasse der jüdischen Volksschule Nr. 8. Die Schule war in der Joachimsthaler Straße 13, im Norden von Wilmersdorf, kurz vor dem Kurfürstendamm. Das Gebäude steht noch und beherbergt heute wieder jüdische Einrichtungen.

Dann ist auch der Name von Lenis Vater Paul nicht mehr als Haushaltsvorstand im Berliner Adressbuch zu finden. Er musste am 15. Mai 1942 mit seiner Frau Anna in beengte Verhältnisse, in eine Judenwohnung (vermutlich nur ein Zimmer), in der Dahlmannstraße 27 in Charlottenburg umziehen. Von dort aus wurden sie am 9. Juli 1942 nach Theresienstadt deportiert wurden und kamen bald darauf ums Leben.

Schon kurz vorher, am 30. März 1942, musste Rudi mit seiner Familie die Wohnung in der Sächsischen Straße 48 verlassen und in ein Judenhaus umziehen. Wir wissen, dass die letzte Unterkunft der Familie Löwenstein vor der Deportation in der Seesener Straße 50 in Wilmersdorf war. Unter dieser Adresse schrieb er am 31. Oktober 1942 einen Brief, an die Familie von Lenis Großcousins Berthold in Hamburg.

„Ihr Lieben,

heute bekommt Ihr einen richtigen Familienbrief, … Bei uns ist Gott sei Dank weiterhin alles unverändert… bietet die Arbeit in den letzten Wochen, es geht durchschnittlich alle 8-14 Tage ein Polentransport, keinen solch starken Schutz mehr wie bisher. Von Siemens scheint man aber die Leute weiterhin nur in besonders gelagerten Fällen wegzuholen, wann ein solcher Fall aber vorliegt, lässt sich nie mit Bestimmtheit sagen. …

Ich möchte Euch demnächst noch einige Sachen von persönlichem Wert senden, insbesondere unsere selbstaufgenommenen Kinofilme von unseren Kindern und unseren Reisen; sollten wir doch mal im Osten verschellen und nicht mehr wiederkommen, so bleiben sie wenigstens in der Familie und sollten wir durch ein Wunder davon verschont bleiben bzw. mal wieder in der Kulturwelt auftauchen, so möchten wir, wenn wir schon sonst nicht viel werden retten können, wenigstens solche rein persönlichen Erinnerungswerte mal wiedersehen. …

Wir werden, wenn wir es überleben, und wenn es mal soweit ist, natürlich alles tun, um die Verbindung mit Euch aufzunehmen. Ich nehme an, dass zur gegebenen Zeit Organisationen ins Leben gerufen werden, um die in vielen Fällen Verschollenen wieder aufzufinden. Es könnte aber auch sein, dass uns das aus irgendwelchen Gründen nicht möglich ist, z.B. Mangel an Mitteln, oder es könnte auch sein, dass zwar die Kinder es überleben, aber wir nicht. Aus diesem Grunde bitte ich Euch, auch von dort aus alsdann alles zu tun, um unseren oder unserer Kinder Aufenthaltsort ausfindig zu machen, und Euch gegebenenfalls soweit möglich unserer Kinder anzunehmen. …

Mehr Dispositionen, die man heute schon treffen könnte, fallen mir für den Augenblick nicht ein. Wenn ich auch hoffe, dass all diese Dispositionen sich mal als überflüssig erweisen, so möchte ich Euch doch bitten, dieses „Testament“ gut aufzubewahren. Jedenfalls danke ich Euch schon im Voraus für alle Mühen, die Ihr evtl. mal damit haben solltet.

Alles weitere überlasse ich Leni. Daher nur noch viele herzliche Grüsse für Euch alle

Euer Rudi”

Am 30. Januar 1943 war Rudi noch im Notariat Bruno Wertheim, um für Bertholds Sohn Klaus eine Generalvollmacht auszustellen. Aufgrund der Berufsangabe, die er dem Notar gegenüber machte, wissen wir, dass der Dr. rer. pol. Rudolf Löwenstein als Dreher bei Siemens arbeiten musste. In den Arolsen Archives ist als Eintrittsdatum bei den Siemens–Schuckert-Werken, einem für den Einsatz von Zwangsarbeitern berüchtigtem Unternehmen der Elektroindustrie, der 10. März 1942 als Maschinenarbeiter vermerkt. Der Fabrikstandort war an der Nonnendammallee in Spandau.

Bald danach, am 26. Februar 1943, wurde die ganze Familie Löwenstein vom Güterbahnhof Moabit mit dem sog. 30. Ost-Transport nach Ausschwitz deportiert. Zwischen 1942 und 1944 gingen die Deportationszüge vom Güterbahnhof Moabit ab, von den Gleisen 69, 81 und 82. Am Güterbahnhof Moabit gibt es seit einigen Jahren eine Gedenkstätte.

Zusammen mit 7 weiteren Bewohnern der Seesener Straße 50, 890 anderen jüdischen Menschen aus Berlin und 200 Menschen aus anderen Städten musste sich die Familie einen oder einige Tage zuvor vermutlich im Sammellager Große Hamburger Straße 26 einfinden. Dieses im ehemaligen jüdischen Altersheim eingerichtete Lager wurde in der Zeit von Juni 1942 bis März 1944 als Durchgangslager genutzt. In Auschwitz ist der Zug am 27. Februar 1943 – nach anderen Quellen am 28. Februar – angekommen. Dort verliert sich die Spur der Familie Löwenstein. Bekannt ist, dass bei der Ankunft des Zuges in Auschwitz von den rund 1100 Deportierten 156 Männer und 106 Frauen eine Häftlingsnummer erhielten, alle anderen Menschen sind sofort ermordet worden. Die kleine Ruth wird ihren 6. Geburtstag 3 Tage später nicht mehr erlebt haben.

Recherchen und Text:
Dr. Berthold Hannes

Quellen:
Archiv Familie Hannes, Arolsen Archives, Zentrale Opferdatenbank Yad Vashem, hagalil.com

Ida Helene Löwenstein - Sächsische Straße 48

HIER WOHNTE
IDA HELENE
LÖWENSTEIN
GEB. HANNES
JG. 1907
DEPORTIERT 26.2.1943
AUSCHWITZ
ERMORDET

Ulla Löwenstein - Sächsische Straße 48

HIER WOHNTE
ULLA
LÖWENSTEIN
JG. 1934
DEPORTIERT 26.2.1943
AUSCHWITZ
ERMORDET

Ruth Löwenstein - Sächsische Straße 48

HIER WOHNTE
RUTH
LÖWENSTEIN
JG. 1937
DEPORTIERT 26.2.1943
AUSCHWITZ
ERMORDET