Stolpersteine Wilhelmsaue 5

Wilhelmsaue 4-5a, 13.3.2013

Wilhelmsaue 4-5a, 13.3.2013

Diese Stolpersteine wurden am 29.11.2005 an der Wilhelmsaue 4/5/5a verlegt. Das einstige Haus mit der Nummer 5 steht nicht mehr.

Stolperstein für Ella Jacobowitz

Stolperstein für Ella Jacobowitz

HIER WOHNTE
ELLA JACOBOWITZ
GEB. HEFTER
JG. 1886
DEPORTIERT 1942
ERMORDET IN
AUSCHWITZ

Ella Jacobowitz, die eigentlich Esther Else hieß, kam am 7. August 1886 als Tochter des jüdischen Kaufmanns Mendel Hefter (ca.1858–1923) und seiner Frau Adele (Eidel), geb. Friedmann (1857–1930) in Berlin auf die Welt . Ihre Eltern stammten aus Jarosław (heute in Polen). Der Ort lag in Galizien, in einem Gebiet, das abwechselnd russisch, polnisch oder österreich-ungarisch war, und in dem Polen, Ukrainer und viele Juden lebten und in dem eine ganz besondere Kultur entstanden war.
Im Jahr ihrer Geburt wohnten die Eltern in der Amalienstraße in Berlin-Mitte, nicht weit entfernt von der Linien- und Hirtenstraße im Viertel der zugewanderten „Ostjuden“. Ellas älterer Bruder Jacob war 1883 dort auf die Welt gekommen, die Schwester Deborah (genannt Dora) wurde 1887 in der Straßburgerstraße, die Schwester Martha 1894 in der Linienstraße geboren. Um 1900 lebte die Familie in der Mendelssohnstraße, dann in der Meyerbeerstraße. Der Wohnungswechsel gehörte zu Ellas Kindheit. Die Nachbarn waren Händler und Handwerker, die „Fabriken“ lagen auf einer einzigen Etage. Auch Vater Mendel Hefter bezeichnete sich bald als „Fabrikant“. Er besaß mit einem Kompagnon und dann allein eine der damaligen Damenmode entsprechende „Taillenverschluss- und Stahlstäbefabrik“. Später, als die Frauen sich vom Korsett befreit hatten, sollte er anderes produzieren. Das Geschäft muss gut gegangen sein. Die Familie zog noch vor dem Ersten Weltkrieg in die Eisenzahnstraße in der Nähe des Kurfürstendamms, und die Eltern sollten dort bis zu ihrem Tod mit den unverheirateten, aber berufstätigen Schwestern bleiben.
Auch Ella Hefter war seit ihrer Jugend berufstätig, arbeitete als Damenschneiderin und nach Jahren in der Konfektion in leitender Position als Direktrice. Sie besaß nach der Erinnerung ihrer Schwester Martha bereits vor der Ehe eine eigene „Werkstätte für feine Damenröcke“ mit angestellten Näherinnen, Zuschneidern und Büglern.
Am 3. Juni 1920 heiratete Ella Hefter den 1881 in Berlin geborenen staatenlosen Kaufmann Ludwig Jacobowitz. Ihr Ehemann stammte aus einer großen Familie, die seit 1914 in der Heinersdorferstraße 26 (ab 1925 Heinrich-Roller-Straße) in Berlin-Mitte lebte. Seine Mutter Ernestine (1854–1919) war kurz vor der Eheschließung ihres Sohnes gestorben, sein 1849 geborener Vater Moritz Jacobowitz (zuerst Kürschner, dann Kaufmann) starb 1924 in der Heinersdorferstraße.
Ehemann Ludwig Jakobowitz besaß mit seinem Schwager Jacob Hefter (1883–1955) die Firma „Hefter & Jacobowitz“, eine „Kostümrockfabrik“ in der Spandauer Straße 19. Nicht weit davon befand sich das bekannte Kaufhaus von Nathan Israel.

Die Ehe von Ella und Ludwig Jacobowitz blieb kinderlos. Das Ehepaar scheint anfangs ohne eigenen Haushalt gewesen zu sein. Ende der 1920er-Jahre wohnte es in einem Neubau in der Koblenzer Straße 14. Im Jahr 1929 verließ Ellas Bruder Jacob Hefter Berlin und zog mit seiner Ehefrau Hildegard, geb. Kaufmann, und der gemeinsamen Tochter Ursula nach Bochum im Ruhrgebiet und von dort später in das nicht weit entfernte Hattingen, wo er das Bekleidungsgeschäft seines Schwiegervaters übernahm.
Aus der gemeinsamen „Fabrik“ wurde zusätzlich ein Großhandel. Ludwig Jacobowitz besuchte die Kunden, Ella Jacobowitz arbeitete in ihrem erlernten Metier. Das Geschäft „florierte“, und Mitte der 1930er-Jahre zog das Ehepaar in eine 4-Zimmer-Wohnung in der Kaiserallee 48 (heute Bundesallee). Die Wohnung mit Esszimmer und Herrenzimmer war dem guten Einkommen entsprechend eingerichtet.
Nach dem Beginn der NS-Diktatur wurde die Familie von Ella Jacobowitz noch kleiner: Ihre Schwester Martha verließ ebenfalls Berlin, zog 1935 nach Leipzig und emigrierte von dort 1939 nach Großbritannien. In demselben Jahr floh Bruder Jacob (nun Jacques) Hefter mit seiner Familie über die Niederlande nach Kolumbien und später in die USA.
Seit 1938 arbeitete Ella Jacobowitz in der Wohnung Kaiserallee 48 und ihr Ehemann weiterhin als Vertreter. Ihre Schwester Deborah (Dora), die nach Martha Hefters Erinnerung zuletzt Krankenschwester, aber eigentlich Buchhalterin war, wohnte 1939 für kurze Zeit ebenfalls in dieser Wohnung. Dann wird sie auf der Meldekarte des Polizeireviers als „unbekannt verzogen“ notiert. Sie könnte nach Dresden gegangen sein und später nach Berlin zurückgekehrt.
Der Ehemann von Ella Jacobowitz hatte drei unverheiratete Geschwister: Martin (*1877), Julius (*1887) und Jenny (*1891). Sie wohnten seit 1935 in einer 3-Zimmer-Wohnung im dritten Stock der Wilhelmsaue 5 in Berlin-Wilmersdorf. Nach den Notierungen im Berliner Adressbuch war Martin Jacobowitz der Haushaltsvorstand, sprich Hauptmieter, 1938/39 gefolgt von seinem Bruder Julius. Martin Jacobowitz starb 1941 im Jüdischen Krankenhaus.
1939 wohnte in der Wohnung eine Untermieterin, die nicht zur Familie gehörte: Anna Michalowski (1869–1943). Sie wurde am 20.August 1942 aus der Helmstedter Straße 23 nach Theresienstadt deportiert und kam dort 1943 um. – Im März 1942 zogen Ella und Ludwig Jacobowitz aus der Kaiserallee als Untermieter in ein möbliertes Zimmer in der Wilhelmsaue 5. Dies könnte das Zimmer von Anna Michalowski gewesen sein.
Am 9. Dezember 1942 wurden Ella Jacobowitz, ihr Ehemann Ludwig, Schwager Julius und Schwägerin Jenny Jacobowitz mit dem „24. Osttransport“ nach Auschwitz deportiert und dort ermordet. Ellas Schwester Deborah (Dora) Hefter lebte nur wenig länger: Am 24. August 1943 wurde auch sie aus ihrer letzten Unterkunft in der Prinzregentenstraße nach Auschwitz verschleppt und getötet.

Quellen:
Arolsen Archives
Berliner Adressbücher
Berliner Telefonbücher
Brandenburgisches Landeshauptarchiv
Gedenkbuch Bundesarchiv
Alfred Gottwaldt/Diana Schulle: Die „Judendeportationen“ aus dem Deutschen Reich, Wiesbaden 2005
LABO Entschädigungsbehörde
Landesarchiv Berlin, WGA
Landesarchiv Berlin, Personenstandsunterlagen/über ancestry
https://www.mappingthelives.org/
https://www.geni.com/people/
https://www.juedische-gemeinden.de
https://www.statistik-des-holocaust.de/
https://www.waz.de/staedte/hattingen/wie-ursula-winter-die-pogromnacht-erlebte-waz.de

Stolperstein für Jenny Jacobowitz

Stolperstein für Jenny Jacobowitz

HIER WOHNTE
JENNY
JACOBOWITZ
JG. 1891
DEPORTIERT 1942
ERMORDET IN
AUSCHWITZ

Jenny Jacobowitz kam am 26. Juni 1891 als das jüngste Kind von Moritz (1849–1924) und Ernestine Jacobowitz, geb. Gleiwitzer (1854–1919) in Berlin auf die Welt. Ihr Vater stammte aus dem Ort Tomaszów in Galizien, der um 1850 russisch war. In Galizien, das abwechselnd russisch, polnisch oder österreich-ungarisch war, lebten Polen, Ukrainer und viele Juden und andere Minderheiten. Moritz Jacobowitz arbeitete anfangs als Kürschner und wurde dann Kaufmann. Mit seiner Ehefrau Ernestine hatte er zehn (oder mehr) Kinder, die zwischen 1877 und 1891 geboren wurden und von denen einige nur einen einzigen Tag gelebt haben: Martin *1877, Hannchen *1879, Ludwig *1881, Clara *1883, Willy *1884, Siegfried *1885, Julius *1887, Arthur *1888, Frida *1889 und Jenny *1891. (Willy, Arthur und Frida starben nach/am ersten Lebenstag, Siegfried wurde nicht ganz ein Jahr alt.)

Die Familie Jacobowitz zog immer wieder um. Die Straßen lagen nicht weit voneinander entfernt in Berlin-Mitte und Prenzlauer Berg. Im Geburtsjahr von Jenny Jacobowitz wohnten die Eltern in der Wolliner Straße 4 in Berlin-Mitte. Sie wuchs wie ihre Geschwister zwischen Arbeitern, kleinen Händlern und Handwerkern auf, unter denen viele jüdische Zuwanderer ohne deutschen Pass waren. Jenny sollte später einen Fremdenpass besitzen, „staatenlos“ sein.
Erwachsen geworden wohnten die Kinder von Moritz und Ernestine Jacobowitz weiterhin bei den Eltern. 1909 heiratete Jennys Schwester Hannchen, die Schneiderin geworden war, den evangelischen Maurermeister und Architekten (Bautechniker) Erich Tritt (1881–1939) und „verließ“ die Familie.

Seit 1914 lebten die Eltern mit den noch ledigen Kindern in der Heinersdorfer Straße 26 im Viertel Prenzlauer Berg (seit 1925 Heinrich-Roller-Straße). Das Wohnhaus lag (und liegt) gegenüber einem Friedhof – heute ist dieser Teil der Begräbnisstätte umgewidmet und der „Leise-Park“. 1919 starben hier die Mutter Ernestine Jacobowitz, 1924 der Vater Moritz Jacobowitz.

1920 heiratete ihr Bruder Ludwig Jacobowitz die 1886 geborene selbstständige Schneiderin Ella Hefter. Mit seinem Schwager besaß er die Firma „Hefter & Jacobowitz“, eine „Kostümrockfabrik“.
1934 starben die beiden Schwestern von Jenny Jacobowitz: Die ebenfalls unverheiratete Clara Jacobowitz und die verheiratete Schwester Hannchen Tritt starben im Jüdischen Krankenhaus.
1935 zogen Martin, Julius und Jenny Jacobowitz in eine Drei-Zimmer-Wohnung im dritten Stock des Hauses Wilhelmsaue 5 in Berlin-Wilmersdorf. Eigentümer des Hauses war der jüdische Arzt Dr. med. Jacob (Hans) Horwitz (1876–1951). Er gehörte nicht zu den Mieter:innen des großen Hauses an der Ecke Wilhelmsaue und Gerdauer Straße. 1938 verlor der Arzt seine Kassenzulassung, im April 1939 emigrierte er mit Frau und Kind nach Argentinien. Neuer Eigentümer war laut Berliner Adressbuch von 1941 die Alster Grundstücksverwaltungs GmbH.

Die ledigen Geschwister haben kaum Spuren hinterlassen: Nach den Notierungen im Berliner Adressbuch war der ältere Martin Jacobowitz, ein „Bücherrevisor“, der Haushaltsvorstand, 1938/39 gefolgt von seinem Bruder Julius. Julius Jacobowitz war als „Architekt“, als „Innenarchitekt“ und einfach als „Angestellter“ eingetragen. Zuletzt musste er als Zwangsarbeiter in einer Gepäckabfertigung der Deutschen Reichsbahn arbeiten. Was tat Jenny Jacobowitz?
Ihr Bruder Martin starb 1941 an einer Herzkrankheit im Jüdischen Krankenhaus. Im März 1942 mussten der Bruder Ludwig Jacobowitz und dessen Ehefrau Ella als Untermieter in ein möbliertes Zimmer in der Wilhelmsaue 5 ziehen. Dort wohnten sie aber nur kurze Zeit:

Am 9. Dezember 1942 wurden die Geschwister Julius und Jenny Jacobowitz sowie das Ehepaar Ludwig und Ella Jacobowitz mit dem 24. Osttransport nach Auschwitz deportiert und dort ermordet.

Quellen:
Arolsen Archives
Berliner Adressbücher
Berliner Telefonbücher
Brandenburgisches Landeshauptarchiv
Gedenkbuch Bundesarchiv
Alfred Gottwaldt/Diana Schulle: Die „Judendeportationen“ aus dem Deutschen Reich, Wiesbaden 2005
LABO Entschädigungsbehörde
Landesarchiv Berlin, WGA
Landesarchiv Berlin, Personenstandsunterlagen/über ancestry
Rebecca Schwoch (Hrsg.): Berliner jüdische Kassenärzte und ihr Schicksal .im Nationalsozialismus, Ein Gedenkbuch, Berlin 2009.
https://www.mappingthelives.org/
https://www.geni.com/people/
https://www.juedische-gemeinden.de
https://www.statistik-des-holocaust.de/
Vorrecherchen aus dem Nachlass von Wolfgang Knoll

Stolperstein für Ludwig Jacobowitz

Stolperstein für Ludwig Jacobowitz

HIER WOHNTE
LUDWIG
JACOBOWITZ
JG. 1881
DEPORTIERT 1942
ERMORDET IN
AUSCHWITZ

Ludwig Jacobowitz kam am 20. Juni 1881 als Sohn von Moritz (1849–1924) und Ernestine Jacobowitz, geb. Gleiwitzer (1854–1919) in Berlin auf die Welt. Sein Vater stammte aus dem Ort Tomaszów in Galizien, der um 1850 russisch war. In Galizien, das abwechselnd russisch, polnisch oder österreich-ungarisch war, lebten Polen, Ukrainer und viele Juden und andere Minderheiten. Die ganz besondere Lebenswelt und Kultur dieser Gegend findet sich nur noch in der Literatur. Moritz Jacobowitz arbeitete anfangs als Kürschner und wurde dann Kaufmann. Mit seiner Ehefrau Ernestine hatte er zehn (oder mehr) Kinder, die zwischen 1877 und 1891 geboren wurden und von denen einige nur einen einzigen Tag gelebt haben. Ludwig wuchs mit den älteren Geschwistern Martin (*1877) und Hannchen (*1879) sowie Clara (*1883 ), Julius (*1887) und Jenny (*1891) auf.

Im Geburtsjahr von Ludwig Jacobowitz wohnten die Eltern in der Strelitzer Straße in Berlin-Mitte. Dann zog die Familie Jacobowitz immer wieder um, wohnte in der Anklamer Straße, in der Zionskirchstraße, der Wolliner Straße und der Choriner Straße. Die Straßen lagen nicht weit voneinander entfernt in Berlin-Mitte und Prenzlauer Berg. Ludwig Jacobowitz und seine Geschwister wuchsen zwischen Arbeitern, kleinen Händlern und Handwerkern auf, unter denen viele jüdische Zuwanderer waren. Wie viele der zugewanderten Ostjuden war er „staatenlos“.
Die erwachsen gewordenen Kinder von Moritz und Ernestine Jacobowitz wohnten weiterhin bei den Eltern. 1909 heiratete Ludwigs ältere Schwester Hannchen, die Schneiderin geworden war, den evangelischen Maurermeister und Architekten (Bautechniker) Erich Tritt (1881–1939), Trauzeuge war Ludwig. Ab 1914 lebten die Eltern mit den ledigen Söhnen in der Heinersdorfer Straße 26 im Viertel Prenzlauer Berg. Das Wohnhaus lag gegenüber einem Friedhof, heute ist dieser Teil der Begräbnisstätte umgewidmet und der „Leise-Park“. 1919 starb hier die Mutter von Ludwig Jacobowitz, 1924 sein Vater.
Am 3. Juni 1920 heiratete Ludwig Jacobowitz die 1886 ebenfalls in Berlin geborene selbstständige Schneiderin Ella Hefter. Sie stammte aus einem ähnlichen Milieu. Ludwig Jacobowitz besaß mit seinem Schwager Jacob Hefter (1883–1955) die Firma „Hefter & Jacobowitz“, eine „Kostümrockfabrik“ in der Spandauer Straße 19. Nicht weit davon befand sich das bekannte Kaufhaus von Nathan Israel.

Die Ehe von Ella und Ludwig Jacobowitz blieb kinderlos. Das Ehepaar scheint anfangs ohne eigenen Haushalt gewesen zu sein. Ende der 1920er-Jahre wohnte es in einem Neubau in der Koblenzer Straße 14. Als der Schwager Jacob Hefter Berlin verließ, wurde aus der gemeinsamen „Fabrik“ zusätzlich ein Großhandel. Ludwig Jacobowitz besuchte die Kunden, Ella Jacobowitz arbeitete in ihrem erlernten Metier. Das Geschäft „florierte“, und Mitte der 1930er-Jahre zogen Ludwig und Ella Jacobowitz in eine 4-Zimmer-Wohnung in der Kaiserallee 48 (heute Bundesallee). Die Wohnung mit Esszimmer und Herrenzimmer war dem guten Einkommen entsprechend eingerichtet. Seit 1938 arbeitete Ella Jacobowitz in der Wohnung Kaiserallee 48 und ihr Ehemann weiterhin als Vertreter. Ihre Schwester Deborah (Dora), die nach der Erinnerung ihrer Schwester Martha Hefter zuletzt Krankenschwester, aber eigentlich Buchhalterin war, wohnte 1939 für kurze Zeit ebenfalls in dieser Wohnung. Dann wird sie auf der Meldekarte des Polizeireviers als „unbekannt verzogen“ notiert.
1934 starben die unverheiratete Schwester Clara Jacobowitz und die verheiratete Schwester Hannchen Tritt im Jüdischen Krankenhaus.
Die unverheirateten Brüder von Ludwig Jacobowitz zogen 1935 nach 20 Jahren in Prenzlauer Berg in eine 3-Zimmer-Wohnung im dritten Stock des Hauses Wilhelmsaue 5 in Berlin-Wilmersdorf. Nach den Notierungen im Berliner Adressbuch war Martin Jacobowitz der Haushaltsvorstand, 1938/39 gefolgt von seinem Bruder Julius. Bruder Martin Jacobowitz starb 1941 an einer Herzkrankheit im Jüdischen Krankenhaus.
Im März 1942 zogen Ludwig und Ella Jacobowitz aus der Kaiserallee als Untermieter in ein möbliertes Zimmer in der Wilhelmsaue 5. Dort wohnten sie nur kurze Zeit:
Am 9. Dezember 1942 wurden Ludwig Jacobowitz, seine Ehefrau Ella sowie seine Geschwister Julius und Jenny Jacobowitz mit dem „24. Osttransport“ nach Auschwitz deportiert und dort ermordet. Ludwigs Schwägerin Deborah (Dora) Hefter lebte nur wenig länger: Am 24. August 1943 wurde auch sie aus ihrer letzten Unterkunft von Berlin nach Auschwitz verschleppt und getötet.

Quellen:
Arolsen Archives
Berliner Adressbücher
Berliner Telefonbücher
Brandenburgisches Landeshauptarchiv
Gedenkbuch Bundesarchiv
Alfred Gottwaldt/Diana Schulle: Die „Judendeportationen“ aus dem Deutschen Reich, Wiesbaden 2005
LABO Entschädigungsbehörde
Landesarchiv Berlin, WGA
Landesarchiv Berlin, Personenstandsunterlagen/über ancestry
https://www.mappingthelives.org/
https://www.geni.com/people/
https://www.juedische-gemeinden.de
https://www.statistik-des-holocaust.de/
https://www.waz.de/staedte/hattingen/wie-ursula-winter-die-pogromnacht-erlebte-waz.de
Dresden
Vorrecherchen aus dem Nachlass von Wolfgang Knoll

Stolperstein für Julius Jacobowitz

Stolperstein für Julius Jacobowitz

HIER WOHNTE
JULIUS
JACOBOWITZ
JG. 1887
DEPORTIERT 1942
ERMORDET IN
AUSCHWITZ

Julius Jacobowitz kam am 2. April 1887 als Sohn von Moritz (1849–1924) und Ernestine Jacobowitz, geb. Gleiwitzer (1854–1919), in Berlin auf die Welt. Sein Vater stammte aus dem Ort Tomaszów in Galizien, der um 1850 russisch war. In Galizien, das abwechselnd russisch, polnisch oder österreich-ungarisch war, lebten Polen, Ukrainer und viele Juden und andere Minderheiten. Moritz Jacobowitz arbeitete anfangs als Kürschner und wurde dann Kaufmann. Mit seiner Ehefrau Ernestine hatte er zehn (oder mehr) Kinder, die zwischen 1877 und 1891 geboren wurden und von denen einige nur einen einzigen Tag gelebt haben: Martin *1877, Hannchen *1879, Ludwig *1881, Clara *1883, Willy *1884, Siegfried *1885, Julius *1887, Arthur *1888, Frida *1889 und Jenny *1891. (Willy, Arthur und Frida starben nach/am ersten Lebenstag, Siegfried wurde nicht ganz ein Jahr alt.)

Die Familie Jacobowitz zog immer wieder um. Die Straßen lagen nicht weit voneinander entfernt in Berlin-Mitte und Prenzlauer Berg. Im Geburtsjahr von Julius Jacobowitz wohnten die Eltern in der Griebenowstraße 18 in Berlin-Mitte, nicht weit vom Zionskirchplatz. Julius Jacobowitz und seine Geschwister wuchsen zwischen Arbeitern, kleinen Händlern und Handwerkern auf, unter denen viele jüdische Zuwanderer ohne deutschen Pass waren. Im Unterschied zu seinen Geschwistern scheint Julius aber nicht „staatenlos“ gewesen zu sein.

Die erwachsen gewordenen Kinder von Moritz und Ernestine Jacobowitz wohnten weiterhin bei den Eltern. 1909 heiratete seine Schwester Hannchen, eine Schneiderin, den evangelischen Maurermeister und Architekten (Bautechniker) Erich Tritt (1881–1939) und „verließ“ die Familie.
Seit 1914 lebten die Eltern mit den ledigen Kindern in der Heinersdorfer Straße 26 im Viertel Prenzlauer Berg (seit 1925 Heinrich-Roller-Straße). Das Wohnhaus lag (und liegt) gegenüber einem Friedhof, heute ist dieser Teil der Begräbnisstätte umgewidmet und der „Leise-Park“.

1919 starben hier die Mutter Ernestine Jacobowitz, 1924 der Vater Moritz Jacobowitz.
1920 heiratete der Bruder Ludwig Jacobowitz die 1886 geborene selbstständige Schneiderin Ella Hefter. Mit deren Bruder besaß er die Firma „Hefter & Jacobowitz“, eine „Kostümrockfabrik“.
1934 verlor Julius Jacobowitz zwei seiner Schwestern: Die unverheiratete Clara Jacobowitz und die verheiratete Schwester Hannchen Tritt starben im Jüdischen Krankenhaus.
1935 zogen Julius Jacobowitz und seine ebenfalls ledigen Geschwister Martin und Jenny Jacobowitz in eine Drei-Zimmer-Wohnung im dritten Stock des Hauses Wilhelmsaue 5 in Berlin-Wilmersdorf. Eigentümer des Hauses war der jüdische Arzt Dr. med. Jacob (Hans) Horwitz (1876–1951). Er gehörte nicht zu den Mieter:innen des großen Hauses an der Ecke Wilhelmsaue und Gerdauer Straße. 1938 verlor der Arzt seine Kassenzulassung, im April 1939 emigrierte er mit Frau und Kind nach Argentinien. Neuer Eigentümer war laut Berliner Adressbuch von 1941 die Alster Grundstücksverwaltungs GmbH.
Die ledigen Geschwister haben kaum Spuren hinterlassen: Nach den Notierungen im Berliner Adressbuch war der ältere Martin Jacobowitz, ein „Bücherrevisor“, der Haushaltsvorstand, 1938/39 gefolgt von seinem Bruder Julius.
Julius Jacobowitz war als „Architekt“, als „Innenarchitekt“ und einfach als „Angestellter“ eingetragen. Wo und wie er beschäftigt war, bleibt unklar.

Zuletzt musste Julius Jacobowitz als Zwangsarbeiter in einer Gepäckabfertigung der Deutschen Reichsbahn arbeiten. Sein Bruder Martin Jacobowitz starb 1941 an einer Herzkrankheit im Jüdischen Krankenhaus. Im März 1942 mussten der Bruder Ludwig Jacobowitz und dessen Ehefrau Ella als Untermieter in ein möbliertes Zimmer in der Wilhelmsaue 5 ziehen. Dort wohnten sie aber nur kurze Zeit:

Am 9. Dezember 1942 wurden die Geschwister Julius und Jenny Jacobowitz sowie das Ehepaar Ludwig und Ella Jacobowitz mit dem 24. Osttransport nach Auschwitz deportiert und dort ermordet.

Quellen:
Arolsen Archives
Berliner Adressbücher
Berliner Telefonbücher
Brandenburgisches Landeshauptarchiv
Gedenkbuch Bundesarchiv
Alfred Gottwaldt/Diana Schulle: Die „Judendeportationen“ aus dem Deutschen Reich, Wiesbaden 2005
LABO Entschädigungsbehörde
Landesarchiv Berlin, WGA
Landesarchiv Berlin, Personenstandsunterlagen/über ancestry
Rebecca Schwoch (Hrsg.): Berliner jüdische Kassenärzte und ihr Schicksal .im Nationalsozialismus, Ein Gedenkbuch, Berlin 2009.
https://www.mappingthelives.org/
https://www.geni.com/people/
https://www.juedische-gemeinden.de
https://www.statistik-des-holocaust.de/
Vorrecherchen aus dem Nachlass von Wolfgang Knoll

Stolperstein für Hedwig Nathan

Stolperstein für Hedwig Nathan

HIER WOHNTE
HEDWIG NATHAN
JG. 1870
DEPORTIERT 1941
LODZ
ERMORDET 1.2.1943
THERESIENSTADT

Hedwig Nathan kam am 18. März 1870 in New York als eine von fünf Töchtern deutscher Eltern auf die Welt . Ihr Vater Heimann Nathan (1825–1887), Sohn eines Rabbiners aus der Provinz Posen, und ihre Mutter Fanny, geb. Bernstein (1844–1920), waren ungefähr 1864 aus Berlin in die Vereinigten Staaten gegangen. In Berlin hatte ihr Vater bei einem Onkel seiner Ehefrau gearbeitet, in New York besaß er ein gut gehendes Spirituosengeschäft. Dort wurden auch die vier Schwestern von Hedwig Nathan geboren: Caroline, Lina genannt (*1864), July (*1866), Johanna (*1868) und Sidonie, Toni genannt (*1873). Kurz nach Sidonies Geburt verlor Heimann Nathan durch einen Betrüger seine Firma und kehrte verarmt mit Ehefrau und fünf kleinen Kindern nach Berlin zurück. Hier fand er einen Arbeitsplatz als Gemeindebeamter bei der Jüdischen Gemeinde. Er verdiente wenig und die Familie zog oft um. Mitte der 1880er-Jahre lebte sie in einer kleinen Wohnung im 4. Stock des Hauses Chorinerstraße 81, einem gerade fertig gestellten Haus zwischen Torstraße und Rosenthaler Platz. Dort trafen sich Freunde und Bekannte der Familie: Hedwig Nathans Mutter Fanny war eine Schwester von Eduard Bernstein (1850–1932), dem sozialdemokratischen Politiker und Theoretiker. Diese Verwandtschaft und enge Verbundenheit prägte das Leben der ganzen Familie Nathan: Sie gehörte zu einem kommunalpolitisch und sozialreformerisch tätigen Berliner Milieu, Männer und Frauen waren miteinander verwandt, befreundet und/oder verheiratet – oftmals auch gemeinsam Mitglieder der SPD.
Der spätere Ehemann einer der Schwestern Nathan erinnerte sich, dass diese „… trotz der äußerst beschränkten Mittel eine treffliche Erziehung bekamen“. Die Eltern sorgten für eine gute Schulbildung aller Töchter: Hedwig Nathan wurde Buchhalterin, ebenso Caroline/Lina (die später Medizin studieren sollte) und Sidonie/Toni. July wurde Lehrerin und Johanna arbeitete als Direktrice.
Zwei von Hedwigs Schwestern sollten bekannte sozialdemokratische Ärzte heiraten: July heiratete Dr. med. Ignaz Zadek senior (1858–1931), Arzt in Neukölln, Stadtverordneter der SPD, Gründer des Sozialistischen Ärztevereins Berlin, und Sidonie/Toni den Arzt Dr.med. Raphael Silberstein (1873–1926), ebenfalls Arzt in Neukölln, engagiert in der kommunalen Gesundheitspolitik Berlins.
Der in ganz Deutschland bekannte Onkel Eduard Bernstein und die vor allem in Berlin bekannten sozialistischen Ärzte Zadek und Silberstein ließen Mutter und Schwestern „sichtbar“ werden, Hedwig Nathan führte dagegen ein (bis jetzt) unsichtbares Leben. Aber ihre Umgebung lässt ahnen wie auch ihr Leben ausgesehen hat.
Zwei Jahre nach dem Tod ihres Ehemannes zog Hedwig Nathans Mutter mit ihren Töchtern in die Ohmgasse 5 (heute Ohmstraße). 1892 heiratete July und zog fort. 1894 starb Hedwigs Schwester Caroline/Lina, die in Zürich Medizin studiert und gerade mit ihrer Doktorarbeit begonnen hatte, in der Ohmgasse 5 an Tuberkulose. Hedwig Nathan meldete den Tod der jüngeren Schwester dem Standesamt. Sie arbeitete als Buchhalterin, aber sie wird sicherlich bei der Pflege geholfen haben. Mutter und Töchter zogen wiederum um. 1899 heiratete auch Sidonie/Toni und 1905 schließlich die Schwester Johanna. Diese heiratete den Kaufmann und Handelsvertreter Max Reimer (1871–1939). Die Mutter lebte nun in der Josephstraße 1, einer heute überbauten Straße westlich vom Michaelkirchplatz. Während des Ersten Weltkriegs zog sie nach Lichterfelde und lebte dort nach Kriegsende bei Tochter Johanna und deren Mann Max Reimer in der Ringstraße. 1919 starb Hedwigs Schwester Johanna ebenfalls an Tuberkulose. 1920 starb auch Hedwigs Mutter. – Die Todesanzeige im Berliner Tageblatt unterzeichnete Hedwig Nathan als „Hetty Nathan“.
„Hedwig“ scheint sie niemand genannt zu haben, einige Jahre später versandte ihre Nichte Lilli Zadek (1893–1969) aus Palästina, wohin sie als sozialistische Zionistin ausgewandert war, in einem Brief an die Eltern Grüße an „Tante Hette“.
Mitte der 1920er-Jahre scheint Hedwig Nathan für eine kurze Zeit allein in der Petersburger Straße im Bezirk Friedrichshain gelebt zu haben – danach fehlt sie wieder in den Berliner Adressbüchern.
Seit 1928 arbeitete Hedwig Nathan nicht mehr.
1926 war ihr Schwager Raphael Silberstein gestorben, ihre Schwester Sidonie/Toni lebte weiter in der alten Wohnung in Neukölln. 1931 starb auch der Schwager Ignaz Zadek sen.
Die drei am Leben gebliebenen Schwestern hielten weiterhin engen Kontakt. Aber: July Zadek emigrierte bereits 1933 über die Schweiz zu ihrer Tochter Lilli nach Palästina. Sidonie/Toni Silberstein zog 1936 in eine 3-Zimmer-Wohnung mit Mädchenzimmer, warmen Wasser und Balkon im ersten Stock des Vorderhauses der Wilhelmsaue 5. Sie teilte sich die Wohnung mit Hedwig Nathan. 1938 emigrierte auch Sidonie/Toni, und Hedwig Nathan übernahm die Wohnung.
Hedwig Nathan blieb als einzige der drei Schwestern in Berlin. 1939 starb auch ihr Schwager Max Reimer.
Hedwig Nathan musste jüdische Untermieter in die Wohnung nehmen: das Ehepaar Emil und Eleonore Gruner (eine „privilegierte Mischehe“) und die alleinstehende, aber verheiratete (geschiedene?) Elise Schwenk, geb. Fraenkel (1898–1943 Auschwitz).

Am 23. September 1942 wurde Hedwig Nathan über das Sammellager Große Hamburger Straße nach Theresienstadt deportiert. Es war einer der „kleinen Transporte“ mit 100 Menschen in zwei Waggons der 3. Klasse, angehängt an den fahrplanmäßigen Zug um 6.07 Uhr vom Anhalter Bahnhof Richtung Dresden-Prag. Hedwig Nathan kam am 1. Februar 1943 in Theresienstadt um.

Quellen:
Arolsen Archives
Berliner Adressbücher
Berliner Telefonbücher
Eduard Bernsteins Briefwechsel mit Karl Kautsky (1895 – 1905), eingeleitet und herausgegeben von Till Schelz-Brandenburg unter Mitarbeit von Susanne Thurn, Frankfurt/Main 2003
Brandenburgisches Landeshauptarchiv
Gedenkbuch Bundesarchiv
Alfred Gottwaldt/Diana Schulle: Die „Judendeportationen“ aus dem Deutschen Reich, Wiesbaden 2005
Landesarchiv Berlin, Personenstandsunterlagen/über ancestry
Florian Tennstedt: Arbeiterbewegung und Familiengeschichte bei Eduard Bernstein und Ignaz Zadek. In. IWK: Internationale wissenschaftliche Korrespondenz zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung. 18(1982), 451-481
Dr. Ignaz Zadek sen.: Aufzeichnungen aus der Jugendzeit, Berlin 1931 (Leo Baeck Institut Archives LBI Memoir Collection ME 701)
Walter and Lilli Zadek Collection, 1920–1933 (Leo Baeck Institut Archives AR 5000)
https://www.mappingthelives.org/
https://www.geni.com/people/
https://www.juedische-gemeinden.de
https://www.statistik-des-holocaust.de/
Vorrecherchen aus dem Nachlass von Wolfgang Knoll

Stolperstein für Rosalie Treister

Stolperstein für Rosalie Treister

HIER WOHNTE
ROSALIE TREISTER
GEB. RYPLOWIAK
JG. 1877
DEPORTIERT 1942
THERESIENSTADT
ERMORDET IN
TREBLINKA

Rosalie Treister, die Rosa genannt wurde, kam am 15. April 1877 in Berlin als Tochter des Kürschners und Mützenmachers Wolf Rücklowitz (gestorben 1931) und seiner Ehefrau Lina, geb. Rothstein (ca.1842–1907), auf die Welt.
Ihre Eltern gehörten zu den bereits in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts nach Berlin gekommmenen „Ostjuden“ aus Polen und Russland, die oftmals vor Pogromen geflohen waren. Ihr Geburtsname „Rücklowitz“ findet sich in den Adressbüchern und auf den vorhandenen Urkunden in vielen Schreibweisen (als Ryklowycz, Riklowitz, Raecklowitz, Rykliowicz und so fort ) – falsch oder ohne Interesse gefragt, später falsch gelesen und weitergegeben und auch von den Verwandten geändert. – Ihr Vater Wolf Rücklowitz konnte kaum schreiben, und seine Unterschrift bestand nur aus dem Zeichen „OOO“ oder aus Buchstaben, denen man die Anstrengung beim Schreiben ansieht. Von Beruf war er Kürschner und Mützenmacher, die meisten Jahre wohl ein Kürschner, der Mützen fabrizierte.
1872 und 1873 ist der Vater von Rosalie Rücklowitz das erste Mal im Berliner Adressbuch notiert worden: als „Riklowitzky“ und ein Jahr später als Rücklowitz in der Klosterstraße 101 (in einem Teil der Straße, den es nicht mehr gibt). 1873 wurde der Sohn Daniel und 1875 Alfred geboren. Da lebte die Familie bereits in der Grenadierstraße (heute Almstadtstraße). In den folgenden Jahren zog sie immer wieder um: Sie wohnte bis zur Jahrhundertwende in der Hirtenstraße, Weydingerstraße (dort wurde Rosalie geboren), Gipsstraße, Kleine Rosenthaler Straße, Weinbergsweg, Christinenstraße, Rückerstraße, Alte Schönhauserstraße, Dragonerstraße (heute Max-Beer-Straße) und in der Straßburgerstraße – das heißt, die Wohnungen lagen nicht weit voneinander in der Spandauer Vorstadt (dem „Scheunenviertel“) und dem nahen Prenzlauer Berg.
1880 kamen Rosalies Schwester Jettchen, 1882 der Bruder Lewin und 1884 die Schwester Sarah auf die Welt. Das „Scheunenviertel“ war die Gegend ihrer Kindheit und Jugend: Hier kamen die Juden aus dem Osten an, arm und meistens orthodox lebten sie in engen Straßen und Gassen voller kleiner Läden und Handwerksbetriebe, Betstuben, Synagogen und Schulen. Sie waren „auf dem Weg nach Amerika“, viele blieben aber für immer. So auch Rosalies Vater: Er blieb, wie so viele im Scheunenviertel ohne deutschen Pass, ein „Ausländer“, der mehr als ein halbes Jahrhundert in Berlin leben sollte. Auch Rosalie blieb „staatenlos“, besaß allein einen „Fremdenpass“. Einen Beruf lernte sie nicht, arbeitete aber später als Schneiderin.
Am 3. April 1900 heiratete Rosalie Rücklowitz den 1878 geborenen Schneidermeister Elias Treister. Ihr Ehemann stammte aus Stanislau, einem Ort in Galizien, der heute zur Westukraine gehört, damals Teil der österreich-ungarischen Monarchie war. Seine Eltern lebten dort im Jahr der Hochzeit, aber in Berlin gab es bereits Verwandte. Die Eltern von Rosalie Treister lebten noch immer im „Scheunenviertel“. Ihre Mutter starb im April 1907, begraben wurde sie auf dem Friedhof der orthodoxen Gemeinde Adass Jisroel in Weißensee, wo die Mehrzahl der Bestatteten im „Scheunenviertel“ gelebt hatte.
Das Ehepaar wohnte bis kurz vor dem Ersten Weltkrieg in der Christburger Straße in Prenzlauer Berg und in der Holzmarktstraße an der Spree, nicht weit von der Jannowitzbrücke. Sie hatten keine Kinder. Dann zogen Rosalie Treister und ihr Ehemann in die Weißenburger Straße 30 a in Prenzlauer Berg (heute Kollwitzstraße 68). Dies war kein „Ankunftsort“ für Juden aus dem Osten Europas, aber ebenfalls eine Gegen der „kleinen Leute“. In dem Eckhaus zur Wörther Straße lebte Rosalie Treister (mit Ehemann und als Witwe) bis 1942, dem Jahr ihres zwangsweisen Umzugs in die Wilhelmsaue 5 und ihrer Deportation und Ermordung.
Elias Treister arbeitete als Schneidermeister für Damenkonfektion. Ob er selbstständig oder bei einer der Firmen in der Nachbarschaft angestellt war, bleibt unklar.
Am 25. Juli 1923 starb Rosalies Ehemann nach langer Krankheit, im Berliner Tageblatt betrauert von Rosa(lie), seinem Schwiegervater und seinen Brüdern Nathan und Moritz Treister mit Ehefrau. Ein zweiter Nachruf stammte vom „Wohltätigkeitsverein der österreichischen Handwerker zu Berlin“, einer 1893 gegründeten ostjüdischen Organisation, in deren Vorstand Elias Treister viele Jahre gewesen war. Die verwitwete Rosalie Treister war nun ihr eigener „Haushaltsvorstand“ und arbeitete als „Mantelschneiderin“.
Ihre Brüder Alfred und Daniel, der eine Schneider, der andere Mützenmacher, heirateten 1926 nichtjüdische Frauen. Sie überlebten die NS-Diktatur. Rosalie Treisters Vater führte weiter seine „Mützenfabrik“ und lebte als Witwer bis zu seinem Tod im Jahr 1931 in der Schwedter Straße in Prenzlauer Berg. Ihre Schwester Jettchen hatte geheiratet und wohnte lange Jahre in Berlin-Charlottenburg. Als Witwe wurde sie mit Tochter, Schwiegersohn und Enkelkindern am 4. August 1943 nach Auschwitz deportiert und ermordet.

Rosalie Treister wohnte seit dem 1. Mai 1942 zur Untermiete in der Wilhelmsaue 5 bei Jacobowitz. Sie wurde zur Zwangsarbeit bei der chemischen und pharmazeutischen Fabrik J.D. Riedel & de Haen in der Riedelstraße in Berlin-Britz verpflichtet. Am 24. Juli 1942 wurde sie vom Anhalter Bahnhof aus nach Theresienstadt deportiert. Zwei Monate später, am 26. September 1942, verschleppte man sie mit über 2000 Menschen aus dem Ghettolager in das Vernichtungslager Treblinka. Niemand überlebte.
Ihre Vermieter und Mitbewohner, die Geschwister Jacobowitz (Ludwig, Julius und Jenny sowie Ludwigs Ehefrau Ella) wurden am 9. Dezember 1943 nach Auschwitz deportiert und ermordet.

Im Bezirk Pankow-Prenzlauer Berg wurde am 23. Juli 2012 vor dem Haus Kollwitzstraße 68 ein Stolperstein für Rosalie Treister verlegt. Hier war ihr letzter frei gewählter Wohnsitz.

Quellen:
Arolsen Archives
Berliner Adressbücher
Berliner Telefonbücher
Brandenburgisches Landeshauptarchiv
Gedenkbuch Bundesarchiv
Alfred Gottwaldt/Diana Schulle: Die „Judendeportationen“ aus dem Deutschen Reich, Wiesbaden 2005
Jüdische Adressbücher für Gross-Berlin 1929/30, 1931/32
Jüdisches Jahrbuch für Gross-Berlin 1926–1933
Landesarchiv Berlin, Personenstandsunterlagen/über ancestry
https://www.mappingthelives.org/
https://www.geni.com/people/
https://www.juedische-gemeinden.de
https://www.statistik-des-holocaust.de/
Berliner Tageblatt v. 18.4.1907, 14.1.1917, 28.7.1923

Vorrecherchen aus dem Nachlass von Wolfgang Knoll