HIER WOHNTE
ROSALIE TREISTER
GEB. RYPLOWIAK
JG. 1877
DEPORTIERT 1942
THERESIENSTADT
ERMORDET IN
TREBLINKA
Rosalie Treister, die Rosa genannt wurde, kam am 15. April 1877 in Berlin als Tochter des Kürschners und Mützenmachers Wolf Rücklowitz (gestorben 1931) und seiner Ehefrau Lina, geb. Rothstein (ca.1842–1907), auf die Welt.
Ihre Eltern gehörten zu den bereits in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts nach Berlin gekommmenen „Ostjuden“ aus Polen und Russland, die oftmals vor Pogromen geflohen waren. Ihr Geburtsname „Rücklowitz“ findet sich in den Adressbüchern und auf den vorhandenen Urkunden in vielen Schreibweisen (als Ryklowycz, Riklowitz, Raecklowitz, Rykliowicz und so fort ) – falsch oder ohne Interesse gefragt, später falsch gelesen und weitergegeben und auch von den Verwandten geändert. – Ihr Vater Wolf Rücklowitz konnte kaum schreiben, und seine Unterschrift bestand nur aus dem Zeichen „OOO“ oder aus Buchstaben, denen man die Anstrengung beim Schreiben ansieht. Von Beruf war er Kürschner und Mützenmacher, die meisten Jahre wohl ein Kürschner, der Mützen fabrizierte.
1872 und 1873 ist der Vater von Rosalie Rücklowitz das erste Mal im Berliner Adressbuch notiert worden: als „Riklowitzky“ und ein Jahr später als Rücklowitz in der Klosterstraße 101 (in einem Teil der Straße, den es nicht mehr gibt). 1873 wurde der Sohn Daniel und 1875 Alfred geboren. Da lebte die Familie bereits in der Grenadierstraße (heute Almstadtstraße). In den folgenden Jahren zog sie immer wieder um: Sie wohnte bis zur Jahrhundertwende in der Hirtenstraße, Weydingerstraße (dort wurde Rosalie geboren), Gipsstraße, Kleine Rosenthaler Straße, Weinbergsweg, Christinenstraße, Rückerstraße, Alte Schönhauserstraße, Dragonerstraße (heute Max-Beer-Straße) und in der Straßburgerstraße – das heißt, die Wohnungen lagen nicht weit voneinander in der Spandauer Vorstadt (dem „Scheunenviertel“) und dem nahen Prenzlauer Berg.
1880 kamen Rosalies Schwester Jettchen, 1882 der Bruder Lewin und 1884 die Schwester Sarah auf die Welt. Das „Scheunenviertel“ war die Gegend ihrer Kindheit und Jugend: Hier kamen die Juden aus dem Osten an, arm und meistens orthodox lebten sie in engen Straßen und Gassen voller kleiner Läden und Handwerksbetriebe, Betstuben, Synagogen und Schulen. Sie waren „auf dem Weg nach Amerika“, viele blieben aber für immer. So auch Rosalies Vater: Er blieb, wie so viele im Scheunenviertel ohne deutschen Pass, ein „Ausländer“, der mehr als ein halbes Jahrhundert in Berlin leben sollte. Auch Rosalie blieb „staatenlos“, besaß allein einen „Fremdenpass“. Einen Beruf lernte sie nicht, arbeitete aber später als Schneiderin.
Am 3. April 1900 heiratete Rosalie Rücklowitz den 1878 geborenen Schneidermeister Elias Treister. Ihr Ehemann stammte aus Stanislau, einem Ort in Galizien, der heute zur Westukraine gehört, damals Teil der österreich-ungarischen Monarchie war. Seine Eltern lebten dort im Jahr der Hochzeit, aber in Berlin gab es bereits Verwandte. Die Eltern von Rosalie Treister lebten noch immer im „Scheunenviertel“. Ihre Mutter starb im April 1907, begraben wurde sie auf dem Friedhof der orthodoxen Gemeinde Adass Jisroel in Weißensee, wo die Mehrzahl der Bestatteten im „Scheunenviertel“ gelebt hatte.
Das Ehepaar wohnte bis kurz vor dem Ersten Weltkrieg in der Christburger Straße in Prenzlauer Berg und in der Holzmarktstraße an der Spree, nicht weit von der Jannowitzbrücke. Sie hatten keine Kinder. Dann zogen Rosalie Treister und ihr Ehemann in die Weißenburger Straße 30 a in Prenzlauer Berg (heute Kollwitzstraße 68). Dies war kein „Ankunftsort“ für Juden aus dem Osten Europas, aber ebenfalls eine Gegen der „kleinen Leute“. In dem Eckhaus zur Wörther Straße lebte Rosalie Treister (mit Ehemann und als Witwe) bis 1942, dem Jahr ihres zwangsweisen Umzugs in die Wilhelmsaue 5 und ihrer Deportation und Ermordung.
Elias Treister arbeitete als Schneidermeister für Damenkonfektion. Ob er selbstständig oder bei einer der Firmen in der Nachbarschaft angestellt war, bleibt unklar.
Am 25. Juli 1923 starb Rosalies Ehemann nach langer Krankheit, im Berliner Tageblatt betrauert von Rosa(lie), seinem Schwiegervater und seinen Brüdern Nathan und Moritz Treister mit Ehefrau. Ein zweiter Nachruf stammte vom „Wohltätigkeitsverein der österreichischen Handwerker zu Berlin“, einer 1893 gegründeten ostjüdischen Organisation, in deren Vorstand Elias Treister viele Jahre gewesen war. Die verwitwete Rosalie Treister war nun ihr eigener „Haushaltsvorstand“ und arbeitete als „Mantelschneiderin“.
Ihre Brüder Alfred und Daniel, der eine Schneider, der andere Mützenmacher, heirateten 1926 nichtjüdische Frauen. Sie überlebten die NS-Diktatur. Rosalie Treisters Vater führte weiter seine „Mützenfabrik“ und lebte als Witwer bis zu seinem Tod im Jahr 1931 in der Schwedter Straße in Prenzlauer Berg. Ihre Schwester Jettchen hatte geheiratet und wohnte lange Jahre in Berlin-Charlottenburg. Als Witwe wurde sie mit Tochter, Schwiegersohn und Enkelkindern am 4. August 1943 nach Auschwitz deportiert und ermordet.
Rosalie Treister wohnte seit dem 1. Mai 1942 zur Untermiete in der Wilhelmsaue 5 bei Jacobowitz. Sie wurde zur Zwangsarbeit bei der chemischen und pharmazeutischen Fabrik J.D. Riedel & de Haen in der Riedelstraße in Berlin-Britz verpflichtet. Am 24. Juli 1942 wurde sie vom Anhalter Bahnhof aus nach Theresienstadt deportiert. Zwei Monate später, am 26. September 1942, verschleppte man sie mit über 2000 Menschen aus dem Ghettolager in das Vernichtungslager Treblinka. Niemand überlebte.
Ihre Vermieter und Mitbewohner, die Geschwister Jacobowitz (Ludwig, Julius und Jenny sowie Ludwigs Ehefrau Ella) wurden am 9. Dezember 1943 nach Auschwitz deportiert und ermordet.
Im Bezirk Pankow-Prenzlauer Berg wurde am 23. Juli 2012 vor dem Haus Kollwitzstraße 68 ein Stolperstein für Rosalie Treister verlegt. Hier war ihr letzter frei gewählter Wohnsitz.
Quellen:
Arolsen Archives
Berliner Adressbücher
Berliner Telefonbücher
Brandenburgisches Landeshauptarchiv
Gedenkbuch Bundesarchiv
Alfred Gottwaldt/Diana Schulle: Die „Judendeportationen“ aus dem Deutschen Reich, Wiesbaden 2005
Jüdische Adressbücher für Gross-Berlin 1929/30, 1931/32
Jüdisches Jahrbuch für Gross-Berlin 1926–1933
Landesarchiv Berlin, Personenstandsunterlagen/über ancestry
https://www.mappingthelives.org/
https://www.geni.com/people/
https://www.juedische-gemeinden.de
https://www.statistik-des-holocaust.de/
Berliner Tageblatt v. 18.4.1907, 14.1.1917, 28.7.1923
Vorrecherchen aus dem Nachlass von Wolfgang Knoll