Stolperstein Kufsteiner Straße 16

Hauseingang Kufsteiner Str. 16, 25.03.2012

Hauseingang Kufsteiner Str. 16, 25.03.2012

Dieser Stolperstein wurde am 29.11.2005 verlegt.

Stolperstein Luise Zickel, 25.03.2012

Stolperstein Luise Zickel, 25.03.2012

HIER LEHRTE
LUISE ZICKEL
JG. 1878
DEPORTIERT 1942
ERMORDET IN
RIGA

Luise Zickel wurde am 25. Oktober 1878 in Breslau geboren. Von ihren frühen Jahren ist nur wenig bekannt. Erstmals taucht sie in den Akten der Berliner Schulbehörde 1903/04 auf als Lehrerin für Englisch, Französisch und Geschichte in Charlottenburger Privatschul-Zirkeln. Wegen der nur halbherzig durchgeführten staatlichen Reform der Mädchenbildung (!) herrschte damals ein großes Interesse an privaten Mädchenschulen, aber auch eine große Konkurrenz untereinander; oft zeigten sich die Betreiberinnen solcher Einrichtungen gegenseitig, z.B. wegen “nicht angemessener Ausbildung”, bei den Behörden an.

1907 hatte Luise Zickel ihr Schulvorsteherinnen-Examen abgelegt und führte ein Pensionat für “höhere Töchter”, deren Schulausbildung abgeschlossen war, “zur Vervollständigung ihrer Bildung.” 1908 wurden diese Fortbildungskurse wegen fehlenden Oberlehrerinnenexamens verboten. 1911 zog sie deshalb nach Schöneberg, wo sie die Genehmigung zur Errichtung einer höheren Privatmädchenschule mit zehn aufsteigenden Klassen mit maximal zehn Schülerinnen pro Klasse erhielt. Bis Anfang der 1920er Jahre befand sich diese Schule in zwei Etagen eines “herrschaftlichen” Mietshauses in der Kufsteiner Straße 6. Mit 250 Schülerinnen wurde sie allmählich zu klein, darum zog sie 1932 in die Kufsteiner Straße 16 um, die zu Wilmersdorf gehört.

War Luise Zickels berufliche Laufbahn bis dahin von den Schwierigkeiten bestimmt, eine angemessene Ausbildung für Mädchen auf die Beine zu stellen, so tauchte ab 1933 ein anderes schwerwiegendes Problem auf. Am 25. April 1933 wurde das “Gesetz gegen Überfüllung deutscher Schulen und Hochschulen” erlassen, das zur Begrenzung der Zulassung jüdischer Schüler und Studenten an Oberschulen und Universitäten auf 1,5% entsprechend dem jüdischen Bevölkerungsanteil führte, der nun auf rein jüdische Einrichtungen angewiesen war. Luise Zickel entschloss sich deshalb, auch Jungen in ihre Schule aufzunehmen und nannte sie “Höhere Privatschule für Mädchen und Jungen und jüdische Volksschule”. Weil die Räumlichkeiten nun auch in der Kufsteiner Straße 16 nicht mehr ausreichten, zogen die Oberschüler in das ehemalige private Lorenz-Lyzeum in der Schmargendorfer Straße 25 in Friedenau um. Dort wurde ihnen von jüdischen Lehrkräften, die in den staatlichen Schulen entlassen worden waren, ein volles Lyzeumspensum angeboten, u.a. mit den Fremdsprachen Englisch, Französisch und Hebräisch und mosaischem Religionsunterricht. 1937 hatte die Schule 16 Lehrkräfte und mehr als 200 Schüler und Schülerinnen.

bq. Ich war und bin noch sehr aktiv in meiner Schularbeit, aber ich fühle mit Gewissheit, dass ich in einem anderen Land nichts anderes (mehr) anfangen kann, sobald ich mein Lebenswerk, die Schule, die ich mein Leben lang gelebt habe, aufgebe (…) Ich halte mich für zu alt, um noch einmal ein Leben in einem fremden Land anzufangen.

Dies schrieb Luise Zickel am 9. Dezember 1938 an ihre Kousine Nina in die USA. Spätestens nach der Reichspogromnacht vom 9. auf den 10. November 1938 hatten viele Juden ihre Heimat verlassen, auch Luise Zickel war von ihren Verwandten zur Emigration gedrängt worden. Doch sie hielt die Nationalsozialisten für einen Spuk, der bald vorbeigehen würde und blieb in Berlin.

“Zickeleins” nennen sich heute diejenigen Ehemaligen, die 2008 ein biografisches Album über ihre alte Lehrerin hergestellt haben, zusammengestellt aus Briefen, Fotos und Berichten über ihre Schulzeit. Streng sei sie gewesen und habe sehr auf Disziplin und Geschlechtertrennung geachtet; aber man habe viel auf ihrer Schule gelernt, und sie sei für sie da gewesen. Die Schule sei eine “Oase der Normalität” gewesen in einer Zeit, in der in Berlin nichts mehr normal für sie war. Luise Zickel, die nicht hatte auswandern wollen, unterstützte ihre Schüler und Schülerinnen, indem sie Kurse zum “Cambridge Certificate” anbot, das zur Anerkennung deutscher Schulabschlüsse in England und den USA berechtigte. Am 31. März 1939 wurde die Schule zwangsweise geschlossen, viele Schüler waren mit ihren Familien ins Ausland emigriert. Luise Zickel erteilte noch längere Zeit Privatunterricht in ihrer Wohnung am Bayerischen Platz 2.

Luise Zickel ist wie ihre am 7. April 1883 in Breslau geborene Schwester Anna Zickel am 25. Januar 1942 vom Gleis 17 des Bahnhofs Grunewald in einem Güterzug aus Viehwagen nach Riga deportiert und dort wie die meisten der 1044 Insassen sofort nach der Ankunft am 30. Januar 1942 ermordet worden, wenn sie nicht, wie viele, wegen der damals herrschenden Kältewelle schon während der Fahrt erfroren waren.

In der Ausstellung “Wir waren Nachbarn” im Rathaus Schöneberg ist Luise Zickels Leben und Wirken dokumentiert.

Text: Sigrid Wiegand