HIER WOHNTE
RICHARD MOSES
JG. 1872
DEPORTIERT 29.1.1943
THERESIENSTADT
ERMORDET 11.1.1944
Richard Moses wurde am 13. November 1872 in Altenwedel, einem Dorf in der Provinz Pommern, geboren. Altenwedel (heute Sicko/Polen) liegt ungefähr 60 km südöstlich von Stettin (heute Szczecin/Polen) im Kreis Saatzig. Dort und in dem nahen Dorf Ball (heute Biała/Polen) lebten nur sehr wenige Juden. 1871, kurz vor seiner Geburt, hatte das Dorf 612 Einwohner, die allermeisten waren evangelisch, es gab nur acht Katholiken und sechs Juden. (1925 gab es in Altenwedel nur noch einen einzigen Juden, in Ball drei.)
Zu den meist als Kaufleute auf dem Dorf lebenden Juden des Landkreises gehörte die Familie Moses. Ihr Zentrum scheint Hermann Moses gewesen zu sein, der mit Pauline Rubinstein verheiratet war und in Ball als Kaufmann lebte. Anfang des 20. Jahrhunderts verkaufte er dort „Gemischte Waren“, d.h. Lebensmittel, Haushaltswaren u.ä. – alles, was die Landbevölkerung brauchte und nicht selbst herstellen konnte. 1913 hatte Hermann Moses sich vergrößert: Er besaß eine Brennmaterialhandlung, eine Spezerei- und Drogenhandlung, eine Häute- und Fellhandlung und eine „Restauration“ – das Dorfgasthaus?
Seine Kinder kamen in Altenwedel auf die Welt und wohnten – wenn sie in der Heimat blieben – in Ball. 1871 wurde in Altenwedel Ida Moses geboren, die als Witwe Ida Pless noch 1939 in Ball wohnte und 1942 von Berlin aus deportiert und ermordet wurde. 1877 kam die Tochter Clara auf die Welt, die als Geschäftsfrau bis zuletzt in Ball blieb, aber 1938 in Berlin im Jüdischen Krankenhaus starb. 1882 wurde Hedwig geboren, die 1904 in (Berlin)-Charlottenburg den evangelischen Christen Heinrich Wesenack heiratete. 1888 wurde schließlich der Sohn Siegmund geboren, der ebenfalls nicht in Ball blieb.– Richard Moses scheint ein weiterer Sohn von Hermann Moses gewesen zu sein.
Verheiratet war Richard Moses mit der 1873 in Fürstenberg/Mecklenburg geborenen Elise Portheim. Sie war die jüngste von drei Töchtern des Kaufmanns Louis Portheim (1839–1918) und seiner Ehefrau Rikchen (Friederike) geb. Liebenthal (1847–1920), ihre beiden Schwestern Rosa und Agnes wurden 1869 und 1870 geboren.
Richard und Elise Moses hatten keine Kinder. Bis ungefähr 1914 besaßen die Eheleute ein Geschäft in Guben an der Neiße, heute als Guben in Brandenburg und Gubin in Polen eine Grenzstadt. Dann zogen sie in das nicht weit entfernte Crossen an der Oder (heute Krosno Odrzańskie/Polen), wo sie bis zum Herbst 1938 in der Glogauerstraße 5 lebten. Elise Moses (oder das Ehepaar, dies bleibt unklar) war die Besitzerin von Grundstück und Haus und außerdem die Inhaberin eines Textilgeschäftes mit dem Namen „Modebazar“. Der Großneffe Klaus Peter Wagner (der Enkel seiner Schwägerin Agnes) erinnerte sich später an ein Geschäft im Erdgeschoss des Hauses und an Wohnungen in zwei oder drei Etagen. In einer der Wohnungen lebte das Ehepaar Moses, die anderen waren vermietet. Die Geschäfte gingen gut.
Die verheiratete Schwägerin Rosa Portheim lebte später mit ihrer Familie im nicht weit entfernten Stavenhagen. Sie starb 1928. Die Schwägerin Agnes blieb in Friedland und heiratete den Kaufmann Siegfried Schlawanski. Sie bekam 1895 ihr einziges Kind, die Tochter Lotte. Nach dem Tod ihres Ehemannes im Dezember 1927 führte sie sein Geschäft weiter. Ihre Tochter Lotte, die den Kaufmann Waldemar Wagner geheiratet hatte, lebte in der Giesebrechtstraße 15 in Berlin.
In Crossen lief das Geschäft von Richard Moses nach 1933 immer schlechter und wurde (nur noch?) als Etagengeschäft geführt. Während des Pogroms im November 1938 wurde der Laden schließlich zerstört und das Warenlager geplündert. Der Rest der Waren musste „verschleudert“ werden.
Richard Moses, der Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde in Crossen war, wurde verhaftet und schwer misshandelt. Man (wer?) zwang ihn, den Platz, auf dem die in Brand gesteckte und vollständig zerstörte Synagoge gestanden hatte, der Stadt zu übereignen.
Richard und Elise Moses schlossen das Geschäft und flohen nach Berlin. Ähnlich erging es Richards Schwägerin Agnes Schlawanski, die ihr Geschäft in Friedland bereits 1933 geschlossen hatte: Sie war in Berlin bei ihrer Tochter Lotte, als ihre Wohnung in Friedland zerstört und geplündert wurde. Daraufhin verkaufte sie ihren Besitz und zog ganz zur Familie der Tochter.
Nach der Erinnerung des Großneffen wohnte das Ehepaar Moses vom September 1938 bis zur Deportation 1942 in der Konstanzer Straße 3 in Berlin-Wilmersdorf in einer 3-Zimmer-Wohnung im 2. Stock des Gartenhauses. Allerdings wird in der Volkszählung vom Mai 1939 das Dorf Ball als Wohnsitz des Ehepaares angegeben. Hier wohnten – noch immer? – die oben erwähnte Ida Moses verheiratete/verwitwete Pless und bis 1938 die Geschäftsinhaberin Clara Moses. Das Haus in der Konstanzer Straße 3 in Berlin gehörte Regina Deutsch, einer Schwester von Waldemar Wagner, dem Ehemann der Nichte Lotte. Sie wohnte im 2. Stock des Vorderhauses. –
In dem Haus lebten zuletzt auch Ida Pless und die im Jahr 1900 in Ball geborene Lilly Pless. So blieb die Familie beieinander.
Im frühen Herbst 1942 begann die Deportation der Familienmitglieder: Die Schwägerin Agnes Schlawanski wurde am 2. September 1942 nach Theresienstadt deportiert, eine Woche später folgte ihr Regina Deutsch und am 14. September 1942 Ida Pless. Alle drei wurden ermordet. Die Nichte Lotte Wagner, ihr Ehemann Waldemar und ihre Tochter Lissy wie auch Lilly Pless starben 1943 in Auschwitz. Es überlebte allein Klaus Peter Wagner (1923–2019), der von seinen Eltern mit einem Kindertransport nach Großbritannien geschickt worden war. Er konnte später vom Leben der Familie berichten.
Richard Moses wurde am 29. Januar 1943 mit seiner Ehefrau Elise nach Theresienstadt deportiert. Er starb dort am 11. Januar 1944. Elise Moses wurde am 16. Mai 1944 von Theresienstadt nach Auschwitz verschleppt und dort ermordet.
Quellen:
Adressbuch aller Länder der Erde, der Kaufleute, Fabrikanten, Gutsbesitzer, Nürnberg 1913, nach Pommerndatenbank: Moses u.ä. In Ball, Kreis Saatzig
Berliner Adressbücher
Berliner Telefonbücher
Brandenburgisches Landeshauptarchiv
Deutsches Reichs-Adressbuch für Industrie, Gewerbe und Handel, 1902-1903, 1. Band, Provinz Pommern
Norbert Francke / Bärbel Krieger: Die Familiennamen der Juden in Mecklenburg: Mehr als 2000 jüdische Familien aus 53 Orten der Herzogtümer Mecklenburg-Schwerin und Mecklenburg-Strelitz im 18. und 19. Jahrhundert. Schriften des Vereins für jüdische Geschichte und Kultur in Mecklenburg und Vorpommern e. V., Verein für jüdische Geschichte und Kultur in Mecklenburg und Vorpommern e.V., Schwerin 2001
Norbert Francke/Bärbel Krieger: Schutzjuden in Mecklenburg, Schwerin 2002
Gedenkbuch Bundesarchiv
Alfred Gottwaldt/Diana Schulle: Die „Judendeportationen“ aus dem Deutschen Reich, Wiesbaden 2005
LABO Entschädigungsbehörde
Landesarchiv Berlin, WGA
Landesarchiv Berlin, Personenstandsunterlagen/über ancestry
https://www.geni.com/people/
https://www.juedische-gemeinden.de
Daten/Grabsteine der Familie Portheim/Wagner in Friedland
Dr. Dietlinde Peters, Vorrecherchen Nachlass von Wolfgang Knoll
Von der Koordinierungsstelle Stolpersteine Berlin