HIER WOHNTE
MARTHA MATHIAS
JG. 1887
DEPORTIERT 25.1.1942
RIGA
ERMORDET
Martha Mathias wird am 30. September 1887 in Pasewalk als viertes von insgesamt sechs Geschwistern geboren. Ihre Eltern sind der Pasewalker Kaufmann Julius Mathias und seine Frau Karoline (geb. Asch), die aus der Stadt Posen (Poznań) stammt.
Als sich der Vater nach dem wirtschaftlichen Niedergangs seines Geschäfts und der zunehmenden Verschlechterung seines Gesundheitszustands im Jahre 1901 das Leben nimmt, ist Martha 14 Jahre alt. Ihre beiden älteren Schwestern Klara und Betty finden in Berlin eine Anstellung bei Tietz bzw. Wertheim, und so zieht die ganze Familie nach Berlin. Im ersten Jahr wohnen sie vorübergehend bei dem bekannten Sozialdemokraten Eduard Bernstein, der mit einer Cousine von Marthas Mutter verheiratet ist. Martha erhält eine erste Ausbildung in einem Mädchenheim für hochgestellte Familien, verarmten Adel und begabte jüdische Mädchen. Die Familie bezieht – nach weiteren Zwischenstationen – im Jahre 1913 eine geräumige Fünf-Zimmer-Wohnung in der Kreuzberger Müllenhoffstr. 18, wo ein enger Zusammenhalt untereinander gepflegt wird. Die Mutter braucht nie einer bezahlten Tätigkeit nachzugehen und nachdem vier Geschwister verheiratet sind, bleiben Martha und ihr Bruder Georg ledig, um
ihre Mutter – nicht nur finanziell – unterstützen zu können. Martha ist in der Berliner Handelsagentur einer englischen Firma angestellt und dort ab circa 1918 als Prokuristin tätig.
Im Jahre 1917 bezieht Martha die Wohnung am Kaiserdamm 10 in Berlin-Charlottenburg. Die Wohnung lag im Parterre des Quergebäudes und hatte drei Zimmer.
Ende der dreißiger Jahre verbringt sie eine kurze Zeit bei ihrem nach Südafrika ausgewanderten Bruder Sigmund. Aller Warnungen zum Trotz kehrt sie jedoch zurück, um die Mutter, die seit 1932 im Altersheim wohnt, nicht alleine zu lassen. Bruder Georg ist mittlerweile ins Exil nach Shanghai geflüchtet.
Spätestens seit 1939 war Martha gezwungen, einen Untermieter bei sich aufzunehmen. Nachdem 1939 die Firma, in der sie jahrelang als Prokuristin tätig war, liquidiert worden war, arbeitete sie zuletzt bei der Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaft des Judentums in Berlin-Schöneberg. Einen Monat vor ihrer Deportation, Ende Dezember 1941, war sie aufgefordert worden, eine Vermögensaufstellung anzufertigen. Die verbliebenen Bankguthaben und ermittelten Rückkaufswerte der angegebenen Versicherungen wurden später durch die Oberfinanzkasse Berlin-Brandenburg beschlagnahmt.
Am 25. Januar 1942 befindet sich Martha Mathias unter den 1.000 ausschließlich Berliner Juden, die mit dem 10. Osttransport nach Riga deportiert werden. Auf den Transportlisten wird sie, zu diesem Zeitpunkt 54-jährig, unter der laufenden Nummer 256 mit ihrer langjährigen Anschrift, Kaiserdamm 10, geführt.
Am Ende der fünftägigen Fahrt im Deportationszug, dessen Waggons fast gänzlich ungeheizt sind, gibt es bereits viele Erfrorene. Zum Teil steif gewordene, geistig verwirrte und vor allem angsterfüllte Menschen müssen die Waggons verlassen und kilometerweit bis ins Ghetto laufen, wo teils katastrophale Zustände auf sie warten.
Fünf Tage nach der Ankunft des Transports, am 5. Februar 1942, wurde die erste so genannte Dünamünde-Aktion durchgeführt. Hierbei wurde Juden aus den Berliner und den Wiener Transporten, die im Ghetto (noch) keine Arbeit hatten und deren bisheriger Beruf im Ghetto nicht gebraucht wurde, die Verlegung in eine Konservenfabrik vorgetäuscht. Ziel war, jede Form von Panik zu vermeiden. Tatsächlich wurden die Betroffenen jedoch mit Lastwagen in den Biķernieki-Wald gefahren, um dort ermordet zu werden. Eine weitere solche Aktion erfolgte am 15. März. Mit großer Wahrscheinlichkeit ist Martha einer dieser beiden Massenliquidationen (insgesamt 3.400 Juden, darunter 1.700 aus Berlin) zum Opfer gefallen.
Marthas Mutter Karoline Mathias geb. Asch wurde am 17. August 1942 nach Theresienstadt deportiert und starb dort zehn Tage darauf am 27. August. Georg Mathias, Marthas Bruder, konnte zwar nach Shanghai flüchten, kam aber dort im Ghetto am 12. Januar 1945 ums Leben. Auch Marthas Schwester Blanka, ihr Mann Kurt Rosenthal und die Töchter Eva und Ursel wurden Opfer der Shoa. Für sie liegen Stolpersteine in Friedrichshagen vor dem Haus Josef-Nawrocki-Straße 12.
Autor: Shenja Leiser
Quellen: Berliner Adressbuch für das Jahr 1917, S. 1854.
Thomas Freier: Statistik des Holocaust. URL: http://statistik-des-holocaust.de/list_ger_ber_ot10.html. Letzter Zugriff: 12.08.2017.
Wolfgang Scheffler und Diana Schulle: Buch der Erinnerung. Die ins Baltikum deportierten deutschen, österreichischen und tschechoslowakischen Juden. Sauer, München 2003
Gertrude Schneider: Reise in den Tod. Deutsche Juden in Riga 1941 – 1944. Laumann, Dülmen 22008, S. 89f., 103f.
Gerhard Mursinsky: Warum ich nicht Ingenieur geworden bin. Berliner Erinnerungen. Hrsg.: Wolfgang Mursinsky und Werner Türk. Hentrich & Hentrich, Berlin 2011.