1936 wird Werner eingeschult. Nachdem im Juni 1942 jüdischen Kindern und Jugendlichen jeglicher Schulbesuch verboten wird, muss auch Werner nach nur sechs Jahren die Schule ohne Abschluss verlassen.
Ab November 1938 tritt die Verordnung zur Ausschaltung der Juden aus dem deutschen Wirtschaftsleben in Kraft. Die Firma Nathan Heimann & Co. wird ab Anfang März 1939 unter Treuhandverwaltung gestellt und Leo, inzwischen seit vielen Jahren Gesellschafter, darf die Geschäfts- und Betriebsräume ab Mai 1939 nicht mehr betreten. Er wird über Nacht arbeitslos. Infolgedessen muss er Gelegenheitsarbeiten annehmen, um zum Lebensunterhalt der Familie beitragen zu können. 1941 wird die Firma dann im Zuge der Arisierung zwangsverkauft.
Am 30. April 1939 tritt das Gesetz über Mietverhältnisse mit Juden in Kraft. Der dadurch erzwungene Wohnungswechsel der Familie findet im Juli 1939 statt: Sie zieht nach Berlin-Wilmersdorf in die Nassauische Straße 5 in eines der sogenannten Judenhäuser. Leo und Charlotte werden angewiesen, zusätzlich Juden als Untermieter in ihre Wohnung aufzunehmen. Daher vermieten sie ein Zimmer an die Eheleute Aron und Berta Flach.
Ab 1940 verpflichtet die Zentrale Dienststelle für Juden alle arbeitsfähigen jüdischen Frauen und Männer zwischen 18 und 60 Jahren zu einem sogenannten geschlossenen Arbeitseinsatz in der Berliner Wirtschaft. Juden dürfen sich nun also nicht selbstständig Arbeit suchen, sondern müssen bis zu ihrer endgültigen Deportation Zwangsarbeit leisten: Leo wird als Arbeiter bei der B.E.S. Bahnmeisterei 3 in der Ungarnstraße 24 in Nord-Berlin verpflichtet und Charlotte als Näherin im Uniform-Betrieb Martin Michalski in der Frankfurter Allee 116 in Ost-Berlin. Obwohl erst 17 Jahre alt, muss auch Eveline Zwangsarbeit leisten und arbeitet in einer Gärtnerei nahe dem Lehrter Bahnhof.
Weil alle arbeitsfähigen Juden zum „geschlossenen Arbeitseinsatz“ herangezogen werden, muss die Reichsvereinigung der Juden die Betreuung von jüdischen Kindern organisieren. Infolgedessen wird Werner bis zum Tag seiner Deportation als jugendlicher Helfer in der Küche des Jüdischen Krankenhauses Berlin in der Iranischen Straße 2 in Berlin-Wedding eingesetzt.
Am 28. Mai 1943 werden Leo und Charlotte gemeinsam mit ihrem Sohn Werner und ihrer inzwischen erwachsenen Tochter Eveline und deren Ehemann Walter aus der Nassauischen Straße 5 von der Gestapo abgeholt und in das sogenannte Siechenheim in der Auguststraße 14 -16 nach Berlin-Mitte überstellt. Von dort deportiert man sie noch am selben Tag mit weiteren 323 Berliner Juden mit dem 90. Alterstransport nach Theresienstadt.
Am 29. Juli 1943 wird die Wohnung in der Nassauischen Straße 5 bis auf das Zimmer der Eheleute Flach geräumt. Aron und Berta Flach, die in einer Mischehe leben, bleiben in der Wohnung zurück. (Beteiligte von „Mischehen“ bleiben zumindest bis kurz vor Kriegsende von der Deportation verschont.) Die beschlagnahmten Gegenstände aus dem Vermögen der Familie Moser werden unter anderem an den SS-Obersturmbannführer Otto Bovensiepen verkauft. Dieser ist als Gestapochef in Berlin mitverantwortlich für die Deportation der Berliner Juden in die Ghettos, nach Theresienstadt und in die Vernichtungslager.
Am 31. Mai 1944 wird auch den Eheleuten Aron und Berta Flach der (Unter-)Mietvertrag gekündigt. Über ihr Schicksal gibt es keine weiteren Anhaltspunkte.
Am 4. Oktober 1944 werden Leo (52 Jahre) und Charlotte (42 Jahre) gemeinsam mit ihren Kindern Werner (14 Jahre) und Eveline (20 Jahre) und deren Ehemann Walter (34 Jahre) von Theresienstadt nach Auschwitz deportiert und dort unmittelbar bei ihrer Ankunft getrennt. Eveline wird für die Zwangsarbeit „selektiert“ und wenige Tage später, am 12. Oktober 1944, ins KZ Freiberg, einem Außenlager des KZ Flossenbürg, überstellt. Dort wird sie zur Rüstungsproduktion im Werk II des Wehrbetriebs Max Hildebrand GmbH eingesetzt. Kurz vor Kriegsende wird das KZ Freiberg am 14. April 1945 angesichts der immer näher rückenden alliierten Truppen evakuiert. Eveline wird mit den anderen jüdischen Mädchen und Frauen in offene Güterwaggons verladen und mit einem Bahntransport ins KZ Mauthausen deportiert, wo sie nach einer Irrfahrt von 16 Tagen am 29. April 1945 ankommt.
Am 5. Mai 1945 wird sie durch US-amerikanische Truppen befreit. Eveline hat ihre Eltern und ihren Bruder nach ihrer Selektion in Auschwitz nie wieder gesehen. Leo, Charlotte und Werner wurden nach dem Krieg zum 1. November 1944 für tot erklärt. Erst nach Kriegsende erfährt Eveline durch die Behörden, dass ihr Mann überlebt hat. Sie blieb nach Kriegsende in Deutschland. Später fand sie ihren Lebensmittelpunkt in München, wo sie im November 2014 im Alter von 91 Jahren verstarb. Sie wurde im Kreis ihrer Kinder, Enkel*innen und Urenkel*innen auf dem Jüdischen Friedhof in Berlin-Weißensee neben ihren Großeltern beigesetzt.
Zum Gedenken an ihre Eltern und ihren Bruder beauftragte Eveline im Jahr 2003 den Kölner Künstler Gunter Demnig mit der Verlegung dreier Stolpersteine vor dem ehemaligen Wohnhaus der Familie in der Jenaer Straße 18 in Berlin-Wilmersdorf.
Text: Chava Moses, Enkeltochter
Quellen-Nachweise:
Archivmaterial aus dem Brandenburgischem Landeshauptarchiv, dem Bundesarchiv, ITS Internationaler Suchdienst, der KZ-Gedenkstätte Flossenbürg und dem privaten Familienarchiv.
Cziborra, Pascal: KZ Freiberg. Geheime Schwangerschaft, Bielefeld 2015
Düsing, Michael: Zwangsarbeit für den Endsieg, Freiberg 2015
Lammel, Inge: Jüdische Lebensbilder aus Pankow, Berlin 1993
Wunsch-Mainzer, Ilse: Zurück nach vorn – Mein Leben mit Prometheus, FaM/Basel 1998.
Alle Fotos aus Privatbesitz