Stolperstein Homburger Straße 4

Hauseingang Homburger Str. 4, 21.09.2011

Hauseingang Homburger Str. 4, 21.09.2011

Der Stolperstein wurde am 05.06.2004 verlegt.

Stolperstein Martha Salinger, 21.09.2011

Stolperstein Martha Salinger, 21.09.2011

HIER WOHNTE
MARTHA SALINGER
JG. 1878
DEPORTIERT 1941
ERMORDET IN
MINSK

Martha Salinger kam am 5. April 1878 im damals westpreußischen Marienburg/Graudenz (heute Malbork/Polen) als Tochter des Rechnungsrates Julius Salinger (ca. 1851–1911) und seiner Ehefrau Elise (Melissa), geb. Ehrlich (1854–1928) auf die Welt. Marienburg, bekannt durch das Schloss Marienburg, gehörte später – von 1920 bis 1945 – zu Ostpreußen. Die jüdische Gemeinde war klein.
Der Vater Julius Salinger arbeitete als „Gerichtskassen-Kontrolleur“ und wurde als Beamter des öfteren versetzt. Martha Salinger hatte drei Geschwister: Die ältere Schwester Selma (1876–1926) war ebenfalls in Marienburg auf die Welt gekommen, die Schwester Else (1882–1915) in Flatow in der Provinz Westpreußen , der Bruder Alfred (1884–1916) in Hammerstein/Kreis Schlochau, ebenfalls in Westpreußen .
Von 1889 bis 1905 lebte die Familie Salinger im Ort Graudenz an der Weichsel. In diesen Jahren verdoppelte sich die Einwohnerzahl der Stadt. Sie wurde ein Industriestandort und besaß ein Landgericht und Amtsgericht – dort mag ihr Vater gearbeitet haben. Die Familie zog auch in Graudenz des öfteren um, laut Adressbuch von 1905 befand sich die Wohnung zu dieser Zeit in der Lindenstraße 14. Sohn Alfred Salinger wird als „Handlungsgehilfe“ neben dem Vater notiert. Die ledigenTöchter fehlen, leben in anderen Städten oder bei den Eltern ohne eigenen Haushalt.
Martha Salinger wurde Lehrerin. Wann genau sie nach Berlin gegangen ist, bleibt unklar, als ledige Frau besaß sie wahrscheinlich keinen eigenen Haushalt. Eine erste „Spur“ ist eine Heiratsurkunde, die aber kaum von Glück berichtet: 1910 wollte Martha Salinger in Berlin den Kaufmann Samuel Mandel heiraten, der in der Auguststraße 49 wohnte. Aber: Die Verlobten erschienen nicht zu dem vereinbarten Termin auf dem Standesamt in Berlin. Mehr sagen die Akten nicht – Martha Salinger blieb unverheiratet.
Sie wohnte 1910 in der Kommandantenstraße 30, aber auch hier ist sie im Berliner Adressbuch nicht zu finden, dafür aber ein „Pensionat“.
1911 starb ihr Vater Julius Salinger in der Rubensstraße 27 in Berlin-Friedenau. Ihre Mutter blieb dort noch kurze Zeit als Witwe. Als ihre Schwester Selma 1914 in Stettin (Szczecin/Polen) den Kaufmann Martin Heller heiratete und in der Stadt an der Odermündung blieb, zog Martha Salingers Mutter mit ihr (?) und den ebenfalls ledig gebliebenen Geschwistern Else und Alfred in die Laubacher Straße 35 I in Berlin-Wilmersdorf. Else war Korrespondentin geworden, Alfred Kaufmann. Eine Martha Salinger findet sich als Lehrerin a.D. auch mit der Anschrift Kaiserin-Augusta-Straße 80 im Berliner Adressbuch dieser Jahre!
Während des Ersten Weltkrieges starben ihre Schwester Else und ihr Bruder Alfred: Else starb 1915 im Jüdischen Krankenhaus, Alfred wurde 1916 vor Verdun verschüttet und verlor als Soldat sein Leben.
Seit 1915, vermutlich nach dem Tod der Schwester, wohnte Martha Salinger mit ihrer Mutter in der Homburger Straße 4 im Bezirk Wilmersdorf, die damals noch die Hausnummer 2 besaß. Mutter und Tochter bewohnten eine 2½ -Zimmer-Wohnung im Parterre des Hauses. Im Adressbuch der 1920er-Jahre ist die Mutter als Witwe, Martha Salinger als Lehrerin notiert. (In den Verzeichnissen der Berliner Lehrer*innen ist sie nicht zu finden. – Leider betrifft dies bis jetzt ihr ganzes Berufsleben).
1926 starb ihre Schwester Selma, die noch immer in Stettin lebte, in Berlin an Krebs. Zwei Jahre später starb auch ihre Mutter in der Homburger Straße 2. Martha Salinger war nun die alleinige Mieterin der Wohnung in der Homburger Straße. (Im Adressbuch von 1930 ist aus der Homburger Straße Nr. 2 die Nummer 4 geworden).
Ein Jahr vor Beginn des Zweiten Weltkriegs wurde die Wohnung renoviert. Martin Heller, der seit 1929 wiederverheiratete Witwer ihrer Schwester Selma, wohnte 1940 bei Martha Salinger in der Homburger Straße 4. Er überlebte die NS-Diktatur.

Martha Salinger musste zuletzt als Hilfe im Haushalt von zwei ledigen Damen arbeiten: bei Frau Dr. Bernhard in der Duisburger Straße 16 und bei Frau Fink, Ansbacherstraße 6.
Am 14. November 1941 wurde Martha Salinger vom Güterbahnhof Grunewald aus in das Ghetto von Minsk deportiert. Ihre letzten Tage in Berlin hatte sie im Sammellager Levetzowstraße verbracht. Ihre Wohnung wurde im Oktober 1941 beschlagnahmt, ab November versiegelt und stand während des Winters leer. Zum 1. April 1942 wurde sie an einen Abrissmieter vermietet.

Martha Salinger wurde in Minsk ermordet. Ihr Todestag ist nicht bekannt.

Quellen:
Arolsen Archives
Berliner Adressbücher
Berliner Telefonbücher
Brandenburgisches Landeshauptarchiv
Gedenkbuch Bundesarchiv
Gedenkbuch des Reichsbund jüdischer Frontsoldaten (RjF)
Alfred Gottwaldt/Diana Schulle: Die „Judendeportationen“ aus dem Deutschen Reich, Wiesbaden 2005
HU Datenbank jüdischer Gewerbebetriebe in Berlin 1930-1945
LABO Entschädigungsbehörde
Landesarchiv Berlin, WGA
Landesarchiv Berlin, Personenstandsunterlagen/über ancestry
Neues Adressbuch von Graudenz
https://www.mappingthelives.org/
https://www.geni.com/people/
https://www.juedische-gemeinden.de
https://www.statistik-des-holocaust.de/

Vorrecherchen aus dem Nachlass von Wolfgang Knoll