Stolpersteine Weimarer Straße 31

Der Stolperstein für Karl Handel wurde am 17. Oktober 2024 verlegt.

HIER WOHNTE
KARL HANDEL
JG. 1909
VERHAFTET 25.8.1939
MEHRERE HAFTANSTALTEN
DEPORTIERT 28.3.1942
GHETTO PIASKI
MAJDANEK
ERMORDET 28.8.1942

Karl Handel wurde am 5. Januar 1909 in Lemberg, Galizien (heute Lwiw in der Westukraine) geboren. Sein Vater war der Kaufmann Salomon Handel – er nannte sich später in Witz um – die Mutter war Helene, geb. Dubiner. Die Familie wohnte in der Sankt-Stanislaus-Straße 8. Ob Karl Geschwister hatte, wissen wir nicht. Als nach dem Ersten Weltkrieg Galizien Polen zugeschlagen wurde, optierte Salomon Handel für Österreich und zog später nach Wien. Zunächst blieb die Familie aber wohl in Lemberg, denn dort besuchte Karl die Gemeindeschule, das Untergymnasium und die Handelsakademie. Nach seinen Aussagen lernte er anschließend den Fellhandel – das könnte bereits in Wien gewesen sein.

1930 kam der inzwischen 21-Jährige nach Berlin und schlug sich als „Provisionsvertreter für Textilwaren” durch. Als solcher reiste er auch in andere Städte, denn 1933 wurde er in Ahlen festgenommen, da er keinen Gewerbeschein für „Ausübung des Gewerbes im Umherziehen” hatte, wie es in der im Arolsen Archiv aufbewahrten Polizeiakte heißt. Polizeilich gemeldet war er auch nicht und hatte auch keine feste Wohnung, sondern übernachtete in Hotels und Pensionen. Er kam mit einer Geldstrafe davon.

Karl reiste weiter umher, war auch oft in Berlin. 1939 traf er hier eine Bekannte, die er Jahre vorher in der Bar „Blauer Vogel” in Essen kennengelernt hatte und übernachtete fortan bei ihr, wenn er in der Hauptstadt war. Mit ihr, so sollen beide zugegeben haben, unterhielt er sexuelle Beziehungen. Dies sollte ihm zum Verhängnis werden. Denn die Bekannte war „deutschen Blutes” und inzwischen waren die Nürnberger Gesetze erlassen worden. Am 25. August 1939 wurde Karl Handel im Rahmen einer Polizeirazzia bei der Freundin „im Bette liegend angetroffen”. Er konnte sich nicht ausweisen und versuchte sich zu retten, indem er einen falschen Namen angab und anschließend aus dem Fenster des Waschraums sprang – es war eine Parterrewohnung. Die Flucht misslang jedoch und er landete auf der Polizeiwache.

Karl hatte nie eine Kennkarte beantragt – wozu er als Jude verpflichtet gewesen wäre -, hatte wiederholt einen falschen Namen angegeben und, das Schlimmste, er hatte gegen das „Gesetz zum Schutze des deutschen Blutes und der deutschen Ehre vom 15. September 1935” verstoßen, die Nazis nannten es „Rassenschande”.

Auf der Polizeiwache beginnt Karls Leidensweg. Er wird ins Polizei Präsidium überstellt. Von dort kommt er am 4. September in Untersuchungshaft im Gerichtsgefängnis Charlottenburg, Kantstraße 79. Am 3. April 1940 wird er in das Gefängnis Lehrter Straße verlegt, weiterhin als Untersuchungshäftling. Schließlich wird er am 17. April 1941 zu zweieinhalb Jahren Zuchthaus verurteilt, zwei Jahre wegen „fortgesetzter Rassenschande”, der Rest wegen Falschbeurkundung (wiederholte Angabe falscher Namen) und „Vergehen gegen den Kennkartenzwang”. Am 22. Mai 1941 wird er in das Zuchthaus Brandenburg Görde eingeliefert. Die Untersuchungshaft soll angerechnet werden, der Entlassungstermin wird auf den 23. Februar 1942 festgelegt.

Bei der Aufnahme im Zuchthaus gibt Karl Handels als letzte Adresse die Weimarer Straße 31 an. Die Hausmeisterin der Weimarer Straße, von der Polizei befragt, gab allerdings an, ein Karl Handel sei dort unbekannt. Vermutlich hat Karl hier auch nur hin und wieder bei Bekannten übernachtet, vielleicht handelte es sich um die Wohnung jener Freundin, bei der er verhaftet wurde. Dies konnte nicht verifiziert werden, auch die Freundin wohnte wohl nur zur Untermiete.

Die Freundin wurde vom Gericht vernommen und auch Karls Vater Salomon Witz in Wien. Dieser lediglich um festzustellen, dass Karls vier Großeltern Juden waren und Karl somit „Volljude”. Aus den Dokumenten ist nicht zu entnehmen, dass Salomon Witz größeres Interesse für das Schicksal seines Sohnes gehabt hätte. Vermutlich war das Verhältnis beider nicht sehr gut, denn auf die Frage nach Verwandten, gab er wiederholt einen Onkel in Leipzig und nicht den Vater an. An einen anderen Onkel in Lemberg schrieb er schon aus dem Gerichtsgefängnis Charlottenburg einen Brief, der jedoch mit dem Vermerk „Retour Inconnu”- unbekannt – zurückkam. Der Leipziger Onkel wiederum war bereits 1938 nach Polen abgeschoben worden, was Karl offenbar nicht gewusst hatte. Nach seinen Absichten nach der Entlassung befragt, äußerte er schließlich, er wolle zum Vater nach Wien, Malzgasse 14, fahren.

Dazu kam es nicht. Schon wenige Wochen nach Karls Einlieferung ins Zuchthaus lässt die Kriminalpolizei die Anstaltsleitung wissen, dass für Karl nach der Entlassung Vorbeugehaft geplant sei. Man möge einen Bericht über seine Führung schicken. Dieser kommt im Dezember: die Arbeitsleistung sei „ausreichend” – von der Abteilung der Brennabor-Werke, wo er eingesetzt worden war, wurde allerdings bescheinigt, er sei “ein fleißiger Arbeiter”. Was die Straftaten betrifft, würde er bei „den Juden auferlegten Einschränkungen wohl kaum Gelegenheit zur Wiederholung finden”, aber: „Bei der dem Juden eigenen moralischen Hemmungslosigkeit ist eine Besserung unwahrscheinlich”.

Karl Handel wird am 23. Februar 1942 aus dem Zuchthaus „entlassen” und nahtlos in das Polizeigefängnis Berlin überführt. Da stand seine Deportation schon fest. Am 23. März unterschreibt er die „Vermögenserklärung”, in der er angibt, seit 1938 in der Weimarer Straße 31 zu wohnen. Sein Vermögen bestehe aus 74,36 RM, die aber bei dem Gefangenenfürsorgeverein lagern. Fünf Tage später wird er über Trawniki in das Ghetto Piaski deportiert und von dort zu einem unbekannten Zeitpunkt in das Vernichtungslager Majdanek, wo er am 28. August 1942 ermordet wird.

Salomon Witz, Karls Vater, war bereits am 17. Juni 1942 von Wien aus nach Auschwitz deportiert worden. Sein Todesdatum ist nicht bekannt.

Quellen:
Gedenkbuch. Bundesarchiv Koblenz, 2006; Gedenkbuch Berlin der jüdischen Opfer des Nationalsozialismus 1995; Adressbuch Lemberg; Arolsen Archives; Brandenburgisches Landeshauptarchiv, Akten der Oberfinanzdirektion; Yad Vashem Krematoriumsliste Majdanek: https://collections.yadvashem.org/en/names/12189786; Datenbank der nach Auschwitz deportierten Österreicherinnen und Österreicher: https://www.auschwitz.at/detailansicht-haeftling/29716

Recherchen/Text: Micaela Haas
Stolpersteininitiative Charlottenburg-Wilmersdorf